Das Line-up des Rudolstadt Festivals 2016 steht: Specials Kolumbien & Cumbia, 300 Konzerte, Workshops, Gespräche, dazu Ausstellungen und Filme. Ein paar FolkWorld-Empfehlungen ...
Länderschwerpunkt Kolumbien
Bei Kolumbien haben wir es mit einem musikkulturell weitschweifigen, auch landschaftlich vielgestaltigen Territorium zu tun, welches nahezu gleichermaßen von indigenen, afrikanischen und europäischen Einflüssen imprägniert ist. Diese kulturhistorische Hybridität treibt dort bis heute ihre Blüten. Das Land darf deswegen mit Fug und Recht als ein kleiner Erdteil für sich gelten, den es an vier Rudolstädter Tagen zu erkunden gilt.
Diese Einleitung macht aber bereits deutlich, dass es unmöglich ist, selbst mit zehn Musikgruppen das ganze Spektrum an traditioneller wie aktueller Musik abzubilden. Wie immer bei einem Länderschwerpunkt bieten wir Puzzlesteine an, die ein Gerüst ergeben können, aus denen sich mit kolumbianischen Musikern früherer wie zukünftiger Festivals langsam ein Bild, eine musikalische Landkarte herauskristallisiert.
Wir kredenzen elektrische und traditionelle Cumbia, zeitgenössische Lieder, in denen sich auch das Erbe der Indianer spiegelt, Folklore- und modernen Tanz, Clubsounds und traditionelle Musik auf Akkordeon oder der Flöte Gaita.
Tanzschwerpunkt Cumbia
2011 waren Cumbia bei uns der Sommersound des Jahres. In den Amerikas hört man sie seit Jahren vom Gemischtwarenladen in Ushuaia an der Südspitze Argentiniens bis zu den Barrios in Los Angeles - manche nennen sie deswegen das musikalische Rückgrat Lateinamerikas.
Entstanden ist sie in Kolumbien wohl im 17. Jahrhundert in einer Region mit einer hohen Population an afrikanischen Sklaven, wo sie sich aus den von den Menschen mitgebrachten Werbetänzen entwickelte. Zum Trommeltanz der Schwarzen gaben die Ureinwohner die Flöte Gaita für die Melodie dazu, die Europäer die Melodie-Variationen sowie die tänzerischen Aspekte (Choreographie und Kostüme). Für die vielen aus diesem Dreieck entstandenen Musiken gilt Cumbia als Oberbegriff.
Den großen Popularitätssprung vorwärts machte die Cumbia in den 1950er Jahren. „Inzwischen ist ihr synkopierter Vierviertelrhythmus ein globales Phänomen. Lokale Hip-Hop- und Techno-Produzenten popularisierten Cumbia-Beats in ganz Süd- und Lateinamerika, während eine westliche DJ-Avantgarde auf die hypnotisierende Wirkung der tropischen Importe schwört.“ (Jonathan Fischer, DIE ZEIT, 2011)
Das zum populären Viertakter auch gesungen wird, ist ein moderner Trend: In ihren Anfangszeiten war die Cumbia eine reine Instrumentalmusik. Schließlich ist sie ein (Paar-)Tanz – und einer, der, bspw. im Vergleich zu Salsa, als recht einfach gilt. Wie viele lateinamerikanische Tänze hat auch die Cumbia durchaus Ähnlichkeit mit dem Swing und teilt sich mit ihm viele Bewegungen. Auch kann man Cumbia durchaus zu Salsa tanzen. Umgekehrt zu tanzen, also Salsa zu Cumbia, ist hingegen schwierig – die schnellen Beats sind zu schnell und die Pausen zu lang.
Glen Hansard (IRL)
Once, einmal, war er Straßenmusiker. In den 1980er Jahren. Dann gründete er eine Band, The Frames. Dann bekam er eine Rolle im Film „The Commitments“. Dann wurden The Frames erfolgreich, erhielten Platin für ihre Alben und spielten in Stadien. Dann lernte er die tschechische Pianistin Markéta Irglová kennen. Und dann produzierte Frames-Bassist John Carney, basierend auf Glen Hansards Lebensgeschichte sowie mit ihm und Markéta Irglová in den Hauptrollen, mit kleinem Budget den Film „Once“. Der wurde ein Erfolg, der Titelsong „Falling Slowly“ bekam einen Oscar, die auf dem Film basierende Broadway-Adaption „Once, The Musical“ gleich acht Tony Awards (der Theater-Oscar).
Als Film, als Oscar-prämierter Song, als Musical – „Once“ hat sich verselbständigt. Und Glen Hansard sich ein musikalisches Leben neben diesem Erfolg aufgebaut. Eins, das näher an seiner Straßenmusik als an Hollywood und Stadion-Rock ist. So sind die beiden letzten Alben unter seinem Namen erschienen. Mit Liedern, die nachdenklich, gutmütig und oft ein bisschen pathetisch sind. Songs über die Welt, den Alltag, das Leben. Allgemeingültige Texte, die niemals zu eindeutig und gerade deshalb reizvoll sind. Zu hören zum Festivalabschluss am Sonntag im Heine-Park.
Lorcán Mac Mathúna (IRL)
So sehr irische Musik auch geboomt hat – der traditionelle Sean-nós-Gesang hatte gegen die Jigs und Reels keine Chance. Dabei hat der Musiker und Forscher Tomas Ó Canainn wohl recht, wenn er feststellt: "Kein Aspekt irischer Musik kann vollständig verstanden werden, hat man nicht ein tiefes Verständnis für den Sean-nós-Gesang. Er ist der Schlüssel, der jede Tür öffnet.”
Charakteristisch für diesen (wörtlich:) alten Stil ist, dass die Texte in Gälisch sind, dass die Melodie reich verziert wird und dass der Gesang herb und unbegleitet ist. Wobei – letzteres war einmal. Heute schient sich die Stilistik vor allem zur Begleitung durch sanfte Elektronik zu eignen.
Auch Lorcán Mac Mathúna umgibt sich mit Musikern, die Akkordeon, Geige sowie Trompete spielen und auch nicht auf elektronische Sounds verzichten. Die, und das mag überraschen, sogar die archaische Anmutung noch unterstützen. Das schrammt immer knapp am Pathos vorbei, aber große Geste ist es allemal. Und große Kunst auch.
Harald Haugaard und Helene Blum (DEN)
Vor 16 Jahren war Dänemarks Ausnahmegeiger Harald Haugaard schon einmal in Rudolstadt, damals mit seinem Duopartner Morten Alfred Høirup. Jetzt kehrt er mit seiner Frau zurück, der Sängerin Helene Blum. Sie spielt ebenfalls Geige, begleitet werden die beiden von vier weiteren Musikern an Gitarre, Cello und Perkussion.
Im Repertoire des Sextetts finden sich traditionelle Lieder und Tänze aus dem dänischen Folk-Erbe ebenso wie Eigenkompositionen: uralte Balladen, rhythmische Tanzmelodien und Lieder über Liebe und Leid, Krieg und Frieden, Leben und Tod. Sie erzählen Geschichten über Orte, menschliche Schicksale und musikalische Begebenheiten.
Das ganze wird mit großer musikalischer Leidenschaft und Virtuosität, Eleganz und Temperament vorgetragen. Das fordert Preise heraus: Alleine und zusammen haben sie mehrfach den Danish Music Award oder den Preis der deutschen Schallplattenkritik gewonnen; die Presse feiert sie als Traumpaar des dänischen Folks: „Ein Stück Glückseligkeit!“
Lamia Bèdioui & The Desert Fish (TUN/GRE+)
Seit 1992 lebt Lamia Bèdioui in Griechenland. Geboren ist sie in Tunesien; dort sowie in Athen hat sie Musik und Gesang studiert. Seit 20 Jahren ist sie als Musikerin aktiv, in eigenen Konzerten, aber auch bei Theater- und Tanzproduktionen.
Ihr aktuelles Programm, das sie auch in Rudolstadt präsentieren wird, heißt Athamra (Frucht des Traums) und ist eine Reise um das Mittelmeer. „Das Meer kann eine Autobahn oder eine Barriere sein“, beobachtete Rootsworld und fuhr fort: „Dies ist ein engagiertes Projekt, das in Zeiten großer ökonomischer und kultureller Gräben versucht, genau diese Spaltungen zu überbrücken…“
Startijenn (FRA/ALG)
Startijenn ist bretonisch für Energie. Die danach so benannte Gruppe gründeten eine Handvoll 13jähriger 1997. 19 Jahre später ist Startijenn wohl die rock’n’rollendste Band des bretonischen Fest-noz-Zirkels. Diese Volkstanzveranstaltungen sind ja in der Bretagne so populär wie sonst nirgends in Europa. Und bringen, neben Individualisten auf Bombarde, Biniou kozh und anderen Instrumenten, auch immer wieder junge, dynamisch vorantreibende Bands hervor.
So wie Startijenn, die die traditionellen Volkstanzbühnen aufgemischt und auch international für Furore gesorgt haben. Immer waren sie dabei offen für fremde Einflüsse, doch nie so sehr wie in der Zusammenarbeit mit Sofiane Saidi. Der algerische Sänger ist von Cheika Remitti und Oum Kalthoum ebenso beeinflusst wie von Otis Redding; Rap ist ihm aber auch nicht fremd. All das integrieren er und die Musiker von Startijenn in die Show „El-TaQa“: Fest-noz in the Kasbah.
Puhti (FIN)
Der Crazy Finn Award geht widerspruchslos an das Duo Puhti, also die beiden Frauen Anne-Mari Kivimäki und Reetta-Kaisa Iles. Die erste spielt Akkordeon und singt, letztere tanzt. Rhythmisches Stampfen kommt ebenso dazu wie eine ausgefeilte und höchst originelle Choreografie, die das Programm der beiden zu einer ebenso fantasievollen wie schrägen Performance werden lassen.
„Suistamo – Laboratorium der Tradition“ nennt Anne-Mari Kivimäki diese Projekte: „Suistamo-Konzerte sind Experimente: Es wird Neues ausprobiert, entdeckt, entwickelt und Althergebrachtes erforscht und über den Haufen geworfen. Für mich ist Suistamo ein Ort der Fantasie, wo die Suistamo-Tradition des frühen 20. Jahrhunderts auf zeitgenössische Folkmusiker trifft.“
Puhti heißt Energie, Elan, Vitalität. All das wird bei diesen Auftritten wirklich in jeder Sekunde versprüht.
Ernst Molden, Willi Resetarits, Walther Soyka, Hannes Wirth (AUT)
Ernst Molden ist der derzeit beste Liedermacher Österreichs. Eine Erkenntnis, die dorten nicht neu ist, veröffentlicht der Wiener doch seit 1999 regelmäßig Alben (und reüssiert auch als Schriftsteller). Bei uns ist er dennoch nur mäßig bekannt.
Das sollte sich spätestens mit dem aktuellen „Ho Rugg“ ändern, das zweite, dass er mit seinen Kumpels Willi Resetarits (Stimme, Mundharmonika, Ukulelen), Walther Soyka (Harmonika, Stimme) und Hannes Wirth (Gitarren, Stimme) eingespielt hat. Musikalisch irgendwo zwischen amerikanischem Blues, originalem Wienerlied und dem von allen Klischees befreiten Austropop wandelnd, ist „HO Rugg“ eine sehr stimmungsvolle, unter die Haut gehende und in den Blues übersetzte Liebeserklärung an das Wienerlied mit Tiefgang und Seele.
Für den Blues ist übrigens vor allem „Ostbahn-Kurti“ Willi Resetarits zuständig, Mitbegründer der Schmetterlinge, der Organisationen „Asyl in Not“ und „SOS Mitmensch“ sowie des Integrationshauses Wien.
„Ho Rugg" ist eine Sammlung von Songs, die manchmal Lieder sind, bisweilen sogar launige Hymnen oder aufgelegte Trinklieder (etwa der Titelsong), nicht selten aber auch dunkle Moritaten, dröhnende Reportagen oder vertonte Stillleben. Neue Wiener Lieder eben.
Kapela Maliszów (POL)
Jan Malisz ist ein Instrumentenbauer und Multi-Instrumenalist aus den Niederen Beskiden. Im Süden ist die Slowakei, im Ostern die Ukraine nicht fern. Von seinem Vater Jozef erbte Jan Malisz eine Geige, die er weiterhin spielt, sowie die Trommel Baraban, die Jozef Malisz selber gebaut hat.
Zum Instrumentarium gehört neben Geige, Baraban und Nyckelharpa (!) auch das Basolia. In der Musik aus dem Landstrich Gorlice bestand eine typische Musikkapelle aus einer Geige, einer Baraban sowie einer Basiola, ein Cello-ähnliches Instrument aus der ukrainisch-polnischen Tradition.
Daran orientiert sich auch die heutige Kapela Maliszów, deren Musik allerdings ausgesprochen frisch und fetzig klingt. Dafür sorgen die Eigenkompositionen, vor allem aus der Feder des erst 18jährigen, aber bereits hoch virtuosen Kacper Malisz, sowie die gemeinsamen Improvisationen, die ein Kernbestandteil der Musik sind. „Eine neue und äußerst fesselnde Vision von Volksmusik, ganz stark in der Tradition verwurzelt, aber gleichzeitig auch sehr kreativ.“ (Jakub Borysiak, Polskie Radio)
Volxtanz (DEU)
Auch Volxtanz haben für ihre Musik ein Label zur Vermarktung gefunden: „International World Beat“. Das betont den Rhythmus, und das tun die sechs Musiker aus dem Schwäbischen völlig zu Recht: Rhythmen und Samples aus aller Welt treffen auf eine von Balkan-Brass, Jazz, Afrobeat und vielem mehr beeinflusste Bläser-Sektion.
„Volxtanz holt aus der eigentlich überschaubaren Besetzung einer sechsköpfigen Brassband ein Maximum an Stimmungen heraus, auch wenn es fast immer Vollgas Richtung Party geht: Volxtanz ist die reine Freude.“ (Jury creole Südwest)
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Photo Credits:
(1)-(2) Rudolstadt Festival,
(3) 'Once' (ft. Glen Hansard),
Lorcán Mac Mathúna,
Harald Haugaard & Helene Blum,
Lamia Bèdioui,
Startijenn,
Puhti,
Ernst Molden,
Kapela Maliszów,
Volxtanz
(unknown/from website).