Die Corona-Pandemie hat das öffentliche Musikleben in Deutschland weitgehend zum Erliegen gebracht. Theater sind geschlossen, Festivals abgesagt, Konzerte können nur mit einem Bruchteil des normalen Publikums stattfinden. Bund und Länder haben zahlreiche Programme aufgelegt, um die Kultur zu unterstützen. In seinem aktuellen Fokus "Musik in der Corona-Krise" fragt das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ) bei Verbänden und Veranstaltern nach, welche Perspektiven sich nun den Theatern, Veranstaltern und künstlerisch Tätigen bieten. Sie erreichen den Fokus unter themen.miz.org/fokus-musik-coronakrise.
Mit besten Grüßen, Stephan Schulmeistrat (Leitung Deutsches Musikinformationszentrum)
Liebe Veranstaltungspartner, Freunde der Folkmusik, Kollegen und langjährige Wegbegleiter,
wir alle stehen vor einer nie dagewesenen Situation. Zunächst einmal möchten wir Euch unser Verständnis für die Absagen der kommenden Veranstaltungen signalisieren. Natürlich ist das kurzfristig betrachtet der „Super-GAU“ für uns alle als Kulturschaffende, aber es scheint, als ob das oberste Gebot der Stunde das der Vernunft ist. Nun gilt es, uns und unsere Mitmenschen keinen weiteren Risiken auszusetzen und die Pandemie, soweit möglich, zu verlangsamen, um unseren Ärzten und medizinischem Personal die Chance zu geben, Betroffenen auch weiterhin helfen zu können.
Gleichzeitig bedeutet dies eine existenzielle Bedrohung für unsere geliebte Kulturnische, denn im Gegensatz zu den ganz wenigen „dicken Fischen“ des Musikbusiness haben unsere Künstler oft nicht die Rücklagen, um einen möglicherweise drohenden, monatelangen, Verdienstausfall abzupuffern. Auch die Möglichkeiten der kurzfristigen Kompensation sind begrenzt bis nicht vorhanden.
Selbstverständlich sehen wir auch, dass in Euren Reihen viele sind, die ihre Konzertgagen nicht aus gut bestückten öffentlichen „Töpfen“ (so es diese noch irgendwo am Ende eines Regenbogens geben sollte) nehmen, sondern auf die jeweiligen Eintrittseinnahmen, sowie viele fleißige, ehrenamtliche Helfer, angewiesen sind, um ihren Kulturbetrieb am Laufen zu halten.
Was also ist zu tun? Wir glauben, wir haben die Lösung mit der #AktionTicketBehalten!
Was ist das? Eine gemeinsame Initiative der führenden Konzertagenturen im Bereich Folk und Weltmusik in Deutschland (und wie einige von Euch wissen, haben manche davon schon seit geraumer Zeit ein eher gespanntes Verhältnis - es ist also ganz nebenbei auch eine beispiellose Geschichte der Solidarität in Krisenzeiten!!) Eine Aktion, initiiert von lokalen Veranstaltern (das seid Ihr) und Agenturen. Ein Aufruf an *unser* Publikum: statt Euch das Geld für Eure Tickets zurückzuholen, spendet es an Veranstalter und Künstler.
Damit Euer Kulturzentrum auch im Herbst nicht bankrott ist, wenn wir diesen Alptraum hinter uns haben. Damit die Band, die Ihr eigentlich morgen sehen wolltet, auch übermorgen noch Musik macht. Damit es die Agenturen morgen noch gibt, die Euch die Künstler vermitteln, die Techniker, die den Sound zaubern und alle anderen, die mit ihren überwiegend freiberuflichen Jobs unser „Musikbusiness“ überhaupt am Laufen halten. Als kleiner Dank für die vielen, vielen unvergesslichen Momente, die Euch diese Künstler und ihre Kollegen schon beschert haben. Als finanzielle Absicherung, damit die Zeit, in der die Musiker jetzt auf Tour sein sollten und nicht können, zum Beispiel genutzt werden kann um neue Songs zu schreiben.
Kunst/Musik ist kein Luxusgut - unsere Welt wäre um so vieles ärmer ohne Live-Konzerte! Wie viel ärmer, das werden wir alle in den nächsten Wochen merken. Darum: Macht mit, teilt unseren Presseartikel auf Eurer Website, in den sozialen Medien, schickt ihn an Eure lokalen Tageszeitungen, schickt ihn als Newsletter an Eure Verteiler. Wir kümmern uns um die überregionale Presse, werden ihn an alle wichtigen Tageszeitungen und Online-Medien verschicken und in den sozialen Netzwerken teilen.
Die einbehaltenen Ticketverkäufe sollten wir dann gerecht teilen zwischen Veranstalter, Künstler und Agentur - wie das im Einzelfall abzurechnen ist, sollte jeder Veranstalter mit der jeweils betroffenen Agentur aushandeln, denn die Konzertverträge sind ja sehr unterschiedlich, je nachdem ob das Konzert eine einzelne Band oder eine Festivaltournee betrifft, ob es ein freier oder kommunaler Veranstalter ist usw. Randnotiz: Theoretisch wäre es sogar denkbar, den VVK für kommende Veranstaltungen nicht zu stoppen sondern weiter laufen zu lassen sofern da rechtlich nichts dagegen spricht, und damit die Möglichkeit zu bieten, wenn jemand uns gerne noch schnell unterstützen will, noch handeln zu können.
Trotzdem würden wir das Ganze gerne unter einem Dach, nämlich #AktionTicketBehalten abwickeln und nach außen tragen. #AktionTicketBehalten steht dafür, dass sowohl Veranstalter als auch Künstler von den Konzertbesuchern mit dem Ticketpreis unterstützt werden. Wertvolle Kulturlandschaft erhalten, so lange die Bundesregierung noch überlegt, wie man am besten die Banken unterstützt. Unser Beispiel könnte viele andere Veranstalter und Konzertbesucher anregen, es uns gleichzutun. Ein Hashtag kann viel bewirken, man denke an #metoo. In diesem Sinne, lasst uns solidarisch aktiv werden statt nur zu lamentieren! Bringt die #AktionTicketBehalten unter die Leute. Sprecht uns an.
Mit kollegialen Grüßen, Gudrun Walther & Falk Bruder (artes Konzertbuero), Rainer Zellner, Kirsten Spiegl, Ille Schiller (Music Contact) Petr Pandula, Petra Zühlke, Bernd Wurster, Jonathan Herbst, Johannes Strecker, Tabea Gebhardt, Melissa Patamulcu, Eimhin Liddy (Magnetic Music) Sabrina Palm (Bonna Musica) Anja Hövelmann (Laviola) Stefan Decker, Béatrice Wissing (MIRA Konzertbüro) Daniela Wilde & Team (HeimatPR - the home for artists) Carla Feuerstein (Highland Blast / Firestone Music) Petra Eisenburger (Concert Connections) Christian Pliefke (CPL / Nordic Notes)
Liebe Freunde von Klezmer, Musette & Chansons,
ich hoffe, alle die dies lesen, sind bisher unbeschadet durch die Corona-Krise gekommen. Meine Familie und ich sind bisher zum Glück auch gesund geblieben und haben alle Höhen und Tiefen des "Home-Schoolings" und der allgemeinen Kontaktbeschränkungen durchlebt. Wir 5 waren wahrscheinlich noch nie so lange Zeit gemeinsam unter einem Dach wie zuletzt, wobei ich als Musiker mir manchmal auch ein bisschen mehr "Ruhe" zum Üben gewünscht hätte...
Was die Konzertplanung und die schon vereinbarten Termine für dieses Jahr angeht, ging es mir ähnlich wie vielen Kollegen, die teilweise seit März ganz ohne Einnahmen da stehen. Mein letztes öffentliches Konzert durfte ich am 7. März 2020 in Bad Zwesten vor über 250 Gästen spielen. Seitdem ist fast die gesamte restliche Tour 2020 abgesagt worden und auch die verbliebenen Termine sind alle noch mit Fragezeichen versehen. Wer nach der Krise wieder in seinem künstlerischen Beruf tätig sein will, muss jedoch weiterhin täglich üben, Werbung schalten und versuchen, Konzerttermine für die Zukunft zu organisieren.
Wir selbständigen Künstler waren in Deutschland bisher nicht gegen Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit versichert und erwirtschaften i.d. Regel auch den größten Teil unserer Altersvorsorge selbst, indem wir private Rücklagen bilden, wo immer es möglich ist. Die Künstlersozialkasse erlaubt es glücklicherweise vielen von uns, eine bezahlbare Krankenversicherung für uns und unsere Kinder abzuschließen. Auch hierfür leisten wir jedoch einen großen Anteil aus den Gewinnen unserer Tätigkeit. Alle Investitionen für Musikinstrumente, Büroausstattung, Transportmittel, Tontechnik, CD-Aufnahmen usw. haben wir aus Rücklagen getätigt. Sie sind die Voraussetzung dafür, dass wir als Künstler am freien Markt mit unseren Konzerten, CD-Verkauf und GEMA-Einnahmen Geld verdienen können. In meinem Fall gelang das erfolgreich seit über 25 Jahren.
Der Bund und das Land Hessen haben es mir erfreulicherweise ermöglicht, dass ich als einer der selbständigen Künstler, die von den Auftrittsverboten während der Corona-Krise betroffen sind, für die Monate März-Juni Soforthilfen für die Betriebskosten und darüber hinaus das dreimonatige Arbeitsstipendium des Landes und der Hessischen Kulturstiftung beantragen konnte. Hierfür möchte ich mich ausdrücklich bedanken! Die verantwortlichen Politiker sollten aber bitte auch bedenken, dass diese Hilfen auch für die kommenden 12-18 Monate verlängert werden und auch die Kosten für die Lebenshaltung der betroffenen Künstler mit einschließen müssten, wenn ein Abgleiten in Hartz-IV verhindert werden soll, was für viele von uns selbständigen Künstlern ohnehin nicht in Frage kommt, da es den Verlust unseres Vermögens (sofern vorhanden...) und unserer Altersvorsorge bedeuten würde. Seit März diesen Jahres sind die meisten Kulturveranstaltungen untersagt oder unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten undurchführbar. Bisher ist leider nicht abzusehen, dass sich das innerhalb der nächsten 12-18 Monate grundlegend ändern wird. Damit unterliegen wir Künstler faktisch einem Berufsverbot für diesen Teil unserer Tätigkeit.
Bitte, liebe Freunde, zeigt Euch mit den Künstlern und Konzertveranstaltern solidarisch, wo immer es Euch möglich ist. Besucht die Konzerte, die es gibt, kauft und verschenkt die CDs Eurer Lieblingskünstler und zeichnet die Petitionen mit, die sich für eine Verbesserung unserer Situation einsetzen.
Søren Thies
Jaro Medien hatte am 20. Mai für die blinde Sängerin Dona Rosa eine Hilfskampagne durchgeführt. Die Sängerin leidet besonders unter der Pandemie und bekommt in Portugal kaum Unterstützung vom Staat. Sie ist auf Hilfe von Außen angewiesen und so haben wir als langjähriger Partner eine Social Media Kampagne ins Leben gerufen.
Dona Rosa und wir von Jaro haben uns sehr über ihre Großzügigkeit gefreut. Es sind Spenden aus 10 Ländern eingegangen und unser chinesischer Partner fährt gerade eine eigene Kampagne für Dona Rosa. Sie war vor 3 Jahren erstmals in China auf Tournee. Spenden erreichten uns aus Spanien, Italien, Taiwan, England, Schweden, Schweiz, Deutschland, Tchechische Republik, Österreich und den Niederlanden.
Bisher konnten wir ca 3500 Euro für Dona Rosa sammeln, das sichert ihr für die nächsten Monate ihre Kosten zu tragen, auch wenn sich die Folgen von Corona, gerade wg des Auftrittsverbots bis lang ins Jahr 2021 hinziehen werden.
Mit dem gesammelten Geld ist ihr möglich über die nächsten Monate zu kommen, aber weitere Hilfe wird langfristig nötig sein. Deshalb sind SPENDEN sind nachwievor möglich. Die Pandemie und ihre Folgen sind noch nicht vorbei, aber durch bereits geleistete Hilfe erträglich gestaltet.
Thank you all so much for helping me in this unexpected difficult period. Thank you Uli for remembering me with all your dedication and effort to help me. I never thought that people that live so far away could think about me and my difficulties. Thank you all from de bottom of my heart. I wish all happiness to you Uli and to all my fans and friends that are helping me. Thank you very much - Dona Rosa, Lissabon Juni 2020
Wir müssen leider das Festival-Mediaval XIII schweren Herzens verschieben, da wir momentan keine Genehmigung bekommen. Das Festival wird nun vom 10.-12.09.2021 stattfinden. Die allermeisten Bands und Künstler haben bereits ihre Teilnahme zugesagt.
Da wir euch aber nicht ganz ohne Mediaval lassen wollen, planen wir einen Kultur-Biergarten vom 04.-06.09.2020 in Kooperation mit dem Collis Clamat. Freitag-Abend und den gesamten Samstag mit Bühnen- und Gauklerprogramm und am Sonntag ein Weißwurstfrühstück zum Abschied. Eine Marktebene mit ausgewählten Ständen. Wir haben für euch ein absolut sehenswertes Programm zusammengestellt: Corvus Corax, Poeta Magica, Winterstorm, The Blackbeers, Triskilian, Des Teufels Lockvögel, Pampatut, PurPur, Heiter bis Folkig, Basseltan, Beatrice, Opus Furore, DJ Romulus, Luci van Org, Karsten Heilmann, Amandara und der Admiral haben zugesagt euch zu unterhalten.
Der Kultur-Biergarten wird unter Einhaltung der dann geltenden Hygiene- und Abstandsregeln mit der dann zulässigen Besucherzahl durchgeführt. Alle Teilnehmer verpflichten sich diese einzuhalten.
Jetzt sind 100 Besucher Open Air erlaubt, d.h. wir bieten erst einmal 100 Tickets an. Wenn die Grenze auf 500 angehoben wird, kommen weitere 400 Tickets auf den Markt und falls für September 1000 Besucher erlaubt sein werden (wovon wir zum derzeitigen Zeitpunkt ausgehen) gibt es nochmal 500 Tickets. Falls noch mehr zugelassen werden, wird es auch entsprechend mehr Tickets geben.
Manfred Maurenbrecher (*2. Mai 1950, Berlin). Nach der Promotion im Fach Germanistik an der FU Berlin wurde Manfred Maurenbrecher Mitgründer der Musikgruppe Trotz & Träume und machte sein Hobby, Lieder zu komponieren, zu seinem Beruf. Er schrieb unter anderem Texte für Spliff, Herman van Veen, Ulla Meinecke und Katja Ebstein. Ein Höhepunkt jener frühen Jahre war 1985 sein Auftritt im Rahmen der WDR-Fernsehreihe Rockpalast in der Markthalle Hamburg. Als in den kommenden Jahren seine Zuhörerzahlen schwanden, eroberte er sich ein neues Publikum in der Berliner Lesebühnen-Szene. Im Frühjahr 2020 kam Maurenbrechers 25. Album, "Inneres Ausland", heraus. Daraus wurde das Lied "Jetzt auf einmal geht's" im Mai 2020 mit dem Platz eins der Liederbestenliste ausgezeichnet.
Goran Bregović (*22. März 1950, Sarajevo, Bosnien). Der bosnische Musiker gehörte 1974 zu den Gründern der erfolgreichen Rockband Bijelo dugme, die bis zu ihrer Auflösung 1989 zahlreiche Hits hatte und auch über die Grenzen Jugoslawiens hinaus populär war. International bekannt wurde Goran Bregović allerdings als Komponist von Filmmusik, insbesondere durch die Filme von Emir Kusturica. Mit dem seit 1998 bestehenden Wedding and Funeral Orchestra spielt Bregović seine Filmmusik auch live. Der Sohn eines kroatischen Vaters und einer serbischen Mutter bezeichnet sich selbst weiterhin als Jugoslawe. Nachdem er seit Anfang der 1990er in Belgrad und Paris lebte, zog er 2011 mit seiner bosnischen Ehefrau und seinen Kindern zurück in seine Heimatstadt Sarajevo. [www.goranbregovic.rs]
Thomas Friz (*5. März 1950, Stuttgart).
Als Kind war Thomas Friz zehn Jahre lang Mitglied der Stuttgarter Hymnus-Chorknaben.
Seine musikalische Karriere begann 1971 mit kleinen Solotourneen durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Von 1974 bis 1986 musizierte er
mit Erich Schmeckenbecher unter dem Namen Zupfgeigenhansel (benannt nach dem Wandervogel-Liederbuch "Der Zupfgeigenhansl").
1978 wurde das Duo als Künstler des Jahres von der Deutschen Phono-Akademie ausgezeichnet. Anschließend war er mit jiddischen und deutschen
Volksliederprogrammen solo aktiv. Zu seinen Vertonungen gehören unter anderem Texte von Theodor Kramer, Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Kurt Tucholsky.
1994 wurde Thomas Friz in Göppingen von rechtsradikalen Skinheads so brutal zusammengeschlagen, dass er erst mühsam wieder lernen musste,
die Hand zu bewegen und wieder Gitarre spielen zu können.
Jacques Pellen (1957-2020). Über den Gitarristen Dan Ar Braz kam der Jazzgitarrist Jacques Pellen zu einer neuen Interpretation der bretonischen Musiktradition. Musikalisch bewegte er sich im Bereich von Ethno-Jazz und keltischem Folk. Mit Soïg Sibéril und Jean-Charles Guichen gründete er das Gitarrentrio "PSG". Mit Paolo Fresu und Erik Marchand bildete er das Trio Condaghés und nahm an Dan Ar Braz’ Projekt L’Héritage des Celtes teil. Pellen starb im April 2020 nach einem dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt an den Folgen von COVID-19.
Helin Bölek (1991-2020). Um gegen das Auftrittsverbot ihrer Folk-Band Grup Yorum und Verhaftungen der Bandmitglieder zu protestieren, war die Sängerin Helin Bölek in den Hungerstreik getreten. "Todesfasten" hat eine lange Tradition in der türkischen und kurdischen Linken; Ausdruck der Hilflosigkeit gegenüber der Staatsmacht. Am 3. April 2020 starb die Tochter einer kurdischen Familie aus Diyarbakır am 288. Tag ihres Hungerstreiks. Ihr Bandkollege İbrahim Gökçek beendete seinen Hungerstreik am 5. Mai 2020, starb jedoch zwei Tage später an den Folgen.
Zwei Monate vor ihrem Tod erkärte Helin Bölek: "Wir Mitglieder der Grup Yorum sind seit 226 Tagen im Hungerstreik. In den letzten zwei Jahren sind fast alle Mitglieder der Gruppe ohne Beweise und aufgrund anonymer Denunziationen verhaftet und mit Strafandrohungen von bis zu zehn Jahren vor Gericht gestellt worden. Als Beweis wird außer anonymen Aussagen nur ein Album von uns angeführt – ein Album, das ganz legal und unter Aufsicht des Kulturministeriums erschienen ist und in allen Musikläden verkauft wurde, das keinen Straftatbestand erfüllt." Helin Bölek forderte: "Erstens, die Aufhebung des seit vier Jahren gegen uns verhängten Auftrittsverbots. Zweitens, ein Ende der Polizeirazzien gegen unser Kulturzentrum. Drittens, Freilassung aller eingesperrten Mitglieder von Grup Yorum. Viertens, Einstellung der Gerichtsverfahren gegen uns und Aufhebung der Haftbefehle."
Grup Yorum (Yorum: Interpretation oder Kommentar) ist für ihre sozialkritischen Texte bekannt und singt in
Türkisch, Arabisch, Lasisch und Dialekten des Kurdischen.
Die Gruppe wurde von politischen Musikbands wie Inti Illimani aus Chile
oder Ruhi Su aus der Türkei inspiriert und wurde nach dem Militärputsch (1980) von Istanbuler Studenten gegründet.
Musikalisch stand die Band zunächst in der Tradition der sogenannten Özgün Müzik, d.h. der politischen türkischen Folkmusik,
experimentierte im Laufe der Zeit aber auch mit klassischer und populärer Musik.
Als Grup Yorum 2010 ihr 25-jähriges Bestehen feierte, drängten sich mehr als 50.000 Fans in das Istanbuler Fußballstadion.
25 Jahre Karneval der Kulturen
Am Pfingstsonntag haben 100 Akteur*innen des Karneval der Kulturen in Kreuzberg für den Erhalt der kulturellen Vielfalt demonstriert und ein Statement für eine diverse, weltoffene und friedliche Gesellschaft gesetzt. Repräsentant*innen der 77 Umzugsgruppen, die sich für dieses Jahr auf den Umzug vorbereitet hatten, sowie Akteur*innen des Straßenfestes, des KdK-Beirates und des Organisationsteams zogen auf der traditionellen Umzugsstrecke entlang. Sie trugen unter Wahrung der Abstandsregeln zum Zeichen des Miteinanders lange Seile mit 2m-Markierungen auf ihrem Weg zu einer Kundgebung am traditionellen Ort des Wettbewerbs der Gruppen am Südstern. Dort sprachen engagierte Beweger*innen aus 24 Jahren Karneval der Kulturen. Die Demonstration endete an der Großbeerenstraße mit einem Ausblick auf das Jahr 2021, denn trotz zu befürchtender wirtschaftlicher Einschnitte, die auch den Kulturhaushalt nicht unberührt lassen werden, setzen wir uns mit aller Kraft für die Fortführung des Karnevals in bisheriger oder ähnlicher Form ein – in der Hoffnung, 2021 „25 Jahre Karneval der Kulturen“ entsprechend feiern zu können.
Als der Karneval der Kulturen 1996 zum ersten Mal durch die Straßen Kreuzbergs zog, verstand er sich als Antwort auf fremdenfeindliche Ausschreitungen, die mit den rassistischen Angriffen in Rostock-Lichtenhagen eine erste bestürzende Zäsur setzten. Ein Vierteljahrhundert später errichtet Europa neue Grenzzäune, während die Stimmung im Land von engagierter Willkommenskultur bis zu offener Gewalt gegen Menschen aus anderen Kulturen sehr verschiedene Gesichter zeigt. Damals wie heute bilden Berliner Communities mit diversem kulturellen Hintergrund den Kern des Karnevals. Die Gruppen nehmen sich mit dem Karneval den öffentlichen Raum als klarer und sichtbarer Teil unserer Gesellschaft. Damit trägt der Karneval der Kulturen zum Empowerment derjenigen bei, die über das gesamte Jahr kulturell und integrativ aktiv sind. Ob tiefe Verbundenheit mit den eigenen Wurzeln, der Kampf für eine intakte Umwelt, der Klangrausch durch diese eine Musikrichtung oder ein klares politisches Statement. Mit ihren Beiträgen im Umzug oder im Straßenfest setzen die Akteur*innen ein klares Zeichen für eine freie und divers geprägte Gesellschaft.
FAUN ist eine der weltweit führenden Bands für die Verschmelzung von alten Klängen mit moderner Musik. PROFESSOR ZAMORRA ist die langlebigste Horror-/Mystery-Serie der Welt und wird seit 1974 im Bastei Verlag herausgegeben: Der französische Professor ist Parapsychologe und nimmt mit seiner Assistentin und Gefährtin Nicole schon seit Jahrzehnten den ewigen Kampf gegen die Mächte der Finsternis auf. Die Gesamtauflage der Romanhefte beträgt knapp 30 Millionen Exemplare, im Mai 2020 erscheint der 1.200ste Band.
Zum Jubiläum treffen FAUN und PROFESSOR ZAMORRA zusammen – zumindest literarisch! Auf dem französischen Château, auf dem Zamorra residiert, sind die Spielleute von FAUN zu Gast. Anlässlich eines Mittelalterfestes, das sich auf einen uralten Pan-Kult beruft und Geld in die Kassen spülen soll, ist FAUN die Hauptattraktion. Doch die Musiker spielen nicht nur zur Unterhaltung auf, sondern tragen auch dazu bei, den wiederauf-erstandenen Pan in die Schranken zu weisen!
Das Romanheft trägt den Titel „Tanz des Satyrs“ und erscheint am 26. Mai 2020 – mit einem von dem argentinischen Maler Nestor Taylor in Szene gesetzten Cover, das die FAUNE bei der Beschwörung Pans zeigt. Ein Interview mit der Band ist als Bonusmaterial im Romanheft abgedruckt.
An Grundschulen in Deutschland fehlen 23.000 ausgebildete Lehrkräfte für das Fach Musik. Viele Schulkinder haben damit keine hinreichende Chance auf musikalische Bildung. Dies ist das Ergebnis der Studie Musikunterricht in der Grundschule: Aktuelle Situation und Perspektive, die heute vom Deutschen Musikrat, der Konferenz der Landesmusikräte und der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht wurde.
Anlässlich der neuen Studie präsentiert das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ) einen neuen Fokus: Mangelfach Musik, der die Hintergründe beleuchtet, die zu dem Fachlehrermangel an den Grundschulen geführt haben. Der Generalsekretär des Deutschen Musikrats, Christian Höppner, erklärt im Interview, welche bildungspolitischen Entscheidungen für den Fachlehrermangel verantwortlich sind. Michael Pabst-Krueger, der Präsident des Bundesverbands Musikunterricht, erläutert die gesellschaftlichen Folgen des Ausfalls von qualifiziertem Musikunterricht. Susanne Fontaine, Professorin für Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und bis vor Kurzem Vorsitzende des dortigen Zentrums für künstlerische Lehrkräftebildung, macht auf Defizite im Lehramtsstudium Grundschule aufmerksam. Und Andrea Winkelmann, Rektorin einer Grundschule in Rheinland-Pfalz, berichtet, welche Herausforderungen es in der schulischen Praxis gibt, Musik ohne ausgebildete Musiklehrkräfte zu unterrichten. Weitere Hintergrundinformationen, Statistiken und Positionspapiere aus dem Angebot des Deutschen Musikinformationszentrums laden zu einer vertiefenden Beschäftigung mit der Thematik ein. Auch die Studie Musikunterricht in der Grundschule: Aktuelle Situation und Perspektive ist dort im Volltext abrufbar.Sie erreichen den Fokus unter themen.miz.org/fokus-musikunterricht.
Gerne möchten wir an dieser Stelle auch noch einmal auf unsere neue Publikation Musikleben in Deutschland bzw. "Musical Life in Germany" hinweisen, die auf über 600 Seiten ausgewählte Fakten zum Musikleben bündelt und zentrale Bereiche in ihren Entwicklungen beschreibt: von der musikalischen Bildung über das Amateurmusizieren und die professionelle Musikausübung bis hin zur Musikwirtschaft.
- Beim Umgang mit urheberrechtlich geschützter Musik herrscht vielfach Unsicherheit. Welche Regeln gelten beim Kopieren von Noten? Oder bei der Aufführung und Bearbeitung aktueller Musik? Das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ) hat das Informationsbedürfnis von Musiknutzer*innen aufgegriffen und die wichtigsten Fragen und Antworten in einem Praxisleitfaden Urheberrecht in der Musik zusammengestellt. Neben Themen von allgemeinem Interesse werden auch Spezialfragen zur Nutzung von Musik in Unterricht, Wissenschaft und Kirche behandelt.
Sebastian Krämer erhält Bayerischen Kabarettpreis
Der Berliner Chansonnier Sebastian Krämer erhält den Musikpreis des Bayerischen Kabarettpreis 2020, der vom Bayerischen Rundfunk gemeinsam mit dem Münchner Lustspielhaus in vier Kategorien verliehen wird. »Seine Texte laden nicht zum Mitdenken ein, sie fordern dazu heraus. Stets muss man als Zuschauer präsent sein, ahnt man am Anfang doch selten, worauf die Liedtexte des gebürtigen Ostwestfalen und Wahlberliners am Ende hinauslaufen. Wenn er von einem Hotelgast singt, könnte es um Einsamkeit gehen in Zeiten der Globalisierung, um Wirtschaftlichkeit in allen Lebenslagen – aber nein, es geht um das TV-Standby-Lämpchen im Hotelzimmer, das einem den Schlaf raubt. Fallhöhe in alle Richtungen, das ist Sebastian Krämers Markenzeichen.« (Auszug aus der Jury-Begründung)
Sebastian Krämer erhielt 2017 den Deutschen Musikautorenpreis der GEMA. Kurt Krömer outete sich als Fan: »Keiner spickt seine Chansons so mit Morbidität, Charme und vor allem mit hinterfotzigem Humor Güteklasse A.« Außerdem verlieh man Krämer den Deutsch-Französischen Chansonpreis, 2012 den Deutschen Kabarettpreis und 2009 den Deutschen Kleinkunstpreis für Chanson. »Der krasseste lebende Songwriter, den es gibt, und... ein Genie!«, rief Comedian Oliver Polak einst in seiner Talkshow auf Pro7 aus. 2018 feierte Krämer sein 25jähriges Bühnenjubiläum.
Obwohl sie einen Diplomatenpass besitzt: Die malische Sängerin Rokia Traoré ist in Paris im Zuge eines Rechtsstreits um das Sorgerecht für ihre Tochter inhaftiert worden. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy bezeichnet den Fall als skandalös. Nach ihrer Ankunft aus Mali wurde sie aufgrund eines in Belgien ausgestellten Europäischen Haftbefehls in Gewahrsam genommen. Hintergrund ist ein Sorgerechtsstreit mit ihrem in Frankreich lebenden belgischen Ex-Ehemann. Traoré lebt mit ihren zwei Kindern in Mali. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy kennt Traoré persönlich durch die Arbeit an dem Bericht über koloniale Güter aus Afrika in französischen Museen. Sie sagt, dass Traoré vorgeworfen werde, dass sie ein gemeinsames Kind zu Unrecht bei sich in der malischen Hauptstadt Bamako halte.
„Es geht zunächst um eine private Geschichte, um Sorgerecht, da können wir uns eigentlich nicht einmischen“, sagt Bénédicte Savoy. „Was uns aufregt ist die Tatsache, dass Rokia Traoré in das Gefängnis von Fleury-Mérogis gesteckt worden ist. Das ist ein sehr enges, sehr überfülltes Gefängnis in Paris, wie alle Gefängnisse in Frankreich. Momentan herrscht dort auch die Verbreitung von Corona. Sie war eigentlich unterwegs nach Brüssel zu einer Gerichtsverhandlung. Ihre Kinder warten nun auf sie zu Hause mit einer Betreuung, und sie steckt seit einer Woche in diesem Gefängnis. Heute hatte sie kein Besuchsrecht wegen Personalmangels in diesem Gefängnis.“ Hier komme eine doppelte Schwäche im europäischen System zu Tage, nämlich dass Traoré zum Nachteil gereiche, dass sie eine Frau ist und dazu noch Afrikanerin, sagt Savoy. „Was genau zwischen diesen zwei Erwachsenen passiert ist, weiß ich nicht. Aber dass eine Mutter zweier Kinder heutzutage einfach in einen Knast gesteckt wird, wegen Sorgerecht, ist erschreckend.“ Savoy arbeitet eng mit dem Philosophen und Autor Felwine Sarr zusammen. Sarr hat zu dem Fall Traoré eine Erklärung verfasst, in dem er den Fall als skandalös bezeichnet. „Er hat den berechtigten Eindruck, dass hier der Vater, also der weiße Vater mit dem belgischen Recht im Rücken, eine strukturell viel stärkere Position gegenüber der Mutter hat“, sagt Bénédicte Savoy. „Das Kind lebt seit fast seit seiner Geburt in Mali. Der malische Staat hat beschlossen, dass die Mutter das Sorgerecht hat, und die belgische Justiz setzt sich darüber hinweg und nimmt die Mutter fest. Und diese Maßnahmen können auch nicht im Sinne des Kindes sein.“
Tausende afrikanischer Frauen hätten mit Europäern Familien gegründet und seien, wenn es hart komme, in einer schwachen Position, wenn es um das Sorgerecht für die Kinder gehe, sagt Savoy. Mittlerweile seien die französische und die belgische Öffentlichkeit mobilisiert, und in „Le Monde“ gebe es einen Artikel über den Fall.
„Eine Petition geht rum, die von mehr als 15.000 Personen unterschrieben wurde und ein Kollektiv von Juristinnen in Belgien hat auch einen Aufruf geschrieben. In all diesen Fällen geht es hauptsächlich darum, Rokia Traoré zu befreien“, sagt Bénédicte Savoy. „Das ist der wichtigste Punkt: Sie muss sich frei bewegen können, um sich verteidigen zu können. Und aus dieser Situation im Gefängnis, in einer extrem brutalen Zeit, die wir gerade erleben, hat sie überhaupt keine Chance, ihre Stimme hörbar zu machen.“
Traoré ist seit Samstag in einen Hungersterik getreten und hat eine Erklärung verfasst, in der sie den belgischen und französischen Behörden Rassismus vorwirft. Die Rechte ihrer Kinder würden durch europäische Gesetze massiv verletzt werden, schreibt sie dort.
Preis der deutschen Schallplattenkritik
Auf über hundert Seiten berichtet unsere neue PdSK-Broschüre über nur gute Musik. Vorgestellt werden alle Bestentitel des "Preises der deutschen Schallplattenkritik" aus den letzten 12 Monaten sowie alle aktuellen Jahres- und Ehrenpreisträger. Im Mittelpunkt: Nachtigall-Preisträgerin 2020 Brigitte Fassbaender und der jüngste Ehrenpreisträger ever, Dirigent Francois-Xavier Roth sowie Rapperlegende Moses Pelham und Alberto Basso, der die Vivaldi-Edition erfand. Bei den Jahrespreisen und Bestenlisten veröffentlichen wir zu jedem Musiktitel die Begründungen der Juroren. Außerdem stellt sich die Jury vor, in Bild und Text: 156 Musikkritiker und Fach-Journalisten, die in 32 Jury-Kategorien arbeiten, von Oper über Klaviermusik bis Ethno und Jazz, von Chormusik bis Pop, Rock, Electronic & Experimental.
"Ausgezeichnet! 2020" wird gratis aufgelegt. Das Heft ist erhältlich bei öffentlichen Veranstaltungen des PdSK, Preisverleihungen und Kritikerquartetten, sobald diese wieder stattfinden können. Eine pdf-Version steht Ihnen aber schon jetzt zum Download bereit: www.schallplattenkritik.de
Jahrespreis 2019
Filmmusik:
Bruce Springsteen: Western Stars
Er ist sowieso schon der „Boss der Preise“: Zwanzig Grammys, ein Oscar und die Freiheitsmedaille lagern vermutlich irgendwo im Wohnbereich des Gestüts von Bruce Springsteen. Und eines seiner Turnierpferde galoppiert im Artwork von „Western Stars“. Die E-Street-Band hat er in die Wüste geschickt, was Raum schafft für Streicher und die Konzentration auf den Nukleus der dreizehn schwelgerischen Songs lenkt: kitschfreie Perlen im Planquadrat von Americana, Westcoast, Country und Zydeco, die den Alltag spiegeln vom Average Joe und vom Loser, der immer auch lucky ist. Erst bei der zweiten Nachtfahrt entfalten sie volle Brillanz. Nach seinen One-Man-Broadwayshows hat Springsteen nun erneut das Überraschungsmoment auf seiner Seite, er rubbelt Unbekanntes unter Bekanntem frei und wirft einen nostalgisch-ironischen Blick auf den Mythos Amerika. Und auf seine Leute und ein Land, das sich noch nie auf einen Präsidenten reduzieren ließ. (Für die Jury: Torsten Fuchs)
Bestenliste 2-2020
Filmmusik:
Thomas Newman: 1917. Original Motion Picture Soundtrack. Sony Classical 19439702762
Wie muss ein Soundtrack für einen zweistündigen Kriegsfilm klingen, in dem es keinen klar sichtbaren Schnitt gibt? Wie reagiert man auf das Tempo, wie ummantelt man den kunstvoll konstruierten Spannungsbogen? Sam Mendes hat sich mit „1917“ auf das sehr spezielle Kino-Risiko eingelassen, Thomas Newman fand dafür den genau richtigen Tonfall. Sein Soundtrack macht einen weiten Bogen um das Action-Gedröhne, das dieses Genre so oft konventionell beschallt. Stattdessen lieferte Newman Atmosphäre und Reibung, Kontraste und Kommentare. (Für die Jury: Joachim Mischke)
Weltmusik:
Lina_ Raül Refree. CD / LP, Glitterbeat GBCD/LP 085 (Indigo)
Fado neu zu formen, ist ein Gewaltakt oder aber Sakrileg. Die Sängerin Lina, bestens bewandert im klassischen Repertoire der Ikone Amália Rodrigues, wagt es, indem sie den Klang verändert. Für ihre Inszenierung holte sie den Produzenten Raül Refree mit ins Boot. Der hüllt die Melodien in dunkle, stehende Synthesizer-Klangwolken und getragene Piano-Arpeggios, kaum hört man Gitarrenklänge. Und nie tönt Linas Stimme mit der sonst so typischen, alles verzehrenden Inbrunst, sie singt zurückhaltend, manchmal wirkt es zerbrechlich: eine überzeugende, neue Klangwelt für ein altes Liederbuch. (Für die Jury: Jodok W. Kobelt)
Liedermacher:
Stoppok: Jubel. Grundsound GS0039 (Indigo)
Stefan Stoppok bringt es in dem Lied „Lass sie rein“ auf den Punkt: „Lass sie rein, die Zukunft funktioniert nicht allein, sei ein Mensch und lerne zu teil’n.“ Schon dafür hat er wieder einmal die Auszeichnung mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik verdient! Wie auch in jedem der elf weiteren Lieder dieses Albums changiert das musikalisch kongenial zwischen Blues, Pop, Rock und balladeskem Songwriting. Stoppok singt in „Pack mit an“ ruhig lakonisch gegen Kriege und kapitalistischem Egoismus. Er nimmt in „100 Mio Follower“ die Scheinwelt der (ach so) sozialen Netzwerke aufs Korn. Ein Appell an die Menschlichkeit, mit viel hintergründigen Humor und Witz. (Für die Jury: Hans Reul)
Folk und Singer/Songwriter:
James Yorkston, Jon Thorne & Suhail Yusuf Khan: Navarasa – Nine Emotions. Domino Records WIGCD439 (GoodToGo)
Es gibt nicht viele Fusionsprojekte aus dem Bereich Folk, Jazz und Weltmusik, die tatsächlich überzeugend funktionieren, und noch seltener kommt es vor, dass eine Gruppe mit der Mixtur dieser drei Genres einen so absolut eigenständigen, schlüssigen Sound erschafft: Musik, die es vorher noch nicht gab. Den drei Herren Yorkston, Thorne und Khan (Gitarre, Bass, Sarangi) war genau dies mit ihrem Debutalbum „Everything Is Sacred“ gelungen. Ein Zufallstreffer, könnte man meinen. Jetzt beweisen sie mit „Navarasa – Nine Emotions“ genau das Gegenteil: noch tiefer, noch ausgereifter und durchdachter wirkt die Musik, zugleich emotionaler als zuvor. (Für die Jury: Mike Kamp)
Rock:
William Prince: Reliever. CD / LP, Glassnote Music GLS-0274-02 (Rough Trade)
Dieses Album ist ein starker Anwärter für die einsame Insel. Es entfaltet auf Anhieb große Anziehungskraft und wird mit jedem Hören attraktiver. William Prince stammt aus der kanadischen Provinz Manitoba, er selbst bezeichnet seine Musik als „Singer/Songwriter und Country-Folk mit einem Touch von Gospel“. Man darf ergänzen, dass er zusammen mit einer Begleittruppe auch mal kräftig rockt. Vor allem aber fasziniert seine sonore Stimme à la Johnny Cash, als sanfter Riese spricht er die Emotionen des Hörers an, mit sensiblen Texten, facettenreichen Arrangements, und stiftet seelischen Frieden. „Reliever“ ist also ein echter Helfer. Nicht nur für die Insel, auch in anderen Lebenslagen. (Für die Jury: Manfred Gillig-Degrave)
Bestenliste 1-2020
Weltmusik:
La Repetition (Orchestra senza confini): Mondo! CD / DL, Finisterre FT80 (Direktvertrieb)
Es geht um „Die Welt!“ Mit Rufzeichen! Diesem Appell wird das Album gerecht. Hier ist Welt-Musik im besten Sinn entstanden – aus der Begegnung von Musikschaffenden im süditalienischen Salento, und zwar von einheimischen mit solchen, die es aus dem nicht allzu weit entfernten Afrika an den Absatz des Stiefels hierher verschlagen hat. „Wir sind gleich“, heißt es im programmatischen ersten Stück. Das Ergebnis klingt erfreulich wenig nach moralischem Imperativ, sprüht vielmehr vor Spiel- und Lebensfreude, rhythmisch und melodiös mal mehr in Westafrika, mal mehr in Apulien zu Hause: dies- und jenseits des gemeinsamen Meeres. (Für die Jury: Johann Kneihs)
Folk und Singer/Songwriter:
Unterbiberger Hofmusik: Dahoam und Retour. CD + DVD, Himpsl Records HPS1901 (Galileo)
Es dauert keine Minute, dann ist es vorbei mit der bayerischen Blasmusik herkömmlicher Prägung. Die Unterbiberger Hofmusik hat sich noch nie damit zufrieden gegeben, was im Alpenland an Tönen zu finden ist. Das erweiterte Familienunternehmen Himpsl verspricht Dicke-Backen-Musik mit ordentlich Drive. War es früher vor allem der Jazz, so mischen sich heute auch Klänge aus der arabischen Welt in die traditionellen Sätze. Was die Unterbiberger an Musik von ihren Reisen in andere Ländern mitbringen, kann alle überraschen: das heimische und das auswärtige Publikum. Insofern ist der Titel Dahoam und Retour gut gewählt für diesen köstlichen Konzertmitschnitt aus Taufkirchen. Und wer’s hört, der mag’s vielleicht auch sehen. Eine DVD liefert die Bilder dazu. (Für die Jury: Imke Turner)
Bestenliste 4-2019
Liedermacher:
Rainald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung: Albanien. CD / 2 LPs, Versöhnungsrecords 00953 / 00954 (Broken Silence)
Rainald Grebe bleibt seiner realistisch-absurden Vinyl-Topographie verbunden. Den längst zu schrägen Evergreens gewachsenen Thüringen-, Frechen- oder Brandenburg-Hymnen fügte der Sänger, Kabarettist, Theatermann jüngst die Platte „Albanien“ hinzu. Siebzehn Stücke, im titelgebenden Lied heißt es, unter anderem: „Ich kenn mich nicht mehr aus, es ist so wenig klar … Alle sprechen Englisch, überall H&M, überall nur Flughafenmenschen. Aber in Albanien, Albanien, in Albanien ist alles beim Alten.“ Die rücklings liegende Schildkröte auf dem Frontcover zeigt, exemplarisch für Zustände in deutschen Landen wie auf dem Restglobus: Es geht ein Riss durch die Zeit. Versöhnlich hierbei, den innovativen Grebe wieder im tadellosen Einklang zu hören mit dessen bewährt vogelwilder „Kapelle der Versöhnung“. (Für die Jury: Jochen Arlt)
Folk und Singer/Songwriter:
Lata Donga: Variācijas. CPL Music CPL032 (Broken Silence)
Folk aus Lettland bekommt man nicht alle Tage zu hören. Doch Lata Donga haben das Zeug dazu, Musikfreunde aus aller Welt zu überzeugen. Herz und Seele der Band ist eine Familie, in der die lettische Folktradition seit drei Generationen hochgehalten wird. Ausgerüstet mit Kokle-Zithern, orientalischer Percussion und den schönsten Stimmen des Baltikums erwecken Vater, Mutter und die beiden Töchter Jahrhunderte alte Melodien zum Leben und huldigen dabei sowohl dem Weiblichen als auch dem Göttlichen. „Variācijas“ ist das Debütalbum dieses Familienensembles, man kann nur sagen: Mehr davon! (Für die Jury: Suzanne Cords)
Weltmusik:
Mísia: Pura Vida (Banda Sonora). Galileo MC GMC086
Einen „seidenen, samtenen, wollenen, kleinen Fado“ wünscht sie sich – ausgerechnet in einem Lied, das musikalisch von Irving Berlins frivolem „Puttin’ on the Ritz“ inspiriert wurde. Aber klein und gemütlich geht es auf Mísias neuem Album weniger denn je zu. Portugals größte Fadista will „nicht irgendeinem Stamm oder Genre zugehören“, sie spannt ihre Flügel weit und landet nicht zuletzt im argentinischen Tango – eine hochdramatische Verbindung. Dass diese „Tonspur eines Lebens“ bei aller Vielfalt an Stilen und Instrumentierungen die Qualitäten eines Konzeptalbums hat, verdankt sich auch der großen Arrangierkunst von Fabrizio Romano, Mísias langjährigem Mitstreiter. (Für die Jury: Jürgen Frey)
Traditionelle ethnische Musik:
Kudsi Ergüner: La Mélancolie Royale. Méditation Soufie. Seyir Muzik 2GN009 (Galileo)
Der Klang der Schilfrohrflöte Ney wird im Orient mit dem Atem Gottes assoziiert. Ihr leiser, luftiger Ton und ihre klagenden Melodien wecken die Melancholie und versetzen etwa Sufi-Derwische in einen Zustand spiritueller Versenkung. Der türkische Virtuose Kudsi Ergüner stammt aus einer Familie, die seit vielen Generationen das Spiel auf der Ney pflegt. Sein Album „La mélancolie royale“ verzaubert mit intimen Klängen: zarten Linien, feinsten Nuancen in der Tongebung, winzigen Verzierungen und mikrotonalen Feinheiten. Dazu ein ruhiger Atem, lange Melodiebögen und Pausen, in denen die Zeit still steht. (Für die Jury: Tom Daun)
Aus dem "Clementi-Brief" für die Monate April und Mai:
Idee des Monats: Im Saarland z.B. gibt es eine schöne Initiative zur Solidarität mit den Gastwirten. Die Internetseite dazu findet Ihr hier. Thomas Beckert, der auch meine Internetauftritte und die Software für den Clementi-Brief entworfen hat, erklärt dort seine Idee.
Lied des Monats: Eva Kuen hat mir ein schönes Lied aus ihrem neuen Album "Käpt’n Lost" geschickt, das ich gerne mit Euch teilen möchte. Klickt hier, um es mit YouTube-Video zu hören!
Gitarrenunterricht des Monats: Es könnte sich aber grad in dieser Auszeit lohnen, früh aufzustehen, um Dinge zu tun, zu denen man unter normalen Umständen nicht kommt. (Wobei wir nach dieser Zeit hoffentlich überdenken, was normale Umstände sind.) Vielleicht haben manche von Euch schon mal gedacht, sie würden gerne Gitarrenunterricht nehmen. Mein Lieblingsgitarrist und Freund Ossy Pardeller, den viele von Euch bei Zeitlieder-Konzerten erlebt haben, gibt sehr guten, günstigen und effektiven Online-Unterricht via Skype oder FaceTime. Gleich ob Ihr also in Hamburg, in Wien, in Bozen oder in Tel Aviv sitzt... ...klickt hier für weitere Infos und Ossys Kontaktdaten!
Homepage des Monats: Wenn Euch einmal niemand anruft, wenn Ihr einmal nicht mehr wisst, wen Ihr noch anrufen sollt, wenn Ihr Euch trotz Lockerungen immer noch eingesperrt fühlt, wenn Ihr das Gefühl habt, Ihr müsst raus in die schöne Welt, klickt hier und begebt Euch auf eine akustische Reise, wie Ihr sie noch nie erlebt habt. Setzt den weißen Kreis hin, wo immer Ihr wollt und hört, was die Menschen dort gerade hören. Ein Garten voller Radiosender groß wie die ganze schöne bunte Welt. Viel Spaß!
Politischer Gedanke des Monats: „Dass sich die einen mehr nehmen als die anderen, nennt man in diesen Tagen »hamstern«, und es ist verpönt. Dass sich die einen mehr nehmen als die anderen, nennt man sonst Marktwirtschaft, und es ist heilig.“ Bernd Ulrich
Artikel des Monats: Bei allen schönen Zuhausebleib-Liedern sollten wir nicht vergessen, dass vor dem Virus nicht alle gleich sind. Ich zitiere aus dem Artikel von Judith Kohlenberger im Falter: "In einem geräumigen Apartment mit Dachterrasse oder einem Haus mit Garten lässt sich die soziale Isolation wesentlich angenehmer ertragen als in einer dunklen Zweizimmerwohnung." Den gesamten Artikel gibt es hier.
Essay des Monats. Charles Eisenstein schreibt: "Keines der Probleme unserer Welt ist technisch schwer zu lösen; sie rühren von der Uneinigkeit der Menschen her. Wenn die Menschheit kohärent handelt, sind ihre kreativen Kräfte grenzenlos." Ich denke, er hat recht und es geht einzig und allein darum, was wir wollen, oder was die meisten von uns wollen. Vielleicht können wir uns ja gegenseitig nicht nur mit Viren, sondern auch mit sinnvollen Wünschen anstecken. Ich wünsche mir eine Pandemie der guten Wünsche! Eisensteins Essay, eine aufwühlende Analyse der Corona-Krise, gibt es hier.
Wort des Monats: Wenn Ihr auch zu denen gehört, die jeden Tag mehrere Videokonferenzen absolvieren, nervt Euch die technische Mauer zwischen Euch und Euren Gesprächspartnern sicher auch schon. Der einzige Vorteil davon (außer das vermeiden von Wegen) ist, dass man dabei sehr gut lernt, nicht gleichzeitig zu sprechen. Eine Kulturtechnik, die nicht nur mit Arbeit verbunden ist und sehr hilfreich, um mit seinen Lieben in Kontakt zu bleiben, bekommt gerade einen neuen Namen: Coronafonieren.
Freund des Monats: Zum Probenbeginn von "My Fair Lady" hat mir mein Schauspielkollege Sascha Oskar Weis das Büchlein "Der kleine Wappler" So flucht und schimpft Österreich geschenkt. Es ist kaum zu fassen und völlig unerwartet, dass Sascha nun so früh ein Hiniger (Toter) sein soll und die Ribiseln von unten anschaut (die Johannisbeeren von unten besieht), aber ich werde ihm zu Ehren österreichisch schimpfen, was das Zeug hält.
Fluch des Monats: Wappler: gemäßigter Dummkopf. Da zum einen das Wort W. zu den milderen Schimpfwörtern zählt und zum anderen das Wapplertum eine weit verbreitete Eigenschaft ist, eignet es sich zur Bildung prägnanter Komposita, um Personen, die einem nicht namentlich bekannt sind, unmissverständlich zu bezeichnen. So etwa kann mit dem Begriff Zopfwappler zweifelsfrei ein Herr mit weiblicher Haartracht charakterisiert werden.
Boykott des Monats: Das Büchlein oben könnte ein Salzburger oder eine Salzburgerin z.B. hier online bei der Rupertusbuchhandlung bestellen. Denn es muss nicht sein, dass ein Konzern wie Amazon, der für Steuertricks und Ausbeutung bekannt ist, zum Schluss als Krisengewinner dasteht. Hier findet Ihr eine alternative Plattform für Österreich, wo Ihr auch Euren eigenen Betrieb eintragen könnt. Und hier die wichtigsten Amazon-Alternativen für Deutschland.
Zitate des Monats:
Benjamin Franklin z.B. sagte: "Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren." Nun, er könnte recht haben und ich denke, wir sollten vorsichtig sein und es vermeiden, uns an den Freiheitsverlust zu gewöhnen. Wolfram Weidner definierte: "Politik machen: den Leuten so viel Angst einjagen, dass ihnen jede Lösung recht ist." Andererseits sagt Karl Raimund Popper: "Man kann und darf sein eigenes Leben für eine Sache riskieren, aber nie das Leben eines anderen." Und Johann Heinrich Pestalozzi: "Entschlossenheit im Unglück ist immer der halbe Weg zur Rettung."
Jean-Jacques Rousseau hingegen: "Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will." Aber Carl Friedrich von Weizäcker sagte: "Freiheit ist ein Gut, das durch Gebrauch wächst, durch Nichtgebrauch dahinschwindet." Andererseits meinte Friedrich Nietsche: "Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich selbst hat, ist ein Sklave." Aber Marie von Ebner-Eschenbach wusste: "Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit."
Nun wir können von dieser Corona-Krise und den Freiheitsbeschränkungen, die sie mit sich bringt das oder jenes halten, Mark Twain unterstellt uns in jedem Fall: "Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen - vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir." Otto von Bismarck gibt uns den guten Rat: "Verfallen wir nicht in den Fehler, bei jedem Andersmeinenden entweder an seinem Verstand oder an seinem guten Willen zu zweifeln." Und was wir mit diesem letzten Gedanken anfangen sollen, weiß ich auch nicht genau, aber mir gefällt die chinesische Weisheit, die bestimmt aus einer längst vergangenen Zeit stammt: "Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die Einen Schutzmauern, die Anderen bauen Windmühlen."
Gedicht des Monats: Meine Schwester Heidi hat mir auf WhatsApp ein Gedicht geschickt, das nun in Italien und scheinbar schon seit einigen Tagen in der englischen Welt viral geht. Ich habe es für Euch übersetzt:
Und die Menschen blieben zuhause. Und lasen Bücher, und hörten zu, und sie ruhten sich aus, und machten Übungen, und beschäftigten sich mit Kunst, und spielten Spiele, und lernten auf neue Art zu leben und hielten inne. Und sie hörten weiter in die Tiefe. Manche meditierten, manche beteten, manche tanzten. Manche begegneten dem eigenen Schatten. Und die Menschen begannen auf eine andere Weise zu denken. Und sie wurden gesund. Und in der Abwesenheit von Menschen, die auf dumme, gefährliche, sinn- und herzlose Weise lebten, begann die Erde zu genesen. Und als die Gefahr vorüber war, und die Menschen wieder zusammenfanden, trauerten sie um die Toten, und trafen neue Entscheidungen, und erträumten neue Visionen, und erfanden neue Arten zu leben, und sie heilten die Erde vollkommen, so wie sie selbst geheilt waren.
Bullshit des Monats: Die Beste aller Frauen, die diesen Brief meistens Korrektur liest, sagt, dieses Gedicht ist Bullshit, die Menschen werden wie gewohnt genau gar nichts lernen. Aber das hält den Joshua, unseren Kleinsten nicht davon ab hier ein Tänzchen für Euch zu tanzen. Lebt fröhlich! Euer Georg