FolkWorld #72 07/2020

CD Rezensionen

Laway & La Kejoca "Winternacht"
Artychoke, 2019

FolkWorld Xmas

www.laway.de

Als ich diese Zeilen schreibe, ist das letzte Weihnachten schon lange vorbei; trotzdem nimmt mich dieses weihnachtliche „Winternacht“ Album voll in seinen Bann. Eine verzaubernde Musik, in der friesische Interpretationen internationaler Winter- und Wiehnachtslieder und britische Weihnachtslieder in Originalfassung hervorragend interpretiert werden. Das Album wurde eingespielt von der friesischen Gruppe Laway und La Kejoca sowie Borkums singendem Wattführer Albertus Ackermann. Zu hören sind Drehleier, Geige, Spanische Gitarre, Akkordeon, Gitarre und als Gast Trompete und Flügelhorn.
Eine äußerst gelungene friesische Version des Show of Hands Klassikers „Hallow‘s Eve“ ist im „ Lüchtertied“ entstanden, und „Na Bethlehem geiht hein“ ist die Friesische Version des Shanties “Bound for Bethlehem“. „God rest you merry gentlemen“ gibt’s gleich auf f¨nf Arten: Als instrumentale Interpretation auf spanischer Gitarre, als Carol, als Jig und schließlich mit friesischer Version von „In dulci jubilo“ - und außerdem ist die Melodie auch integriert in dem ersten Stück der CD “De Winter is en unwert Gast“. Eine sehr schöne Version von Gaudete gefällt genauso wie die gelungene Kombination des französischen „Un Flambeau“ und einer Friesischen Übertragung von “I saw three ships“. Und aus Dougie MacLean’s „Caledonia“ wird eine Hymne für die Watteninseln. Dieses Album wird auf jeden Fall spätestens im Dezember wieder ein Favorit - wobei es vielleicht schon vorher wieder gehört werden wird.
© Michael Moll


Austin Epremian Weller "Written in the Night"
Wonderland Records, 2020

www.ray-austin.de

Schon lange unentwegt und treu dabei sowohl als Musiker als auch als Veranstalter in der deutschen Folkszene, feiert der Nordengländer Ray Austin nun schon seinem 77. Geburtstag, und 50 Jahre in Freiburg. Auf diesem Album arbeitet er mit dem Le Clou Geigenspieler und Gitarristen Johannes Epremian und dem Keyboarder Chris Weller zusammen. Fast alle der Folk-Lieder sind Ray‘s Kompositionen, und auch wenn das Album im Namen des Trios erscheint, ist es eben doch vor allem ein Ray Austin Album. Der Gesang strahlt eine angenehme Wärme und entspannte Gemütlichkeit aus. Das einzige, was mich bei diesem Album stört, sind die Keyboard-Klänge, die oft eben nicht nur als Klavier gespielt werden.
© Michael Moll


Feuerbach Quartett "Born to be child"
Fuego, 2019

www.feuerbachquartett.de

Ein etwas anderes Streichquartett - mit Talent und Geschmack führt uns das Feuerbach Quartett durch vierzehn Poptitel, die die die vier Musiker zumeist in ihre Kindheit zurückführen. Mit viel Kreativität und Spielfreude haben sie die Klassiker mit zwei Violinen, Cello und Viola instrumental eingespielt - von Michael Jackson‘s „Thriller“ über ABBA’s „Dancing Queen“ dem Back to the Future Fernsehtitelsong und Rammstein‘s „Engel“ bis zu dem aktuelleren Luis Fonso Hit Despacito. Mit Humor kombinieren sie dabei manchmal auch ein paar Kinderlieder - so wird zum Beispiel Eurythmics „Sweet Dreams“ von Brahms‘ „Guten Abend Gute Nacht“ eingeleitet. Folkmusik ist es nicht gerade, aber Das macht überhaupt nichts - es ist Musik, die sehr anspricht und die die Pop- und Rockklassiker in einem neuen (noch besseren?!) Licht erscheinen lässt. Außer dem misslungenen Albumtitel ist dieses ein vollkommen gelungenes Album, eingespielt von vier Musikern aus vier Nationen, die extra Klasse sind.
© Michael Moll


Peter Kerlin, Ian Smith, Jens Kommnick "Triangle"
S.T.I.R. Music, 2020

English CD Review

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www.peterkerlin.de
www.iansmithmusic.net
www.jenskommnick.de

Ian Smiths "Where's It All Going To End?" (Wo wird das alles enden?) malt das Bild einer Welt, die auf den Kopf gestellt wurde, und das ist ziemlich aktuell, nicht wahr? Es ist nur eines von vielen exzellenten Liedern, die dieser Schotte geschrieben hat, der Wurzeln in der irischen Grafschaft Donegal geschlagen hat.[25][31][69] So ist sein "Far Beyond Carrickfinn" dem verstorbenen Geiger Proinsias Ó Maonaigh (Francie Mooney) aus seiner unmittelbaren Nachbarschaft gewidmet, dem Vater von Altans Mairéad Ní Mhaonaigh.[70] "The Holy Hour" erinnert an vergangene Tage, als irische Pubs an Sonntagnachmittagen noch schließen mussten. (Der Schriftsteller Heinrich Böll hat in seinem "Irischen Tagebuch" geraten, was durstige, aber kluge Leute dagegen tun können.) "Upon Culloden's Moor" ist ein Antikriegslied, das auf dem berühmten jakobitischen Schlachtfeld von Ians Heimat spielt. "Bas In Eireann" (ein Schlachtruf, der bedeutet: Lasst uns in Irland sterben) stellt einen Menschen vor (direkt aus einem Roman von Bernhard Cornwell), die in der britischen Armee auf der spanischen Halbinsel gegen Napoleon kämpft. Hier in Deutschland war Ian Smith Teil mehrerer Irish Folk Festival-Tourneen gewesen;[42] vor kurzem schloss er sich den Danceperados of Ireland-Shows an.[65] Gleichzeitig tat er sich mit dem Singer-Songwriter Peter Kerlin zusammen, der seit den 1970er Jahren eine bekannte Persönlichkeit in der deutschen Folkszene ist. Peters "The Shores of Donegal" ist inspiriert von ihrer ersten Begegnung, als Peter in Ians Cottage am Meer Urlaub machte. Peter selbst lebt in dem Städtchen Goslar am Fuße des Harzes und "02 July 2017" handelt von der dramatischen Überschwemmung zu diesem Zeitpunkt. Ihre musikalische Zusammenarbeit wird durch einige Instrumentalstücke ergänzt, und hier kommt der Multiinstrumentalist Jens Kommnick[37][57] ins Spiel, Peters langjähriger Partner[31] auf seinen Soloalben.[20][31][40][61] Dieses musikalische Triangel läuft auf Hochtouren. Mit Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden und durch großartige Texte lebendig werden, wird ein allgemeines Gefühl von Herzlichkeit und ein gewissen Balsam für die Seele aufgebaut, jenseits aller Melancholie und Betroffenheit. Als ich Peter und Ian live im Konzert erlebte,[69] konnte ich mich nicht entscheiden, was mir am besten gefällt, das weiche Wasser aus dem Harz oder die Sanftheit des dreifach destillierten irischen Whiskeys.
P.S.: Die für 2020 geplante Triangle Tour fand natürlich wegen der Corona-Pandemie nicht statt und musste verschoben werden. Die offizielle CD-Präsentation ist nun für den 17. April 2021 im Kulturkraftwerk HarzEnergie in Peters Heimatstadt Goslar geplant. Achtung! Tickets werden voraussichtlich schnell ausverkauft sein!
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Larún "When the City Sleeps"
Timezone, 2019

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www.larun-music.com

Das Sextett Larún hat sich der traditionellen Musik Irlands in allen seinen heutigen Varianten verschrieben. Hinter der noch relativ neuen Formation verbergen sich einige alte Bekannte, da sind hierzulande gut bekannte Ensembles wie Emerald,[51] Crosswind,[59] Trasnú[63] oder Dán[43] zu nennen. Franziska Urton spielt die Fiddle, Stefan Decker die Flöte und der gebürtige Asturier Borja Baragaño die Uilleann Pipes. Das rhythmische Rückgrat bilden Cornelius 'Zorny' Bode an der Gitarre und Markus Pede an der Bodhrán. Catherine Kuhlmann ist für den sensiblen Gesang und dazu noch die Klavierbegleitung verantwortlich. Der Silberling zeichnet sich durch klangtechnische Vollendung gepaart mit instrumenteller Virtuosität aus. Da weht ein frischer Wind durch die Straßen der schlafenden Stadt. Stefan Decker hat einen heißblütigen Set Reels und eine herzzerreissende Weise ("The Last Polar Bear") komponiert. Weitere Instrumentalmelodien stammen vom Bretonen Sylvain Barou[66] und dem Schotten Hamish Napier.[61] Die Liedauswahl beinhaltet Graham Moores "Tom Paine's Bones", bezugnehmend auf den großen Denker des Age of Reason, Conor McCaffreys "Stranmillis Fox" und Andrew Cadies Durchhalteparole "Keep Hauling". Nach gut dreißig Minuten ist leider schon Schluss mit der Musik; "When the City Sleeps" ist ein Versprechen, aber noch keine endgültige Befriedigung.
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Reinig, Braun + Böhm "Neun Lieder"
Pfalz Records, 2019

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www.reinig-braun-boehm.de

Die Ludwigshafener Paul Reinig, Peter Braun und Rüdiger Böhm haben ihre musikalischen Wurzeln in diversen Pfälzer Folkgruppen. In dieser Formation haben sie sich um die Jahrtausendwende zusammengetan und sich traditionellen Tänzen aus der Pfalz und der französischen Nachbarschaft verschrieben sowie Vertonungen von regionalen Mundartdichtern.[23][31][38][54] Dabei erfährt der volksmusikalische Kern eine Anreicherung durch Blues und Chanson. Zum 20jährigen Band-Jubiläum hat das Trio neun neue Lieder eingespielt. Diesmal jedoch kein Liedgut in Pfälzer Mundart, sondern eine musikalische Hommage an die Künstler, die die Drei inspiriert haben: Aus dem deutschen Sprachraum sind das Georg Danzer[34] ("Die Freiheit"), Bernie Conrads,[58] Philipp Poisel, Reinhard Mey,[65] Franz Josef Degenhardt,[47] sowie der niederösterreichische Lyriker Theodor Kramer[33] ("Andre, die das Land so sehr nicht liebten" in der Vertonung von Erich Schmeckenbecher).[66] Im Mittelteil funkt noch Bob Dylan dazwischen ("Girl from the North Country") und der katalanische Nova-Cançó-Liedermacher Luis Llach offeriert sein berühmtes Lied gegen die Franco-Diktatur ("Der Pfahl"). Der rote Faden, der diese neun Lieder miteinander verbindet, sind die Konzepte Heimat und Freiheit. Heimat aber weder im Sinne von Blut und Boden noch volksmusikalischer, nostalgischer Verklärung; Freiheit nicht in dem Verständnis der demonstrierenden, party-feiernden Corona-Ignoranten. Heimat ist der Raum, wo man frei denken und reden und sich persönlich und künstlerisch entfalten kann. Am Ende schlagen Reinig, Braun + Böhm noch ein ganz neues Kapitel bezüglich ihres Wirkens auf: Der Oud spielende syrische Flüchtling Samer Alhalabi hat sich mit Unterstützung des Trios eines Stückes des ägyptischen Komponisten Sayed Darwish angenommen. Damit erweist sich die CD nicht (nur) als vergangenheitsverliebter Rückblick, sondern tritt die Flucht nach vorne an - in unerschlossene Gefilde, wo Heimat und Freiheit noch einmal ganz neu definiert werden.
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Symcha Keller "Chojze Widzący z Lublina"
Fundacja Kellerów, 2019

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www.symchakeller.org

Hiermit möchte ich ein weiteres Kapitel in der Sache "Rezension eines Namensvettern" aufschlagen.[71] Dieser Herr Keller lebt in der polnischen Stadt Łódź. (Nur der Vollständigkeit halber möchte ich hinzufügen, dass meine "Keller"-Vorfahren im 18. Jahrhundert in der Bukowina (heute Rumänien und Ukraine) angesiedelt und 1940 in Folge des Hitler-Stalin-Pakts ins Deutsche Reich zurückgeholt worden sind; ich habe noch Restverwandschaft in Rumänien und Polen.) Symcha Krzysztof Keller ist ein wichtiger Funktionsträger in der jüdischen Gemeinde von Łódź. Er ist ein Chasan, sprich ein Vorbeter in der Synagoge; gemäß der jüdischen Liturgie ein Sänger und Musiker. Insbesondere ist er mit der alten Musik des Chassidismus verbunden, der orthodoxen religiös-mystischen Strömung des Judentums in Osteuropa. Im Laufe seiner langjährigen Karriere nahm er an zahllosen Zeremonien außerhalb der jüdischen Gemeinde teil. Er unterhielt die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als auch US-Präsident Bill Clinton und den tschechischen Regimekritiker und späteren Staatspräsidenten Václav Havel bei ihren Polenbesuchen, und musizierte anlässlich der 60. Jahrestage des Warschauer Ghettoaufstands und der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Symcha Kellers Album "Chojze Widzący z Lublina" (übersetzt: Der Seher von Lublin) ist Jakub Izaak Horowicz (1745-1815) gewidmet, genannt der Seher oder Weise von Lublin (choseh), der als polnischer Rebbe wesentlich zur Entwicklung des Chassidismus beigetragen hat. Alle ausgewählten Stücke sind nigunim (hebräisch: Melodie) aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die teilweise jedoch durchaus bis auf mittelalterliche Wurzeln zurückzuführen sind. Symcha Keller hat sich jede Mühe gegeben, die wesentlichen musikalischen Merkmale und das originale Klangbild zu erhalten. Die Interpretationen und Arrangements sind jedoch frisch und lebendig, sodass sie einem modernen Publikum ohne große Mühe zugänglich sind. Er selbst singt und spielt Querflöte und Schofar (das rituell wie ein Blechblasinstrument genutzte Horn eines Widders, das an die Opferung Isaaks durch Abraham erinnert); ein großartiges Ensemble malt in bunten Farben (Akkordeon, Klarinette, Geige, Gitarre, Kontrabass, Perkussion) die nahezu blanke Leinwand der nackten Vorlagen aus. Es heißt, "Chojze Widzący z Lublina" sei nur das erste einer Reihe von geplanten Alben. Es gäbe nicht viel Zeit und das ungeheure Ausmaß an Material, das es zu bewahren gilt, wäre wie ein ganzer "Ozean an Liedern".
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Sian "Sian"
Eigenverlag, 2020

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www.sian-music.com

Sian bedeutet Sturm. Die Naturgewalten hier sind drei junge, aber großartige schottische Sängerinnen: Ellen MacDonald (Dàimh, Niteworks), Ceitlin Lilidh und Eilidh Cormack. Das Trio singt, nein, es zelebriert gleichermaßen das alte gälische Liedgut; der Großteil hier stammt sogar von weiblichen Barden. Die bemerkenswerten Gesangsharmonien werden durch eine einfühlsame Begleitung instrumentell ins rechte Licht gerückt: Geiger Charlie Stewart,[67] Gitarrist Innes White und die schottisch-isländische Perkussionistin Signy Jakobsdottir.  Als Produzent sorgt Donald Shaw (Capercaillie)[52] dafür, dass statt Nostalgie Aufbruchstimmung herrscht.
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Clàrsach "Serendipity"
Liekedeler Musikproduktionen, 2019

www.clarsach-music.de

Serendipity ist laut Wörterbuch die Gabe, zufällig glückliche und unerwartete Entdeckungen zu machen. Das Zusammenstellen ihrer dritten CD war für die keltischen Schwaben von Clàrsach eine derartige Erfahrung. Die gebürtige Schottin Norma May Huss spielt die Harfe, die der Band ihren Namen Clàrsach gegeben hat,[45][54] ihre Mannschaft besteht desweiteren aus Walter 'Paule' Zeyher (Gitarre, Mandola, Cister), Claudia Elmer (Geige, Nyckelharpa), Roland Geiger (Flöte) und Thomas Kolb (Keyboards). Ihr irisch-schottischer Musikmix ist wie gehabt abwechslungsreich und unterhaltsam. Es überwiegen die eher ruhigen Töne. Die Lieder erzählen von Rotkäppchen (Little Red Riding Hood), dem angeworbenen Soldaten (The King's Shilling), dem blutbeschmierten Totschläger Edward aus der Child-Ballade,[69] und der Rückkehr von Kishmul's Galeere in die heimische Burg, wo die Seeleute roter Wein und süßes Harfenspiel erwartet. Bei den Instrumentalstücken wird das Tempo ein wenig angezogen, die Tunes stammen von Kevin Crawford, Catriona McKay oder Gudrun Walther,[24] Roger Tallroths Walzer für Josephine swingt dann aber wieder gelassen und entspannt vor sich hin und auch Paule Zeyhers Eigenkompositionen lassen einen dem Alltagschaos entfliehen und zur inneren Ruhe kommen.
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Trad.Attack! "Make Your Move"
Made in Baltics, 2020

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www.tradattack.ee

Ich habe das estnische Trio Trad.Attack![59][63] in Tønder erleben dürfen,[65] in aller epischen Breite wurden sie dem gewählten Namen gerecht: sie spielen traditionelle Musik, greifen aber an wie die unterdrückte estnische Landbevölkerung den mittelalterlichen Ordensstaat. Trad.Attack! bestehen aus Sandra Vabarna (Dudelsack, Gesang), Jalmar Vabarna (Gitarre) und Tõnu Tubli (Schlagzeug). Das neue Album ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, die tradierten Klänge zu elektrifizieren und ganz grundsätzlich neu zu erfinden. Der entstehende Folk-Pop-Rock hat prompt die estnischen Charts gestürmt und sollte auch die junge Zuhörerschaft anderer Kulturkreise in den Bann ziehen. Die Liedthemen dagegen sind ganz klassisch, wenn beispielsweise die Braut gefragt wird: Miks te ei laula? Warum singst du nicht? Es wird ein Siberi unelaul, ein sibirisches Wiegenlied, gesummt und die Hexe spricht ihre Zaubersprüche Pass-Pass, um den Topf am Köcheln zu halten, aber das Überkochen zu verhindern, und Liebesbeschwörungen, Armasta mind armsamini enesest, lieb mich mehr als du dich selbst liebst. Und der alte Mann, der Vanamees, soll aufstehen, sich anziehen und seine Liebe finden. Darum geht's: komm von deinem Arsch hoch und mach deinen nächsten Schritt!
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The Danberrys "Shine"
Singular Recordings, 2020

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www.thedanberrys.com

Ben Deberry (Gitarre) und Dorothy Daniel (Gesang) pflegen seit der gemeinsamen High-School-Zeit eine Beziehung. Das Auf und Ab ihrer mittlerweile dreizehnjährigen Ehe hat sich in einem aus zahlreichen Erfahrungen geschöpften Liederkorpus manifestiert. Das Americana-Duo nennt Nashville ihr Zuhause, ihr musikalischer Gumbo wurde aber im Morast der Bayous, im folkigen Staub des mittleren Westens und im bluesigen Delta des Mississippi angerührt. John Fogerty und CCR lässt an vielen Stellen grüßen. Die Suppe schimmert und glänzt wie die öligen Wundermittel der umherfahrenden Medicine Shows, die gegen alle möglichen Gebrechen helfen sollten. Diese hörtechnische Arznei macht zumindest viel Freude. Im Gegensatz zu früher ist der Sound nicht mehr ganz so minimalistisch, ein bißchen Rock'n'Roll weitet den Horizont. Ben spielt seine Gitarre virtuos aber subtil; Dorothy skandiert dazu wie die Frau auf dem Fischmarkt, oder bleiben wir beim vorherigen Bild, wie der Anpreiser der vorgenannten Verkaufsshow. Die Texte erzählen von harten Zeiten und wollen Hoffnung geben und geschundene Seelen aufpäppeln. Dorothy sagt, sie möchte etwas geben, das einen zum Aufstehen und Weitermachen bringt und wie einen Krieger fühlen lässt. Dank Corona müssen sich Dorothy und Ben, die in einer stark betroffenen Gegend in East Nashville wohnen, derzeit von allen Bühnen fernhalten; sie haben ihr Ventil in Livestream-Shows gefunden, die durchaus auch Vorteile haben können: "Eine wirklich coole Sache an all dem ist die Tatsache, dass unsere internationalen Fans uns jetzt live sehen können, wann immer sie wollen!"
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Rachael Sage "Character"
MPress Records, 2020

www.rachaelsage.com

»Ich glaube nicht, dass ich die volle Bedeutung des Wortes "Charakter" verstanden habe, bis ich plötzlich meinen eigenen neu definieren musste. Wenn all dies einen Silberstreifen enthält, habe ich eine viel tiefere Beziehung zur Dankbarkeit. Mir ist klar geworden, dass Musik das mächtigste Heilmittel ist, dem ich je begegnet bin. Sie hat mir buchstäblich das Leben gerettet, und ich beabsichtige, für den Rest meiner Karriere ein langer, langsamer Tanz der Dankbarkeit zu sein.« - Rachael Sage

English CD Review

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Die New Yorker Singer-Songwriterin Rachael Sage, die sich irgendwo zwischen alternativer und erwachsener Popmusik aufhält,[37][44] hat ihr neuestes Album "Character" aufgenommen, nachdem sie sich von ihrer Krebserkrankung erholt hat. So ist es zu einem bedeutungsvollen Liederzyklus geworden, der die Bedeutung von Dankbarkeit, Glauben, Mitgefühl, Belastbarkeit, Achtsamkeit, Hoffnung, Optimismus und nicht zuletzt Authentizität und Identität reflektiert. Rachael schuf etwas Erhebendes, z.B. Single und Video "Blue Sky Days" sollen jeden unterstützen, der eine harte Zeit hat. Dies ist aufgrund von COVID-19 ja zu einem Thema für Millionen von Menschen geworden. Sie nahm auch ein Cover von Neil Youngs Protestlied "Ohio" auf (über die Ermordung von vier Studenten an der Kent State University im Jahr 1970), als hätte sie die jüngsten Unruhen in den Vereinigten Staaten vorausgesehen. "Character" ist eine Meditation und ein besseres Heilmittel als der meiste New-Age-Quatsch. Die Musik umfasst sowohl intime Balladen mit poetischen und leidenschaftlichen Texten als auch kernigen Folkpop (wobei Rachael eine rockige E-Gitarre präsentiert). Das Album wäre ohne ein weiteres Cover nicht komplett, eine Streichquartett-Version von Ani DiFrancos "Both Hands".[72] Rachael war auf ihrer allerersten Tour der Opener für Ani. Während ihrer Chemotherapie hörte sie das Lied erneut als Teil einer Playlist, die sie aufrecht hielt. "Character" wird in einem Hardcover-Buchpaket ausgeliefert, das eine separate EP mit rein akustischen Interpretationen einiger ausgewählter Songs enthält.
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Rachael Sage


CoroNews

Rachael hat unter dem Titel "Stay In With Sage" (#stayinwithsage) zweimal wöchentlich Facebook-Livestreams produziert. Die Singer-Songwriterin, die sich mitten in einer Tour befand, als die Pandemie begann, sagt: »Ich habe jetzt einige dieser virtuellen Konzerte gegeben und schnell festgestellt, wie stark es sein kann, derart aufzutreten. Ich bin eine Musikerin, eine Entertainerin und sogar ein bisschen eine Komikerin, aber ich habe mich gefragt, ob es angemessen ist, diese Fähigkeiten jetzt mit so viel Angst und Leid in unserer Mitte zu teilen. Ich bin ziemlich schnell zu dem Schluss gekommen, dass es nicht nur angemessen, sondern auch wichtig ist. Ich möchte, dass diese Livestreams die Freude und unsere kollektive Menschlichkeit feiern und ein sicherer Ort sind, an dem jeder vorbeischauen, zuhören und sich entspannen kann.«

Zuhörer können diese regelmäßigen Livestreams über ihre Facebook-Seite abrufen (www.facebook.com/rachaelsagepage).


Sam Russo "Back to the Party"
Red Scare, 2020

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bandcamp.com/...

Selten war ein Albumtitel so gut gewählt wie dieser, wenn die Party auch noch etwas warten muss, und selten sang jemand mit so viel Inbrunst wie Sam Russo auf seinem Album Nummer 3. Aus dem Pop- und Punk-Lager kommend ist es eine akustische Scheibe mit Country-Einschlag und melancholischen Liedern übers Abschiednehmen in all seinen Facetten. Der Troubadour aus dem englischen East Anglia gibt sich optisch - vollbärtig und tätowiert - als Inkarnation von Manneskraft und Machismo, dahinter verbirgt sich jedoch eine sensible Seele, die beruhigend und entspannend wirkt. Seine Texte sind bei allem Drama eine Medizin für Körper und Geist. Einige Deutschland-Termine waren bereits in Vorbereitung, die logischerweise leider vorerst verschoben werden mussten. Ich hege aber die Hoffnung, Sam Russo ist bald back to the party ...
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Sister Lucille "Alive"
Endless Blues Records, 2019

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www.sisterlucilleband.com

Sister Lucille ist ein Blues- und Americana-Quartett aus Missouri, das seit zwanzig Jahren klotzt und nicht kleckert. Für einige Zeit hat Frontfrau Kimberly Dill mit ihrer Gesundheit gekämpft, jetzt zeigt sie sich äußerst lebendig und lebhaft. Ihr Gesang kommt von Herzen und zielt auf die Seelen der Zuhörer; gefühlvoll, leidenschaftlich und ausdrucksvoll; mal glättet sie die Wogen, mal gießt sie Öl aufs Feuer. Ehemann Jamie Holdren ist mit seinen bluesigen und funkigen Gitarrenriffs die ideale Ergänzung. Bläser, Keyboards und die Mundharmonika von Eric Hughes schleichen sich zwischen den grummelnden Bass (Eric Guinn) und das polternde Schlagzeug (Kevin Lyons). Das musikalische Spektrum lässt kaum etwas aus: moderner Blues mit Anleihen aus Rock, Soul und Funk, und auch schon mal eine Anspielung auf Countrymusik und eine Andeutung von Gypsy-Jazz. Memphis, Nashville und New Orleans lassen grüßen! Die Musik ist kraftvoll, aber auch die Texte haben jenseits der Standardthemen etwas zu sagen: "Fussing and Fighting" ist eine Rocknummer darüber, wie die sogenannten Sozialen Medien, ich würde sie ja eher Assoziale Medien nennen, die Menschen auseinander anstatt näher bringen. Das gilt gleichermaßen für Amerikaner und Europäer.
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Celeigh Cardinal "Stories from a Downtown Apartment"
Eigenverlag (Greywood Records), 2020

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www.celeighcardinal.com

Celeigh Cardinal ist eine indigene Singer-Songwriterin aus der kanadischen Provinz Alberta. Ihr Debüt brachte ihr 2018 den Titel "Indigene Künstlerin des Jahres" bei den Western Canadian Music Awards ein; das aktuelle Zweitwerk sorgte immerhin für eine Juno-Nominierung. "Stories from a Downtown Apartment" ist eine Sammlung gefühlvoller Lieder, die zwischen Blues, Soul und Jazz die Themen Lust und Liebe, Abschied und Trauer beleuchten. Celeigh nennt eine in den Bann ziehende Altstimme ihr eigen, die gleichermaßen gefällig und kraftvoll ist. So vermag sie auch solo, sich nur auf der Akustikgitarre begleitend, zu überzeugen, wenn es ganz am Ende heißt: "Loving Is Letting Go". Davor aber zeigt sie dem Teufel, wo der Hammer hängt (der Opener trägt den Titel "The Devil Is A Blue-Eyed Man"), und der besteht aus vorgenanntem Soul-Blues gestützt durch packende Klavierbegleitung, Tüpferchen aus der Retro-Orgel und am genau richtigen Punkt eingesetzte Riffs und Solos der Stromgitarre. Leider ist bereits nach nicht viel mehr als dreißig Minuten Schluss mit lustig. Und auch live werden wir auf die Künstlerin, die im Mai/Juni 2020 auf eine mehrwöchige Europa-Tour gehen wollte, vorerst noch verzichten müssen. So bleibt uns nur eine wehmütige Erinnerung an den letztjährigen Auftritt beim Reeperbahnfestival, wo sie die Hamburger gewissermaßen anbrennen ließ.
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Philip Bradatsch "Jesus von Haidhausen"
Trikont, 2020

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www.philipbradatsch.com

Ich kannte Herrn Bradatsch bislang nur von einem Bob-Dylan-Cover.[67] Gelegentlich arbeitet der in München lebende Singer-Songwriter und ehemalige Frontmann der Dinosaur Truckers noch als Übersetzer (z.B. Künstlerbiographien), die meiste Zeit widmet er sich aber aktiv der Musik. Auf "Jesus von Haidhausen" singt er nach langem Hadern schlussendlich auf Deutsch. Seine Texte stehen aber nicht in der Tradition der deutschsprachigen Liedermacher aus der Schublade Wader & Wecker, lassen sich weder mit dem aktuellen Liedermaching noch den alten und neuen Rock- und Pop-Poeten vergleichen. Seine Inspiration lässt sich, wenn überhaupt, in Amerika verorten: musikalisch der Folk- und Indie-Rock zwischen den sechziger und achtziger Jahren, textlich der junge Dylan nach seiner Protestsong-Phase und die Poesie der Beatniks. Bradatsch kann durchaus konkret beobachten, aber er liebt es vage, geheimnisvoll und abstrakt, seine Kunst sind Bilder, Anspielungen und Stimmungen. Er selbst sagt: Ich bin kein Fan von Zeigefinger-Lyrik! Seine Lieder entfalten sich langsam und wo eben noch der Donner droht und dunkle Wolken über das Land ziehen, bricht ein hoffnungsvoller Sonnenstrahl zwischen dem Beton hervor. Das hinterlässt durchaus Eindruck. Die Songs werden von den swingenden und rockenden Cola Rum Boys in Szene gesetzt. Alle Mitstreiter stammen wie Bradatsch aus dem verträumten Kaufbeuren im Allgäu, wo sich auch (aus wirtschaftlichen Gründen) Proberaum und Studio befinden. Die Metropole an der Isar mag zwar primär den Hintergrund für Bradatschs Werk liefern, das heißt aber nicht, dass sie auch den Künstler ernährt.
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BLOUZouki "Uncle Joe"
Eigenverlag, 2019

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www.blouzouki.com

Hugo Labattut stolperte über die Folkworld-Webseite und war vom Inhalt begeistert (insbesondere dem Video "Il est grand temps" der Gruppe Les Tireux d'Roches aus Quebec).[71] Hugo ist ein französischer Musiker, der sich kürzlich in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon niedergelassen hat. Seine aktuelle CD "Uncle Joe" hat er unter dem Projektnamen BLOUZouki veröffentlicht; ein Unterfangen, dem er seit 2012 in Istanbul nachgeht und das er 2019 endlich festgehalten hat. Viele der Mitstreiter sind auch türkische Musiker, die Musik muss er jetzt allerdings live mit portugiesischen Musikern präsentieren. Es ist ein weltmusikalischer Roadtrip; seine Musik und seine Texte nehmen Bezug auf die Orte, die der Troubadour auf seinen Fahrten besucht hat, und die Menschen, denen er begegnet ist. Er redet gerne mit Mann und Frau, ist aber auch ein guter Zuhörer und verwandelt die Geschichten in spannende Klänge. Es sind Eindrücke und Erlebnisse von der sonnigen Schwarzmeerküste bis in die verschneite Schweiz, von den Hochhausschluchten Berlins bis auf die Berge des Balkans und in die weiten Wüste Malis. Ist Hugo Labattut ein Chansonnier für das 21. Jahrhundert? Ein beschwingter Bluesman? Egal, es ist Weltmusik originell und orginal. Siehe bzw. höre "Uncle Joe" @ Bandcamp!
© Walkin' T:-)M


Niki Jacobs, Pieter Jan Cramer van den Bogaart "Treyst"
Sena, 2017

Niki Jacobs "Don't think twice, It's alright" [Buch mit CD]
Eigenverlag, 2019

Article: The Wayfaring Stranger

www.nikijacobs.nl

I'm just a poor wayfaring stranger traveling through this world below. There is no sickness, no toil, nor danger in that bright land to which I go... Warum nicht mal den amerikanischen Gospelsong ins Jiddische übersetzen? Justus van der Kamp hat es getan und Niki Jacobs hat die Chuzpe, ihn mit Autorität zu singen, genauso wie Leonard Cohens herzzerreißendes If it be your will that I speak no more and my voice be still as it was before, I will speak no more, I shall abide until I am spoken for".

Die Frontfrau des niederländischen Klezmer-Pop-Ensembles Nikitov,[29][61] das auch regelmäßig in Deutschland konzertiert,[59][61] ist nicht unbedingt der traditionellen Klezmermusik verpflichtet, aber allem Jüdischen. Mit Pieter Jan Cramer van den Bogaart, der hauptsächlich Klavier und einmal Akkordeon spielt, und Emile Visser am Cello stellt sie dies in einen modernen und zeitgenössischen Kontext. Die Parole heißt "Treyst" (jiddisch: Trost) und das klingt erst einmal nostalgisch; es zeigt sich aber, dass Niki mit ihrer künstlerischen Bandbreite zwischen echter Betroffenheit und Trauer sowie schelmischem als auch ätzendem Humor im Jetzt und Hier steht. Neben den beiden oben genannten Übersetzungen spielen sie die traditionellen "Fun Kosev Bis Kitev" und "Sdremln Feygl" sowie drei selbstverfasste Stücke von Niki. Wenn es eines zu meckern gibt, dann, dass das Album kaum eine halbe Stunde lang ist. Da Niki und Pieter live auftreten, ist anzunehmen, dass sie durchaus über ein abendfüllendes Programm verfügen.

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"Van Cohen tot Winehouse" (Von Cohen bis Winehouse) war Nikis programmatischer Titel einer Reihe von Konzerten und inhaltlich eine Hommage an Ikonen der Popularmusik mit jüdischem Background. Für Niki selbst bedeutet es eine Reise zu sich selbst, Antwort auf die Frage zu finden, was es bedeutet, jüdisch zu sein. Vielleicht kann die Musik ja eine Antwort geben. "Don't Think Twice, It's Alright" hadert Herr Robert Allen Zimmermann aus Duluth, Minnesota, alias Bob Dylan. Es ist der Titel des Büchleins, in dem Niki ihr Leben mit Texten (in niederländischer Sprache) und Bildern neben prägende Songs stellt: "You Got Me Singing" (Leonard Cohen), "Bridge Over Troubled Water" (Paul Simon), "Brothers in Arms" (Mark Knopfler), und nicht zuletzt ein kauziges "I Was Made for Loving You" (Kiss). Bei all Ironie und Humor lässt sie aber nie vergessen, dass sie hier vor allem das künstlerische Werk von Menschen interpretiert, deren Eltern in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Europa hinter sich gelassen haben, um Verunglimpfung, Verfolgung und Vernichtung zu entkommen.
© Walkin' T:-)M


Sean Taylor "Live in London"
Eigenverlag, 2020

English CD Review

Artist Video

www.seantaylorsongs.com

Sean Taylor[62] hat die letzten zwei Jahrzehnte beinahe ununterbrochen auf Tour verbracht. Er bespielte Kneipen, Klubs, Kirchen, Wohnzimmer, Konzerthallen und das ein oder andere Festival. Dazwischen fuhr er per Bahn durch die Lande, wo er die Muße fand, seine Lieder zu schreiben. Es konnte das kleinste Erlebnis sein, das ihn zu seinen Miniaturen inspirierte. Sein insgesamt zehntes Album ist nun endlich ein Live-Album, aufgezeichnet vergangenen Oktober im Green Note in Camden Town, und es ist gleichzeitig eine Einführung in und eine Übersicht über Seans künstlerisches Werk. Zusätzlich wirft er noch augenzwinkernd ein paar Cover ein, wie z.B. Skip James' "Hard Time Killing Floor Blues". Die Zugabe ist ein Medley, das sein eigenes Robbie Basho gewidmetes Stück und Davy Grahams "Anji" als Einleitung für Percy Mayfields "Hit the Road Jack" zitiert. Von den Gitarrengötter bis zu den Gassenhauern, so könnte man Seans Spektrum in aller Kürze umschreiben. Im Zentrum des Konzerts stehen allerdings Lieder der aktuellen CD "Path Into Blue": das Titelstück behandelt das Thema Depression, "This Is England" beschreibt den Zustand der britischen Nation (inklusive Brexit), "Little Donny" ist der rassistische, frauenfeindliche US-Präsident. Sean Taylor ist ein Künstler, der einfach auf die Bühne gehört, ein hochkarätiger Singer-Songwriter, Gitarrist, Entertainer, und sein Live-Album wurde gerade noch rechtzeitig aufgenommen, bevor sich die Welt in die Quarantäne zurückzog. Werden wir das so jemals wieder erleben dürfen?

CoroNews

P.S.: Als kleiner Nachtrag noch Seans Kommentar zu COVID-19, "Herd Immunity": All hail Boris the butcher, welcome to our ‘Little England’ nightmare ... The government chose Brexit over breathing... (YouTube, BandCamp).

© Walkin' T:-)M


Joana "Tun wir was dazu"
WOLKENstein, 2019

Weil wir heut beim Glase Bier doch so manches singen,
Will ich, liebe Dummheit, dir auch ein Liedchen singen.
In den Dummen regen sich niemals bange Zweifel,
Er glaubt alles, fürchtet sich vor Gespenst und Teufel.
Einigkeit im Völkerbund kümmert ihn sehr wenig,
Volksherrschaft ist ihm zu rund - wo blieb sonst sein König?
Wenn ein wütender Tyrann Stadt und Land verwüstet,
Spricht der Dumme: "Großer Mann, dich hat Gott gerüstet."

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www.joana.de

Das "Lob der Dummheit" klingt doch irgendwie aktuell, oder? Denke ich jetzt an Donald Trump, so denke ich auch daran, dass dessen Großvater Friedrich (der war tatsächlich ein Friseur, haha!) anno 1885 aus der Pfalz nach USA emigrierte. Eine noch größere Aus- und Einwanderungswelle gab es vor und nach der Revolution von 1848/49.[37] Die 75jährige Chansonistin und Liedermacherin Joana Emetz, die seit Mitte der sechziger Jahre inspiriert von Peter Rohland[69] sowie Hein und Oss[70] auf der Bühne steht, hatte schon immer Lieder aus dem Vormärz und der Märzrevolution in ihrem Programm und jüngst 19 Stücke mit langjährigen Begleitern wie dem Gitarristen Adax Dörsam oder dem Odenwälder Shanty-Chor wie in einem Brennglas zusammengefasst. Da klingt vieles doch ungeheuer aktuell: Gedankenfreiheit, Pressefreiheit, Demokratie, und das ganze grenzüberschreitend. "Die Gedanken sind frei", Freiligraths "Trotz alledem" (gemopst aus der schottischen Tradition) oder Fallerslebens "Lied der Deutschen" sind dabei nur die bekannten Hits. Bei 1848 denke ich immer an das großartige Album der Leipziger Folk Session Band,[5] die arrangement-technisch alles aus dem Material herausgeholt hat. Dies hier ist minimalistisch, fokussiert auf die Texte, die sie mit sanftem Alt intoniert. Mal kämpferisch und kritisch, mal nachdenklich und verhalten optimistisch. Die Texte kann man im 96seitigen Begleitheft nachlesen, als auch Infotexte und Erläuterungen ergänzt durch Stiche, Fotos und Karikaturen. Das macht die Zeit lebendig, in der die demokratischen Errungenschaften erkämpft worden sind, die wir heute vielfach wieder mit Füßen treten.
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Kevin Henderson & Neil Pearlman "Burden Lake"
Eigenverlag, 2020

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www.kevinandneil.com

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Burden Lake, eine coole, jazzige Weise aus der Feder von Kevin Henderson, ist ein See im amerikanischen Bundesstaat New York, an dem dieses Duo ihre künstlerische Zusammenarbeit manifestiert hat. Das Debütalbum zeigt Kevins messerscharfes Geigenspiel, das aus den Traditionen Skandinaviens und der Shetland-Inseln schöpft[34][47] und kongenial Eingang in die Musik von Fiddlers' Bid,[40] Session A9[49] und Nordic Fiddlers Bloc[60] gefunden hat, verbunden mit Neils erfindungsreicher Klavierbegleitung (wobei mit der Bezeichnung Begleitung sein Spiel absolut unterbewertet ist). Der studierte Jazzpianist ist inspiriert von der traditionellen Musik in Neu England und Cape Breton. Mit seiner Schwester Lilly spielte er in der Folk-Jazz-Band Alba's Edge[58] und mit Fársan steptanzte er zu schottischer Mouth Music.[68] "Burden Lake" ist tief in der Tradition verwurzelt, sowohl Kevin als auch Neil lieben es aber, bis an die Grenze und darüber hinaus zu gehen. Sie sondieren die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen der europäischen Musik und ihren nordamerikanischen Sprösslingen, der Bilanz fügen sie, ihren Instinkten folgend, dann eine gehörige Portion Improvisation und Jazzharmonik hinzu. Tatsächlich finden sich nur wenige traditionelle Tunes (wie der walzerartige "Da Trowie Burn", den der deutsche Seemann Friedemann Stickle verfasst haben soll, der angeblich auf den Shetlands zurückgelassen wurde, weil seine Schiffskameraden sein Geigenspiel nicht mehr ertragen haben). Die meisten Melodien stammen von Kevin und Neil - von eindringlichen Slow Airs bis zu rasanten Reels. So z.B. der Opener, bei dem ein komplexer Rhythmus mit funkigen Akkorden wetteifert. Das Stück "Sjovald" ist nach einem von Kevins Vorfahren benannt, der um das Jahr 1500 aus Norwegen oder Schweden kommend auf den Shetlands Schiffbruch erlitt und sich letzten Endes dort niederließ. Woher Kevin wohl seinen unternehmungslustigen und experimentierfreudigen Geist hat?
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Marie Fielding "The Spectrum Project"
Rumford Records, 2020

www.mariefieldingmusic.com

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Marie Fielding ist eine schottische Geigerin, die in Falkirk lebt und am Royal Conservatoire of Scotland unterrichtet.[51][58] Das "Spectrum Project" bringt mit Hilfe von Tom Orr (Klavier, Harmonium) und den Gitarristen Luc McNally und Donogh Hennessy zehn Instrumentalstücke zum Leben. Marie selbst nutzt neben dem Standardinstrument eine fünfsaitige Geige und eine Hardanger-Geige. Sie tastet mit viel Geschmack und noch mehr Energie das gesamte Spektrum an Emotionen und Stimmungen ab, es gibt viel Regen, aber auch jede Menge Sonnenschein. Marie hat außer zwei Titeln alle Stücke selbst komponiert. Das sind das filigrane "Brattfors i Brunt" der Schwedin Eva Deivert, das die ländliche Idylle Värmlands vor dem inneren Auge entstehen lässt, und Musik vom berühmten Niel Gow mit all dem Glanz und Gloria des 18. Jahrhunderts. Ihre eigenen Melodien und Arrangements vereinen die Strukturen der traditionellen Tanzmusik mit dem Klang von heute. Inspiration zieht sie aus den alten gälischen Weisen, den schottischen Cèilidh-Formationen des vergangenen halben Jahrhunderts als auch irischen Fiddle- und Pipe-Tunes. Die Namen, die sie für ihre Kompositionen gewählt hat, sprechen jedenfalls Bände: "Marie Fielding's Compliments to Niel Gow" und "Connemara Reel" sind selbsterklärend. "Mayo 2 Manchester" ist ein deutlicher Hinweis auf Maries irische Abstammung einerseits und die Verbindung zu dem (in Manchester beheimateten) Flötisten und Dudelsackspieler Mike McGoldrick andererseits, den sie als Komponisten und Lehrmeister wertschätzt.
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Project SMOK "Bayview"
Eigenverlag, 2020

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www.projectsmok.com

Eine Neo-Trad-Formation, die 2017 in der Folkszene Glasgows entstanden ist: Pablo Lafuente (akustische und elektrische Gitarre) und Ali Levack (BBC Young Traditional Musician of the Year 2020 an Pipes und Whistles) sind Teil des Tweed Project und Ewan Baird (Bodhrán) spielt in der Paul McKenna Band.[60] Instrumentierung, Virtuosität und Sensitivität verorten das Trio in der Welt der traditionellen Musik, aber ihre Phantasie hinsichtlich Kompositionen und Arrangements weist in den Bereich des Indie Pop. Ihr musikalischer Ansatz ist gelinde gesagt unorthodox, jedwede Erwartungen und Genregrenzen werden gesprengt. Das Albumdebüt, nach einer Reihe von Singles und EPs, vereint einige weitere schottische Talente wie Konzertinaspieler Mohsen Amini[70] Geiger Benedict Morris, der beim diesjährigen Irish Folk Festival aufspielen soll,[72] oder Geigerin Megan Henderson und Bagpiper James Duncan MacKenzie von der Gruppe Breabach.[48] Charlie Stewart ist ebenfalls ein junger, aufstrebender Geiger,[67] der hier sein Instrument gegen den Kontrabass getauscht hat. Mike Vass fungierte als Produzent in Edwyn Collins Studio, das - Überraschung! - nicht mit dem neuesten Schrei der digitalen Technik glänzt, sondern mit analogen Gerätschaften ausgestattet ist. "Bayview" ist eine abwechslungsreiche Kollektion großteils selbstverfasster, teils ausgeliehener Melodien - vom Slow Air, der in einen Hollywood-Blockbuster passen könnte, bis zum wilden Headbanger. Oben genannter Edwyn Collins war in den Achtzigern Frontmann der Pop-Post-Punk-Band Orange Juice und er darf deren Hit "A Girl Like You" in einer akustischen Version vortragen. Das einzig andere Gesangsstück ist das gälischsprachige "Ceitidh’s" und hier dürfen gleich drei Vokalisten antreten: Megan Henderson, Rona Lightfoot und John Mulhearn.
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Brian McNeill "No Silence"
Greentrax, 2020

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www.brianmcneill.co.uk

Der Schotte Brian McNeill wurde gerade 70 Jahre alt und sein neues Album "No Silence" markiert ein halbes Jahrhundert im Musikgeschäft. Er war Mitbegründer der Battlefield Band im Jahr 1969,[62] trat mit Clan Alba und Feast of Fiddles auf,[43] begleitete Dick Gaughan[40] und den verstorbenen Iain Mackintosh[4] und nahm mehrere Soloalben auf.[40][45] Brian schrieb auch ein paar Romane mit dem Verbrechen aufklärenden Straßenmusiker Alex Fraser (ich las "To Answer the Peacock"[10] auf meiner Schottland-Tour vor zwanzig Jahren)[17] und war Leiter des Kurses für traditionelle Musik an der Royal Scottish Academy of Music and Drama von 1996 bis 2008. Brians von der Kritik gefeiertes Songwriting ist tief im schottischen Boden verwurzelt. Der tausend Jahre alte "Yew Tree" in Pentcaitland, Lothian, hat die schottische Geschichte von der Schlacht bei Flodden zwischen den Engländern und den Schotten bis zu John Knox, dem Vater der schottischen Reformation, verfolgt. Des Uhrmachers "John Harrison's Hands" erfanden im 18. Jahrhundert den Marine-Chronometer, damit Seeleute den Längengrad bestimmen konnten. Auf der anderen Seite ist ein Lied wie "Sell Your Labour, Not Your Soul" ein Aufruf, aufzustehen und für Solidarität und Arbeiterrechte zu kämpfen. (Ich hörte Brian sagen: "Ich bin ein alter Roter und es ist mir egal, wer es weiß.") Das Instrumentalstück "Modest Miss France" ist eine Hommage an seine Frau, tatsächlich die allererste Melodie, die Brian jemals geschrieben hat, und er interpretiert die traditionelle Ballade "The Burning of Auchendoon" auch als Instrumentalstück. Tad Sargent (geboren in London mit Wurzeln in der irischen Grafschaft Mayo) von CrossHarbour[54] fügt gelegentlich Bodhrán und Bouzouki hinzu, aber das Multitalent Brian bietet ein ganzes Arsenal von Geige und Konzertina bis hin zu Mandocello und Gitarre auf. Alles in allem eine erlesene Stunde wunderschönen Lärms.
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Will Pound "A Day Will Come"
Lulubug Records, 2020

»Es wird ein Tag kommen, an dem die einzigen Schlachtfelder Märkte sein werden, die sich für den Handel öffnen, und Köpfe, die sich für Ideen öffnen. Es wird ein Tag kommen, an dem Kugeln und Bomben durch Abstimmungen, durch das allgemeine Wahlrecht der Völker, durch die ehrwürdige Schlichtung eines großen souveränen Senats ersetzt werden, der für Europa sein wird, was das Parlament für England ist, was die Gesetzgebende Versammlung für Frankreich ist. Es wird ein Tag kommen, an dem wir Kanonen in Museen ausstellen werden, so wie wir heute Folterinstrumente ausstellen, erstaunt darüber, dass solche Dinge jemals möglich gewesen waren.« - Victor Hugo (1802-1885)

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www.willpound.com

Die Corona-Krise hat das Brexit-Thema in der öffentlichen Wahrnehmung beiseite geschoben, aber es wird sicherlich früher oder später wieder auf den Tisch kommen. Wenn eines sicher ist, ist es Unsicherheit, aber der Würfel ist gefallen und wir müssen das Spiel spielen. Der in Warwickshire ansässige Mundharmonika- und Melodeon-Spieler Will Pound[62] beschloss daher, nicht zu streiten, sondern die Musik sprechen zu lassen. "Ein Tag wird kommen", der Albumtitel bezieht sich auf Victor Hugos Bemerkung, lässt Will über die Vielfalt und Einigkeit Europas und seiner Musiken jubeln. Er bietet 27 Stücke dar, die jeweils einem der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zugeordnet sind. So hören wir irische Jigs, eine französische Bourrée, schwedische Slangpolska, estnische Polka, ungarischen Czardas, bulgarische Rachenitsa, italienische Tarantella, spanische Jota, alle mehr oder weniger lebendig und robust. Will verwendet sowohl traditionelle Melodien als auch seine eigenen Imitationen. Um seine Vision erfolgreich zum Leben zu erwecken, setzte Will seine üblichen Verdächtigen ein (Geigerin Patsy Reid[55] von Breabach,[48] Dudelsackspieler und Saxophonist Jude Rees von Pilgrim's Way,[60] Gitarristin Jenn Butterworth[71] von Songs of Separation[59] und dem Kinnaris Quintet[67] und Kontrabassist John Parker vom Nizlopi-Duo)[55] und rekrutierte Musiker von überall, u.a. die irisch-amerikanische Geigerin Liz Carroll,[69] die deutsche Geigerin Gudrun Walther,[64] die schottische Perkussionistin Dame Evelyn Glennie, die kroatische Sängerin Dunja Bahtijarevic und den polnischen Slam-Poeten Bohdan Piasecki. "A Day Will Come" ist eine aufregende Reise über den europäischen Kontinent. Es gibt immer etwas Neues zu entdecken und zu enthüllen. Die Welt ist bunt und facettenreich, aber es gibt eine Gemeinsamkeit, nicht nur musikalisch. Dennoch müssen wir alle neu lernen, dass Grenzen künstlich sind und alles miteinander verbunden ist. Glücklicherweise ist Musik ein guter Ausgangspunkt, um die Dunkelheit zu erhellen und Menschen zusammenzubringen. Solange es Musik gibt, ist nicht alles verloren.
© Walkin' T:-)M



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