FolkWorld Ausgabe 36 07/2008; Buchrezensionen von Walkin' T:-)M
Der kanadische Flötist Brian Berryman (-> FW#22) hat aufgezeigt, dass zwischen Barockmusik und traditioneller Folkmusik ein nahtloser Übergang besteht. In der Tat haben beide gemeinsame Wurzeln im Tanz. Oder anders gesagt: Die Raffinesse des Einen ergänzt die Lebendigkeit und Kraft des Anderen.
Die Bezeichnung Barock, musikalisch die Zeit zwischen 1600 und 1750, leitet sich vom portugiesischen berrueco, d.h. unregelmäßig im Sinne von verschnörkelt, her. Jean-Jacques Rousseau schrieb 1768:
![]() Bernhard Morbach, Die Musikwelt des Barock - Neu erlebt in Texten und Bildern.
Bärenreiter,
Kassel, 2008, ISBN 978-3-7618-1716-2, 301 S, €26,95 (inkl. CD-ROM).
Musikwelt der Renaissance (FW#33)
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Grundlegend ist der sogenannte Zentralaffekt, d.h. dass eine Komposition (oder ein Satz einer Komposition) von einem bestimmten Gefühlszustand beherrscht wird. Mit einer Arie beispielsweise wird etwa der Verlauf der Handlung unterbrochen, um einem der Beteiligten die Möglichkeit zu geben, einen besonderen, gesteigerten Affekt großräumig zu entfalten. Der Sänger Orpheus in Monteverdis Oper "L'Orfeo" äußert: Ich bin die Musik, die durch süße Töne jedes betrübte Herz zu beruhigen weiß, und bald zu edlem Zorn, bald zur Liebe die kältesten Gemüter entflammen kann.
Als zentrale Autorität zitiert Bernhard Morbachs Die Musikwelt des Barock Johann Matthesons "Der vollkommene Capellmeister" von 1739, dessen vollständiger Titel lautet: Das ist gründliche Anzeige all derjenigen Sachen, die einer wissen, können, und vollkommen inne haben muß, der einer Capelle mit Ehren und Nutzen vorstehen will.
Mattheson sagt: Bei einer jeden Melodie müsse man sich eine Gemüthsbewegung zum Haupt-Zwecke setzen. Das betrifft auch die Spiel-Melodien, d.h. die Instrumentalmusik. Jedem einzelnen Tanztyp wird eine bestimmte Affektqualität zugeordnet, was einem heutigen Interpreten durchaus noch Hinweise auf die Gestaltung geben kann.
Der Münsteraner Ökotopia-Verlag
hat sich schon des öfteren mit dem Mittelalter beschäftigt.
"Markt, Musik und Mummenschanz" und "Das große Spectaculum" hieß es, nun lädt
Ritterburg & Königsschloss auf die Herrensitze ein -
um das Leben mal auf der Sonnenseite des Adels genießen.
Oho, verbirgt sich da Kritik an gegenwärtiger Sozial- und Familienpolitik?
Wie auch immer, warum sollen unsere Kleinen nicht spielerisch
die Vergangenheit entdecken. In der ersten Hälfte dreht sich alles um die Burg,
in der zweiten um das Schloss, also um das Jahrtausend vom 8. bis zum 18. Jahrhundert.
Mädel und Buben können bauen und dekorieren, malen und kochen, oder an
Reigentanz und Minnespiel, Menuett und Maskenball teilnehmen.
Der Band enthält viele Informationen, viel Spiel und Spaß, und ist
anregend und vorbildlich aufgemacht. Geeignet für
Kindergarten und Schule ebenso wie zu Ausflügen zu echten Gemäuern.
Außer "Ein Jäger aus Kurpfalz", einer
Pavane
von
Thoinot Arbeau,
dem spanischen "Pase el agua, ma Julieta Dama" aus dem 15. Jahrhundert,
Neidhardt von Reuenthals
"Nun will der Lenz uns grüßen"
(nach einem Begriff aus einem Gedicht von Neidhardt hat sich die Folk-Rock-Gruppe
Ougenweide
benannt -> FW#34),
sowie
drei Strophen von
Johann Gabriel Seidls
Gedicht "Das Lied vom tapferen Sänger
Blondel"
sind die enthaltenen Lieder - leider - allesamt neuverfasst.
Alle Lieder finden sich auch auf der gleichnamigen CD von
Hartmut E. Höfele
(siehe CD-Rezensionen).
Sybille Günther, Ritterburg & Königsschloss - Kinder spielen Ritter, Knappe, Burgfräulein, Prinz und Prinzessin.
Ökotopia Verlag,
Münster, 2008, ISBN 978-3-86702-046-6, 142 S, €18,90.
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Menuett | mässige Lustigkeit |
Gavotte | rechte jauchzende Freude |
Bourrée | Zufriedenheit |
Rigaudon | tändelnder Schertz |
Marsch | ernsthafft oder poßirlich |
Gigue | frisch, hurtig |
Polonaise | Offenhertzigkeit, freies Wesen |
Contredanse | Eigensinn, ungebundene Großmuth, edle Guthertzigkeit |
Passepied | Leichtsinnigkeit |
Sarabande | Ehrsucht |
Courante | süsse Hoffnung |
Allemande | Zufriedenheit |
Für Musik und Gesellschaft öffneten sich im 17. Jahrhundert neue Horizonte: Städte und Bürger spielten eine größere Rolle im Musikleben, es war die Gründerzeit des öffentlichen Konzerts, die Gattung Oper entstand.
Die höfische Sarabande mit ihrem gravitätische Duktus entwickelte sich aus einem andalusischen Fruchtbarkeitstanz, eigentlich ein rascher Sprungtanz. Tanzmusik war äußerst populär war und dabei kam der Dudelsack häufig zum Einsatz. Viele Schenken pflegten Besucher mit musikalischen Darbietungen anzulocken.
handelt es sich um einen riesigen Fundus von Melodien, die einerseits zwar bestimmten, ursprünglich ebenfalls mündlich tradierten Liedtexten zugeordnet sind (z.B. Greensleeves), andererseits aber zum Vortrag von neu gedichteten Texten benutzt wurden. Es handelt sich um die so genannten Broadside Ballads, die auf einem Blatt im Querformat gedruckt waren, wobei der Text dann immer mit einem musikalischen Verweis verbunden war: To the tune of ... Solche Ballad tunes wurden im 17. Jahrhundert vielfach zum Gegenstand von instrumentalen Variationen. Viele haben in der Tat ausgesprochen tänzerischen Charakter. Der Begriff Ballade selbst, der seinen Ursprung im Mittelalter hat, ist von ballare (ital. Tanzen) abgeleitet und verweist darauf, dass solche Dichtung - zumindest in ihrer Frühzeit - tanzend vorgetragen wurde.Mattheson ist kein Freund von Hornpipes: Die Hornpipen sind scotländischer Abkunfft, und haben bisweilen so was ausserordentliches in ihren Melodien, daß man dencken mögte, sie rührten von den Hofcompositeurs am Nord- oder Süd-Pol her.Im 18. Jahrhundert kam der Begriff Angloise bzw. Anglaise als kontinentale Bezeichnung für Tänze auf, die im schriftlosen, volkstümlichen Gebrauch auf den Britischen Inseln populär und auf dem Festland in kompositorisch verfeinerten (stilisierten) Formen verbreitet waren. Dem Typus des Country dance kommt dabei die größte Bedeutung zu. 1651 erschien die erstere, größere Sammlung, veröffentlicht von Henry [!] Playford (1623-1686) unter dem Titel "The English Dancing Master". Weiterhin finden sich Anweisungen für die drei Basistanzformen longways, rounds und squares. Offenbar unmittelbar im Auftrag Ludwigs XIV. begab sich ein französischer Tanzmeister 1685 nach England, um die dortige Tanzpraxis zu studieren. Seine Eindrücke schrieb er nieder, fügte einige Melodien an und überreichte diese Aufzeichnung dem Sonnenkönig. So entstand die französische Contredanse.
Bernhard Morbach, seit über 25 Jahren Moderator der Radiosendung "Morbach live – Alte Musik" beim Rundfunk Berlin Brandenburg, schildert in bewährter Weise im dritten Teil seiner Musikwelten nach dem Mittelalter (-> FW#30) und der Renaissance (-> FW#33) diese Entwicklungen und insbesondere die in der E-Musik. Eine CD-ROM enthält den Notentext von über 50 Kompositionen im PDF-Format, eine Sammlung von Bildern mit Musikdarstellungen sowie ergänzende Texte.
Morbach widmet sich dabei auch Themen wie historische vs. moderne Aufführungspraxis, Frauen in einer musikalischen Männerwelt, sowie Barockmusik in der Neuen Welt. Bei der Kolonisation setzten die Jesuiten gar auf die Überredungskunst der Musik bei der Missionierung. Es sind villancicos, eine spanische Gattung des mehrstimmigen Liedes mit volksliedhaftem Gepräge, mit folkloristischen Elementen einerseits aztekisch-amerikanischer, andererseits afrikanischer Tradition überliefert.
Interessant sind auch die Ausführungen zur musikalischen Praxis am absolutistischen Hofe Ludwigs XIV.: nicht l'art pour l'art, sondern Inszenierung der Monarchie. Alle Bereiche des Hoflebens, einschließlich Konzerte und Tanz, wurden zur Stabilisierung des Staates und der königlichen Macht reglementiert und normiert. Molière lässt einen Musiklehrer sagen: Es gibt nichts Nützlicheres in einem Staat als die Musik. Der Tanzmeister fügt hinzu: Es gibt nichts Notwendigeres für den Menschen als den Tanz.
Gleichsam mit der Französischen Revolution 1789 endet nicht nur der
absolutistische Staat, mit dem
Ancien Régime
verklingt auch
das Cembalo
und die
Viola da gamba
im besonderen
und die Alte Musik
im allgemeinen.
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 07/2008
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