FolkWorld Ausgabe 36 07/2008

FolkWorld CD Kritiken

Dazibao "Alma"
Label:
Home Records; 2005; Spielzeit: 47:55 min
Die Akkordeonistin Sophie Cavez ist in der Folkszene Belgiens etwa so bekannt, wie Sharon Shannon in Irland, Maria Kalaniemi in Finnland oder Cathrin Pfeifer in Deutschland. In mehreren Bandprojekten band sie sich ein, so in das der belgisch-galizischen Pandereita-Formation Ialma, sowie in die durch ihren Eurovisionsauftritt 2003 bekannt gewordenen Gruppe Urban Trad. Im Jahre 2005 initiierte sie ein musikalisches Projekt namens Dazibao. Ein sehr persönliches musikalisches Projekt, das in erster Linie aus eigenen Kompositionen Cavez’ besteht. In einer kleinen vier Personen umfassenden Formationen lässt sie dabei ihrem virtuosem Spiel des Diatonischen Akkordeons freien Lauf, spielt harmonisch mit westeuropäischen Folkelementen und Flamencoanklängen herum. “Alma” ist ein entspanntes, professionelles Folkalbum, fern von traschigem Rummelplatzfolk.
www.sophiecavez.be
Karsten Rube


Zariza Gitara "Sovnakaj pe tchar"
Label: Eigenverlag; 2007; Spielzeit: 54:59 min
“Sovnakaj Pe Tchar” bedeutet wohl soviel, wie “Gold auf dem Gras”. Ob nun die blühenden Butterblumen gemeint sind, die Rapsfelder oder die Sonne, die sich auf der Wiese ausstreckt sei dahin gestellt. Doch alles, Butterblumen, Raps und Sonne, ist auf weitem sich bis zum Horizont erstreckenden Land zu sehen. Land, über das seit Jahrhunderten das fahrende Volk zieht und mit ihm seine Lieder und Tänze.
Das Ensemble Zariza Gitara, ein bunt zusammen gewürfeltes Musikerquartett aus der Ukraine, Russland, Kasachstan und Deutschland, spielt diese Lieder so lebensfroh, als säßen sie am Lagerfeuer, während die Mädchen in bunten, wehenden Stoffen gehüllt um den Hörer herumtanzen. Die Weisen, die auf der CD “Sovnakaj Pe Tchar” ausschließlich aus russischen Zigeunerliedern bestehen, wirken so alt, wie die Reisen dieses Volkes und doch so frisch, wie jeder neue Aufbruch. Liebe und Leid liegen dicht beieinander, Tanz und Überleben, wärmende Sonne und schneidende Winde. Vielleicht klingt diese Musik deshalb so intensiv nach dem Genuss der Gegenwart.
www.zariza-gitara.info
Karsten Rube


Prekmurski Kavbojci "Fuer Dich"
Label: Suisa; 2007; Spielzeit: 53:45 min
Wo führt es hin, wenn ein paar Köche mit Ingredienzen, Gewürzen und Ideen ankommen und nur ein Topf da ist? Im Glücksfall gibt es einen guten Eintopf. Im Normalfall ist die Brühe nur schlecht genießbar.
Die schweizerische Kapelle Prekmurski Kavbojci hat nur einen Topf und da sie sich nicht entscheiden können, ob sie nun einen feurigen Balkantopf oder eine gediegene Gemüsebrühe mit den Zutaten aus ganz Europa kochen wollen, rühren sie zusammen, was sie finden können. In den Topf fliegt also, Balkanbrass, Klezmer, Gipsyanklänge, Punk und Elektronik.
Warum ich den Kochtopfvergleich wähle? Nun, sie selbst warnen jeden, der nur isst, was er kennt, ausdrücklich vor sich. Die Warnung kann nicht deutlich genug sein, denn dieser Eintopf ist abschreckend. Hier verderben nicht viele Köche den Brei, denn die Köche sind ganz gute Instrumentalisten, nein, hier wird einfach zu viel zusammengekippt.
“Fuer Dich” ist musikalisch so einfallslos wie das Aufspielen des Orchesters von Circus Bums, von allem etwas und nichts richtig. Bis auf das Duduk-Solo von Ulrich Pletscher - Sinula” heißt es und besitzt all die Traurigkeit, die dieses Instrument hervorzubringen vermag - bis auf dieses einzige Ausnahmestück, ist die Musik dieser CD nur unter Zuhilfenahme starker Alkoholika zu ertragen. (Was vielleicht der Grund ist, warum die Musik live ganz gut ankommen soll.)
www.mellowdee.ch
Karsten Rube


Ana Moura "Para alem da saudade"
Label: Universalmusic; 2007; Spielzeit: 47:01 min
Der Fado bringt immer wieder neue junge talentierte Sängerinnen hervor, die von den Medien schnell als neue Stars am Fadohimmel gehandelt werden. Offenbar verschleißt die gesungene Melancholie ihre Stars recht schnell, denn langjährige Königinnen und Hohepriester, wie die unangetasteten Fadoikonen Amalia Rodriguez und José Afonso hat es trotz aller Preisungen neuer Stimmen nie wieder gegeben. Junge Fadosängerinnen und -sänger sind immer wieder hoffnungsvolle Stimmwunder. Werden sie erstmal berühmt, verkommen sie gern zu launenhaften Diven, wie an der einst als Thronfolgerin des Fados gehandelte Mariza zu sehen ist oder an Dulce Pontes, die heute eher Tonhöhen und -längen testet, statt zu singen. Misia wäre noch zu erwähnen, doch die hat sich längst über die Wogen des Fados und der Divenhaftigkeit erhoben und musiziert kunstvoll alle Genres ignorierend.
Neueste Hoffnung des Fado ist Ana Moura. Ihr Album “Para alem da saudade” klingt nach frischer Luft. Der Fado, so melancholisch, so emotional er von erfahrenen Fadistas gesungen oder besser voller Inbrunst herausgeweint wird, ist bei ihr noch in den Kinderschuhen. Die stehen dem Fado jedoch, denn hier steckt in jedem Lied bei aller Melancholie und Saudade noch Lebenslust und Hoffnung, ja, Momente der Ironie. Die fast schon gespenstische Todessehnsucht einiger fürchterlich ernst gemeinter Lieder des Fado fehlt Ana Mouras CD vollkommen, was nicht nur ihr, sondern der ganzen Musikrichtung gut tut. “Para alem da saudade” ist vor allem eine traditionelle Fado-CD, die dem Fado der Tascas und Cafés Lissabons näher ist, als dem Kunstfado, der auf den Festivalbühnen der Welt hofiert wird. Die Lieder sind einfach instrumentiert, schnörkellos arrangiert und von erträglicher Sentimentalität. Fado, wie er ehrlicher nicht sein kann.
www.anamoura.com
Karsten Rube


Arja Kastinen "Ani"
Label:
Temps; 2008; Spielzeit: 51:33 min
Die Kantele ist Finnlands Nationalinstrument. Es ist ein altes Zupfinstrument, ähnlich dem Hackbrett, der Zitter oder auch der Harfe. Die leise klirrenden Klänge, die dem Instrument zu entlocken sind, passen sehr gut zu dem Land, das im Sommer surrt von kleinen Vögeln und Insekten und im Winter vom fallenden Schnee überzuckert wird. Es sind kleine klare Töne, die die Kantele hervorbringt. Ein hervorragendes Instrument für verträumte Verspieltheit.
Es ist ein Instrument, das an der Sibelius-Akademie unterrichtet wird. Arja Kastinen absolvierte ihr Studium an dieser Akademie und widmete sich seither intensiv der Kunst des Kantelespiels.
Auf ihrer CD “Ani” spielt sie 10 Stücke auf verschiedenen Ausführungen der Kantele. Diese ist dabei wahlweise mit 10 Saiten, 14 Saiten oder 15 Saiten bespannt und verschieden gestimmt. Die Lieder sind inspiriert von der Tradition des Kantelespiels, unterliegen aber nicht der strengen Notation von Kompositionen, sondern verschwimmen ganz in der Improvisation Kastinens.
Die CD besitzt bei aller Verspieltheit etwas Schwermütiges. Sie passt in die Stunden der Dämmerung oder in die lange Finsternis des Winters.
www.temps.imu.fi
Karsten Rube


LéOparleur "Tout ce qui brille"
Label: Leoprod; 02941; 2005; Spielzeit: 47:17 min
Gleich beim ersten Hören der CD “Tout ce qui brille” der aus dem Elsass stammenden Gruppe Lé Oparleur fällt es mir wieder deutlich auf: Europa ist klein geworden. Die musikalischen Einflüsse strömen wie Flutkatastropen aus Ost, West, Süd und Nord auf die Instrumentalisten, Komponisten und Arrangeure ein und von allem bleibt etwas hängen. Multikulturelles Musikangebot, Vielfalt, hemmungslose Fusion, Globalisierung des Musikempfindens und letztlich gleichtönende Soundpampe. So wunderbar die Öffnung der Grenzen für die freie Entfaltung der Menschen, für die Erweiterung des Horizonts und die Verbesserung des Lebensgefühls ist, so birgt sie die Gefahr der Übersättigung. Auf meinem Tisch sammeln sich immer mehr Cds, die sich nur noch vom Namen und vielleicht von der Covergestaltung geringfügig unterscheiden. Musikalisch klingen sie gleich. Und dabei kann ich nicht einmal von “gleich gut” reden. Alle preisen sich selbst an als frechen und ungewöhnlichen Stilmix von Balkanbrass, orientalischen Elementen, Klezmerzitaten, einen Schuss Gipsy, Rockanklängen, Jazzinspirationen und dem deutlichen Hang zum stimmungsvollen Punk. Bei der CD “Tout ce qui brille” fällt noch ein Tropfen Frankophonie nonchalant in die Suppe. Es wird an Django Reinhardt, Goran Bregovic und the Clash als Inspiration erinnert und am Ende bleibt nicht “die farbenfrohe poetische Welt” die sie im Begleittext beschwören, sondern ein sattsam bekannter musikalischer Ramschhandel. Alles, was hier nicht glänzt ist zweifellos Trompetengold.
www.leoparleur.com
Karsten Rube


T & Masson "Smoke my Blues"
Label: Ausfahrt Records; 2006; Spielzeit: 40:00 min
“Smoke my blues” ist so rauchig und so fett, wie ein T-Bone-Steak vom Grill. Ein Blues-Album wie eine klebrige Nacht in Louisiana, vorgetragen wie eine sexuelle Belästigung. Der Blues von T & Masson klingt schmutzig und nach Vergeblichkeit. Und dann plötzlich erfrischt eine Brise vom nahen Meer, die auf den Saiten einer Gitarre mit Latinoklängen daher weht, untermalt von Elektrobeats und dem schrägem Geklimper einer Hammondorgel. “Voodoo lounge” der sechste Titel der CD macht es deutlich, der Blues bewegt sich hier aus der Nacht des Straßenmusikers hinunter in die Nacht der Clubs und Trancedancekeller. Elektroakustische E-Gitarren die nach George Benson und Jimi Hendrix klingen, Stimmen, die Screaming Jay Hawkings Konkurrenz machen. Ein würziges Album ist T & Masson da gelungen. Ein fettes Stück Blues mit einem gehörigen Schuss Downbeat im Gepäck.
www.ausfahrt.de
Karsten Rube


Mário Lúcio "Badyo"
Label: Lusafrica; 2008; Spielzeit: 61:27 min
Es ist nur eine kleine Inselgruppe, die der Kapverden. Cabo Verde - grünes Kap nannten sie die Portugiesen. Ein kleiner fruchtbarer Fleck im endlosen Ozean. Noch immer ist diese Insel fruchtbar - zumindest wenn man die Kreativität betrachtet, die auf diesen Inseln immer neue interessante Musiker hervorbringt. Wie ist es, auf einer Insel zu leben, keine unmittelbaren Nachbarn zu haben, wirtschaftlich und sozial weitgehend isoliert zu sein? Fühlt man sich einsam? Ist man viel intensiver mit sich selbst beschäftigt oder genauso ängstlich sich auf sich selbst zu besinnen, wie der Großstädter?
Mário Lúcio hat die Seele des Kaperverdianers und damit vor allem seine eigene Seele über viele Jahre beobachtet, als Maler, als Autor, als Musiker. Mit dem Album “Badyo” legt er ein kapverdisches Gemälde vor, voller Einsichten und Ansichten, Bildern, Gerüchen und Geräuschen. Er arbeitet mit den einfachen Rhythmen seiner Heimat und mit Gebrauchsgegenständen als Instrumenten: Waschschüsseln, Flaschen. “Badyo” nimmt den Hörer mit sich auf die Inseln und lässt ihn zugleich die Geschichte Afrikas atmen, die Stimmen der Sklaven hören, die einst auf den Inseln landeten, das nie abschwellende Rauschen des Meeres, die die Kapverden umgeben, wie die Mauern eines Gefängnisses. Mário Lúcio lässt den Hörer in knapp sechzig Minuten hinabtauchen in die Seele der Kapverden und nur schwer will man sich danach wieder von ihr lösen.
www.lusafrica.com
Karsten Rube


Toja "Frühaufsteher"
Label: Eigenverlag; 2007; Spielzeit: 52:29 min
Die Dresdner Band Toja bewirbt ihre Musik mit der Aussage über ein umfassendes Repertoire an Weltmusik aus vielen Teilen Europas zu verfügen. Beim genauen Hören der CD “Frühaufsteher” merkt man das auch. Besonders die Elemente Klezmer und Jazz stechen hervor. Zudem lässt sich die Folkherkunft einiger Bandmitglieder nicht überhören. Musik aus verschiedenen stilistischen Ecken prallt da aufeinander, nicht immer ist es eine sanfte Kollision. Mir fällt beim Hören der CD auf, dass die Musik auf der CD “Frühaufsteher” etwas schwerfällig daherkommt. Die verschiedenen Instrumente wirken, als spielen sie gleichberechtigt nebeneinander und nicht miteinander. Das ist mir persönlich ein bisschen zu viel Demokratie und zu wenig Unterordnung, um ein harmonisches Ergebnis zu erzielen.
Toja scheint ein Herzensprojekt der Musiker zu sein. Ich wünsche es zumindest, denn dann besteht Hoffnung auf Steigerung. Vielleicht ist das mit dem Leitbild des “Frühaufstehers” nicht die beste Idee und die nächste CD heißt dann besser “Ausgeschlafen”.
www.toja-music.de
Karsten Rube


Farlundo "Chau!"
Label: Eigenverlag; 2007; Spielzeit: 51:26 min
Der Tango ist, so lange es ihn gibt ein emotional extrem aufgeladener Tanz. Nur wenige Musikstile gibt es, die so schonungslos die Seele berühren, wie der Tango. Und hierbei findet der Tango Argentino seinen eigenen Weg, sich in das Herz des Hörers zu schlängeln. Das Ensemble Farlundo beherrscht es hervorragend, den Tango gezielt auf seine Hörer loszulassen und diese zu fesseln. Das liegt sicher an den meisterhaften Kompositionen von Astor Piazzolla, Mariano Mores und Carlos Gardel, aber auch an den Eigenkompositionen der Musiker, die auf der CD “Chau!” zu finden sind. Aber so wunderbar Piazzolla und seine Jünger auch komponierten, man muss erstmal in der Lage sein, diesen Kompositionen zu folgen und sie zu interpretieren. Letztlich ist auch das nur möglich, wenn man vom Virus Tango infiziert ist. Das sind die Musiker der Gruppe Farlundo und so wie es sich auf der CD anhört auch ziemlich rettungslos. Die satte Schwere des Tangos Argentino scheint ihnen gut von der Hand zu gehen, das beweisen vor allem Johanna Schmidt an der Violine und Akkordeonist Alfred Kraus. Das Schlagzeug von Stefan Kremer bleibt dezent als Tempomacher im Hintergrund und der Kontrabass von Wolfgang Bartsch gibt dem ganzen Geschehen die notwendige Dunkelheit. Ein paar Songs sind auf der CD überraschend unbeschwert, tanzbarer Ballhaustango, wie die Eigenkomposition “Pighouse” und die Pintin Castellanos Melodie “La Puñalada”. “Oblivion” von Astor Piazzolla - hier wird die Melodie von der Violine geschluchzt - die vielleicht schönste Komposition Piazzollas gehört zu den schwersten Stücken des Tango Argentinos. Es lässt sich relativ leicht einstudieren, weshalb sich viele Musiker an “Oblivion” wagen. Aber nur wenige vermögen es, das Herz dieses Stückes offenzulegen und das eigene bluten zu lassen. Persönlich kenne ich nur drei Interpretationen, die es schaffen mich völlig zu lähmen. Die Version von Farlundo gehört schon zu den etwas besseren, auch wenn sie nicht an die göttlichen Interpretationen heranreicht. “Chau!” ist ein sehr gelungenes, emotional anrührendes Tango-Album.
www.farlundo.de
Karsten Rube


Discanto "Serenata fuori stagione"
Label: Eigenverlag; 2005; Spielzeit: 65:36 min
Etwa auf Wadenhöhe des italienischen Stiefels liegen die Abruzzen, ein Landstrich dessen Natur sich von der sonnenbeschienen Adria bis zu den schneebedeckten Höhen des Apennin alles ausgesucht hat, was die Geografie an Gegensätzen im Angebot hat. Ein Land der Extreme. Das Leben zwischen diesen Extremen war im Wandel der Jahrhunderte nicht einfach und auch heute ist das Leben der Menschen in den Abruzzen eher bescheiden. Häufig findet sich ein Abbild des Lebens der Menschen einer Region in deren Musik. Auf der CD “Serenata fuori stagione” der abruzzischen Formation Discanto finden sich zahlreiche Lieder, die dieser Tradition entspringen. Dabei sind es keine alten Lieder, die neu eingespielt wurden, sondern tatsächlich Lieder aus dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts. Es handelt sich also um vergleichsweise neue Volksmusik. Viele der Lieder beschäftigen sich mit dem Wandel der Jahreszeiten. Michele Avolio, Kopf, Sänger und Mandolinenspieler arrangiert die Lieder der CD im Stile der alten Cantadores. Begleitet von einem hervorragenden Ensemble entführt die Musik dazu, sich in den Innenhof einer abruzzischen Bergsiedlung zu wünschen und den Erzählungen dieses schroffen Landes zu lauschen.
www.discanto.net
Karsten Rube


Sina Nossa "Enfadoaçao"
Label: Eigenverlag; 2005; Spielzeit: 42:12 min
Der junge Fado scheint heute nicht mehr so schmerzverliebt zu sein, wie der Fado aus der Zeit der Diktatur. Das ist mit Erleichterung zu sehen, da sich Portugal nun bereits seit über 30 Jahren in einer wesentlich freieren Welt befindet. Die Lieder der Vergangenheit werden gesungen und interpretiert, Erinnerungen werden wach gehalten, was wichtig ist. Die nachwachsenden Generationen jedoch leben ihr eigenes Leben. Manche in einem freien Portugal, andere als Nachfahren der Gastarbeiter in anderen Teilen Europas und wieder andere als Weltenbummler.
Sina Nossa und ihre Band leben in Köln. Bis auf einen Musiker sind es alles Portugiesen, junge Portugiesen. Den Fado benutzen sie als Ausdruck ihrer portugiesischen Identität. Natürlich schwingt die Saudade mit, jenes unbeschreibliche Lebensgefühl der Sehnsucht und heiseren Traurigkeit, denn ohne die Saudade wäre ein Portugiese kein richtiger Portugiese. Ihre Vortragsweise wirkt, anders als bei den traditionellen Fadistas auf eine optimistische Weise sehnsuchtsvoll. Als wäre nicht alles Hoffen umsonst. Die wundervoll klare Stimme Sina Nossas und das virtuose Spiel der Musiker, allen voran Ivo Manuel Guedes mit seiner portugiesischen Gitarre machen die CD “Enfadoaçao” zu einem Hörerlebnis der unvergesslichen Art.
www.sinanossa.de
Karsten Rube


Die Cuba Boarischen "A Insel so schee wias Edelweiß"
Label: Homemusicproduction; 2007; Spielzeit: 52:18 min
Die bayrische Mundart ist eine von vielen Artikulationsmodellen, die sich hervorragend für die Weltmusik eignet. Schon Gerhard Polt gelang es mittels einer bayrisch modulierten Fantasiesprache ein afrikanisches Volkslied zu trällern. Übrigens einer der besten Beweise dafür, dass Sprache als Instrument genutzt werden kann ohne tieferen Sinn in der Aussage zu suchen.
Fast genauso unglaublich dreist und dabei von Witz und Einfallsreichtum überschäumend ist die CD “A Insel so schee wias Edelweiß”. Hier haben sich gestandene bayrische Volksmusiker auf den Weg nach Kuba gemacht, um die dortige Musik, vornehmlich die Salsa und den Son, aber auch die kolumbianische Cumbia zu studieren. Zurückgekehrt sind sie als Meister des Cubanismo. Um ihr heimisches Publikum nicht gänzlich vor den Kopf zu stoßen mischten sie die beiden Welten. In manchen Bierzelten, in denen die Cuba Boarischen heute auftreten ist Bayern nun eine kubanische Provinz mit bayrischem Dialekt. Das mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen funktioniert aber ganz erstaunlich. Die CD “A Insel so schee wias Edelweiß” ist beste kubanische Musik, tanzbar, fröhlich, einfallsreich und dennoch bayrische Bierzeltmusik. Südamerikanische Volksweisen werden mit bayrischem Liedgut gepaart. Was sicher in der Tradition des bayrischen Nationaltieres steht, des Wulperdingers. Hier sind musikalisch als unvereinbar geltende Welten zusammengewachsen, als gehörten sie schon immer zusammen.
www.diecubaboarischen.de
Karsten Rube


Etta Scollo "Les Siciliens"
Label: Soul Food; 2007; Spielzeit: 49:01 min
Sizilien ist eine der Inseln, die so viele Jahrhunderte Geschichte über seine Ländereien ergehen lies, die voller Mythen, Legenden und wunderlichen Begebenheiten ist. Dabei liegt sie abgeschieden genug, um der Welt nicht die Gelegenheit zu geben jede Legende auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Ein tiefer Brunnen, aus dem man Geschichten und Lieder schöpfen kann. Etta Scollo, gebürtige Catanierin und musikalische Vermittlerin zwischen den Welten, greift diese Geschichten und Mythen in ihrer CD “Les Siciliens” auf und serviert uns die wunderliche Welt der Mittelmeerinsel. Die Musik Etta Scollos atmet dabei weniger den ewig zitierten Geist der Insel der Mafia aus, sondern den der gewitzten Bürger einer Region, die sich ihre Eigenständigkeit bewahrten, egal, wer gerade auf Sizilien seine Machtansprüche ausspielte. Siziliens Legenden inspirierten bereits Goethe und Schiller. Auch Jules Verne weilte auf der Insel und bewunderte die Lavaströme des Ätna, was ihn zu manch einer Vermutung über das Wesen des Erdinneren hinreißen lies. Etta Scollo lässt sich von ihrer Heimat immer wieder hinreißen, sie zu besingen. “Les Siciliens” ist vom ersten Ton an eine gelungene Reise auf die sizilianische Insel und beweist, dass Etta Scollo nicht müde wird, Geschichten ihrer Heimat hinreißend zu interpretieren.
www.ettascollo.de
Karsten Rube


Malbrook "Qwade Wulf"
Label:
Westpark; 87150; 2008; Spielzeit: 70:26 min
Kwart "Över Stag"
Label: Emmuty/Totentanz; TOT 23059; 2007; Spielzeit: 50:58 min
Merit Zloch "Urban Legends"
Label: Emmuty; TOT23058; 2008; Spielzeit: 47:06 min

Es lockt die Königstochter: kum bi mi, du lütje Spömannssöhn, spöl mi eene neije Wiese. Das gefällt wiederum dem Vater nicht: Du Pajas, Schojer, Spölmannssöhn, wat deist du bi miene Dochter? De neije Wiese de du spölst, de will mi neet gefallen: buten steiht een Galgen hoch, dår an sallst du Pajas hangen. Der König hat Wolfgang Meyerings Malbrook noch nicht gehört, sonst würde er nicht soviel künstlerische Ignoranz zeigen (-> FW #26, #28, #29, #30, #36). Die erste CD und die ersten Auftritte von Wolfgang Meyerings Ensemble, der selbst singt und Mandola spielt, gingen noch mit wechselnden Besetzungen vonstatten. Nun hat sich mit Geigerin Vivien Zeller, Merit Zloch an der Harkenharfe und Ralf Gehler an Schlüsselfiedel und diversen Sackpfeifen eine feste Bandbesetzung herauskristallisiert. Natürlich gab es für die CD-Produktion einen Stall von Gastmusikern: Anders Ådin (Drehleier -> FW#32), Kerstin Blodig (Gitarre -> FW#34), Kristine Heebøll (Geige) vom Trio Mio (-> FW#35), Anna Rynefors (Nyckelharpa) und Erik Ask-Upmark (Härjedalspipa) von den Gruppen Dråm und Svanevit (-> FW#32, FW#32, FW#35), Janne Strömsted (Harmonium) von Triakel (-> FW#30), sowie Mense Schwitters (Banjo) von der schleswig-holsteinischen Folkrevivalband Moin (-> FW#36). Malbrook & Co. spielen traditionelle Musik aus Norddeutschland, mal mit einem mittelalterlichen Touch, mal skandinavisch, aber mit modernen Grooves hinterlegt. Wolfgang Meyering singt ostfriesische und münsterländische Balladen, ein Minnelied, einen Kinderreim und ein niederdeutsches Fastnachtslied. Ganze sechs Titel der CD sind der Polonaise gewidmet, dem mit der Polska verwandten Modetanz des 17. Jahrhunderts, die sich laut Johann Matthesons "Der vollkommene Capellmeister" von 1739 durch Offenhertzigkeit und freies Wesen auszeichnet (-> FW#36). Das Titelstück "Qwade Wulf" ist eine Eigenkomposition von Wolfgang Meyering, eine Polonaise, die sich in Richtung Polska bewegt. Malbrook spielt eine derart archaische, aber darum wieder moderne Musik, die so exotisch ist wie die Zeit, als der Wolf noch durch die Lande streifte. Oder kommt er wieder?

Wolfgang Meyerings Mitstreiter lagen aber auch sonst nicht auf der faulen Haut. Dass die doch ach so nah liegende norddeutsche Region so fremd klingen kann, beweist auch Ralf Gehler und seine Band, oder soll man sagen: Projekt, Kwart. Ralf Gehler ist Musiker, Volkskundler und Instrumentenbauer, insbesondere ein Dudelsackvirtuose und daher ist das Album "Över Stag" auch ein bordunlastiges Werk. Es enthält Tänze und Lieder der Menschen am und auf dem Meer, im speziellen den Seeleuten und Fischern von Ost- und Nordseeküste. Die Texte sind traditionell, die Musik trad. arr. oder von Kwart selbst geschrieben, d.i. neben Ralf Gehler die Perkussionistin Birgit Engel und Geigerin Vivien Zeller. Die Instrumentalstücke bestehen aus Schottischen, Polkas, aber auch einer galizischen Muneira. Das Lied "De noorsche Vullrigger" entpuppt sich als die niederdeutsche Version der "Banks of Sacramento". Die Melodien sind mal sanft rhythmisch fliessend und mal stürmisch aggressiv, eben so wie das Meer. Aber Käpt'n Gehler erweist sich als erfahrener und exzellenter Lotse und Steuermann durch viele Jahre lang vernachlässigte Gewässer.

Die Greifswalder Harfenistin Merit Zloch ist eine umtriebige Musikantin, die - wenn sie nicht das Harfespiel lehrt oder mit Bilwesz konzertiert (-> FW#29, FW#32) - nun ihr Soloalbum "Urban Legends" vorlegt. Alle Stücke und Arrangements stammen von Merit, allesamt Instrumentalmelodien außer drei Volksliedern. Zwei davon sind heiterer Natur, eines düster: "Es wollt ein Mädchen holen Wein", "Und jetzund geht das Frühjahr an" und "Brüder, laßt uns lustig sein". Alle drei zählen nicht unbedingt zum populären Volksliederkanon und konnten darum auch noch nicht zersungen werden. Merit Zloch ist durchaus in der Lage, ihre Harfe zart und meditativ klingen zu lassen. Was sie jedoch auszeichnet, ist ihr rhythmisches und perkussives Spiel. Unterstützung findet sie insbesonders beim Perkussionisten Valentin Arnold (Riqq, Darabuka). "Urban Legends" ist zum größten Teil zu hart für New Age und Fahrstuhl-Muzak und wann kann man schon mal von einer Harfe sagen - it rocks!

Ob Merit Zloch, Ralf Gehlers Kwart oder Wolfgang Meyerings Malbrook - sie sind der Schrecken der volkstümelnden Musik und Hoffnung aller ernsthaft an traditionell-(nord)deutschem Liedgut und Instrumentalmusik Interessierten.
www.malbrook.de, www.ralfgehler.de, www.meritzloch.net
Walkin' T:-)M


Broom Bezzums "Arise You Sons of Freedom"
Label:
Steeplejack; SJCD009; 2007; Playing time: 52:24 min
Die Broom Bezzums (-> FW#36) sind ein britisches Duo, das in der Pfalz wohnhaft ist. Mark Bloomer singt und spielt Gitarre; Andrew Cadie singt ebenfalls und spielt Fiddle und Northumbrian Pipes, die er beide noch in seiner nordenglischen Heimat bei Kathryn Tickell (-> FW#33) gelernt hat. Broom Bezzums heißt etwa so viel wie Reisigbesen, und beide veranstalten einen musikalischen Kehraus. Zwar sind vier der Tracks Tune-sets, im Zentrum stehen aber die Songs, traditionelle englische Lieder, zum Teil von Mark mit Melodien versehen: Titel wie "Working Men of England". "The Blackleg Miner", "Here's the Tender Coming" oder "Oakey Strike Evictions" zeigen ganz deutlich northumbrische Wurzeln als auch einen working class Standpunkt. Dominic Behans "Crooked Jack" und Andrew Cadies eigenes "Chains of Tyranny" unterstützen dies noch. Musikalisch holen Andrew und Cadie alles heraus, was aus einem Duo ohne Tricks und Firlefanz herauszuholen ist. Erinnerungen an Martin Carthy / Dave Swarbrick werden wach (siehe CD-Rezension im englischen Teil dieser FW-Ausgabe). Also ihr Thatchers, Blairs und Bushs, habt acht!
www.broombezzums.de
Walkin' T:-)M


Eliza Gilkyson "Beautiful World"
Label:
Red House; RHR CD 212; 2008; Spielzeit: 49:11 min
Die Sängerin und Songwriterin Eliza Gilkyson hat sich zu einer Größe der US-amerikanischen Rootsmusik-Szene entwickelt. Ihre Stücke waren häufig von schöner Düsternis. Das entspannte, wenn nicht sogar freudige Gefühl, das ihre aktuelle CD "Beautiful World" verströmt, ist zwar nicht unbedingt eine Abwendung, aber doch ein deutlicher Unterschied zu ihren vorherigen Alben (-> FW#29, FW#33, FW#35). Wie gehabt eine Mischung aus Folk und Alt-Country, diesmal sogar eine Jazz-Nummer. Ihre erdige Stimme weiss, wovon sie singt, aber die Stücke sind durchgängig radio-tauglich. Ansonsten höchste Qualität auf allen Ebenen: Texte, Melodien, Arrangements, Begleitband. Ich halte mich nicht für eine politische Liedermacherin, eher für eine Chronistin, sagt sie. Wenn dies meine freudigsten Aufnahmen sind, dann vielleicht weil dunkle Zeiten doch auch all das erhellen, was gut und anständig und lebenswert ist. Es herrscht geradezu ein unverschämt optimistischer Grundton vor, selbst noch in politischen Songs wie "The Party's Over". (Kündigt sich da etwa schon musikalisch Hoffnung auf das Ende der Bush-Ära an?) Aber der Kampf um ein besseres Dasein muss ja nicht unbedingt Verbissenheit bedeuten. Eliza Gilkysons bislang wunderschönstes Album sozusagen.
Eliza wird im Herbst in England und im Frühjahr 2009 in Holland touren, es wäre ja schön, wenn sie auch einen Abstecher nach Deutschland machen würde. (Siehe auch das Interview mit Eliza in der englisch-sprachigen FW-Ausgabe: FW#36.)
www.elizagilkyson.com
Walkin' T:-)M


Moving Cloud "Welcome: Who Are You?"
Label:
GO' Folk; GO0608; 2008; Playing time: 49:52 min
Ja, herzlich willkommen, aber wer zum Teufel ist das? Nun, wer's wirklich noch nicht weiss, dem sei geholfen: Die 1988 gegründete dänische Band Moving Cloud [-> FW#7] hat sich nach einem vom irischen Fiddler Neilie Boyle (1889-1961) komponierten und von Seamus Ennis und der Tulla Ceili Band in den 1940ern popularisierten Reel benannt. Unschwer zu erraten, die Band spielt Irish-Folk. Vier Dänen und ein Mensch aus Manchester: Perkussionist und Gründungsmitglied Svend Kjeldsen, der ein Masterstudium in Irish Traditional Music Performance der Universität Limerick absolviert hat, Fiddler Christopher Davis Maack, langjähriges Mitglied von Zar (-> FW#28), Flötist Klavs Vester, Sänger und Gitarrist John Pilkington, sowie Steptänzerin Mette Løvschal. Das dritte Moving Clouds-Album "Welcome: Who Are You?", produziert von der irischen Folklegende Donal Lunny in Okinawa, der auch ein wenig Bodhran und Sanshin beisteuert, enthält sechs Lieder und sieben Instrumentalstücke. Unter den Songs befinden sich u.a. die australische Bushranger-Ballade "The Wild Colonial Boy" (-> FW#31), "The Blind Beggar", der auf ein Broadside aus dem 17. Jahrhundert zurückgeht, und das satirische viktorianische Liedchen "The Peeler and the Goat". Performance und Produktion sind erster Klasse. Wer sagt denn, dass gute irische Musik nur in Irland gemacht wird? Na denn, herzlich willkommen im Klub!
www.movingcloud.dk
Walkin' T:-)M


Der Black "Meschugge"
Label:
Conträr; 58; 2008; Spielzeit: 52:14 min
Man muss ja nicht immer alles gleich schwarzsehen. Tut er aber. Wer? Na er, nicht ein, nee, DER Black! Lothar 'Black' Lechleiter ist seit anfang der Sechziger in der Folkmusik aktiv, u.a. bei der immer noch existierenden Folk-Band Pontocs. Über die Wandervögel gelangte er auf die Burg Waldeck (-> FW#32), traf 1965 dort Wolfgang 'Schobert' Scholz, der mit Reinhard Mey und französischen Chansons sowie Peter Rohland und Villon-Übertragungen durch die Lande zog, und sie gründeten das Erfolgs-Duo Schobert & Black. Zunächst vertonte man Graßhoff-Texte, später schrieb man eigene spöttische und zumeist politische Bänkellieder. Denn: zusammen singen verbindet mehr, als gemeinsamer Dienst bei der Bundeswehr. Die anarchistischen Blödelbarden wurden als Erfinder des höheren Blödsinns in Reinkulur bezeichnet, hatten aber immer einen gewissen gesellschaftspolitischen Anspruch. Da werden bei mir kuriose Erinnerungen wach. Ich sehe den Musikraum in meinem Gymnasium. Ein Schobert & Black-Poster an der Wand. Nun, der Lehrer ist längst Staub. Ich hatte das längst vergessen und verdrängt und nicht mehr geglaubt, noch einmal daran erinnert zu werden. Denn 1985 gingen Schobert & Black getrennte Wege. Schobert starb 1992; der Black zog sich aus dem Musikgeschäft zurück und reiste fortan als Vertreter durch die Lande. Mit seinem ersten Soloalbum "Meschugge" meldet er sich mit einem Knall zurück. Motto: Alle Lieder sind gesungen, alle Glocken längst verklungen, Klassenfeinde umgebrungen, wie die Alten so die Jungen. Siegreich war der erste Mai, was machen wir an mayday zwei? Wir fahren mit dem US-Bush zur Mohnernte am Hindukusch. Zur Fußball-Europameisterschaft heißt es passenderweise: Wimpel, Wimpel über alles, schwarz, rot, gold, und lang und kurz, sind im Falle eines Falles bloß ein Patriotenfurz. Die meisten Texte stammen vom ehemaligen Rundfunk-Journalisten Pit Klein, die Vertonungen von Black, plus Atahualpa Yupanquis "Duerme negrito" und Carl Michael Bellmans "Nota bene". Adax Dörsam ist auf diversen Saiteninstrumenten fast ausschließlich für die musikalische Umsetzung zuständig. Und man darf versichert sein, es handelt sich nicht um Faschopop und Klatschemann. "Meschugge" ist ein Album, das musikalisch zwar nichts besonderes, textlich aber äußerst clever und vergnüglich ist.
Conträr
Walkin' T:-)M


Schnappsack "Geh meinen Weg"
Label:
Pinorrekk; PRCD 3405044; 2008; Spielzeit: 56:00 min
Nach dem Schöneweile-Projekt (-> FW#32", FW#33), das irgendwie doch nicht so richtig abhebt, konzentriert sich Mastermind Peter Braukmann auf seine erste Liebe, das legendäre Folkduo Schnappsack. Inspiriert von keltischer und US-amerikanischer Folkmusik tat sich Peter Braukmann im Jahre 1977, als es mit dem Deutschfolk-Revival schon zu Ende ging, mit Bernd Goymann zusammen. Sie tourten drei Jahre lang mit sozialkritischen, teils philosophisch angehauchten Volksliedern durch die Lande, 1979 ging man schon wieder getrennte Wege. Nach 30 Jahren wollen es die "Alten Säcke" noch mal wissen. Peter Braukmann (Gesang, Gitarre, Akkordeon) und Bernd Goymann (Mandoline, Gitarre) knüpfen mit Hilfe von Geigerin Ulrike Barchet und Cellist Benni Gerlach wieder an ihr altes Verständnis von Volksmusik an, sprich: Die alten und neuen Lieder kommen der echten Volksmusik nahe, die aus der Kultur des gemeinen Volkes entspringt und in Gebrauch, Lied und Form dessen Lebensbefindlichkeiten, Bedürfnisse und Interessen zum Ausdruck bringt. Schnappsack ist sozusagen das Gegenstück zu kommerzieller volkstümlicher Musik, die nur noch behauptet, Volksmusik zu sein. Schnappsack lässt alte Musiktraditionen wieder aufleben und füllt sie mit zeitgemäßen Inhalten. Ein Drittel der Lieder stammt von Peter Brauckmann, ein drittel sind Texte zu traditionellen Melodien, darunter eine Übertragung von "Lord Franklin", dazu "Zogen einst fünf wilde Schwäne" und das traditonelle "Der Scherenschleifer". "Heut fahr' ich über'n See" ist der norddeutsche Versuch eines Gstanzls. Die Grundstimmung ist melancholisch, es ist ein Abschied und Fortgehen, ohne irgendwo Anzukommen. Die Produktion ist äußerst professionell, man war bemüht, den Schritt ins 21. Jahrhundert zu machen. Aber irgendwie fehlt mir doch der gewisse Oomph, der Drive, oder wie immer man es nennen will. (vielleicht hat es etwas zu bedeuten, dass es dafür keine richtigen deutschen Worte gibt). Wohl war, man braucht ihn nicht, um gute Musik zu machen oder gute Musik zu hören. Aber ein größeres Interesse außerhalb der Reihen der üblichen Verdächtigen erregt man damit auch nicht.
www.schnappsack.de
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Margaret Stewart "Togaidh mì mo Sheòlta"
Label:
Greentrax; CDTRAX311; 2007; Spielzeit: 67:46 min
Margaret Stewart (-> FW#4, FW#21) ist die große, alte Dame des traditionellen gälischen Gesangs. Margaret stammt von der Isle of Lewis vor der schottischen Westküste. Ihr jünstes Album "Togaidh mì mo Sheòlta - Along the road less travelled" zeigt eine Sängerin in hoher Stimmlage, aber gleichzeitig einfühlsam und mit großer Eindringlichkeit. Die Liedauswahl ist exzellent, das gesamte Spektrum der mündlich überlieferten gälischen Tradition, einige Songs werden nur noch selten gesungen, geschweige denn auf CD aufgenommen: waulking songs (A Phiuthrag 's a Phiuthar - Little Sister, Oh Sister, siehe -> FW#34), Trinkliedchen (Chaidh an Dileag ud nam Cheann - That Little Drop Went to My Head), Emigrantenlieder (Tha Mi Sgith 'n Fhogar Seo - I am Weary of This Exile, Saoil an Till Mi Chaoidh - Will I Ever Return), Rebel-Songs (Blar na h-Eaglaise Brice - The Battle of Falkirk), Wiegenlieder (Co Leis an Crodh Drium-Fhionn ud Thall - To Whom Belong Yonder White-Backed Cattle), Klagelieder (Cumha Aonghais Mhic Raghnaill Oig na Ceapaich - Lament for Aonghas Son of Raghnall Og of Keppoch), die sogenannten Ossianic ballads (Laoidh a Chon Duibh - The Lay of the Black Hound) und schottische Clan-Poesie (Clann Domhnaill an Cogadh Righ Tearlach I - Clan Donald in the Civil War of Charles I). Aber Margaret hat auch eine humorvolle Seite: In "Feill nan Crann - Harp-Key Fair" beklagt der Barde den Verlust seines Harfenschlüssels und wird deshalb von den Damen gehänselt. In der englischen Übersetzung: I find it no easier than death to suffer the scorn of women; I may not go near them since my ability to please has failed me. Of what use can he be? is what they say. His instrument has gone out of tune since he lost his harp-key. Margaret wird von erstklassigen Musikern unterstützt: Iain MacDonald (Bagpipes -> FW#24), Ingrid Henderson (Harfe -> FW#32), Griogair Labhruidh (Gitarre, siehe Rezension im englischen Teil dieser FW-Ausgabe), u.a. Vier Stücke wurden mit Uilleann Piper Mick O'Brien und Altans (-> FW#31, FW#31) Gitarristen Mark Kelly in Irland aufgenommen, einschließlich einem Duett mit dem irischen Sean-nos-Sänger Peadar O'Ceannabhain. Darum finden sich im 36-seitigen Booklet auch nicht nur eine Übersetzung der schottisch-gälischen Texte ins Englische, sondern auch ins irische Gälisch.
www.margaretstewart.com
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Simon Chadwick "Clàrsach na Bànrighe"
Label: Eigenverlag; 2008
Die sogenannte Queen Mary Harp war bereits ein Jahrhundert alt, als die schottische Königin sie in den 1560ern Beatrix Gardyne schenkte. Die Harfe wurde in Folge im Lude House der Familie Richardson in Perthshire aufbewahrt. Das letzte Familienmitglied, das sie spielen konnte, war ein gewisser John Robertson (gest. 1731). Zu dieser Zeit begann die Fiddle die Harfe zu verdrängen, später im 19. Jahrhundert spielte man auf Darm- anstatt auf Metallsaiten und erhielt die so charakteristisch mit der Harfe verbundene Salonmusik. Heute befindet sich die über 500 Jahre alte QMH im National Museum of Scotland in Edinburgh. Der Ire Davy Patton hat nun eine originalgetreue Replika angefertigt, geschnitzt aus gerade einmal vier Holzstücken, zusammengefügt ohne Nägel, Schrauben oder Klebstoff, zusammengehalten einzig durch die Spannung der Saiten. Simon Chadwick spielt die "Clàrsach na Bànrighe - The Queen's Harp". Die CD besteht aus mehreren Teilen, wenn man so will: einmal aus mittelalterlicher Kirchenmusik, die vermutlich instrumentale Sätze von Vokalmusik aus der Liturgie sind. Zum anderen aus Harfenmusik des 17. und 18. Jahrhunderts. Darunter befindet sich z.B. "Rory Dall's Port", die Melodie zu Robert Burns "Ae Fond Kiss", oder das von Planxty (-> FW#30) in den Siebzigern populär gemachte "Give Me Your Hand" (Da Mihi Manum). Desweiteren Stücke aus dem Repertoire von John Robertson, einschließlich dem jakobitischen Rebel-Song "Oran air Cath Sliabh an t Siorraimh" (The Battle of Sheriff Moor), gesungen von der nordirischen Sängerin Mairead Murnion. "Port Athol" wurde von Turlough O'Carolan (-> FW#20) für sein Lied "Seabhac na hEirne" benutzt. Zum Abschluss darf Schottlands heimliche Nationalhymne "The Flowers of the Forest" nicht fehlen. Im Gegensatz zur Darm- oder Nylon-Saiten-Harfe hat die Metallversion einen glockenähnlichen Ton und einen erheblichen Nachklang, der durch Abdämpfen einzelner Saiten kontrolliert werden muss. Dazu kommt ein satter Bordun durch verdoppelte Saiten und die oftmals verminderte Septime, wodurch das Harfenspiel dem schottischen Dudelsack nahekommt. Dazu passen die Pibroch-ähnlichen Variationen. Sicherlich ein gewöhnungsbedürftiger Klang, weit entfernt von der Sicherheit und Gemütlichkeit des bürgerlichen Salons. Rau und wild wie die Highlands, wo das Instrument einmal hergekommen ist.
www.earlygaelicharp.info
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Rattle the Boards "The Parish Platform"
Label: Doon Productions; DP001; 2008; Spielzeit: 40:01 min
Die irische Gruppe Rattle the Boards (-> FW#12) besteht nun schon seit 1992, ein Abkömmling der Knocknagow Ceili Band aus Clonmel im County Tipperary. Benny McCarthy, bekannt von den irischen Überfliegern Danú (-> FW#27, FW#30), spielt das Knopfakkordeon, John Nugent die Gitarre und Pat Ryan Fiddle, Banjo & Mandolin. Dazu kommt der Sänger John T. Egan. "The Parish Platform" ist eine großartige Sammlung irischer Instrumentalmusik, von ruhigen Airs über swingende Hornpipes zu feurigen Reels und Polkas. Das Spiel ist äußerst lebhaft und leidenschaftlich. Die Füße beginnen nach kurzer Zeit sich von ganz alleine zu bewegen, erst sachte den Takt mitzuklopfen, dann auf dem hölzernen Tanzboden zu steppen - rattle the boards. Dieser Teil des Albums, und es ist der überwiegende, ist traditionell, fast puristisch. Aber in dem Quickstep "Whistling Rufus" entdeckt man den schleichenden Übergang vom Ceili- ins Showband-Zeitalter. Da ist eine jazzige Trompete gespielt von Decky O'Dwyer. Überhaupt haben sich eine Reihe von Gästen eingefunden. Und neben all der Tanzmusik werden zur Entspannung und Verschnaufpause zwei Songs dargeboten: "The Nightingale" gesungen von John T. Egan und das viktorianische "St Patrick was a Gentleman" gesungen von Jon Kenny.
Siehe auch den Artikel im englischen Teil dieser FW-Ausgabe: FW#36.
www.rattletheboards.com
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Flogging Molly "Float"
Label:
SideOneDummy; SD1348-2; 2007; Spielzeit: 39:42 min
Flogging Molly ist eine Mischung zwischen den Pogues [-> FW#22, FW#30] und den Saw Doctors [-> FW#28], erinnert stark an die schottisch-australischen Roaring Jack (-> FW#26), plus die hymnischen Qualitäten der Levellers (-> FW#33), minus der politischen Agenda beider Gruppen. Das Septett aus Los Angeles mit Akkordeon, Fiedel, Banjo und Mandoline als Melodie-Instrumente und eben der Rock-Sektion präsentiert nach vier Jahren Studiopause ihr fünftes Album "Float". Der gebürtige Ire Dave King, der 1989 die grüne Insel gegen die USA eintauschte, vermisst jedoch nicht Kerry-Gold und Nieselregen, wie man den Texten entnehmen kann. Er schwört sich: No more Paddy's Lament, stattdessen ein Lightning Storm mit Hey now, stay proud. Die elf Lieder sind überwiegend tanzbar und schnell. Dennoch ist es ein erwachsenes Folk-Rock-Album mit Platz für nüchtere, nachdenklichere Titel. Ich sage: Klasse, Jungs! Das dürfte viele deutsche Fans des Celtic Rocks und Speed Folks ansprechen. Vielleicht zeigt es ihnen und den deutschen Gruppen des Genres auch, wo wirklich der Hammer hängt.
www.floggingmolly.com
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Mr. Irish Bastard "The Bastard Brotherhood"
Label:
Reedo; 2008; Spielzeit: 49:24 min
Mr. Irish Bastard ist eine in Deutschland hausende, aber in anderen musikalischen Regionen wildernde Celtic-Folk-Punk-Rock-Band, deren Mitglieder sich hinter illustren Namen wie Gran E. Smith oder Boeuf Strongenuff oder eben Mr. Irish Bastard verbergen. Wohnort ist das auch mir nicht ganz unbekannte Münster in Westfalen. Wir wissen also nicht, ob es sich hier um fehlgeleitete deutsche Jugend beim Koma-Saufen auf dem Send oder zurückgebliebene Reste der Irish Guards handelt. "The Bastard Brotherhood" ist Punkrock reinster Sorte mit der trunkenen Intonation eines Shane MacGowan [-> FW#22, FW#30]. Titel wie "Last Pint" oder "Christmas in Hell" sprechen Bände, dazu eine Cover-Version von "Livin' La Vida Loca". Nach mehrmaligem Hören muss ich feststellen, dass den Bastarden aus dem Münsterland tatsächlich ein paar mitreissende Songs gelungen sind. Nur die Harten komm' in' Garten, sagt man bekanntlich. Wenn der Scheibe eines fehlt, dann der warnende Aufkleber, dass man für diese Musik eine starke Konstitution und insbesondere eine noch einwandfrei arbeitende Leber haben sollte. Oder: it's forty shades of green so they say, but it's forty shades of red down in hell today.
www.mririshbastard.com
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Fresch "Superstrings"
Label: Eigenverlag; 2007; Spielzeit: 55:09 min
I got a guitar in my hand, I got a rock'n'roll band, und daher I am the richest man. Nach diesem Motto verfahren Fresch aus Wien. Begonnen hat die Bandgeschichte im Sommer 2005. Die drei österreichischen Gitarristen Erich 'Esch' Schacherl, Florian 'Floh' Kargl und Robert Polsterer spielen alles, was Saiten hat: Akustik- und Stromgitarren aller Art, Dobro, Bottleneck, Mandoline, Banjo. Robert steuert dazu noch Obertongesang bei (siehe auch die Umnachter-Rezension im englischen Teil dieser FW-Ausgabe). Die meisten Songs stammen von Esch. Es sind zumeist eingängige, englisch-sprachige Titel, die sich zwischen Folk und Folkrock einordnen lassen. Gitarrenmusik und Songwriting auf höchstem Niveau, die mit viel Enthusiasmus und viel guter Laune gespielt wird. Das ist vielsaitig, das ist frisch, das ist einfach super ...
www.fresch.at
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44 Leningrad "Don Kilianov"
Label:
Buschfunk; 2007; Spielzeit: 46:02 min
Haydamaky "Kobzar"
Label: Eastblok; EBM 010; 2008; Playing time: 53:42 min
The Ukrainians "Live in Czeremcha"
Label: Zirka/Koka; 037CD13; 2007; Spielzeit: 70:30 min
Zdob si Zdub "Ethnomecanica"
Label: Sony BMG/Lawine; 88697 22490 2; 2008; Playing time: 59:00 min
Gogol Bordello "Super Taranta!"
Label: SideOneDummy; SD1334-2; 2007; Spielzeit: 65:31 min

Eine bestimmte Art von Folklore, eine bestimmte Art ethnischer Musik lässt sich offenbar relativ einfach ins Gewand der Rockmusik pressen. Nein, was sage ich da, es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass die Bestimmten sogar ganz viele sind. Insbesondere Ska erweist sich als unverwüstlicher und überall anwendbarer Rhythmus. Beginnen wir eine kurze Reise im äußersten Osten dieses Kontinents. Zumindest musikalisch, denn 44 Leningrad sind eigentlich gefakte Kosaken vom Havel- und nicht vom Wolgastrand. (Einwände, dass weder Kosaken noch die Wolga etwas mit dem ehemaligen St. Petersburg zu tun haben, ignoriere ich.) Die Band wurde 1990 in Potsdam gegründet und meldet sich nach fünf Jahren wieder zu Wort. Das 7. Album des Pseudo-Russen-Sextetts (leider jetzt ohne Lead-Sängerin Jule) lädt ein zur Russendisko bei den Hell's Angels. Das Repertoire besteht aus russischen Volks- und Arbeiterliedern, aber verrockt und punkig trotz Bass-Balalaika, Akkordeon und Blechgebläse. Man kann sich nicht zwischen Jamaika-Rum und Wodka entscheiden, hauptsache man kann dazu tanzen. Die Lieder sind charakteristischerweise hymnisch, wenn auch melancholisch, schwermütig und unterkühlt - eben russisch halt.

Haidamaken warem die Bauern und Kosaken im ukrainischen Bauernaufstand im 18. Jahrhundert. Kobzar hießen die blinden ukrainischen Sänger, die von Ort zu Ort zogen, Bandura (Zither) spielten und Heldenballaden sangen. Haydamaky nennt sich eine 2002 in Kiew gegründete Rockband, "Kobzar" ist ihr viertes, im Westen Europas das zweite erhältliche Album. Das Septett spielt eine Mischung aus ukrainischer Folkmusik, vorwiegend aus den Karpaten, und Rock, Punk, Rap und Ska. Die Lieder sind überwiegend Eigenkompositionen, es sind allerdings alte Melodien eingewoben. Die CD ist erfreulicherweise äußerst abwechslungsreich und komplex. Konnte man Haydamaky früher relativ einfach in die Schublade Ethno-Rock/Ethno-Punk einordnen, hat sie sich vermehrt weltmusikalischen Ideen geöffnet. Und wenn einmal nicht Stromgitarren-Gewitter herabfahren, findet man Dudelsackklänge, Drehleier, Flöten, Mandolinen und die Bandura, das alte Instrument der Kobzaren.

Die auch hierzulande ganz gut bekannte britische Band mit ukrainische Wurzeln, The Ukrainians (-> FW#19, FW#31), wartet mit einem Live-Album auf. Ein gutes halbes Jahrzehnt war kein neuer Tonträger mehr erschienen und es hatte verschiedenste Umbesetzungen im Line-Up gegeben. Im polnischen Czeremcha im Jahr 2007 präsentierten die neuen alten The Ukrainians ihre Form von ukrainischer Folklore für Rocker und Punks. 19 der besten Stücke einer rund zwanzigjährigen Musikkarriere: archaische Volkslieder aus der Ukraine, denen man einen Stromstoß verpasst hat, Eigenkompositionen sowie Cover-Versionen in ukrainischer Sprache von "Anarchy in the UK" von den Sex Pistols und "Venus in Furs" von den Velvet Underground. Auf das CD-Cover ist ein traditionelles ukrainisches Motiv gestickt. Davon sollte man sich - trotz vorhandener Geige, Mandoline und Akkordeon - nicht täuschen lassen.

Eine Geschichte fast wie aus dem Märchen: Anfang der Neunziger wird in Straseni die erste Satelitenschüssel Moldaviens installiert. Die Kids sind dadurch in der Lage, MTV zu sehen, und saugen die westliche Musik auf. Zdob si Zdub gründet sich als Hardcore-Band. Jahre später spielen sie nur mal so zum Spaß ein moldavisches Volkslied. Der Song wird ein Hit, der Rest ist Geschichte (u.a. Eurovision Song Contest 2005, erinnert sich wer?). Sänger Roman Iagupov singt überwiegend in Pidgin-Englisch, einiges aber auch in Rumänisch (das ist die Amtssprache in Moldavien). Im Opener heisst es: I love so much doba making boom-boom, now get your body moving, just follow the tune. Darum geht es: Headbanging, nicht Batuta-Tanz. Es stellt sich nicht die Frage: Zigeunermusik vs. Rockmusik, Ethnologie vs. Garagenpunk. Zdob si Zdub-Konzerte sind unter dem Spaß-Faktor zu sehen. Digli digli da, öffnet das Fass, nehmt die Pfeife, füllt den Wein in die Gläser... Als Specials auf "Ethnomecanica" sollte weder ein Remix von Shantel (-> FW#35), noch eine gemeinsame Aufnahme mit Hubert von Goisern (siehe Rezension unten) unerwähnt bleiben.

Wenn Eugene Hütz, Ukrainer in New York, nicht gerade mit Madonna rummacht, zwirbelt er den kräftig sprießenden Schnauzbart und widmet sich seiner großen Liebe Gypsy-Punk und Speed-Metal. Das mittlerweile vierte Album seiner Band Gogol Bordello nennt sich "Super Taranta!", die Stücke tragen Titel wie "Harem in Tuscany" und "My Strange Uncles from Abroad". Anstatt sich seiner "Tribal Connection" zu widmen, arbeitet Hütz lieber an der "Supertheory of Everything". Ohne Zweifel enthält diese jede Menge Nonsens und Taranta. Vielleicht ist genau dies, was Amerika braucht. Eugene Hütz brüllt verzweifelt in gebrochenem Englisch: Have you ever been to American wedding? Where is the vodka, where's marinated herring? Where is the supply that's gonna last three days? Where is the musicians that got the taste? Where is the band that like Fanfare gonna keep it goin' 24 hours?! Mit der Zeit ist Gogol Bordello etwas ermüdend, aber natürlich die Live-Band par excellence - live exzessiv, wild, schräg.

www.44leningrad.net, www.haydamaky.com, www.the-ukrainians.com, www.zdob-si-zdub.com, www.gogolbordello.com
Walkin' T:-)M


Karamelo Santo "Antena Pachamama"
Label:
Benditas Prod.; K108CD; 2007; Spielzeit: 38:42 min
Mit Karamelo Santo kann man nahtlos vom Osten Europas in den vorherigen Rezensionen nach Südamerika übergehen. Das heilige Karamelbonbon ist eine bekannte argentinische Formation aus der westlichen Provinz Mendoza. Seit 1993 hat die Gruppe sieben Alben veröffentlicht. Sie sind 1997 in die argentinische Hauptstadt Buenos Aires und haben nach einer gemeinsamen Tour mit Manu Chao das große Los gezogen. Nun präsentiert das Oktett ihr neuestes Werk "Antenne zur Mutter Erde", eine erfrischende Mischung aus Ska, Rock, Reggae, Punk mit Cumbia, Cueca und Chamame und viel Fiesta Latein-Americana. Ein Bob-Marley-Cover ("So Much Trouble in the World") darf nicht fehlen. Es gibt zwei Booklets, das eine enthält die Lyrics, das andere Übersetzungen ins Englische. Wer mit 20 Jahren kein Rockfan war, hatte kein Herz, heisst es in einem in Buenos Aires spielenden Montalban-Krimi, und wer es mit 40 immer noch ist, hat kein Hirn. Ersterem ist unbedingt zuzustimmen, aber das zweite trifft nur auf Bands zu, die nie über den Tellerrand geblickt haben und blind und blöd US-amerikanische Vorbilder nachspielen.
Karamelo Santo tourt im Juli und August 2008 im deutsch-sprachigen Raum.
www.karamelosanto.com
Walkin' T:-)M


Ljuti Hora "Balkantanzhaus"
Label:
RaumerRecords; RR 17007; 2007; Spielzeit: 73:00 min
Die kroatisch-bulgarisch-deutsche Band Ljuti Hora, was so viel wie scharfe Tänze heisst, besteht seit dem Winter 2002/2003. Im folgenden Frühjahr wurde das Berliner Balkantanzhaus gestartet; jeden 3. Mittwoch im Monat spielt die Gruppe in der Jeder ist Tanzbar! in Berlin-Friedrichshain auf und es können Reihentänze aus dem Südosten Europas mit Tanzanleitung ausprobiert werden. Auf der gleichnamigen CD spielen der kroatische Flötist und Klarinettist Mare Gaal, der bulgarische Gajda-Spieler Martin Petrov (d.i. ein Dudelsack), sowie die Akkordeonistin Franka Lampe und der Perkussionist Oliver Goers (auf einer Dauli, einer beidseitig bespannten Trommel) tanzerprobte Balkan-Melodien aus einem Repertoire von rund 80 Stücken. Der Opener ist eine Eigenkomposition von Gast-Mandola-Spieler Carsten Schelp, sonst Traditionelles aus Makedonien, Bulgarien, Rumänien, Griechenland und der Türkei. Ljuti Horas Arrangements sind geringfügig angejazzt, aber die Stücke sind immer geradeaus und tanzbar - insofern man 7/8- und 11/16-Rhythmen als geradeaus bezeichnen kann. Dieses "Balkantanzhaus" ist ein solides Gebäude.
www.frankalampe.de/ljutihora/
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Garry Walsh "Penny Trumpets"
Label:
Claddagh; SPINCD1011; 2007; Spielzeit: 40:22 min
Der irische Flötist Garry Walsh (-> FW#30) hat seine Musik von den Exil-Iren in und um Manchester herum gelernt. Mittlerweile ist er auf die grüne Insel zurückgekehrt und lebt in Clonakilty im County Cork. Als seinen größten Einfluss bezeichnet er den Uilleann Piper Paddy Keenan (-> FW#23), und darauf sind gewisse Verzierungen in seinem Flötenspiel zurückzuführen. Seine Bb-Flöte hat außerdem einen warmen Klang, das Spiel ist flüssig und fließend. Sein neuestes Album ist nach dem Reel "Flanagan's Penny Trumpet" benannt, einem eher unbekannten Stück aus der Gegend um Drogheda. Es enthält einige alte Favoriten, aber auch viele nicht so bekannte Tunes. Die meisten Stücke stammen aus den jeweiligen Repertoiren von Garrys Großvätern aus Skibbereen bzw. Drogheda, die seit Jahrzehnten in der Familie Walsh weitergereicht, aber bis heute noch niemals aufgenommen worden sind. Garry spielt diverse Flöten sowie Tin und Low Whistle; Hilfe kommt von Fiddlerin Maire Breathnach (-> FW#25) Bouzoukispieler Cyril O'Donoghue, Gitarrist Jim Murray, Bassist Garvan Gallagher und Bodhranspieler Colm Murphy. Zur Abwechslung gibt es außerdem noch zwei Lieder, das traditionelle "My Willie O" und die Eigenkomposition "Purple Lady". Garry hat eine angenehme Singstimme und sein Lied ist außerdem noch ganz nett. Schade, dass es nach 40 Minuten schon mit den billigen Trompeten vorbei ist.
garrywalsh.biz
Walkin' T:-)M


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 07/2008

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