Das 25. Tanz- und Folkfestival in Rudolstadt - 3. bis 6. Juli 2015.
Sugar Kovalchick legte ihre Ukulele beiseite und begann den geschmuggelten Whisky in die Wärmflasche zu füllen. »Ich bin jetzt 25 Jahre alt. Ein Vierteljahrhundert. Da macht sich ein Mädchen Gedanken.«
Dieses Zitat aus Billy Wilders wunderbarem Filmklassiker »Manche mögen‘s heiß« fällt mir immer wieder ein, wenn irgendwo ein 25-jähriges Jubiläum ansteht. Geburtstag, Silberhochzeit, Betriebszugehörigkeit etc. Und eben auch bei einem Vierteljahrhundert Tanz- und Folkfest Rudolstadt. Zwar kenne ich niemand persönlich, der versucht hätte seine Getränke in einer Wärmflasche an den Securityleuten vorbeizuschmuggeln - wäre im heißen Jahr 2015 auch etwas auffällig gewesen - aber als Idee für die kälteren Jahre ... ?
25 Jahre sind ein Vierteljahrhundert. Da macht sich ein Autor Gedanken.
In 25 Jahren ist das TFF auf die eine oder andere Weise an seine Grenzen gestoßen. Die Kapazität von Platz, Mitarbeitern, Versorgung und Unterkunft zu koordinieren und dabei auch sicher die Finanzierung in den Griff zu bekommen, stellt eine logistische Herausforderdung dar, die manch Nervenkostüm angreift. Aber Grenzen haben in der heutigen Gesellschaft regulierende statt aufhaltende Bedeutung. Deshalb ist das TFF in den Jahren über seine Grenzen hinaus gewachsen. Mehr Bühnen, mehr Mitarbeiter, mehr Security, mehr Künstler, mehr Konzerte und vor allem mehr Zuschauer. Und im Jahr 2015 mehr Temperatur. Auch die Toleranz und Akzeptanz der Einwohner gegenüber der Großveranstaltung hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. »Wenn die ganzen bunten Vögel kommen, dann machen wir mit«, hörte ich jemanden im besten Thüringer Breit das Fest kommentieren. Rudolstadt gibt sich weltoffen und tolerant. Zumindest während des Festivals. Das ausgerechnet der Ort des größten Weltmusikevent in Deutschland in den festivalfernen Zeiten, wie im Oktober 2015, in der die Flüchtlingsdebatte sehr hitzig auf die Straße getragen wurde, auch ganz anders in die Schlagzeilen gerät, will man im kulturell bunten Sommer kaum glauben. Das TFF ist kulturübergreifend, besitzt etwas Verbindendes und Befriedendes, von dem man eigentlich annehmen sollte, dass es nicht temporär beschränkt bleibt.
Da das Festival ohnehin in jedem Jahr etwas Besonderes ist, brauchte man es nicht extra jubiläumsmäßig überhöhen. Jede Ausgabe ist einmalig. 2015 lag das Herausragenden natürlich wieder in den künstlerischen Beiträgen, aber auch in den Rekorden. Diesmal war nicht die hohe Besucherzahl das Rekordverdächtige, sondern die Temperatur, die selbst gestandene Südländer ins Schwitzen brachte. So wie bei der Band Coetus, die das Festival am Donnerstag Abend mit den Worten eröffneten, es wäre in Deutschland eindeutig zu heiß. Coetus gaben trotz der für Spanier ungewohnt warmen Temperaturen ein sehr gelungenes Eröffnungskonzert auf der Großen Bühne im Heine Park. Die Band besteht zu 70 Prozent aus Percussion und klopfte aus allen Gegenständen Töne heraus, in denen sie Töne vermutete. Pfanne, Flaschen, Tamburine, Salatschüsseln. Ergänzt wurden die musikalischen Schlägereien von einer Klarinette und mehreren Gesangsstimmen. Am Eröffnungsabend war viel zu hören, von der Lied- und Gesangskunst der Iberischen Halbinsel, aber vor allem davon, wie wunderbar rhythmisch man Töne aus allerhand Haushaltsgegenständen herausholen kann.
Kaum endete das erste Konzert, pilgerte das Publikum zum entgegengesetzten Pol des Heineparks, an dem norwegischer Jazz auf die Jamaikaner Sly Dunbar und Robbie Shakespeare traf. Ein schönes Gefühl ist es, mit den sphärischen Trompetentönen von Niels Petter Molvaer durch den Heinepark zu spazieren. Die Saale schillert durchs Geäst, der Mond steht voll über dem Fest, in den Laternen sammeln sich die nächtlichen Insekten und tanzen zur Musik, so wie die Menschen im nahen Tanzzelt. Sommernacht im Heinepark. Den ersten Nebel sah man kurze Zeit später bei der französischen Retroelektroswingkombo Caravan Palace. Der wabberte aus den Nebelkanonen so gekonnt auf die Bühne, dass von der Band selber kaum etwas zu sehen war. Dafür konnte man sie um so lauter hören. Sie heizten mit ihrer hippen Tanzshow das gutgelaunte Publikum um weitere gefühlte 10 Grad auf. Wer noch immer nicht genug hatte, fand auch danach noch irgendwo ein Plätzchen, an dem es sich zu angenehmer Musik sitzen oder schwitzen ließ. Die kulinarische Front glänzte lichtgeschmückt durch die Nacht, die ein runder Vollmond überwachte.
Genauso rund stand früh die Sonne über den Zeltplatz. Sobald der Bademeister vor Ort war, wurde das Schwimmbad freigegeben, der Ort, der in den nächsten Tagen zum beliebtesten Aufenthaltsort aufstieg. Stimmen fragten an, ob man nicht eine Bühne direkt am Beckenrand aufbauen könne. Dem würde ich fraglos zustimmen, denn wer vor einem schwimmt, ragt niemals zwei Köpfe höher über den hinter ihm befindenden hinaus. Auch die Saale wurde an diesem Wochenende zum gefragten Ort der Erquickung. Tische und Stühle standen im fließend kalten Wasser und Sonneschirme überspannten allerorts die gut gekühlten Getränkekisten. Wer noch genug Kleidung trug, tränkte sie in der Saale oder in den vielen Brunnen der Stadt und legte sie sich über Schulter und Kopf. Nur die Freunde der britischen cremeverachtenden Sonnenbadtechnik trugen stolz ihre geröteten Schwarten durch den Ort. Doch Hitze war nun einmal da und bremste kaum jemanden in seiner Festivallaune. »Wetter ist egal, hier wird getanzt«, sagten sich die Besucher. Manchmal wild und struppig, ein andermal mit Stil und Sonnenschirm. Das Tanz- & Folkfest trägt den Begriff Tanz nicht umsonst im Namen. Bewegung ist hier alles. Ob im Tanzzelt mit professioneller Anleitung, der kleine spontane Walzer mit Tangoeinlage beim Konzert oder der kniewippende Stehblues bei jedem Geräusch, das im Takt daher kommt. Ob bewegungsfreudiges Kind, enthusiastisches Pärchen oder zappelnder Moderator auf der Heineparkbühne. So ziemlich jeder ließ sich bewegen, sich zu bewegen. Staub wirbelte das schon auf, denn von der Wiese im Heinepark war bald nichts mehr zu erkennen. Wasserspritzpistolen und Blumensprühflaschen hatten Konjunktur. Die Getränkestände meldeten Rekorde beim Wasserverkauf. In der Innenstadt senken die Verkaufstände für heiße Würste kontinuierlich die Preise.
Das Festival steht in jedem Jahr unter besonderen thematischen Vorgaben. So war 2015 das Jahr der Norweger und der nordischen Tänze. Zum Instrumentenschwerpunkt wählte man die Cister, jenes Instrument, das sich in vielfältiger Form präsentiert, als Mandoline, Zitter und als Guitarra Portuguesa. Viele Besucher entdecken am Rand aber ganz andere Schwerpunkte unter denen sie das Wochenende erleben. Mir fielen in diesem Jahr die starken Frauenstimmen auf, die sich in Rudolstadt präsentierten. Sés aus dem nordspanischen Galizien rockten schrill und schmeichelte danach mit galizischen Balladen. Sona Jobarteh repräsentierte die selbstbewusste afrikanische Frau der Gegenwart. Die Künstlerin aus einem der großen Clans der westafrikanischen Griots verzauberte das Publikum mit mitreißendem Gesang und quicklebendigem Spiel auf ihrer majestätischen Kora. Gabby Young aus England giggelte wie ein Teenager beim ersten Date, sang und spielte, als gehöre der ganze Zirkus ihr. Und mit Rhiannon Giddens stand die neue Ikone des Gospel und Countryfolk auf der Bühne. Eine Frau mit einer Stimme, die die Götter das Würfelspielen vergessen lässt. Und dann war da natürlich auch noch Mariza, Portugals Fadoikone, die längst sicher in den Fußstapfen von Amalia Rodriguez unterwegs ist.
Das TFF ist auch über die Grenzen musikalischer Schubladen weit hinausgeschritten. Weltmusik spielt sich heute vor allem in Crossoverprojekten ab. Masaa ist eine deutsche Jazzband, die mit dem libanesischen Sänger Rabih Lahoud fusionierte. Ethnojazz mit arabischer Note. Auf dem Festival ergänzte die experimentierfreudige Gruppe die Sängerin Yael Deckelbaum aus Israel, in Rudolstadt keine Unbekannte seit ihrem Auftritt mit der Frauenband Habanot Nechama im Jahre 2009. Masaa bekamen für ihre Musik auf der Heidecksburg einen der begehrten Weltmusikpreise Ruth verliehen. Einen weiteren Preis erhielt der deutsch-niederländische Sänger Funny Van Dannen, dessen satirische Lieder es der Jury angetan hatten. Nach seinem Konzert intonierten noch Stunden später Leute in der Fußgängerzone »Gib es zu, du warst beim Nana Mouskouri Konzert.«
Überhaupt die Fußgängerzone und die Innenstadt. Viele der Marktstände erkennt man jedes Jahr wieder. Hier gibt es Stammverkäufer und Standortälteste. Im Heinepark ist es ähnlich. Für den Rudolstadtneuling ist es schön, Hüte, Ledertaschen, Holzspielzeug und Filzarbeiten zu bestaunen. Oder an den Infoständen von Folker, Deutschlandfunk und Profolk CD’s zu erstehen und ein Schwätzchen mit den Insassen der Buden zu halten, so ihnen gerade danach ist. Der langjährige Festivalbesucher grüßt freundlich, wen er wiedererkennt und zieht zum nächsten musikalischen Highlight. Den findet er in der Straßenmusik. Auch hier gibt es Musiker, die immer wieder in Rudolstadt auftauchen. Que Pasa aus Polen sind mir schon mehrere Jahre hintereinander aufgefallen. Meist sehe ich sie irgendwo zwischen Günterbrunnen und Neumarkt, wo sie mit rasantem Gitarrenspiel Gipsyjazz über das heiße Pflaster jagen. Auch Cobario aus Wien, die ihre akustische instrumentale Straßenmusik besonders gern am Heinedenkmal gleich hinter der Fußgängerbrücke vortragen, trifft man gern wieder, sowie die junge dynamische Band 2ersitz aus Leipzig.
Dass das TFF ein Weltmusikfestival ist zeigt sich stets auch auf der Bühne am Marktplatz. Das traditionelle Rudolstädter Folkloretanzensemble gab sich am Sonntag die Ehre. Gefolgt von Hinana, einem Folkloretanzensemble von der anderen Erdhalbkugel. Die grimmigen bis an die Zähne tätowierten Maoris aus Neuseeland zeigten Tänze mit viel Gestampfe und Gebrüll. Dabei wurde einem ganz mulmig. Zwei Stunden später tollten sie ausgelassen im Kinderbecken des Schwimmbads herum. Auf einem Maoriaarm sah ich, wie die Tinte langsam verschmierte. Kugelschreibertatoos halten auch nicht ewig. Ich traute mich jetzt vorsichtig an den Kriegern vorbei, die ihrerseits die fremde Kultur in Deutschland bestaunten. Im oberen Becken schwamm ein unrasierter Mann mit hochgesteckter Umpa-Lumpa-Frisur an den Rand und stieg im totschicken neonroten Bikini elegant und selbstbewusst aus dem Wasser. Conchita Wurst wäre begeistert. Für den Freigeist dieses Festivalwochenendes ist auch dies ein Regenbogen. Und so eilte man oder verweilte man an diesem ersten Wochenende im Juli in Rudolstadt. Wasserspender sprühten Gäste nass. Die Brunnen waren belagert. Eisläden ebenso. Wer Durst hat, muss trinken, sonst trocknet er innerlich aus.
Manche bewegten sich mit der Eleganz einer angeschossenen Wildkatze vom Getränkestand fort, obwohl sie gerade erst das dritte Bier abholten. Andere hatten weniger getrunken und versuchten sich mit der gleichen Eleganz im Tanzzelt. Es ist nicht jedem gegeben, sich elegant zu bewegen aber jeder ist eingeladen, es zu tun. Konzerte finden bei diesem Fest an vielen Orten gleichzeitig statt und wie immer konnte ich mich auch in diesem Jahr nicht teilen. So rannte die Zeit unter den tropischen Temperaturen mit musikalischen Leckerbissen gewürzt vorbei. Ein keltische Abendkonzert mit den ersten Anzeichen eines Gewitters, dass dann doch an Rudolstadt vorbei zog, wurde vom Celtic Social Club gegeben. Es war ein mitreißendes Konzert, bei dem keltisch-traditionelle Musik mit groovigen Rhythmen fusionierte. Die Musiker stammen vom gesamten keltischen Kreisel, also aus der Bretagne, Schottland, Galizien, Irland und Cornwall. Die große Bühne im Heinepark war dicht belagert, zumal im Anschluss Nomadic Massive mit globalem Hipp-Hopp die trockenen Grasnaben zum Beben bringen sollte.
Les Ambassadors aus Westafrika zählten zu den bekanntesten Künstlern des Festivals, Die Band gehörte zu den wichtigsten Vertretern der afrikanischen Tanzmusik. Salif Keita hat die Band noch einmal zusammengebracht. Auch dieser Abend zeigte den Heinepark bis an die Grenzen des möglichen gefüllt. Ganz anders gestaltete sich das Bild am Sonntag Mittag. Gleicher Ort, gleiche Bühne. Zulugesänge von Frauen aus Simbabwe waren zu hören. Die Sonne stand bereits sehr hoch und wer einen Schatten fand, besetzt ihn. Entsprechend leer war die Fläche vor der Bühne, was die Künstlerinnen von Nobuntu eher traurig da stehen ließ, denn ihre Stimmen waren klar und ihre Lieder sangen von der Freiheit und Gleichheit, die im Süden Afrikas noch immer nicht selbstverständlich ist. Ihnen schien die Sonne nichts auszumachen, während sich bei manchem Besucher am Sonntagmittag langsam Schwächen zeigten. Andere jedoch tanzten munter weiter durch den Tag, stolzierten nass durch die Saale oder liefen barfuß über die heißen, weichen Straßen der Stadt.
Am Schluss des Tages, als der deutsche Reggaestar Patrice den letzten konzertanten Höhepunkt setzte, gab es zum 25. Jubiläum doch noch ein fulminantes Höhenfeuerwerk. Das längst überfällige Gewitter donnerte kurz nach dem letzten Ton herab und setzte ein deutliches Ausrufezeichen hinter das Festival, dass für viele Besucher wieder das wichtigste kulturelle Ereignis des Jahres war. Und die meisten davon - mich eingeschlossen - hoffen, dass auch das nächste Tanz- und Folkfest im folgenden Jahr wieder voller toller Momente, musikalischer Entdeckungen und leidenschaftlicher Tanzmomente sein wird. Und dass wieder freundliche Temperaturen die Stadt an der Saale erwärmen. Denn manche mögens heiß.
Das TFF-Team sagt DANKE
an alle, die beim Festival 2015 dabei waren und wieder für so viele beglückende Momente gesorgt haben. Die norwegischen Künstler
haben es in einem Satz zusammengefasst: „Rudolstadt hat das beste Publikum der Welt!“
Das geben wir als Festival-Team gerne weiter und bedanken uns natürlich nicht nur bei den langjährigen und neuen Fans des TFF,
sondern bei allen Künstlern, Mitarbeitern, Helfern und bei den Menschen in Rudolstadt.
Gemeinsam ließ sich selbst die Hitze besser aushalten und ohne Euch / Sie alle wäre das runde Jubiläum nie ein so großartiges
Festival geworden!
Herzlichen Dank dafür und auf ein Wiedersehen im kommenden Sommer!
Das 26. TFF Rudolstadt feiern wir vom 7. bis 10. Juli 2016.
Länderschwerpunkt ist dann KOLUMBIEN, Tanz des Jahres CUMBIA.
Photo Credits:
(1) TFF Rudolstadt 2015 (website);
(2) Coetus Iberica,
(3) Sés,
(4) Sona Jobarteh,
(5) Celtic Social Club
(by Karsten Rube).