Dragseth "Soweit ... - Songs 1990-2010" [Do-CD]
Eigenverlag, 2010
Seit beinahe 30 Jahren ist das
nordfriesische[41]
Duo bestehend aus Kalle Johannsen (Gesang, Gitarre, Mundharmonika)
und Manuel Knortz (Gesang, Gitarre, Hümmelchen, Uilleann Pipes, Harmonium, Bodhran)
unterwegs. 2008 wurden sie für ihre Mixtur aus
hochdeutschem, plattdüütschem und anglo-amerikanischem Singer-Songwriter-Folk
mit dem Hans-Momsen-Preis
ausgezeichnet.[37]
39 Titel in bunter Folge, unter Auslassung ihrer Storm-Vertonungen:
13 Titel stammen vom Album "Lichtjahre" (1991), darunter Eigenkompositionen,
die an Hannes Wader[40] erinnern
(der ja lange Jahre in der Struckumer Windmühle hauste), Textübertragungen von Brel und Yeats,
mehrmals Villon wie die "Ballade vom angenehmen Leben".
Aus dem 2004er-Album mit der deutsch-dänischen Band
Drones & Bellows[30]
stammen 5 Lieder und aus dem letzten Album "The Promised Shore" (2006)
weitere 14 Titel.[32]
Bei einem der Höhepunkte wird dabei aus Jacques Brels "Le plat pays" mien platte Land.
Abgerundet wird diese beachtliche Sammlung durch 7 neue Songs, die zusammen mit der
Backporch Stringband[37]
bei einer spontanen Session im Oktober 2009 entstanden sind, darunter Lieder von
Mike Waterson und Johnny Cash, das traditionelle "Im My Time of Dying"
und "The Ballad of Easy Rider".
So weit, so gut.
Warmherziger Folk aus Deutschlands hohem Norden, immer wieder empfehlenswert.
© Walkin' T:-)M
Die Irrlichter "Rauhnächte"
Totentanz Records, 2010
Die neueste (und insgesamt sechste) Silberscheibe des Damenquintetts
Die Irrlichter[33][40]
ist inspiriert von den 12
Rauhnächten
zwischen Wintersonnenwende (21. Dezember) und Dreikönigstag (6. Januar) - bitte jetzt keine dummen Kommentare über den Rezensenten, ich weiss auch, dass das mehr als 12 Nächte sind.
Die jungen Damen vom Mittelrhein irrlichtern unter Verzicht auf komische Einlagen
abwechselnd durch Instrumental- und Gesangsstücke.
Bei ersteren finden wir "Un Flambeau, Jeannette, Isabelle" aus dem Frankreich des 16. Jhds.,
das auch Loreena McKennitt auf ihrem Winteralbum eingespielt
hat,[38]
ein englisches Tänzchen aus der Sammlung des Herrn Playford aus dem 17.Jhd., genauso wie
einen Walzer des finnischen Geigers Arto Järvelä[6] und zwei Eigenkompositionen.
Das erste der Lieder ist das populäre lateinisch-sprachige "Gaudete, Christus est natus",
das aus einem finnischen Manuskript des 16. Jhds. stammt, aber vor allem von der
englischen Folkrockband Steeleye Span bekannt gemacht worden
ist,[25]
denen auch die Irrlichter harmonisch folgen. Erst unlängst hat "Gaudete" die Leipziger
Mittelalterband Liederlicher Unfug aufgenommen.[43]
Auch "Lully Lullay" (alias "The Coventry Carol") wird gerne gespielt, z.B vom
US-Duo Barry und Beth Hall auf ihrem mittelalterlichen
Weihnachtsalbum;[35]
Loreena McKennitt spielt es auf dem oben erwähnten Album mit einer veränderten,
an einen sentimentalen Publikumsgeschmack angepassten Melodie.
Desweitern finden wir Walther von der
Vogelweides[24][35]
"Des Winters Zît", eines der populärsten spanischen Weihnachtslieder ("Los peces en el rio")
und abschließend "Lasset uns lauschen", ein rheinisches Weihnachtslied aus dem 19. Jhd. - hier ohne Worte.
Stephanie Keup (Gesang, Nyckelharpa, Sopranino-Flöte, Schalmei),
Brigitta Jaroschek (Gesang, Laute, Gitarre, Cister),
Jutta Simon-Alt (Gesang, Oboe, Altflöte, Schalmei),
Daniela Heiderich (Hafe, Dudelsack, Krummhorn, Sopranino-Flöte),
Jutta Tiedge (Davul, Pauken)
und der von der Gruppe Versengold ausgeliehene
Thomas Heuer (alias Pinto von Frohsinn)[38]
haben einige der 12 Titel live in der Kirche in Oberwinter,
die weiteren mit demselben Klangbild im Kopf im Studio eingespielt.
Die Stimmung der 12 Rauhnächte ist insgesamt beschaulich und feierlich,
und somit könnte man dies als alternatives Weihnachtsalbum einordnen,
wo auf den ideologischen Ballast verzichtet wurde und das - außer vielleicht bei 30°C im Schatten -
beinahe ganzjährig zu hören ist.
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David Rovics "Troubadour -
People's History in Song"
Eigenverlag, 2010
Offenbar fühlen sich immer mehr Menschen von der Politik verschaukelt.
In Stuttgart wurden die Menschen mit Schlichtungsgesprächen ruhiggestellt,
bei mir hier werden die Bahnlinien stillgelegt.
Ich brauche nur aus dem Fenster zu schauen und sehe die Silhouette von Schacht Konrad;
zwar wollen alle gerne Atomstrom in ihren Steckdosen haben, aber bloß kein atomares Endlager in ihrem eigenen Ländle.
Widerstand ist seit der Boston Tea Party auch eine amerikanische Tradition, aber
sicherlich nicht in der von Corporate America gesteuerten gleichnamigen Pseudobewegung heute.
Der US-amerikanische Singer-Songwriter und Aktivist
David Rovics[32]
hat 18 für ihn bedeutende Episoden aus der Geschichte der Menschlichkeit
in kleine musikalische Perlen verwandelt.
Sechs davon sind bislang noch nicht aufgenommen worden,
sechs auf seinem 2009er-Album "Ten Thousand Miles Away" erschienen,
und sechs weitere zwischen 1998 and 2007 veröffentlicht worden.[29][32]
Der Einstieg ist Shay's Rebellion in den 1780ern, als sich in Massachussetts die kleinen
Farmer gegen die Großgrundbesitzer erhoben ("Berkshire Hills").
Das brilliante "St. Patrick Battalion" ist gerade erst von The Wakes[44]
gecovert worden; über das Thema Iren im US-mexikanischen Krieg der 1840er
haben die Chieftains eine ganze Platte gemacht.[42]
Mit den Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg[26]
wird es international. Es geht weiter mit dem My Lai-Massker im Vietnam-Krieg,
dem Sturz des chilenischen Präsidenten Salvador Allende bis zu den Anti-Globalisierungs-Protesten.
Am meisten bewegt mich "Sugihara" über einen japanischen Diplomat in Litauen,
der während des 2. Weltkrieges um die 10.000 Juden die Ausreise aus Europa ermöglicht,
darunter dem Großvater eines von Davids Freunden.
Alle Lieder werden mit warmer, aber ausdrucksvoller Stimme dargeboten,
die Melodien sind durchgängig eingängig.
Das Booklet enthält zudem alle Texte und ein paar Hintergrundinfos zu den einzelnen Titeln.
P.S.: David Rovics hat den Februar im Big Red Studio, Portland, verbracht.
Grund war die erfolgreiche Reaktion auf seinen Aufruf hin,
ihm eine Studioaufnahme des "Song for Bradley Manning" mit einer Band zu
ermöglichen.[44]
David schloss mit ganzen 13 Liedern ab und er hat sich entschieden, dass man diese
- kostenlos oder gegen Spende - von seiner Website herunterladen kann.
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Duvekot, Heaton, Hutchinson, Zukerman
"Winterbloom: Traditions Rearranged"
Eigenverlag, 2009
"Winterbloom" ist Winter/Weihnachten a la Americana, die Alternative-Folk-Country-Ausgabe,
ein musikalisches Kollektiv bestehend aus vier mehr oder weniger bekannten und erfolgreichen, weiblichen Singer-Songwritern,
die sich in Boston, Massachussetts, niedergelassen haben:
Antje Duvekot,[34]
Anne Heaton,
Meg Hutchinson,[42]
sowie Natalia Zukerman.[20]
Die musikalische Melange des Quartetts setzt sich wie ein Puzzle aus den unterschiedlichen
Hintergründen und Werdegängen zusammen - geographisch und kulturell:
die in Heidelberg gebürtige Antje, die in Illinois, katholisch aufgewachsene Anne,
das liberale und unitaristische, ländliche Massachussetts Megs, sowie das jüdisch-urbane Natalias.
Abgesehen von selbstverfassten Winter- und Weihnachtsliedern interpretieren die Damen
das traditionelle jiddische Liebeslied "Tumbalalaika" aus Osteuropa,
das französische "O Holy Night" (im Original "Minuit, chrétiens" von Placide Cappeau, 1847), sowie
Greg Browns[24]
"Rexroth's Daughter". Ganz unterschiedlich sind auch die Klangfarben ihrer Stimmen,
dennoch fügt sich dies harmonisch zu einem Guss zusammen.
Letztens habe ich noch behauptet, man könne "Stille Nacht" nicht erträglich arrangieren.[43]
Das nehme ich jetzt zurück. Wenn Antje und Meg den schmalzigen Schlager aus dem Salzburgerland
anstimmen, laufen einem wohlige Schauer den Rücken herunter.
Das Album, das leider nur 8 Stücke enthält, endet mit Hugh Martins "Have Yourself A Merry Little Christmas".
Judy Garland und Frank Sinatra haben den Song unsterblich gemacht.
Deren textlich gereinigte Version singt auch Anne,
und nicht die eher trostlose und unsentimentalere Originalversion Martins.
Schade eigentlich, hätte gut gepasst.
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T.K.P. "Weihnachten groovt!"
Eigenverlag, 2010
Das Duo T.K.P. - man frage nicht nach der Abkürzung -
besteht aus Geigerin Vivien Zeller (z.B. Kwart und
Malbrook)[36]
und Dudelsackspieler Matthias Branschke (u.a. Bilwesz).[32]
Vivien lehrt Geige auf Basis traditioneller Tanzmusik und die Geschichte dieser
Silberscheibe
begann, als im Dezember 2008 Viviens Lehrerleben mal wieder auf das jährliche
Weihnachts-Schüler-Konzert zusteuerte und der Gedanke im Kopf spuckte: das mit den
Weihnachtsliedern, das muss auch anders gehen!
Im nächsten Frühjahr probierten sie mit Zwiefachen rum und irgendwer
meinte, dass "Sind die Lichter angezündet", das DDR-Weihnachtslied aus den fünfziger Jahren,
sei doch eigentlich ein Zwiefacher. Der Rest ist wie so häufig Geschichte.
Ich muss gestehen, ich hätte es zunächst gar nicht bemerkt.
Auch nach mehrerem Hören erkenne ich "O Tannenbaum" nicht wieder.
Erst beim dritten Titel, horcht man auf. Das freie Slow Air ist doch "Es ist ein Ros' entsprungen"?
Stimmt! Und bei "Morgen kommt der Weinachtsmann" und "Stille Nacht" ist dann alles klar.
"Süßer die Glocken" geht gar nicht eindeutiger.
"In Dulci Jubilo" ergäbe auch ohne Verfremdung einen formidablen Jig.
Hier ist es allerdings wieder kaum erkennbar.
Der weihnachtliche ideologische Überbau und Kitsch fällt also gar nicht so auf, insbesondere nicht negativ.
Und so sollte man "Weihnachten groovt!" vielleicht auch nicht als Weihnachtsalbum,
sondern einfach als schöne Bal-Folk-Platte rezensieren. Der Titel sagt es schon, es gibt
groovige und swingende Tanzmusik in traditionellen Rhythmen:
Mazurkas oder Polkas, immer wieder in ausgefallenen Arrangements.
Letztendlich also ein normales Bordunalbum für die ganze Jahreszeit ...
Und so ist es auch nicht schlimm, dass diese Rezension erst jetzt im Frühjahr erscheint,
und überhaupt - nächstes Weihnachten kommt bestimmt!
© Walkin' T:-)M
Fleadh "Humpy'n'lumpy"
Green Hill Media, 2010
Im Dezember des vergangenen Jahres gewann die im Rhein-Neckar-Dreieck beheimatet Gruppe Fleadh
den ersten Preis beim Rock- und Pop-Preis in der Kategorie Beste Deutsche Folkrockband.
So weit, so gut. Diese etwas obskure Auszeichnung wird allerdings wohl nur wenige FolkWorld-Leser beeindrucken.
Was hat es also mit der nach dem gälischen Wort für Festival benannten Formation auf sich?
Die augenblickliche Besetzung spielt seit Ende 2007 zusammen.
Uilleann-Piper Frank Weber ist Urgestein der Gruppe und hat sie mit wechselnden
Besetzungen seit über einem Jahrzehnt zusammengehalten.
Dazu kommen Marcus Eichenlaub (Geige),
Frank Dürschner (Mandoline, Banjo) und Tommy Gorny (Gitarre, Bass).
Die Jigs & Reels sind einfallsreich arrangiert,
beginnend mit dem Marsch "Lord Mayo", einem Harfenstück aus dem frühen 18. Jhd.,
das aber spätestens seit Lunasa untrennbar mit den Pipes verbunden ist.[5]
Ein paar flotte Tänze, aber auch Mut, nicht immer Vollgas zu geben.
"Showacho", den Lunasa ebenfalls aufgenommen hat,[32]
lässt sich auch als slow reel spielen.
Der Reel "Over the Moor To Maggie" beginnt im ersten Durchgang ziemlich drowsy und hat es
nicht eilig, zu Maggie zu kommen, dann besinnt man sich und nimmt Fahrt auf, die anschließende
"Drowsy Maggie" ist dann ganz im Gegensatz zum Titel ein recht aufgewecktes Mädel.
Die Gesangsfraktion besteht aus dem irischen Sänger und Gitarristen Paul Durney, der sich
Saoirse Mhór nennt,[44]
und Gastsängerin Anna Hachulla (Dhalia’s Lane).[25]
Neben einem Lied von Saoirse Mhór besteht das Fleadh-Repertoire
überwiegend aus mehr oder weniger bekannten Titeln:
der "Cobbler" (steht in jedem Songbuch, ist aber die erste Aufnahme, die ich höre;
der Flickschuster bzw. dessen Ehegattin hat auch den CD-Titel geliefert),
der "Ordinary Man" aus dem Christy-Moore-Repertoire,
Jimmy MacCarthys[44] populäres "Ride On",
die gälischen Balladen "Baidin Fheilimi" und "Siuil A Ruin".
Bei dem abgedroschenen "Star of the County Down" versucht Fleadh eigene Wege zu gehen,
und es macht mal wieder ein wenig Spaß, das Stück zu hören.
© Walkin' T:-)M
Nifty's "Naftularasa"
Cracked Anegg Records, 2009/2011
Das Ende 2009 in Österreich veröffentlichte Album wird nun 2011 auch offiziell in Deutschland auf den Markt gebracht.
Wenn das bedeuten sollte, dass wir die Nifty's vermehrt nördlich der Donau
live[39]
zu sehen bekommen, ist das nur zu begrüßen.
Vielleicht noch extremer als auf dem Debütalbum
"Takeshi Express"[33]
spielt die nach der Klezmerikone Naftule Brandwein (1889-1963) benannte Wiener Formation
Zirkusmusik, die getrieben von der Rhythmusgruppe Dominik Grünbühel (Bass) und Mathias Koch (Schlagzeug)
und den Stromgitarren von Fabian Pollack und Michael Bruckner-Weinhuber (beide spielen auch bei
Zur Wachauerin[42])
in Jazzrock übergeht und meist in improvisatorischen Free-Jazz-Orgien endet.
Trompeter Thomas Berghammer sorgt noch am ehesten hörbar für die Ankopplung an Klezmer- und Balkantraditionen.
Klezmer? It's the end of Klezmer as we know it - but I feel fine...
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Cowboy Junkies "The Nomad
Series Volume 2: Demons"
Proper Records, 2011
Gleich zu Beginn poltern die kanadischen Cowboy Junkies in ihrem 25. Jahr
los wie Neil Youngs Crazy Horse zu besten Zeiten,
was einen reizvollen Kontrast zu Margo Timmins entspanntem Gesang bildet.
Dann wird erst einmal einen Gang zurückgeschaltet, die Musik entwickelt
sich langsam in den eher typischen laid-back Junkies-Sound
und textlich heisst es: oh death, I’m not ready,
bittere Ironie angesichts dessen, dass sich Teil 2 der vierteiligen Nomad Series
dem Werk des viel zu früh verstorbenen US-amerikanischen Singer-Songwriter
Vic Chesnutt (1964-2009) widmet.[41]
Chesnutt war seit einem Verkehrsunfall im Jahre 1983 an den Rollstuhl gefesselt.
Bereits 1996 ist ein Tribut- und Benefiz-Album mit Coverversionen von Vic-Chesnutt-Songs
eingespielt worden (u.a. R.E.M., Soul Asylum, Smashing Pumpkins, Madonna, Indigo Girls),
er selbst trug zum 2007er-Junkies-Album "Trinity Revisited" bei.
Aus einem gemeinsamen Projekt wurde dann nichts mehr, aber "Demons" ist nun zumindest
eine wunderbare Rückschau auf das Œuvre des Künstlers.
Vic Chesnutts surrealen Texte handeln häufig von Depressionen, er nimmt sich aber selbst nicht immer ganz ernst.
Musikalisch hört man viel Young und Dylan, er deckt aber das ganze Spektrum zwischen Country und Punk ab.
Er ist bei den Junkies also in guten Händen, die Schichten um Schichten in seinen Liedern freilegen.
Meiner bescheidenen Ansicht nach toppt Vol. 2 noch die von vielen gefeierte Nr. 1.
Es scheint, dass die Nomad Series ein MUSS für Americana-Fans sein wird.
© Walkin' T:-)M
Earl Pickens & Family "The Joshua Tree"
YAY Music, 2009
Nach einigen Hits legte die irische Rockband U2
im Jahre 1987 ihr reifstes Album vor, "The Joshua Tree".
Mit den danach folgenden Veröffentlichungen trennten sich die Wege ... die
einen blieben U2-Fans, die anderen wandten sich ab,
weil sie dem Weg der vier Iren nicht mehr folgen konnten oder wollten.
Zu Letzteren gehörte auch ich.
Earl Pickens & Family folgen einer im Bluegrass populären Disziplin, nämlich
genre-fremde Titel in Bluegrass-Versionen zu spielen.
Alle sind schon drangekommen, die Stones, die Who, Hendrix und AC/DC,
und wahrscheinlich auch schon mal U2, man denke beispielswiese nur an
Johnny Cashs Version von U2's "One".
Ungewöhnlicher ist es da schon, ein ganzes Album einer Gruppe durch
den Wolf zu drehen, aber auch wieder passend, ist "Joshua Tree"
doch das amerikanischste U2-Album.
U2 und Bluegrass passen auf den ersten Blick nicht ganz zusammen,
auf den zweiten auch nicht. Mit ganz anderen Rhyhmen unterlegt, entstehen ganz neue Songs -
und auch noch exzellente Lieder. "I Still Haven't Found", "With or Without You" -
so gut wie die Originale. Vielleicht hat "Mothers of the Disappeared"
einen zu fröhlichen Charakter bekommen,
insgesamt spricht aber die Tatsache, dass der gesamte Liedkanon
den Transfer in ein anderes Idiom überlebt,
für die Qualität der Lieder insgesamt.
"The Joshua Tree" haben den Sänger und Banjospieler Earl Pickens und seine Family
(Gitarre, Mandoline, Fiddle, Kontrabass und Snare-drum)
ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. 2010 folgte ein Album mit zehn eigenen
bluegrass-infizierten Folk-Pop-Stücken (siehe die Rezension in der englischen FolkWorld).
© Walkin' T:-)M
Skuffle "Skuffle"
Joey's Jukebox, 2009
Die Band dieser britischen Musikveteranen hat sich nach
der skuffle box benannt, oder cajón wie wir
sagen, die peruanische Kistentrommel.
Hier wird sie gespielt von Shan Chana,
gefragter Perkussionist im Londoner West End, aber auch Begleiter von Kuljit Bhamra.[43]
Das Hirn der Band ist jedoch Gitarrist Kevin Healy,
der in den langen Pausen zwischen und in den Shows auf die Idee gekommen ist,
klassische Rocksongs auf der akustischen Gitarre zu spielen.
Skuffles joyride ist ein Streifzug durch die (vor allem britische) Rockgeschichte der 1960er bis 1980er Jahre:
AC/DC, Bad Company, Beatles, Black Sabbath, Cream, Deep Purple, Free, Guns'n'Roses, Jimi Hendrix,
Kinks, Led Zeppelin, Queen, Rainbow, Rolling Stones, Survivor, The Who.
Und es funktioniert bestens, nicht nur wegen des kongenialen Gitarrenspiels
und der brillianten Transformation der elektrischen in rein akustische Songs,
die den drive der Originalsongs erhalten, sondern auch weil
Sänger Sean Kingsley genau die richtige Rock-Röhre für diese Lieder hat.
Das hat er ja am West End von Les Miserables bis Billy Elliott schon unter Beweis gestellt.
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One-Eyed Mule "Drifting to a Happy Place"
Artiscope, 2010
Das Digipack-Cover zeigt vier Gestalten, die durch eine schneebedeckte
Landschaft stapfen. Man fühlt sich an den Coen-Brüder-Film "Fargo" erinnert,
dessen melancholisch düstere Winterbilder von skandinavischer Musik unterlegt waren -
offenbar weil besagte Gegend der USA von vielen Skandinaviern besiedelt wurde.
Das einäugige Maultier hier liefert keine skandinavische Musik, sondern lupenreinen
Americana, dafür stammen die vier Mulis aus Dänemark.
Rasmus Dall (Gitarre, Gesang), Uffe Ipsen (Bass, Piano, Singende Säge u.a.),
Søren Lyngaard Andersen (Gitarre, Banjo etc.) und Mads Holst Tønder (Schlagzeug)
treiben - oder lassen sich treiben - in Richtung eines glückliches Ortes,
aber nur in Richtung und ganz langsam. Titel heißen "September-Seufzer",
"Der Regen fällt weiterhin auf dich" oder "Alles, was ich tue, ist verkehrt".
Fröhlichkeit kehrt nur bei "Happily Drunk" ein. Aber wer braucht schon immer Freude
im Leben? Bessere Musik als das - wenn ich es richtig verstehe - dritte Album der dänischen Formation
wird auf der anderen Seite des großen Teiches jedenfalls auch nicht gemacht.
© Walkin' T:-)M
Lukas Tower Band "Albedo"
Eigenverlag, 2010
Anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens hat die Münchner Lukas Tower Band um Gitarrist
Wolfgang Fastenmeier und Sängerin Angela Maier die CD "Albedo"
produziert, eine Sammlung von Stücken älteren und neueren Datums.
Außer diesem Album und "After Long Years" aus dem Jahre 2004
scheint es da nichts zu geben. Dabei war die Geburt der Gruppe - oder besser die Keimzelle
der heutigen Band - bereits im Jahre 1979. Im eigentlichen Sinne muss man im Jahr 1984 ansetzen.
Man probte in der Lukaskirche in München, daher der etwas seltsam anmutende Bandname.
Bei den zehn, bis zu zehn Minuten langen Titeln
handelt es sich vor allem um Vertonungen englischer (Alfred Tennyson, William Blake, George Byron,
Charles Causley)
und irischer (2 x Thomas Moore, u.a. She Is Far From the Land)
Poesie des 19. Jahrhunderts. Die achtköpfige Formation pflegt die Klänge der Siebziger Jahre -
ein bißchen Jethro Tull (vielleicht in der teutonischen
Galahad-Version[34]),
ein wenig Cochise.[40]
Die übliche Rockbesetzung ist ergänzt um Akkordeon, Flöte und Geige.
Die folkige Ader zeigt sich dabei insbesondere in den beiden Instrumental-Medleys:
das Erste besteht aus dem populären irischen "Morrison's Jig"
und zwei Kompositionen Fastenmeiers. Das Zweite beginnt mit 2 x Fastenmeier
und dann dem Slip-Jig "A Fig for a Kiss" (9/8-Takt)
und dem "High Reel" aus der Horslips-Schmiede.[44]
Zum Schluss werden noch mal ganz andere Töne angeschlagen, nämlich orientalische.
Passt zwar weniger zu den acht Titeln davor, dafür aber zum CD-Cover mit den Sanddünen.
Zum Gesamtpaket des Albums gehören noch die Texte als pdf-Datei dazu, sowie
Videosequenzen des 25th Anniversary Concert im April 2010 im Kulturhaus München-Neuperlach
und eine Fotogalerie,
plus eine Powerpoint-Präsentation zur Bandgeschichte und ein
Interview mit Band-Urgestein Wolfgang Fastenmeier.
© Walkin' T:-)M
Lincke & Hatt "Way North"
Narrenschiff, 2011
Irish Music wird mittlerweile ja überall auf der Welt gespielt,
und auch ohne irisches Blut in den Adern überaus exzellent.
Und vielleicht ist Irish Folk in der Schweiz ja für den deutschsprachigen Raum,
was Sliabh Luachra für Irland ist. Ein schlechter Vergleich, denn
es gibt grad mal einen Slide, aber keine Polka weit und breit.[42]
Und auch nicht East Galway, obwohl die Kombination Fiddle-Gitarre und der musikalische Ansatz
an Martin Hayes und Dennis Cahill erinnern.[38]
Bevor ich noch mehr Unsinn von mir gebe, sehen wir uns doch mal genauer an, was ich auf den Tisch
bekommen habe, und da stellen wir als erstes fest, dass die musikalische Wahlheimat doch
wohl eher Schottland ist. Der traditionelle "Kataroni Jig" gleich zu Beginn hat seinen
Namen von einem Berg auf den Shetlands.
"Da Cold Nights of Winter" und "Da Spirit o' Whisky" sind zwei typische Shetland-Reels,
vermutlich aus dem Repertoire der Boys of the Lough übernommen.[38]
Des weiteren finden wir noch ein paar irische Jigs & Reels,
sowie mit "Give The Fiddler A Dram" einen Old-Time-Tune aus den Appalachen.
Es gibt ein paar musikalische Gäste, u.a.
Dide Marfurt an der Bouzouki (Doppelbock, eCHo),[42]
das Gros bestreiten aber
Matthias Lincke (Fiddle) und
Rumi S. Hatt (Gitarre, Gesang)
als Duo. Beide musizieren bereits seit mehr als zehn Jahren zusammen,
als Duo Cunning Folk mit dem Schwerpunkt keltische Musik,
um unter dem Namen Lincke & Hatt nun zu neuen Ufern aufzubrechen.
Gesungen wird übrigens auch, und auch wenn Lieder - im Gegensatz zur Instrumentalmusik -
nicht unbedingt die Stärke des Duos sind, ist die Auswahl gut gelungen:
"Band of Shearers" steht in vielen Liederbüchern, ich habe aber noch keine Aufnahme gehört;
"Highland Harry" ist ein eher obskurer Song aus der Feder von Robert Burns;[38]
"When First I Came to Caledonia" hat trotz des Titels nichts mit Schottland, sondern mit
dem kanadischen Cape Breton zu tun.
(Die deutsche Gruppe Dán hat den Song u.a. auf ihrem Debütalbum aufgenommen.)[33]
Zum Schluss spielen sie noch einen Ländler aus dem
Apenzellerland[44]
- und wenn ich so lausche, denke ich:
ist ein Ländler denn nicht einfach eine Kreuzung aus einem Walzer und einer Polka?
Womit wir wieder am Anfang wären. Ich empfehle jedenfalls, einmal reinzuhören.
Es gibt viele interessante Ideen und viel zu entdecken.
© Walkin' T:-)M
Howard Glazer and the EL 34s "Wired for Sound"
Blue Skunk Music, 2011
Howard Glazer and the EL 34s (d.i. eine Elektronenröhre, die in Endstufen von Gitarrenverstärkern verwendet wird)
sind ein dynamisches Bluestrio (Stromgitarre, Bass, Schlagzeug)
aus Detroit. Glazer spielt einen heißen Socken. Im Trioformat klingt es
in den besten Momenten, als wenn die britische Rocklegende Cream wiederauferstanden wäre.
Schon lange haben die sechziger Jahre nicht mehr so frisch geklungen.
Mit Gästen wie dem Delta-Bluesman David "Honeyboy" Edwards[36]
oder einen Bläserabteilung wird der Horizont gelegentlich erweitert.
"Wired for Sound" ist abwechslungsreich und voller Energie - empfehlenswert für alle Blues-Rock-Fans.
© Walkin' T:-)M
Sigrid Moldestad "Sandkorn"
Grappa Musikkforlag, 2010
Sigrid Moldestads Album aus dem vergangenen Jahr wird von Galileo MC in diesem Jahr in Deutschland veröffentlicht.
Die Sängerin, Geigerin und Hardanger-Fiedlerin wurde dafür berechtigterweise in Norwegen mit dem
Folk Musician of the Year Award ausgezeichnet.[44]
Mit Gästen wie Mattias Perez (Gitarre) und Anders Hall (Geige)
hat Sigrid Moldestad ein Album eingespielt, dass außer der Sprache erst einmal wenig Nordisches
erkennen lässt. Das Geigenspiel klingt eher nach Nashville,
aber zwischen nordischem und amerikanischem Old-Time-Gefiedel gibt es ja viele Parallelen.
Die Melodien klingen eher nach keltischem Liedgut. Der aufmerksame Hörer wird auch unweigerlich in
"Å vaking", "Ein Sæl Kyss" und "Ei raud raud rose"
die Robert-Burns-Lieder[38]
"Aye Waukin"[40]
"Ae Fond Kiss"[40]
und "A Red Red Rose"[40] erkennen.
Von Robert Burns stammt auch das Sandkorn-Zitat, das der Scheibe den Titel gegeben hat
As long as I´ll love you, as time passes and the grains of sand...
Die Quelle konnte ich allerdings nicht identifizieren.
Der Rest ist original Moldestad, in der Interpreattion nicht ganz so poppig wie
Kari Bremnes,[39]
aber auch nicht ganz so schwermütig wie nordische Volksmusik oftmals zu sein pflegt.
© Walkin' T:-)M
Die Strottern "Das größte Glück"
Cracked Anegg Records, 2010
Der Spittelberg
unmittelbar hinter dem MuseumsQuartier im 7. Wiener Gemeindebezirk (Neubau)
ist mit seinen Biedermeierhäusern, gemütlichen Gassen, dem Weihnachtsmarkt
und vor allem durch die Lokaldichte zu einem Wiener Szeneviertel geworden.
Und da gehören sie hin, das Neo-Wiener-Lied-Duo Die Strottern,[39][39]
und nicht in die Touristen-Heurige vor den Toren der Stadt.
Bei dem
Live-Mitschnitt von zwei Konzertabenden im Theater am Spittelberg im August 2010
haben sich Klemens Lendl (Gesang, Geige) und David Müller (Gitarre) ganz auf das
traditionelle Wiener Liedgut des 19. und 20. Jahrhunderts konzentriert.
Da werden überkommene Melodien gesungen
(ob es sich um Klassiker des Genres oder eher unbekannte Stücke handelt, kann ich als Nordlicht nicht beurteilen),
aber auch eine Wiener Version von Tom Waits "Day After Tomorrow".
Der Wiener Humor kommt nicht zu kurz, wenn man davon träumt, dass die Russen / Amis / Marsianer einmarschiern. Aber
solln's nur ruhig einmarschiern, wir werden's schon demoralisiern,
nämlich mit Schmäh, Sachertorte, und Sängerknaben ("I maan, i tram").
Mittendrin Soldatenlieder aus dem 1. Weltkrieg, und der Wiener Charakter
ist dem Schwejk näher denn dem Gröfaz. Andere Rassen schreiten vorwärts,
mir san an müde Völkerschaft und machen net mit
("Da san mir net scharf drauf in Wien").
Das ist Wienerlied pur, aber jenseits von
sich zu Tode fressen und zu Tode saufen und dabei permanent Fetzen
von Wienerliedern krächzen. (Manfred Wieninger)
© Walkin' T:-)M
Weiherer "Offline live"
Conträr, 2011
Dass der Weiherer Christoph[26][29][30][32][35][38]
längst aus dem Schatten etwaiger Vorgänger wie z.B.
Hans Söllner[35]
herausgetreten ist und mittlerweile eine ganz eigene Marke ist,
beweist der bayrische Liedermacher mit seiner aktuellen Live-CD.
Vergleiche mit anderen ziehen kann man eh nicht, denn der Weiherer
ist in der deutschen (eigentlich: bajuwarischen) Liedermacher-Landschaft
eine singuläre Erscheinung. "Offline live" beinhaltet insgesamt 10 Lieder,
aufgenommen am 24. November 2010 im Schlachthof München,
neue Stücke, aber zum guten Schluss die alten Hits "Scheiß da Hund" und "Ned so schlimm".
Nur 10 Lieder, aber dadurch vermeidet er einzig mit Stimme, Akustikgitare und gelegentlicher
Mundharmonika bewaffnet, dass musikalische Langeweile aufkommt und es bleibt abwechslungsreich.
In diesem Jahrzehnt, in dem der Weiherer unterwegs ist, hat er sich textlich wie musikalisch
enorm weiterentwickelt (sogar - mal den Teufel an die Wand - mit dem neuen Titelstück ein
Lied zum Mitsingen). Der Rest besteht eh aus seinen philosophischen bis witzigen
Ansagen, Anmerkungen, Erregungen und kleinen Geschichten wie Zibbfe eine, Zibbfe auße,
Schweiza Franggn oder mei CD beim Saturn.
Für den Weiherer-Fan ist "Offline" ein klares Muss, für den Novizen ein guter Einstieg.
© Walkin' T:-)M
Mercedes Peón "Sós"
folmusica, 2010
Keine Künstlerin schafft es so mühelos, die Grenzen der Weltmusik auf so intensive Weise zu sprengen, wie die galizische Musikerin Mercedes Peón. "SÓS" ist ihr viertes Album. Während sie auf den vorangegangenen Alben zeigte, wie man traditionelle Musik mit verschiedensten Klangelementen verändert und zu etwas Neuem macht, erfindet sie auf "SÓS" eine völlig neue Form der Komposition. Hier sind neben den dafür vorgesehenen Instrumenten, wie Klarinette, Akkordeon, Gitarre, alle Elemente, die Klänge erzeugen können, musikalisches Spielmittel. Selbst die Brabbelgeräusche eines kleinen Kindes werden zum Musikinstrument. Doch klingen die einzelnen Tracks nicht wie Klanginstallationen. Es sind bewusst komponierte eigenständige Lieder und keine Soundschnipsel oder Chillout-Mixe. Wie ein Soundtrack zu einem komplexen Kunstfilm entwirft sie ihre Melodien und kreiert eine Musik, die zu unglaublichen Gedankenspielen verführt. Mercedes Peón taucht seit Jahren in der Welt der Klanginstallationen nach Perlen und ordnet die Funde zu einem großen Gesamtkunstwerk – dem ihrer Musik.
© Karsten Rube
Gretchen Peters "Circus Girl"
Gretchen Peters Tours Inc., 2009
Etwas beunruhigt ob der Wahl des CD-Titels war ich schon, als ich die Platte "Circus Girl" der amerikanischen Songwriterin Gretchen Peters das erste Mal in den Händen hielt. Eine weitere nostalgische Rückschau auf die Zeiten der fahrenden Zirkusleute mit Blechgebläse und Singender Säge brauchte ich nun wirklich nicht. Aber Gretchen Peters, die in den USA bereits seit Jahren eine gefeierte Countrysängerin und Songwriterin ist und für ihre Kompositionen bereits zurecht zwei Grammys eingeheimst hat, nimmt nur den Titel "Circus Girl" vom 1996 Album "Secret of Life" als Aufhänger, um ihrem Best Of Album einen Namen zu geben. Das Album "Circus Girl" möchte das gehaltvolle Schaffen der Sängerin auf einem Album bündeln. Dass dabei nicht jeder der vielen melodiösen Country-, Folk- und Popsong auf die Compilation passt ist schade, aber nicht zu ändern. Freuen wir uns über die, die Gretchen Peters ausgewählt hat. Das wunderschöne "On a Bus to St. Cloud", ebenfalls von "The Secret of Life" ist zu hören und der gefällige Countrysong "This Town". Zum Träumen schön auch "The way you move me". "Circus Girl" ist eine gelungene Sammlung von ausnahmslos guten Songs aus der nun auch schon 15 Jahre währenden Karriere der Amerikanerin.
© Karsten Rube
Spieltrieb "Unabhängigkeitserklärung"
Eigenverlag, 2010
Das Oldenburger Liedermacherduo Spieltrieb spielt seit fünf Jahren miteinander. In dieser Zeit tourten sie viel und ersannen allerhand Lieder über Alltäglichkeiten und Unerträglichkeiten. Mit unangestrengter Alltagspoesie geben sie ein Bild ihrer Umwelt und all der Themen wieder, die sie bewegen. Das sind keine weltbewegende Themen, aber Themen, die berühren oder zumindest jedem bekannt sind. Ob es darum geht, dass man vergessen hat, vor dem Flug sein Handgepäck auf verbotenen Dinge zu untersuchen oder darum, dass man an manchen Tagen einfach nichts auf die Reihe bekommt und nur wie in Trance abhängt, immer wirkt ihre Sprache auf einfachste Weise gewählt. Das zu Herzen gehende Lied "Alter Mann" erzählt vom Erinnern und Abschied nehmen. "Volkslieder" versucht sich am ewigen Dilemma, dass deutsche Volkslieder auch mal schön sein dürfen, ohne dass dabei sofort eine Verherrlichung des Nationalismus angemahnt werden muss. Spieltrieb nehmen sich nicht all zu ernst. Ihre Songs besitzen häufig eine feine Ironie, beleidigen jedoch nie. Bis zum Sarkasmus dringen sie nur selten vor. Lediglich in "Uniform" werden sie etwas dreister. Abgerechnet wird nebenbei noch mit dem Superstar-Kult und der leichtsinnigen Verschwendungssucht, die mit der Möglichkeit einhergeht, sich an einen Darlehensvertrag zu binden. Alles Themen, mit denen wohl fast jeder was anfangen kann. "Unabhängigkeitserklärung" ist wunderbar unkomplizierte Musik aus der unmittelbaren Nachbarschaft.
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Dolores Sola "Salto Mortal"
OJO-MUSICA, 2010
Dass die Unterhaltungsform des Zirkus' heute noch eine Rolle spielt, will man kaum glauben. Doch trotz der Antiquiertheit dieser Darstellungsform gibt es noch immer zahlreiche kleine Familienunternehmen, die durch die Lande ziehen, jonglieren, als Clowns Faxen machen oder als Raubtiere durch Reifen springen. So scheint es auch immer noch eine gewisse Faszination zu besitzen, diesem am Rande des gesellschaftlichen Interesses agierenden Kulturbetriebes einen nostalgisch verklärten Blick hinterher zu werfen. Dolores Sola aus Argentinien hat unter dem Titel "Salto Mortal" eine CD aufgenommen, die musikalisch zwischen Zirkusästhetik und Tango pendelt. Dabei verwendet sie Stücke von Carlos Gardel, Augustin Magaldi und Franz Lehar. Dass sie sich dabei eher auf eine tangoorientierte Interpretation ihrer Lieder einlässt, gerät sehr zum Vorteil der Platte. Dadurch wirkt sie weder überdreht, wie manch andere dem Metier Zirkus geweihte Produktion, noch schwelgt sie in verkitschter Nostalgie. "Salto Mortal" ist angenehm zu hören und durchaus kurzweilig.
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Shlomit "Tehora"
Shir Production, 2010
Musik zwischen Jazz, Weltmusik und israelischem Pop hört man auf der CD "Tehora" der israelischen Künstlerin Shlomit. Musik, die für kleine Bühnen und Konzerte geeignet ist, denn Shlomit legt viel Wert auf Interpretation. Auch die sie begleitenden Musiker klingen wie erfahrene Jazzmusiker mit Liveambitionen. Shlomit erscheint mal aufregend und energisch, kann aber, wie in der Ballade "At Ima Shela" auch eine sehr melancholische Stimmung erzeugen. Ihre vom Jazz inspirierten Songs erinnern stark an die Musik der polnischen Künstlerin Anna Maria Jopek, kann in den poplastigen Momenten aber auch eine Nähe zur israelischen Sängerin Noa nicht verhehlen. Eine gelungene CD mit sehr schönem hebräisch gesungenem Smooth-Jazz.
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Escoriza "Mirando p'l este"
Fromdaguettorecords, 2010
Benjamin Escorizas Musik kann man am besten mit dem Begriff arabo-andaluzischer Flamenco-Jazz umreißen. Der Musiker aus Granada ist noch hinlänglich bekannt aus seiner Zeit bei Radio Tarifa. Von daher rührt seine Neigung, mediterrane Weltmusik zu spielen, wie sie auch auf vorliegendem Album "Mirando p'l este" zu hören ist. Der Flamenco liegt als Grundlage unter Titeln ausgebreitet, wie ein Teppich. Eingewoben in das ohnehin schon ornamentreiche Muster des Flamenco finden sich ruhig dahin fließende Elemente von Klezmer, wie sie sich in "Vijea Escula" sehr schön abheben. Aber auch arabische Klangmuster, die im Flamenco ohnehin häufig vorkommen, sind deutlich und nicht zu überhören. Doch was wäre ein Weltmusiker heute, wenn er seiner heimatlichen Sichtweise nicht ein wenig von der Farbe der großen weiten Welt hinzufügen würde. So bringt er die Cumbia ins Spiel, verstärkt seine Band mit Bläsersätzen lateinamerikanischer Art und ist auch nicht ängstlich im Umgang mit der E-Gitarre. "Mirando p'l este" ist Benjamin Escorizas konsequente Weiterentwicklung des Radio Tarifa Sounds.
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Fraunhofer Saitenmusik "Nordsüd"
Trikont, 2010
Unter bayrischer Musik versteht der Nichtbayer allgemein das Geblase im Bierzelt. Das ist eines der ewigen Klischees. Alpenländisch und trotzdem fernab des Musikantenstadls agieren die Instrumentalisten der Fraunhofer Saitenmusik.Und das bereits seit drei Jahrzehnten. Harfe, Flöte, Hackbrett, Kontrabass und Gitarre sind ihre Instrumente. Hinzu kommt eine profunde Kenntnis der Spielweisen der traditionellen und klassischen Musik in Europas Geschichte und Gegenwart. Diese Kombination macht sie zu mehr, als man landläufig von bayrischen Volksmusikern erwartet. "Nordsüd" heißt die aktuelle Sammlung der Fraunhofer Saitenmusik. Hier hört man Lieder unterschiedlichster Herkunft, allerdings mit einer deutlichen Auswahl von Stücken von der europäischen Nord-Süd-Achse. Den dänischen Tanz spielen sie mit der gleichen eleganten Leichtigkeit mit der sie sich kurz darauf gelungen an einer Tarantella ergehen. Aber auch ihre Ausflüge in die Klassik, wie es bei dem Lied "Der Wilde Reiter und Annenpolka" der Fall ist, meistern sie vorzüglich. Hier verbinden sie eine Komposition Robert Schumanns mit einer Komposition von Johann Strauß Vater. Trotz zahlreicher federleicht gespielter Klassikadaptionen liegt ihre große Aufmerksamkeit auf dem landläufigen Tanz. Da gehts auch schon mal zünftig zu, wie "Beim Stirzer". Drei Lieder widmen sie dem irischen Komponisten und Harfenspieler Turlogh O Carolan, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts einer der Nationalkomponisten der grünen Insel war. Die CD der Fraunhofer Saitenmusik klingt über die Gesamtlänge von 50 Minuten sehr entspannt und besitzt eine freundliche Klangfarbe. Das Spiel der Harfe und vor allem, das des Hackbretts sorgen für eine Form von Gemütlichkeit, die bei oberflächlicher Betrachtung spießig wirken könnte. Doch sollte man sich von diesem Eindruck nicht täuschen lassen. Die Fraunhofer Saitenmusk ist weit entfernt davon, sich der Volkstümelei zu ergeben. Hier hören wir virtuose Musiker, die sich mit viel Liebe zum Detail in den Fundus der europäischen Musikkultur stürzen und dort so allerhand feine Schmuckstücke zutage fördern.
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Steinar Aadnekvam "Simple Things"
MusicMakesYouHappy, 2010
Komplizierte Melodien so klingen zu lassen, als wären sie simple zu spielen, das scheint zum Wesen der Musik des norwegischen Gitarristen Steinar Aadnevkam zu gehören. 1984 in Bergen geboren, reiste er bereits in früher Jugend durch die Welt, bis er in Stockholm schließlich ein Musikstudium aufnahm. Die CD besticht durch die Leichtigkeit, mit der sich der Gitarrist im Stile eines Pat Metheny durch seine Kompositionen tragen lässt. Auch die Interpretationen solcher Standards, wie "Blame me on my youth" oder "Fotografia" von Antonio Carlos Jobim lässt er lässig von seiner Gitarre tropfen. Nordisch klingt die Musik von Steinar Aadnekvan nicht. Im Gegenteil. Seine Reisen schlagen sich deutlich in der Stimmung der Lieder nieder. Mediterran und brasilianisch hören sich viele Kompositionen an. Daher sicher auch die freundliche Atmosphäre, die diese CD ausmacht. An seiner Seite hat Steinar Aadnekvan einen der improvisationsfreudigsten jungen Jazzpianisten, den ich in letzter Zeit hören durfte. Jonatan Guzman spielt, als habe er Lyle Mays Stil gehört, gelernt und ist nun dabei, dem einige neue Sichtweisen hinzuzufügen. Dieser junge Jazz aus dem hohen Norden strahlt große Wärme aus. Hier sind Talente am Werk, die man nicht aus den Ohren lassen sollte. Der Titel, den er seinem eigenen Plattenlabel gab "MusicMakesYouHappy" ist ohne Anmaßung gewählt.
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Alpha Yaya Diallo "Immé"
Jericho Beach Music, 2010
Alpha Yaya Diallo veröffentlicht seit Jahren nicht nur preisverdächtige CD's, sondern gewinnt auch regelmäßig den Juno Ward. Diese kanadische Variante des Grammy konnte der in Guinea geborene Musiker bereits dreimal entgegen nehmen. "Immé" ist die aktuelle CD des Gitarristen und Sängers. Seine Songs sind auf treibenden Rhythmen balancierende Meilensteine des Afro-Beats. Auf Augenhöhe mit Salif Keita und Youssou N'Dour produziert der in Kanada lebende Musiker einen hitverdächtigen Song nach dem anderen. Wunderbar anzuhören ist dabei sein für afrikanische Musikstile typisches perlendes Gitarrenspiel. Songs, wie "Femme Noire", "Wondigal" und der Titelsong "Immé" haben dabei das Potential sich ins Ohr zu bohren und nicht wieder raus zu wollen. "Immé" ist ein absolutes Muss für alle Freunde des Afro-Beats.
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Celtech "Celtech"
Osmosys, 2010
Keltische Tanzmusik und Elektrobeats sind gar nicht so weit von einander entfernt, wie man annehmen möchte. Fiddle, Drehleier, Flöte, Mandoline und Akkordeon vertragen sich sehr gut mit Dub-Beats und chilligen Sounds. Das beweisen nicht nur die entspannenden Nachtmix-Sessions auf Klassik-Radio, sondern vor allem Soundsysteme, wie das Afro-Celt-Soundsystem. Mit Celtech beweist ein neues Fusionexperiment, wie wunderbar sich traditionelle Musik und Clubsounds verbinden können. Dieses coole Album wird keine Sekunde langweilig. Fernab der Riverdance-Musicalästhetik gelingt hier ein modernes Soundspektakel, das in Tanzclubs und auf Festivals generationsübergreifend Liebhaber finden sollte.
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Various Artists "Berlin Global"
multicult.fm, 2010
Sie möchten eine Weltreise machen, haben aber kein Geld? Multicult.fm hilft Ihnen gern und zum Sondertarif. Die Reise umfasst 18 Stationen und der Internetnachfolger des ehemaligen RBB-Senders Radio Multikulti begleitet sie musikalisch mit der für diese Station bekannten profunden Kenntnis der Kulturen der Welt. Allerdings brauchen sie ihre Kopfhörer nicht abzusetzen, während sich die CD "Berlin Global" nicht einmal die Mühe machen muss, die Stadt Berlin zu verlassen. In der multikulturellen Millionenmetropole tanzt seit jeher der Bär mit der Giraffe und das Lama mit dem Känguru. So hört man auf diesem bunt zusammengewürfelten Sampler z.Bsp. die Ohrbooten, die "Gyp Hop" anbieten. Der Bahama Soul Club sorgt mit "Bossa Pop" für die schwülwarme Royal-Swing-Stimmung. Brass-Hop wird von Mellow Mark und Pyro Merz präsentiert. Mellow Mark kommt zwar aus Reutlingen, lebt aber wie viele Schwaben heute in Berlin und bereichert die Stadtkultur mit Soul und Reggae und immer wieder mit politischem Engagement, das er geschickt mit seiner Musik transportiert. Polkaholix liefert die allseits gefürchtete Rummelplatzpolka. Laut und schrill polken sie, das einem schwindlig wird. Hier herrscht die Gefahr, dass einem die Currywurst aus dem Hals fällt. Der türkische Anteil wird auf der CD unter anderem von der süchtig machenden Soulband Orientation vertreten. Diese groovende Truppe bringt jeden mit ihrer Melange aus türkischem Pop und Soulmusic zum Tanzen. Derzeit mit Muhabett auf Tour sind sie ein hervorragendes Beispiel Berliner Musikkultur multikultureller Prägung. Nach Latinmusik und dem bekannten SEEED-Sound, den hier Frank Dellé zelebriert, wird es blueslastig mit Chefket. Dass es in der Berliner Musikszene noch abwechslungsreicher zugeht, zeigt sich auf der zweiten Hälfte der CD. Jazz hören wir von Dalindeo, einem finnischen Sextett, das nur deshalb auf der CD gelandet sind, weil es mit der in Berlin lebenden Sängerin Bajka zusammenarbeitet. Fanfara Kalashnikow sorgen noch einmal für die Balkanpower bevor endlich auch mal der afrikanische Kontinent, in Berlin ja deutlich vertreten, zu hören ist. Die Rapperin Sister Fa aus dem Senegal und der Balafonspieler Aly Keita von der Cote Ivore vertreten den Kontinent mehr als würdig. Nicht zu vergessen ist ein typisches Reiseziel des Berliners, das auf dem Sampler einen wichtigen Platz einnimmt: der Balkon. Die Berliner Rapperin Susius holte sich den HIP-Hop-Experten Freaky Floe auf ihren Balkon und ließ auch noch Nachbar P.R.Kantate auf ein Bier vorbeikommen. Heraus kam dabei der einzige nennenswerte heiße Sommerhit des Jahres 2010. Mit der CD"Berlin Global" unternimmt man also eine Weltreise durch Berlin und kann sich sogar das Geld für das Ärgernis S-Bahn sparen.
© Karsten Rube
Di Grine Kuzine "Everybody's Child"
Flowfish, 2010
Fester Bestandteil der Berliner Weltmusikszene ist seit Jahren Di Grine Kuzine. Eastern Roots finden in der Band zu Western Beats. Klezmer und osteuropäische Folklore kuscheln mit Ska. Dieses Konzept, das in der Weltmusikszene seit geraumer Zeit wuchert, ist bei der Kuzine Standard. Und das nun schon seit fast zwei Jahrzehnten. Nach fünf Jahren Pause, die keineswegs untätig verbracht wurde, lässt die Kuzine mal wieder die Sau raus. Stimmungsvoll und eigensinnig poltern sie sich auf der aktuellen CD "Everybody's Child" durch ihr aktuelles Repertoire, das sich nahtlos an vorhergehende Produktionen anschließt. Die Balkanparty, auf der sie schon spielten, bevor sie zum Discothekentrend wurde, ist in den musikalischen Arrangements der Band immer noch Grundstimmung. Dabei kümmern sie sich ebenso wenig um Trendsetting, wie um sauberen Gesang. Alexandra Dimitroffs Gesang kann man dabei als hervorragend bezeichnen, wenn sie sich auf den Stil der Bulgarian Voices einpegelt. Den beherrscht sie ganz vorzüglich und in dieser Tradition höre ich sie gern. "Katerino mome" klingt nach launiger Rhodopen-Mucke. In "Die Sonne" jedoch jodelt sie so bewusst am sauberen Ton vorbei, dass einem der Tinnitus droht. Da retten auch die Bläsersätze nichts. "Baby Sommer" wirkt wieder so gefällig, wie ein Sommertag an einer Berliner Strandbar mit leicht kühlender Brise. Dazu passt Snorre Schwarz' zurückhaltender Gesang ganz vorzüglich. Doch dann stürzt sich die CD in einen Kindergeburtstag. "Monster" ist eine der schlimmsten Rummelplatzpolkas, die ich je gehört habe. Perfekt als Soundtrack für das Café Sabberschnute beim Gemeinschaftsgeburtstag der Einschulungsgruppe. "Abashar" ist wieder ein Lied für Alexandra Dimitroff, in dem sie ihren Gesangsstil, der gern am Rande des Registerwechsels zwischen Brust- und Kopfstimme balanciert, passend einzusetzen vermag. Der CD "Everybody's Child" ist die fünfjährige Dauer seit der letzten Veröffentlichung nicht anzuhören. Eine Fortsetzung von "Berlin-Wedding" also, qualitativ auf gleichem Niveau und damit nach einer solchen Wartezeit ein bisschen enttäuschend.
© Karsten Rube
Various Artists "Il Sud" [3 CDs]
Italian World Music, 2010
Süditalien, das ist ein Land des Tanzes, des Gesangs und des Theaters. Süditalien als Provinz zu verstehen, wäre falsch. Es ist eine Kulturregion, die eine lange Tradition besitzt. Ein umfassendes musikalisches Kompendium der Kunst und Kultur Süditaliens hat das Label "Italian World Music" im Jahre 2010 veröffentlicht. Drei CD's mit Tarantellas, Melodien und kulturellen Momentaufnahmen aus allen Regionen Süditaliens und in vielen Spielformen bietet diese schön gestaltete 3er Edtion. Dabei ordnen sie die vielen auf den CD's vertretenen Künstler in die Bereiche Tanz, Gesang und Spiel.
Süditalien und die Tarantella gehören zusammen, wie Pasta und Bolognese. Das eine kann zwar ohne das andere sein, aber vollständig ist es nur in Kombination. Auf der CD 1 befinden sich hauptsächlich Musiker, die mit ihren Tarantellas zum Tanz aufspielen. Mit dem bekannten sizilianischen Blockflötenspieler Carmelo Salemi geht es z. Bsp. bis nach Syracuse an die Spitze Siziliens hinunter. Es ist ein Blick in das ländliche und traditionelle Süditalien. Während die erste CD sich der traditionellen Tarantella widmet, gibt sich die CD 2 bereits deutlich moderner. Hier liegt der Fokus auf dem Gesang. 11 Lieder sind hier zu hören, die deutlich den süditalienischen Hang zum sentimentalen Kitsch bezeugen und auch die Vorliebe zum Schlagers nicht unterdrücken können. Auch hier beißt die Tarantel gelegentlich den Musiker. Doch auch Musiker aus Italiens Folkszene sind zu finden, wie Ghetonia von der Halbinsel Salent, sowie die Gruppe Bizantina. Diese begeistert mit Musik, die arabische Einflüsse mit Elementen des Folkpops und der Mittelaltermusik verbindet. Carmelo Salemi ist auch bei dieser CD vertreten, flötet und singt und liefert ein frisches Lied ab, das zwischen Folklore und Reggae pendelt. CD 3 widmet sich komplexeren Darstellungen süditalienischer Musikalität. Auf dieser CD hört man, wie sich die Region auf Bühnen und vor größerem Publikum präsentiert. Musikgruppen, die mit eigenem Tanzensemble anreisen, die ihre Spielweisen inszenieren, die Tarantella und Gesang als kulturelles Ausdrucksmittel benutzen sind hier vertreten. Hier wird der Hang der Künstler der Region zur Melodramatik zuweilen etwas überdeutlich. Doch auch Grooviges kann man auf dieser CD hören. Bellitamburi heißt die Kapelle, die Mitte der dritten CD mit Funk, Saxophon und schrägen Elektropop für Abwechslung sorgt.
Mit dieser Dreier-Box gewinnt man einen sehr guten Überblick über die Vielfalt der von starken traditionellen Einflüssen geprägten Musik Süditaliens. Ein Eindruck, der nicht der Überraschung entbehrt.
© Karsten Rube
De Poil "C'est pas une blague!"
Coop Breizh, 2010
Die bretonische Familie DePoil aus St. Brieuc spielt zum Tanz auf. Für feurige Melodien, die ein bisschen zigeunerhaft daher kommen, benutzen sie Gitarre, Kontrabass, Akkordeon und Singende Säge. Die Lieder wirken wie eine Melange aus Jacques Brel, Tom Waits und George Brassens. Sind es Chansons oder Moritatengesänge oder das alltägliche Erzählen zwischen Muschelwaschen und abendlichem Cidre? Der Familie DePoil ist es egal, wie man es nennt. Sie verpacken ihre Lieder nun auch auf Platte, aber eigentlich musizieren sie ohnehin den ganzen Tag. So ist "C'est pas une blague" von DePoil ein unterhaltsames Beispiel französischer Kleinkunst geworden, auch wenn man nicht hinter jeden, der zum Teil deftigen Texte steigt. Denn manchmal ist es, wie sie selber singen nichts als "Bric-A-Brac", also ziemliches WirrWarr.
© Karsten Rube