FolkWorld Ausgabe 40 11/2009; Kolumne von Walkin' T:-)M


Austro-Folk 2.2
Wien
Molden, Theessink, Tschuschenkapelle ...

Wien verfolgt einen überall hin, selbst auf das TFF.Rudolstadt, Deutschlands größtem Folk- und Weltmusikfestival. Sonntagnachts schaue ich mir die MDR-Dokumentation an. Die Reporterin befragt angesichts des Russland-Schwerpunktes Besucher des ostdeutschen Städtchens nach vorhandenen Russischkenntnissen. Im Gras des Heineparks liegt Simon Wascher und sagt: Ich kann kein Russisch; ich bin aus Wien!

Presseschau

30. Internationales Musikfest Waidhofen/Thaya

Dobrek Bistro

Der Waldviertler, so sagt man, zeichnet sich ja u.a. durch seinem konsequenten Verhalten aus (andere mögen es Sturheit nennen) - eine Charaktereigenschaft, die in manchen Belangen zu nachhaltigen Qualitäten führen kann. Da wäre z.B. das Musikfest in Waidhofen/Thaya [FW#39]. Hendl vom Holzkohlengrill, friedliche Atmosphäre, klasse Musik. Die Lässigkeit des Daseins atmen kann man immer noch am Besten bei den kleinen und mittleren Festivals, die quasi der Gegenpol zu den größenwahnsinnigen Festivals sind. [Kulturwoche, 07/2009]

Waidhofen eine Klasse für sich

Das Geheimnis des Musikfest Waidhofen, liegt zum einem an dem wunderschönen Festivalgelände, dem Thayapark, weiters an der familienfreundlichen Atmosphäre und last but not least an einem abwechslungsreichen Musikprogramm in den Sparten World Music, Jazz, Blues & Funk, welches qualitativ seit drei Dekaden auf äußerst hohen Niveau angesiedelt ist. Als äußerst gelungen kann man auch das extra für das Jubiläumsfestival gegründete 30th Anniversary Folk Club All Star Orchestra ansehen. 40 Musiker aus dem Waldviertel probten seit einem halben Jahr intensiv an einer musikalischen Poutpouri, die von Folk über Pop und Rock bis zum Jazz reichte. Anderorts hätte man unzählige Bedenken, ob das programmatisch zusammenpasst, in Waidhofen entscheidet solche Dinge das Publikum. Und das wertet nicht nach Kategorien oder Stilrichtungen, es wertet anscheinend nur nach Qualität. [Concerto, 4/09]

Hubert von Goisern

Hafenfest startete mit wenig Zuschauern

Zwei Sommer lang war Hubert von Goisern [FW#37] mit einer schwimmenden Konzertbühne als Linz09-Botschafter durch ganz Europa unterwegs. Im Rahmen des Hafenfestes präsentierte er die musikalischen Bekanntschaften, die er dabei gemacht hat. Knapp sieben Stunden Musikprogramm, moderiert vom Gastgeber in der für ihn typischen selbstironischen Goiserer Eloquenz, verlangten dem Publikum durchaus Kondition ab. Als musikalischer Iso-Drink erwiesen sich die bulgarische Gypsy-Brass-Band Karandila und die Sängerin Anita Kristi. Sie heizten dem Publikum tüchtig ein. [Oberösterreichische Nachrichten, 05.07.2009]

Kulturhauptstadt Linz09 im Romantikhafen

Die rumänische Pop-Prinzessin Loredana Groza, die ukrainischen Ska-Proleten von Haydamaki [FW#36], die Kölner Altrocker von BAP [FW#36], Haindling (bekannt durch „Du Depp“) und vor allem Hubert von Goisern verwirklichen ihren Traum von der Fusion der Stile, Rhythmen und Stimmen auf der Bühne. Die Ethno-Romantik-Show wurde ein schönes Fest für ihr gesetzt-alternatives Publikum. Mehr nicht. Denn sie blieb ein Minderheitenprogramm. Zur gleichen Zeit, als Hubert von Goisern in den Hafen lud, empfing die deutsche Punkrock-Band „Die Ärzte“ an zwei Konzertabenden auf der Linzer Gugl über 50.000 Besucher. [Die Presse, 06.07.2009]

Schluss, aus, doch nicht vorbei

Hubert von Goiserns Traum des musikalischen Zusammenrückens erfüllte sich im "Linz Europa Hafenfest". Die swingenden Volxjazzer Stelzhamma, Willi Resetarits & Stubnblues [FW#39], die peitschenden moldawischen Stimmungsmacher Zdob si Zdub [FW#36] sind sich der Leihgaben des Goiserer Kulturverbinders ebenso sicher wie Liedermacher Konstantin Wecker [FW#37], der sich mit dem grandiosen Linzer Spring String Quartett zu fetzig-feinen Neuinterpretationen seines Schaffens hochschaukelt. Als der Gastgeber, ganz in Weiß, zur großen, verbindenden Session die Bühne betritt, zwängt sich die Sonne durch die satten Wolken und taucht ihn in strahlendes Gelb. "I hoff, dass des Durcheinaund a weng größer wird, durch die Reise", sagt der Musiknomade. [Oberösterreichische Nachrichten, 07.07.2009]

Zdob si Zdub

Die masochistische Ader geerbt

"Ich bin eine sehr gute Interpretin", erklärt sie. "Und ich mag auch nicht mehr selbst Songs schreiben. Vielleicht, weil ich für so viele Jahre Schmerz und psychologischen Masochismus als kreativen Ansporn benutzt habe. Das will ich jetzt aber nicht mehr, weil es so ungesund ist. Jetzt habe ich mit all dem aufgeräumt, benütze Freude als Ansporn. Das ist gesünder - aber schwieriger." Als Großnichte von Leopold von Sacher-Masoch, dem Namensgeber des Masochismus, glaubt Marianne Faithfull [FW#30], dass ihr die selbstzerstörerische Ader in den Genen steckt, dass sie zumindest "Elemente" davon vererbt bekam. Elemente, die sie eine lange Zeit ihres Lebens im Drogenrausch verbringen ließen. "Heute aber glaube ich eher an ein gewisses Schicksal, weil ich all das überlebt und nie eine Überdosis erwischt habe. Und weil ich meine Freunde behalten konnte. Wir hatten ja auch eine wunderbare Zeit zusammen. Beinahe hätte sie mich zerstört, aber die Erfahrung war es wert." [Kurier, 29.06.2009]

Apropos Sex, Mrs. Faithfull

Marianne Faithful Auf dem Cover Ihres neuen Albums „Easy Come, Easy Go“ prangt der Hinweis „18 Songs For Music Lovers“. Weshalb? Ganz simpel – um das falsche Publikum gleich von vornherein abzuschrecken. Ich verlange von meinen Hörern, dass sie sich eingehend mit meinen Aufnahmen auseinandersetzen. Ich produziere ja kein Hintergrundgesäusel für romantische Abende.
Ihr Kurt-Weill-Album „Seven Deadly Sins“ spielten Sie in Wien ein. Was lockte Sie damals? Natürlich die Möglichkeit, mit diesem Radiosymphonieorchester unter der Leitung von Dennis Russell Davies aufnehmen zu können. Zudem die ewige Faszination Kurt Weill. Seine Sachen sind zu jeder Zeit relevant. Das ist schon faszinierend. Der hält sich besser als Brecht.
Welche Stellenwert haben melancholische Songs in einer Welt, die hektische Fröhlichkeit produziert? Mich fragen die Menschen schon seit Jahrzehnten, warum ich so viele traurige Lieder singe. Die Antwort ist einfach: weil ich das am besten kann. Niemand kann permanent glücklich sein. Der Mensch braucht auch hier seine Pausen. Ich vertraue darauf, dass manch einer dann und wann in ein einsames Kämmerchen geht und dunkle Musik hört. [Die Presse, 28.06.2009]

Am besten ist sie mit Pistole im Koffer

Heute hat der Rückblick alle Tändelei verloren, ist schwer und ernst geworden, wie der letzte Song, den Faithfull in Wien sang: „Sing Me“ mit dem Refrain „Please take me away and turn back the years: Sing me back home before I die“. Das ist Nostalgie ohne billigen Trost, ohne Leichtlebigkeitsattitüde. Am besten ist Marianne Faithfull wie eh und je im bitteren, tragischen Fach. Die Band begleitete auch solche Wanderungen durch Abgründe nuancenreich und routiniert, virtuos und wohlklingend – Schlimmeres kann man über die sieben Musiker nicht sagen, aber das reicht. Man hätte sich ein raueres, weniger perfektes, nicht mit allen Wässerlein gewaschenes Ensemble gewünscht, einen Schlagzeuger, der nicht in jeder Sekunde genau die passenden Schläge appliziert, einen Gitarristen, der nicht in einem Song mehr richtige und geschmackvolle Töne findet als Keith Richards während einer ganzen Tournee. [Die Presse, 06.07.2009]

Ein Protestsong dauerte mindestens 8 Minuten

Mit seinem breiten Grinsen, dem geschmeidigen Hüftschwung und dem samtigen, aber entschlossenen Ton am Altsaxofon könnte Seun Kuti auch das Schlagerpop-Territorium zwischen Lionel Richie und Tom Jones beackern. Doch der 26-jährige Sohn des Afrobeat-Erfinders Fela Kuti hat einen anderen Auftrag: Er sieht sich als Botschafter Afrikas, als Polit-Aktivist und als Nachfolger seines Vaters. Beim Jazzfest Wien stellte Kuti die Sogwirkung der rhythmisch komplexen Musik bravourös unter Beweis. Ob dieser Mix auch abseits des Tanzbodens mobilisieren kann, blieb fraglich. [Kurier, 08.07.2009]

Das riecht nicht nach Chanel

Mit viel Seele singt er über die unhaltbaren Zustände auf dem afrikanischen Kontinent. Als kleinen Hinweis dafür, wie gut es uns geht, ruft er ein sarkastisches „I smell Chanel“ ins Publikum. Das war bald in Trance gespielt. Kutis explosive Tänze ließen ahnen, warum früher bei vielen Stämmen Krieg und Tanz zusammengehörten. Wäre der Sound nicht so katastrophal gewesen, hätte es ein unvergesslicher Abend werden können. Die Arkadenhöfe des Wiener Rathauses entpuppten sich zum wiederholten Male als tontechnisch nicht beherrschbar. [Die Presse, 08.07.2009]

Roland Neuwirth

"I bin halt ein Melodienmensch"

Ein Ausflug lohnt ins nördliche Waldviertel. Denn aus Litschau im Bezirk Gmünd stammt Kaspar Schrammel, der Vater der berühmten Wiener Schrammeln, die dieses Musikgenre Ende des 19. Jahrhunderts in Wien begründet haben. Last but not least wird im nagelneuen Herrensee-Theater Roland Neuwirths "Und das bei uns!" uraufgeführt, eine Verbindung von moderner Schrammelmusik und Operette. "Wenn man uns nicht mit Franz Lehár verwechselt, haben wir schon gewonnen", sagt Neuwirth. "Wir mögen keinen süßen Wein." Herb soll's klingen - eben wie guter Wein schmeckt. "Und net siasslert." Musikalisch sei hoffentlich alles drin in seinem Stück, das - Parodie, Satire, Komödie, Singspiel, Operette und Schwank in einem - Volksverblödung, skurrilen Regionalpatriotismus und hemmungslose Profitgier auf die Schaufel nimmt. Gerade die Schrammeln, wie man sie kennt, "schmalzig, mit dem langsamen Schleuderer am Griffbrett", sind Neuwirth "wichtig. Das ist Schrammeln als Lebenshaltung. Mich interessieren ja nicht die Noten. Wichtig ist, was dazwischen passiert. Großartige Melodien gehören zelebriert. Ich kann nicht raus aus seiner Haut. Ich bin halt ein Melodienmensch." Es fahrt, wie der Wiener sagt, es geht ins Gmüat'. Man braucht keine vier Viertel Wein, um die bluesigen Harmonien, das Wienerische, das langsame Vibrato und die groovigen Elemente zu spür'n. Das klingt nie abg'schleckt, das hat kein Lehár g'schriebn. [Kurier, 09.07.2009]

B.B. King

Wohlstands-Blues im edelsten Juke Joint der Stadt

Dass er sich von den existenzialistischen Formen des Genres längst hin zum Wohlstands-Blues entwickelt hatte, machten schon die Rahmenbedingungen klar. B.B. King gastierte im großen Juke Joint des Wiener Konzerthauses. Das bedeutete im Saal wie auf der Bühne feines Tuch, Prosecco vor dem Konzert und pflichtbewusstes Jazz-Klatschen nach diversen Soli der achtköpfigen Begleitband. Im Zentrum des Geschehens saß der 83-jährige gutmütige Riese mit seiner Gitarre "Lucille" und ließ diese weinen, jubilieren - oder pausieren. Nämlich wenn er zu singen begann und G'schichtln druckte. King ist ein ebenso überzeugender Storyteller wie Gitarrist. Standing Ovations, während derer er erklärte, warum er sitzen würde: "Bad knee, bad back and the head no good either." [Der Standard, 20.07.2009]

„Trotz alledem die Liebe wagen!“

Wolf Biermann Heute bleibt Wolf Biermann [FW#39] milde, beim Plaudern und beim Vortrag der alten Lieder, in denen seine Biografie so eng mit der deutschen Geschichte verschränkt ist. Der 72-Jährige weiß es und schiebt eine Reflexion darüber ein, dass die alten Texte heute eine andere Funktion haben – „Schichten in geschichtlicher Endlagerung“ –, dann zeigt er doch einmal, was sie früher für ihn waren, faucht und jault los wie einst und gibt der Gitarre freie Disharmonie. Er will sich, „nicht verpissen aus dem Streit der Welt“. Aber er tut es, gegenwärtige Freiheitskriege haben keinen Platz im Programm, nicht den kleinsten. Er klebt an seinen alten Schlachten, so haben sie ihn doch noch in Haft genommen, es bleibt beim Erinnern und der Milde. [Die Presse, 22.09.2009]

Interkulturelles im Konzerthaus

Die musikalische Vielfalt der Türkei bringt das zweitägige Festival Spot On: Turkey Now ins Wiener Konzerthaus. Und diese Vielfalt speist sich aus Wurzeln, die jedem Wiener wohlbekannt sein müssten: Denn die osmanische Musik, die "früher in den Palästen zu hören war", sei eine "reiche kulturelle Mischung" mit u.a. jüdischen, Roma- und Balkan-Einflüssen, sagt der Darbuka-Spieler Misirli Ahmet. [Standard, 21.09.2009]

The Sound of Wehmut

Es gab eine Zeit in der Türkei, "da hatten die Hochzeiten immer zwei volle Tage gedauert" , erinnert sich Selim Sesler ein wenig wehmütig. Opulente Feste seien das gewesen, "doch das Ganze ist vorbei", so der Klarinettist, weshalb "ich auf Hochzeiten nicht mehr spiele. Macht keinen Spaß mehr." Sein melancholisch-rauer Zugang zur Musik hat sich allerdings schon international etabliert. So landete Sesler, der am Sonntag ins Konzerthaus anreist, einst auch in New York, doch in der vollen Carnegie Hall machte sich Verkrampfung breit. "Das Publikum war gemischt, da waren Amerikaner und Türken. Doch alle saßen wie bei einem klassischen Konzert da. Es war leise, sie hörten andächtig zu. Irgendwann habe ich zum Mikro gegriffen und den türkischen Teil des Publikums gebeten, den amerikanischen Gästen auszurichten, dass wir doch alle hier seien, um Spaß zu haben. Am Ende tanzten alle." [Standard, 09.10.2009]

Selim Sesler

Wechselvoller Kulturaustausch

Wie schon im Vorjahr im Zuge von Spot On Jiddischkeit geriet am Wochenende im Wiener Konzerthaus auch der zweite saisoneröffnende Länderschwerpunkt zum Publikumserfolg. Während das extravertierte Taksim-Trio mit Hüsnü Senlendirici (Klarinette), Ismail Tuncbilek (elektrische Baglama-Laute) und Aytac Dogan (Kanun/Zither) Volksmusik mit der Lässigkeit und der Dezibelstärke eines Instrumental-Rock-Trios zelebrierte, forschte Vladimir Ivanoffs Münchener Ensemble Sarband gemeinsam mit dem Concerto Köln nach historischen Vorläufern des osmanisch-okzidentalen Kulturaustauschs: Vor allem in der direkten Gegenüberstellung von Mozarts Deutschen Tänzen und den "geistlichen" , Derwisch-Musik integrierenden Walzer-Kompositionen Dede Efendis war dies ein hörenswerter historischer Beitrag. [Standard, 12.10.2009]

Das Konzerthaus liegt am Bosporus

Mürrisch blickt er auf seine beiden türkischen Musikerkollegen herab, die sich ungeniert vor ihm aufgebaut haben. Fast scheint es, als fühlte sich der steinerne Ludwig van ein wenig unwohl dabei, dass das Konzerthaus für zwei Tage nicht am Stadtpark lag, sondern am Bosporus. Ganz im Gegensatz zum Publikum, das auf einige Programmpunkte des Saisonauftaktfestivals Spot on: Turkey now mit Begeisterungsstürmen reagierte. Etwa auf die mitreißende Darbietung des Klarinettenvirtuosen Selim Sesler, der mit seiner Band erst nach fünf Zugaben in den Feierabend entlassen wurde. Klarinette, Kanun (ein Zitherverwandter), diverse Lauteninstrumente, Geige und Percussion – aus diesem Instrumentarium schöpften die traditionell grundierten Ensembles (neben Sesler das furiose Taksim-Trio oder das Sextett Sarband) ein vielgestaltiges Spektrum musikalischer Möglichkeiten. [Die Presse, 13.10.2009]

Heute beginnt das Musikfestival Salam Orient

Diesmal reicht er von Mali bis Japan, der Orient, jener ungreifbare Raum, der laut dem palestinensisch-amerikanischen Kulturtheoretiker Edward Said nur als Produkt westlicher Fantasie existiert. Das Festival Salam Orient hebt unverdrossen neuerlich an, klingende Brücken in jenes imaginäre Terrain zu bauen. Mali kommt in Gestalt der Tuareg-Wüsten-Blueser Tinariwen [FW#38] nach Wien. Davor harrt der tunesische Oud-Meister Anouar Brahem seines Einsatzes. Auch heimische Sänger-Poeten kommen zu Wort: Marwan Abado [FW#23] präsentiert die neue CD Nard. Und die Eröffnung bestreitet der algerische Wahl-Wiener Kadero El Hamadoui samt Vienna Rai Orchester und Gast Otto Lechner [FW#32]. Denn genau genommen beginnt ja der Orient (auch) in Wien. [Der Standard, 13.10.2009]

Filmmusik-Festival: To the End of Love

Christina Zurbrügg Zum 80-jährigen Jubiläum des Tonfilms haben sich die Veranstalter des Filmmusik-Festivals To The End Of Love ein ganz besonderes Motto ausgedacht: Songs mit Akkordeon - von den Anfängen des Tonfilms bis in die Jetzt-Zeit. Kaum ein Musikinstrument drückt Sehnsucht, Melancholie und Poesie besser aus. Die erste Harmonika taucht in argentinischen Filmen mit dem Tango-Sänger Carlos Gardel auf. In deutschen Filmen der nationalsozialistischen Zeit findet sie sich ebenso wie in der jüdischen Klezmer-Musik, im amerikanischen Western, dem deutschen Schlagerfilm und als "accordéon" natürlich im französischen Film. Heute erlebt das Akkordeon einen neuen Aufschwung in der Filmmusik mit Regisseuren großer Kinofilme wie Emir Kusturica, Pedro Almodovar und Jean-Pierre Jeunets "Amélie". [Kurier, 05.10.2009]

Der Wiener Drehleiervirtuose wird uns mit seiner Formation Bilwesz noch einmal weiter unten begegnen. Aber die Wiener reisen nicht nur nach Deutschland, umgekehrt kommen auch Künstler aus aller Welt in die Donaumetropole. Vom deutschen Duo Andima und dem mazedonischen Kornettisten King Naat Veliov wird noch die Rede sein, Konzerte von Musikern wie Marianne Faithfull, Tinariwen, dem Boban Markovic Orkestar oder Danar (siehe wenigstens die CD-Rezension -> FW#40) blieben unbesucht.

Ein ganz besonders schöner Ort für eine Veranstaltung ist das Metropol im 17. Bezirk Hernals. Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts hat hier ein Bäckermeister aus Würzburg einen Saal errichtet, in dem volkstümliche Veranstaltungen wie Bälle, Spanferkelessen und Ringkämpfe stattfanden. Um 1900 war Hernals das Vergnügungsviertel von Wien. Vor rund 30 Jahren wurden die um die Jahrhundertwende erbauten Räumlichkeiten renoviert und restauriert.

Uiscedwr, Irish Spring Festival 2009

Uiscedwr @ FolkWorld: FW#39, #39

Icon Sound www.myspace.com/uiscedwr

Icon Movie @ www.youtube.com

www.uiscedwr.com

Der ganze Tag war brütend heiss, auch das Gewitter konnte keine Erlösung bringen. Als Anna Esslemont dann auf die Bühne des Metropols tritt und sagt ich bin heiss, geht einigen Herren prompt die Fantasie durch. Das britische Trio Uiscedwr um die sympathische Geigerin und Sängerin spielt eine heiße Melange aus jazzigen Instrumentalstücken und swingenden Folkpopsongs. Irgendwie keltisch, aber modern und experimentell. Perkussionst Cormac Byrne spielt ein fulminantes Bodhran-Solo, das in dem Queen-Klassiker "Another One Bites the Dust" gipfelt. Auch ohne Worte und Melodie erkennt es jeder; es ist überhaupt das enthusiastischste Publikum, das ich je in Wien erlebt habe.

Im Metropol werden im Herbst u.a. noch fünf Tage hintereinander die Dubliners [FW#23] (und ein göttliches Bier namens Guinness), eine Scottish Folk Night, sowie der holländische Bluesman Hans Theessink, der in Wien sein zuhause gefunden hat, die Menge toben lassen.

Apropos, Theessink ... wir wollen vorerst noch im Sommer bleiben: Auf der Donauinsel finden die 5. Afrika-Tage Wien statt. An 10 Tagen kann man Kunst und Kultur Afrikas mitten in Wien zu erleben: ein großer Bazar mit Kunsthandwerk, kulinarischen Spezialitäten des schwarzen Kontinents, Kamelreiten für die Kinder ... Musikalisches Highlight ist die amerikanische Soul- und Jazz-Chanteuse Marla Glenn. Hans Theessink tritt mit dem Keyboarder Roland Guggenbichler (u.a. MoZuluArt) und dem Gesangstrio Insingizi aus Zimbabwe auf. Tanzbarer Blues - aber trotz rock the boat ist der slow train Theessinks bevorzugtes Fortbewegungsmittel. Der Sambesi erweist sich als der alternative Gegenentwurf zur schönen blauen Donau.

Veranstaltungen wie die Afrika-Tage sind allein deshalb wichtig, weil man einen kurzen Augenblick tatsächlich glauben möchte, dass friedliches Zusammenleben zwischen den Menschen doch keine Utopie sein könnte.

Hans Theessink, Afrika-Tage

Hans Theessink @ FolkWorld: FW#33, #35, #38

Icon Sound Zambezi, Bridges, Brand New Dawn

Icon Movie @ www.youtube.com

www.theessink.com

Wenn Mutter Fadesse und Vater Herdentrieb Nachwuchs bekommen, heißt er Eventkultur: Ein Theater- oder Konzertbesuch genügt den Leuten nicht mehr. Wie die Heuschrecken müssen sie durch die Straßen fluten, von einer Location zur nächsten hetzen, scheinbar willentlich und trotzdem ferngesteuert: Was für ein Spaß, nein, was für ein Fun - ein großer, gemeinsamer, einsamer Fun ...

... schreibt der Wiener Krimiautor Stefan Slupetzky in einem seiner gelungenen Lemming-Romane (die gerade im Kino laufende Verfilmung seines ersten Lemmings enthält Musik von den Strottern, s.u.). Viel anders mache ich es auch nicht, als ich an einem lauen Mittwochabend durch den 1. Bezirk tigere.
King Naat Veliov

King Naat Veliov @ FolkWorld:
FW #19, #24, #26, #36

Icon Sound Speed, Peking Delire

Icon Movie @ www.youtube.com

www.kingnaatveliov.com.mk
Auf dem Rathausplatz spielt
King Naat Veliovs Original Kocani Orkestar, bekannt aus Emir Kusturicas Film "Time Of The Gypsies", im Rahmen des Jazzfestes Wien. Vor der historistischen Kulisse des Rathauses werden ein paar weltmusikalische Schmankerl, wie z.B. der mazedonische Trompeter, bei freiem Eintritt präsentiert. Die Infrastruktur ist eh vorhanden, da hier im Sommer ein Open-Air-Kino stattfindet.

Weiter geht's. Auch die Literatur hat in Wien ein Open-Air-Festival. Die O-Töne präsentieren Literatur aus Österreich im Hof des MuseumsQuartiers. Zur Eröffnung stellen Ernst Molden, der Dylan von Döbling, und Willi 'Ostbahn-Kurti' Resetarits ihr neues gemeinsames Album "Ohne Di" vor. Vollständig im Wiener Dialekt; das ist deshalb erwähnenswert, weil der Molden bislang im Hochdeutschen gedichtet und gesungen hatte.

Moldens neue Sachen haben live mehr Pepp als auf Platte, die dort wesentlich zurückhaltender daherkommen. Als hätten die Lieder jetzt erst zu sich gefunden. Die Texte sind nach dem Townes-Van-Zandt-Motto: Die meisten meiner Lieder sind traurig, manche aber sind hoffnungslos. Typisch wienerisch halt.

Molden und kein Ende. Ganz kurzfristig erscheinen immer wieder Konzerttermine auf seiner Website. So auch der jährlich stattfindende Abend im Park rund um den Donauweibchenbrunnen im Wiener Stadtpark. Der Stadtpark erstreckt sich zwischen dem 1. und dem 3. Bezirk. Schon im Biedermeier war das damalige Wasserglacis vor den Stadttoren ein beliebter Unterhaltungsort. 1862 wurde hier die erste öffentliche Parkanlage Wiens eröffnet.

Mit dem vergoldeten Standbild von Johann Strauß Jr. steht im Stadtpark eines der am meisten fotografierten Denkmäler Wiens. Die Fotoapparate japanischer Provenienz sind aber nicht nur auf Strauß gerichtet, und ich argwöhne, dass manch Tourist vielleicht Molden mit dem Walzerkönig verwechselt hat. Im Vorprogramm spielen der Waldviertler Blues-Gitarrist Alex Miksch Coverversionen von Dylan und Hendrix im Dialekt und der in London lebende Robert Rotifer österreichischen Britpop.

Molden konzertiert am liebsten im Sommer, seiner favorisierten Jahreszeit, und es ist ein schöner Sommerabend. Er spielt heute zumeist Stücke von seiner vorletzten Platte "Wien" und seiner aktuellen Zusammenarbeit mit Willi Resetarits. Als sich zum Schluss die Moldenband mit Miksch und Rotifer zum Grande Finale einfindet, meint er launig: Ich wollte schon immer mal vier E-Gitarren auf Johann Strauß richten.

Ernst Molden Band ft. Willi Resetarits @ Museumsquartier

Austro-Blues: Es ist Sommer, und wir sind am Heustadlwaser

Der Sender steht am Kahlenberg, der Heurigen am Bisamberg, das Haus vom Onkel Ernst am Nussberg. Schule geschwänzt wird im Stadionbad, gestorben an der Donau, zwischen Kritzendorf und der Kuchelau. In Ernst Moldens Liedern (wie auch in seinen Romanen) passieren die Dinge nicht irgendwo in der Welt, sondern an ganz konkreten Plätzen, an Orten mit allen ihren Geistern, ihren Erinnerungen. Er legt sich lokal fest. Und ist damit in einer großen Poptradition, die der heutige österreichische Pop leider oft vernachlässigt. [Willi] Resetarits, der so viele Jahre lang die Texte Günter Brödls als „Ostbahn-Kurti“ sang und verkörperte, hat in Molden wieder einen dichtenden Partner gefunden, der Gefühl für (Vor-)Orte und Jahreszeiten hat – und für das Wienerische, den empfindlichsten aller österreichischen Dialekte. Wobei dieses für Molden, das in die Bohème gewanderte Bürgerkind, eine Zweitsprache ist, in der er nie ganz daheim ist; er gaukelt dem Hörer auch keine Sesshaftigkeit vor, er spielt mit den Nuancen, entscheidet sich von Song zu Song anders zwischen Untersievering und Hernals, zwischen Erdberg und Spittelberg. Blues und Wienerlied leben miteinander in der ganz selbstverständlichen Wohn- und Lebensgemeinschaft, die man als „Neues Wienerlied“ kennt. Ernst Molden ist mittlerweile der subtilste, präziseste, beste Texter dieses Genres. [Die Presse, 07.07.2009]

Ernst Molden Band @ Stadtpark

Molden und Resetarits: "ohne di"

Vier Herrschaften - ein bisserl g'scheiter und auf jeden Fall fantasievoller als viele andere - tun sich zusammen. Musikalisch zumindest ist das ein Fest, wenn auch ein melancholisches. Manchmal wird es sogar richtig abgrundtief traurig, wie es sich bei Festen eben so ergibt. Schuld daran ist vor allem einer unter ihnen. Er lässt es sich nicht nehmen, so beiläufig an die menschlichen Abgründe anzustreifen, als ob nichts wäre und daneben noch die Leichtigkeit des Seins zu beschwören, als lebten wir nur einen Tag lang. Saftige Sprachbilder schwimmen da mit Leichtigkeit wie Fettaugen auf der musikalischen Suppe. Die ist ebenfalls gut gewürzt, eher herb denn leicht, und sorgt unter anderem dafür, dass das Ganze ist, was es ist: Eine Allianz von Blues und Wienerlied mit dem Rhythmus der akustischen Gitarre, die Molden spielt, dem Sirren und Zerren der elektrischen Gitarre von Wirth, der säuselnden Zieharmonika von Walther Soyka und Molden und Resetarits, die es miteinander im Gesang probieren. [Der Standard, 26.07.2009]

Ernst Molden Band ft. Alex Miksch & Roland Rotifer @ Stadtpark

Molden @ FolkWorld: FW #38, #39, #40, #40

Icon Sound Eiserne Hand, Fleischhauer, Hammerschmidgossn, De Beag, Sog Wos D Wusd

Icon Movie @ www.ernstmolden.at

Zum Abschluss dieses Teils erlaube ich mir nur noch die Bemerkung, dass das die O-Töne im August mit einer Lesung des gefeierten Krimiautors Wolf Haas geendet haben. Für den Krimileser gibt es dann noch die 24 Stunden der Literatur in einem Zelt am Burgtheater (ich sehe auch Molden herumschleichen), sowie die Kriminacht im Oktober. Das erwähne ich auch deshalb, weil die Figur des Ostbahn-Kurti der Held einer Reihe von Krimis aus der Feder von Günter Brödl ist. Allerdings ist meiner Meinung nach Brödl ein besserer Liedertexter als Krimiautor, und Ostbahn-Kurti (aka Willi Resetarits) ein besserer Sänger als Ermittler.

Wackelsteinfestival, 17.-19. Juli 2009, Amaliendorf  

Bilwesz, Wackelsteinfestival 2009
Ranarim, Wackelsteinfestival 2009

Wackelstein Festival Wegweiser

Bilwesz @ FolkWorld:
FW#29, #32

Icon Sound Loser, Amour

Icon Movie @ www.youtube.com

www.bilwesz.de

Ranarim @ FolkWorld:
FW#18, #18, #27, #38

Icon Sound @ www.ranarim.se

Icon Movie @ www.youtube.com

Wackelsteinfestival @ FolkWorld: FW#34, #37

www.wackelsteinfestival.at

photo: www.filmsite.org Zurück zur Musik. Oder zumindest zur Verbindung von Krimi und Musik. Und in Wien denkt man dann an die berühmte Zithermelodie von Anton Karas, die den genialen Soundtrack für den Nachkriegsfilm Der dritte Mann bildet (von der Karas mehr Platten verkauft hat als Johnny Cash mit seinem Gesamtwerk). Der Film wurde in diesem Jahr 60. Im Burgkino am Opernring läuft er dreimal in der Woche in der Originalversion; das Dritte-Mann-Museum in der Nähe des Naschmarkts informiert über den Film und seine Rezeption, zeigt Anton Karas Zither und gewährt einen interessanten Einblick in die Wiener Nachkriegsgeschichte. Um aus dem Film zu zitieren: This collection is quite a ... collection.

Montags und Freitags nachmittags findet die Dritte-Mann-Tour statt, die ausgehend von der U-Bahn-Station am Stadtpark auf den Spuren des Penicillin-Schmugglers Harry Lime (Orson Welles) zu Original-Schauplätzen führt: Zitherspielerin, Dritte-Mann-Tour der überbaute Wienfluss (wo die Kanalszenen gefilmt worden sind) und der Kanaleinstieg, das Hotel Sacher und das Cafe Mozart, sowie die Augustinerstraße Nr. 5 (Harry Limes Wohnung; im Film heisst die Adresse Stiftgasse 15, aber die 5 ist groß zu sehen). Am Hof gibt es witzigerweise ein Geschäft namens Harry & Sons, und beim Abschluss der Tour in der Schreyvogelgasse klimpert rein zufällig eine junge Dame auf der Zither Anton Karas "Harry-Lime-Theme" ...

Langsam zieht aber der Herbst in der Stadt ein. Im Stamm-Cafe jenseits der Donau - in Transdanubien, wo sich nur die Mutigsten hinwagen (bzw. ich meine Schafstelle habe) - findet nun ein toller sonntäglicher Brunch statt. Es gibt nicht nur gutes Essen, sondern es wird auch das Beste der Wiener Jazzszene aufgefahren. So zum Beispiel das Diknu Schneeberger Trio. Das Trio um den Gitarristen Diknu Schneeberger (sein Vater Joschi am Kontrabass und Gitarrist Martin Spitzer) spielt Gypsy Swing im Geiste Django Reinhardts. Rasant und virtuos; um so bemerkenswerter, wenn man weiss, dass Diknu Schneeberger Jahrgang 1990 ist.

Wiener Tschuschenkapelle, photo:www.tschuschenkapelle.at Ein kleiner Laden am Kardinal-Nagl-Platz im 3. Bezirk hat ein Schild in der Tür: Einkauf auch in Ö-Schilling! Ewiggestrige kommen aber nicht zum interkulturell-musikalischen Straßenfest des Clubs Zentral Europa. Und welche Musikgruppe könnte besser für Völkerverständigung werben als die Wiener Tschuschenkapelle. Tschusch, so heißt bei bigotten Wienern der Mensch aus Südosteuropa, obwohl die Vorfahren des Beleidigers selber erst vor zwei bis drei Generationen aus Böhmen oder anderen Weiten des Habsburgerreiches nach Wien gekommen sind. Drum heißt es in dem Witz: I haß Kolaric, du haßt Kolaric, warum sagens zu dir Tschusch?

Die Tschuschenkapelle um Sänger und Gitarrist Slavko Ninić, die in diesem Jahr ihr 20jähriges Jubiläum feiert, spielt Lieder und Instrumentalstücke aus den Balkanländern, der Türkei und Griechenland. Aber man ist lang genug in Wien zuhause und man heist ja auch WIENER Tschuschenkapelle, so darf das tulli g'stellte Maderl nicht fehlen, und so groß ist der Unterschied zwischen 3/4- und 7/8-Takt nun auch wieder nicht. Das Motto der Gruppe heisst ganz selbstverständlich: lieber tanzen und saufen als Krieg führen!

20 Jahre Wiener Tschuschenkapelle: Tradition erhalten und einen Schritt weitergehen

Wiener Tschuschenkapelle: Hidan Mamudov & Slavko Ninić Es war ein ereignisreiches, bedeutungsvolles Jahr, in dem die Tschuschenkapelle gegründet wurde. Viel Wasser ist seitdem die Donau hinunter geflossen, und in vielerlei Hinsicht ist auf dem Weg zum Schwarzen Meer kein Stein auf dem anderen geblieben. Seit 20 Jahren gibt es die Formation um Slavko Ninić nun dieses Jahr. Begangen wird das Jubiläum mit Konzert-Festivitäten und einem „Tschuschenfilm“. Von einem musikalischen Balkanboom konnte keine Rede sein, als Slavko Ninić, dessen Familie ursprünglich aus Bosnien stammt und der in Slawonien aufgewachsen ist, 1972 nach Wien kam. Wohl aber von einem anderen Boom. Es war die Zeit, in der es gerade eine Woche dauerte, um eine Arbeitsgenehmigung in der Hand zu halten. Die Konjunktur machte es möglich. 3 Monate mühte er sich mit Krampen und Schaufel, Kräne waren damals eher unbekannt. Dann war es genug, und er schaffte sich eine Gitarre an. Viele Besetzungen hat die Kapelle im Laufe der Jahre erlebt, und viele Musiker haben auf den CDs mitgewirkt. Zu den Bekanntesten zählen Krzysztof Dobrek und Martin Lubenov. Die aktuelle Tschuschenkapelle rekrutiert sich aus verschiedenen Ländern Südosteuropas und spielt nun schon eine ganze Weile zusammen. Neben Slavko Ninić - dem Mann mit dem Hut -, der wie seit eh und je mit feinem Witz und Ironie die Moderation übernimmt, singt und die Gitarre spielt, finden sich Maria Petrova (Perkussion), Mitke Sarlandziev am Akkordeon, Hidan Mamaduv (Klarinette, Saxofon, Gesang), und Jovan Torbica am Kontrabass. Nach wie vor setzt sich das Repertoire vorwiegend aus Liedern der Balkanländer zusammen. Von kroatischen Volksliedern über die bosnische Sevdalinka, türkisch orientalischen Stücken bis hin zum griechischen Rembetiko. Aber auch Russisches findet sich, und die speziell eingestreuten alteingesessenen Wienerlieder werden auf die spezielle Tschuschenart intoniert. Weit ist sie schon herumgekommen, die Tschuschenkapelle. Doch noch nie war sie in jenen Ländern, aus denen viele ihrer Lieder und die meisten der aktuellen Bandmitglieder stammen. Der Plan, eine Tournee durch die Länder Ex-Jugoslawiens zu machen, liegt schon einige Jahre zurück und reifte langsam. Die Reise fand dann voriges Jahr nach längerem Überlegen und auch persönlichen Bedenken einzelner beteiligter Personen schließlich doch noch statt. Jedenfalls ist die Kapelle gut angekommen in Belgrad, wo sie in einem Fernsehstudio von einem gestylten Publikum nahezu wie Exoten bestaunt wurden. Etwas anders gestaltete sich der Auftritt in der gar nicht weit entfernten Roma-Gemeinde Mladenovac, wo die Tschuschenkapelle von einem Lastwagenanhänger runter spielt, die Bevölkerung rege teilnimmt und ein Volksfest organisiert. Der Höhepunkt der Reise [findet sich] in Bosnien-Herzegovina, der Heimat der Sevdah- oder Sevdalinka-Musik, die hierzulande noch weitgehend der Entdeckung harrt. Es ist eine melancholische Musik, die auf eine Art durchaus mit Fado oder Rembetiko verglichen werden kann. Mit der Bezeichnung Balkan-Blues liegt man jedenfalls nicht daneben. [Concerto, 4-09]

Wiener Tschuschenkapelle @ FolkWorld: FW#6, #13, #21, #28, #35

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Wenn man durch die Straßen Wiens rennt, bekommt das Wort vom Alten Europa wirklich Sinn: der schmuddelige Charme des Einfallstors in den Osten steht im Gegensatz zu den geleckten Fassaden des Hochglanzwestens. Viele Gassen sind nicht eigentlich schön zu nennen, aber was zählt ist das Herz und nicht die Verpackung. Und so passt auch das Duo Andima mit seinem Motto Musik aus dem alten Europa bestens nach Wien. Und nicht in einen coolen, seelenlosen Jazzclub mit Neonbeleuchtung, sondern Sandras Salon am Karmelitermarkt im 2. Bezirk, der selbsternannt best Jazzcorner of the Karmelitergrätzl.

Martina Eisenreich

Martina Eisenreich & Andreas Hinterseher
@ FolkWorld:
FW#30, #33, #34, #37, #38

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Das Duo besteht aus Geigerin Martina Eisenreich (Rudi Zapf Trio, Lauschgold) und Pianoakkordeonist Andreas Hinterseher (Quadro Nuevo), plus Perkussionist Wolfgang Lohmeier (mit einem Schlagwerk Marke Eigenbau) und Hündchen Luna zur seelischen Unterstützung. Manche Stücke sind jazzig und swingend, andere rasant, dass die langen roten Haare flattern, wiederum andere filigran, dass der Geigenbogen kaum die Saiten berührt.

Die Dynamik und Ausdrucksfähigkeit beider Musiker verschlägt einem den Atem: Musette, Walzer, Tango, Klezmer, sowie Filmmusiken, eigene und fremde. Für ihre Filmkompositionen darf Martina Eisenreich bereits einen Academy Award ihr eigen nennen, und John Williams Soundtrack zu "Schindlers Liste" passt bestens in die Leopoldstadt (FW#39). Zwar wären mehr Zuhörer dem Konzert zu wünschen gewesen, aber die, die da waren, waren begeistert. Der böse Nachbar im Obergeschoss ist ned daham, also dürfen sie länger spielen; das letzte Lied ist dann doch unplugged und mit Strohgeige, weil oben das Licht angegangen ist.

Eine Strohgeige treffe ich tags drauf wieder in unmittelbarer Nähe zum Schloss Schönbrunn, im Technischen Museum Wien. Dieser Instrumententyp wurde um 1900 von John M.A. Stroh für Schallplattenaufnahmen entwickelt, heute findet es sich als Folkinstrument in Rumänien. Strohgeige @ Technisches Museum Wien Es stellt sich heraus, dass die Musikinstrumentensammlung des Technischen Museums interessanter ist, zumindest pädagogisch wertvoller, als die Sammlung alter Musikinstrumente in der Hofburg. Das Technische Museum feiert heuer einen runden Geburtstag; vor genau hundert Jahren legte Kaiser Franz Josef den Grundstein für das Museumsgebäude. Anschließend kann man, erschlagen von so viel Wissenschaft und Technik, einen Spaziergang durch den frei zugänglichen Park von Schloss Schönbrunn machen; von der Gloriette genießt man einen schönen Ausblick über den Garten und auf die Stadt.

Ich schweife ab, eigentlich wollte ich das Technische Museum schon früher besuchen. Den Auftakt des Wean hean-Festivals im Technischen Museum hatte ich aber verpasst, mein Nine-to-five-Job ließ mich nicht rechtzeitig los. Dabei klang es äußerst vielversprechend:

Elektrisch muass wean: Gehören Sie noch zu jenen, die der „guten, alten“ Glühbirne nachtrauern? Oder schon zu denen, die die neuen Energiesparlampen lieben? Nun ja. Beim Eröffnungsabend von wean hean im 100 Jahre alten Technischen Museum macht das eh keinen Unterschied: Denn hier glühen alle, aus welcher Zeit sie auch immer stammen, mit derselben Leidenschaft: Sei es der „gute, alte“ Kurt Girk, der sich seit Jahrzehnten ohne Rücksicht auf persönliche Energieverluste in den Wiener Heurigenlokalen heiß und heißer singt – frei nach dem Motto „Was Ihr Volt“. Oder die jüngere Generation, die ebenso unter Strom stehend immer neue musikalische Gewinde bildet – dabei aber mit Eigenleistung nicht spart und selbst historische Instrumente nicht matt aussehen lässt.
Gottseidank lief das Wienerliedfestival einen Monat lang und so konnten Gruppen und Interpreten wie Netnakisum [FW#38], Aufstrich [FW#38], Hannes Löschel [FW#35], und aus Linz das Duo Attwenger [FW#23] genossen werden.

Wienerlied versus Hardcore-Szene

Kollegium KalksburgRoland NeuwirthAufstrich, by Julia Wesely

Im heuer 100 Jahre alt gewordenen Technischen Museum startet am Dienstag zum zehnten Mal das Wienerlied-Festival Wean hean. Nicht als Rettungsaktion, vielmehr als Kontrapunkt zur "Hardcore"-Szene eines eher larmoyanten Liedverständnisses will Mitbetreiber Herbert Zotti das Festival verstanden wissen. Roland Neuwirth, Karl Hodina oder das Kollegium Kalksburg [FW#31] sind fixer Bestandteil des Festivals, das immer auch die Fühler nach neuen Gruppierungen und anderen europäischen Stadtmusiken ausstreckt. [Zotti] selbst war eigentlich von den vielen kitschigen Wien-Filmen "geschädigt", bis er in den 80er Jahren zufällig bei einem Heurigen auf den "Wiener Dudler" gestoßen sei, der ihm aber auch erst beim zweiten Besuch "zu faszinieren begann." Um die 70.000 Wienerlieder soll es laut Expertenmeinung geben. Ein Ausmaß, in dem sich "neben viel Kitsch", so Zotti, auch sehr bemerkenswertes findet. Vor allem die Texte aus den 20er und 30er Jahren haben es ihm angetan: "So witzig und g'scheit wurde selten getextet." [Kurier, 21.09.2009]

Die Strottern

Die Strottern @ FolkWorld:
FW#39, #39

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P.S.:
Die Strottern wurden Sieger der Amadeus Austrian Music Awards in der Kategorie Künstler des Jahres Jazz/World/Blues. Bei der zehnten Ausgabe der Auszeichnung entschied erstmalig das Publikum per Online-Voting und nicht mehr die Verkaufszahlen.

Die Strottern waren nicht nur als beste Band, sondern außerdem noch in den Kategorien bester Song ("Lumpenlied" vom Album "I gabat ois") und bestes Album ("Elegant" - Die Strottern mit der Jazzwerkstatt Wien) nominiert worden. Weiterhin wurden nominiert, aber kamen nicht zum Zuge Ernst Molden und Fatima Spears & The Freedom Fries, sowie Moldens "Wiesenliegen".

Die Gipfelzipfler: Satire über die Volksmusik

Karl Moik & Co Seit einer Woche laufen die Dreharbeiten zur ersten ORF-Echtzeit-Sitcom "Die Gipfelzipfler" in der Filmstadt Wien. Christian Tramitz und Roland Düringer in den Hauptrollen spielen die Volksmusikanten Frank und Mick, die zehn Folgen zu je 25 Minuten Zeit haben einen Hit namens "Gute Besserung" zu schreiben, der ihnen den Aufstieg in den Volksmusikhimmel garantieren soll. Voraussichtlich 2010 soll diese "Satire über die Volksmusik" im ORF ausgestrahlt werden. Das Drehbuch von Murmel Clausen ("Der Schuh des Manitu") wird von Harald Sicheritz inszeniert. Für Düringer ist eines klar: "Volksmusik ist eine gelebte Lüge, ein Ablenkungsmanöver von der Realität, eine Gehirnwäsche." Er selber habe nie viel mit Volksmusik zu tun gehabt, schon in seiner Kindheit habe er sie abgelehnt. Viel recherchiert habe er nicht, bevor er die Rolle antrat, aber persönliche habe er sich des öfteren gefragt, was "diese Leute sich denken, entweder sie meinen wirklich, ich bin ein Riesenstar, oder sie stehen darüber und lassen sich von dem Publikum da unten den nächsten Pool finanzieren." Trotz dem offensichtlichen Potenzial, den dieser Stoff bietet, wundere Düringer sich doch, was Volksmusik an sich habe, dass sich noch nie jemand im größeren Stil darüber lustig gemacht habe. Der gebürtige Münchner und Christiane-Hörbiger-Neffe Tramitz gab heute an, dass es schon einen Grund gäbe, warum die Sitcom in Österreich gedreht werde. "Speziell der Wiener Humor hat eine eigene Tradition. Er ist wahrscheinlich dem englischen Humor schon viel näher als dem deutschen, da er schwärzer ist, dunkler, tragischer, existenzieller." Am ehesten würde man "Die Gipfelzipfler" noch in Bayern verstehen, glaubt Tramitz, sonst würde es in Deutschland schwierig werden. [Standard, 13.07.2009]

"Wir machen uns nicht lustig"

Roland Düringer ist kein großer Freund der Schlager- und volkstümlichen Musik. Er kann Heino kaum von Heintje unterscheiden und traut dem Genre, bis hin zur Gehirnwäsche, alles Böse zu. Man hätte von dieser leidenschaftlichen Ablehnung wahrscheinlich nie erfahren (man hätte auch keinen Grund gehabt, danach zu fragen), wenn Düringer in der neuen ORF-Sitcom "Die Gipfelzipfler" nicht - einen (Möchtegern-)Volksmusikanten spielen würde. Den erfolglosen Studiomusiker Mick Praller (Düringer), der mit dem erfolglosen Coversänger Frank Rensing (Christian Tramitz) in der Volksmusiksendung "Die Musikantenheimat" aufzutreten soll. Clausen, der auch an "Der Schuh des Manitu" mitwirkte, entwickelt "Gipfelzipfler" aus einem "Tramitz & Friends"-Sketch über Hansi Hinterseer. Ursprünglich als Theaterstück geplant, landete das Skript dann über Regisseur Harald Sicheritz beim ORF und wurde zu seiner Sitcom umgeschrieben. Christian Tramitz bestätigt, dass "Die Gipfelzipfler" keine Volksmusik-Verdammung werden soll. "Das ist ja langweilig, sich über Volksmusiker lustig zu machen, das hat sich nach zehn Minuten erledigt." Und wenn sich doch ein armer Volksmusik-affiner Zuschauer beleidigt fühlt? "Die Leute sind nicht arm", sagt Düringer. "Die sind eigenverantwortlich." Gedreht wird "Die Gipfelzipfler" noch bis 24. Juli in der Filmstadt Wien, ausgestrahlt werden soll die Sitcom im kommenden Jahr. [Kurier, 13.07.2009]

Ausgejodelt

Eva Rossmann, Ausgejodelt

Wo ist die Welt heiler als dort, wo die Volksmusikanten von Heimweh und Herzschmerz singen? Doch das Idyll bekommt Sprünge, als der ehemalige Ski-Abfahrtsweltmeister und volkstümliche Schlagerstar Downhill-Sepp, der eben noch seinen Hit "Die Letzte Abfahrt" in der "Super-Sommer-Hitparade" geschmettert hat, tot der Livestyle-Journalistin Mira Valensky vor die Füße fällt. Todesursache: ein Medikamentencocktail!

Zünftige volkstümliche Schlagermusik und Beruhigungspillen passen nicht gerade gut zusammen. Bier ja oder fettes Schweinefleisch und danach Schnaps. Aber Tranquilizer oder Betablocker gehören eher zu dem, was mein Großvater immer als Negermusik bezeichnet hatte. Betablocker waren einfach nicht volkstümlich genug.
Es bleibt nicht bei der einen Leiche. Ist die Volksmusikszene bald ausgerottet?
Jemand bringt wahllos Leute im Umfeld der volkstümlichen Musik um. Zum Beispiel aus ästhetischen Gründen. Kein schlechtes Motiv. Immer mehr war ich geneigt zu glauben, dass der Mörder ein Wahnsinniger war. Es gab verschiedene Formen des Irreseins. Volkstümliche Musik konnte die eine oder andere vielleicht beschleunigen.
Mira Valensky hätte lieber einen kühlen Drink unter Palmen und eine Steelband im Hintergund als die "Frohsinn-Mädels" oder die "Coolen Kerle aus den Bergen" mit ihrem Sommerhit "Grüne Wiese, grüne Kühe, grünes Haus", sowie Trachtenjacken, geschnitzte Herzen, röhrende Hirsche und schmalziges E-Gitarren-Geheule. Eva Rossmann ist sicherlich nicht die österreichische Antwort auf Mankell & Co., wie Reclams "Krimi-Lexikon" meint. Dazu sind ihre Geschichten im Gegensatz zu vielen schwarzen Österreich-Krimis einfach zu familienfreundlich. Das macht aber wohl die Beliebtheit der Mira-Valensky-Krimis aus, die lieber kocht und ihrer Putzfrau die Mörderjagd überlässt.

Eva Rossmann, Ausgejodelt: Mira Valensky ermittelt in Wien. Lübbe, 2002, ISBN 978-3404148158, 304 S.


Austro-Folk 2.1 (FW#39)
Photo Credits: (1) Dobrek Bistro, (3) Hubert von Goisern, (6) Zdob si Zdub, (10) Marianne Faithfull, (11) Bilwesz, (12) Ranarim, (13) Third Man Poster, (14) Eva Rossmann 'Ausgejodelt', (16) B.B. King, (17) Wiener Tschuschenkapelle, (18) Wolf Biermann, (20) Selim Sesler, (23) Christina Zurbrügg, (24) Kollegium Kalksburg, (25) Roland Neuwirth, (27) Die Strottern, (28) Volkstümliche Musikanten, (29) Eva Rossmann 'Ausgejodelt' (unknown); (2) Uiscedwr (by Rainer Zellner); (4) Hans Theessink, (7)-(9) Ernst Molden Band (by Christian Moll); (5) King Naat Veliov (by Adolf 'gorhand' Goriup); (15) Viennese Zither Player, (19) Wiener Tschuschenkapelle, (21) Martina Eisenreich, (22) Stroh Violin @ Technisches Museum Wien (by Walkin' Tom); (26) Aufstrich (by Julia Wesely).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 11/2009

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