FolkWorld Ausgabe 38 03/2009

FolkWorld CD Kritiken

Club der Toten Dichter "Zweifach sind die Phantasien"
Label:
ZuG-Records; 2008
Ach, was muß man oft von bösen Kindern hören oder lesen! Wie zum Beispiel hier von diesen, welche Max und Moritz hießen; die, anstatt durch weise Lehren sich zum Guten zu bekehren, oftmals noch darüber lachten und sich heimlich lustig machten ... Reinhard Repke und sein Club der Toten Dichter sind sicherlich keine bösen Buben. Der Club wurde 2005 gegründet, um Heinrich Heine zu vertonen, der neue tote Dichter, passend zum 100. Todestag, ist Wilhelm Busch. Neben Reinhard Repke finden sich in der aktuellen Besetzung Keimzeit-Sänger Norbert Leisegang und Musiker, die schon bei den Rainbirds und der Rio-Reiser-Band gespielt haben. "Zweifach sind die Phantasien" wirkt richtig spritzig und klingt gar nicht tot (vor allem, wenn man das mal mit den eher drögen, aber so hoch gelobten Vertonungen von Reichel & Co. vergleicht). Manchmal fühle ich mich an die Grenzgänger-Versionen der Fallersleben-Lyrik erinnert (-> FW#21), dies ist nur etwas poppiger. Aber wehe, wehe, wehe! Wenn ich auf das Ende sehe! Ach, das war ein schlimmes Ding ... Nein, gar nicht, und das schreibe ich nicht nur aus Angst: Hinaus, verdammter Kritikus, sonst schmeiß ich dich in Scherben. Du Schlingel willst mir den Genuß der Gegenwart verderben!
www.club-der-toten-dichter.de
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Hiss "Zeugen des Verfalls"
Label: Eigenverlag; 2008
Wenn es trocken ist, dann rauch ich's, wenn es flüssig ist, dann sauf ich's, wenn es fettig ist, schieb ich mir's in den Hals. Heut werd ich mir's wieder geben, Hunde wollt Ihr ewig leben? Ihr seid Zeugen des Verfalls. Wenn das Verfall ist, dann her damit. Die Stuttgarter Polkarocker Hiss präsentieren sich auf ihrem aktuellen Album so spritzig wie eh und je. Einige Lieder sind schon von Konzerten bekannt, die Band ist ja nahezu pausenlos unterwegs: Meine Braut ist die Straße, sie riecht nach Staub, Benzin und Teer. Steigt ihr Duft mir in die Nase, fällt der Abschied mir nicht schwer. Hab viele Reisen unternommen, ich hab die ganze Welt geseh'n. Es ist nicht schlecht anzukommen, aber besser ist das Geh'n. Kein Ende ist in Sicht: Ein früher Tod erfreut die Erben, ein guter Whisky wärmt den Bauch, und es ist ehrenvoll zu sterben im Kampfe um das Recht auf Rausch. Texte, auf die Villon neidisch wäre; das Hiss-Liederbuch ist übrigens auch schon im Handel.
Siehe auch das Interview mit Stefan Hiss in dieser FolkWorld-Ausgabe!
www.hiss.net; www.wintrup.de
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Versengold "Ketzerey"
Label: Eigenverlag; 2008
Das Mittelalter kann so lustig sein, wenn man es richtig anfängt. Die Mitglieder von Versengold tragen so irrwitzige Namen wie Snorre Snoerkelfrey (Texte, Flöten, Drehleier), Pinto von Frohsinn (Perkussion), Sirkka von Ungefaehr (Gitarren-Laute) und Hengest der Lange (Fiedel, Nyckelharpa, Bouzouki). Das ist ja mittlerweile Usus in diesem Genre, aber Versengold gefällt mir persönlich besser als der Durchschnitt. Nach Art mittelalterlicher Spielleute bieten sie uns auf ihrem dritten Album "Ketzerey" Sauf- und Rauf-Lieder, aber auch schöne Balladen dar. Allesamt auf dem eigenen Mist gewachsen, in dem sich manch Perle findet. Die Lieder haben Hitpotential. Vom Weingeist beseelt, sind die musikalischen Ketzereyen froh und bunt, voll Witz und Freiheitsliebe, voll künstlerisch durchwebtem Hohn.
www.versengold.de
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Landor "Griffig"
Label: Eigenverlag; 2008; Spielzeit: 51:51 min
Kelten in Österreich, ja wo auch sonst. Und warum im musikalischen Schmelztiegel der Alpenrepublik nicht Irish Folk. Die Pustertaler Folkband Landor trägt einen Name, der wie eine Landschaft bei Tolkien klingt, ist tatsächlich aber nur ein Anagramm von Roland (Roland Moser war eines der Gründungsmitglieder und kam kurz vor dem ersten Auftritt 2003 bei einem Lawinenunfall ums Leben.) Aber bleiben wir bei der Landschaft, wie sähe diese aus? Keine schroffen Berge sicherlich, eher hügelig und dem Auge wohltuend. Hier dem Ohr: Dazu trägt die Stimme von Sängerin und Geigerin Katharina Schwärzer bei, die eher wie eine typische Countrysängerin klingt. Daniel Moser (Flöte, Whistle), Matthias Jud (Kontrabass, Bodhran) und Christian Troger (Gitarre, Mandoline) vervollständigen das Line-Up. Mit viel Soul schlägt Landor einen musikalischen Bogen zwischen Eigenem und Keltischem, Elementen des Jazz und des Pop - und nicht zu vergessen auch der Musik des östlichen Europas. "Griffig" (ist das nicht ein schöner Titel?) enthält acht Instrumental-Titel (viele von Daniel Moser komponiert), sowie drei Lieder, die Musik stammt von Katharina, die Worte sind uns wohlbekannt: "Spancil Hill", "Snowy Breasted Pearl", "Three Leaf Shamrock". Außerdem Bob Dylans "Boots of Spanish Leather", das spätestens seit Ronnie Drew und Altan in den irischen Folk-Kanon aufgenommen worden ist.
www.landormusic.com
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The Horse Flies "Until the Ocean"
Label: Pest Control; 0010; 2008
Build a House and Burn It Down, heißt der erste Titel auf "Until the Ocean". Als wäre dies ihr Motto, bauen die The Horse Flies ein traditionelles Gebäude aus amerikanischem Folk und Old-Time auf, um es anschließend niederzureißen und nach eigenem Gusto wiederaufzubauen. Was dabei herauskommt, ist immer noch Americana, aber mehr dem Art-Rock verbunden. Zusammengehalten von einer dichten Rhythmusgruppe, der treibenden Geige und der Stimme von Judy Hyman wirkt das mittlerweile achte Album der Band aus Ithaca, NY, frisch und einschmeichelnd. Die Horse Flies bleiben instrumentell eine String-Band, wie man sie von der klassischen Old-Time-Music kennt, plus Synthis und Perkussion. Jemand hat sie mal mit dem intellektuellen New-Wave-Pop der Talking Heads verglichen. Erfrischenderweise nicht der typische Folkrock oder Punkfolk. Ach ja, neben den eigenen Titeln gibt es dann doch noch Versionen der traditionellen "Oh Death" und "Cluck Old Hen".
www.thehorseflies.com
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Katharina Franck "On The Verge Of An Autobiography"
Label: Premium Records; PRE 023-2; 2008
Ach, die Erinnerungen. Ich hatte mal eine Kompaktkassette, auf der einen Seite Clannads Musik zur "Robin of Sherwood"-Fernsehserie auf der anderen die Berliner Rainbirds, die "Blueprint Of My Lover" trällern. Sängerin Katharina Franck hat nicht aufgehört, Musik zu machen, ist aber genauso wie die Kassette aus meinem Gesichtsfeld entschwunden (wer weiss schon noch was eine Kompaktkassette ist?). Zwanzig Jahre später taucht sie mit der Solo-CD "On The Verge Of An Autobiography" auf. Es tut gut, die markante Stimme wieder zu hören. Katharina Franck gehört zu den Sängerinnen, die es schaffen, auch mittelmäßige Lieder mit ihrer bemerkensweten und einmaligen Stimme herauszureißen. Mit "Reckless Reckless" verfügt sie auch über eine veritable Pophymne, um an alte Zeiten anzuknüpfen. Aber "On The Verge Of An Autobiography" ist mehr als das, ja eigentlich etwas ganz anderes. Die meisten Stücke, inklusive zum Schluss Kurt Cobains "Something In The Way", sind kein Easy-Listening. Die Liedermacherin bewegt sich zwischen Akustik-Pop, Folk, Blues, Jazz und Spoken-Word. Sie singt mal mit voller Energie, mal flüstert sie, mal rezitiert sie einfach. Popmusik für Erwachsene.
www.katharinafranck.de
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An Rinn "All At Sea"
Label: Own label; CD NR 200806; 2008
So come all ye bold seafaring men who listen to me song. When you come of them long trips I'll have you not go wrong. Take my advice drink no rum and don't go sleeping with them whores, get married instead and spend all night in bed and go to sea no more. -- Der traditionelle Ratschlag an den Walfänger sagt schon alles über das neue Album von An Rinn aus. Die Irish-Folk-Band aus Bramsche (-> FW#32) hat sich der Seefahrt gewidmet - shanties, den Arbeitslieder auf den Segelschiffen, als auch forbitters, dem Freizeitgesang der Seeleute. Das Spektrum reicht von traditionellem Liedgut ("Shenandoah") bis zu zeitgenössischen Klängen (Ewan MacColls "Shoals of Herring", Stan Rogers "Mary Ellen Carter" und "Northwest Passage"). Vom Walfang berichtet Paul Kaplans "Call Me The Whale", das zur Melodie der "Greenland Whale Fisheries" die Geschichte mal aus Sicht des Wals erzählts. Da es wenige irische Sea-songs gibt, wurde ganz auf die Internationale der Seefahrt gesetzt. Der Däne Niels Hausgaard hat den "Old Sea Captain" verfasst. Es gibt dänische Sønderhoningers und einen texanischen Fiddle-Tune (dargebracht auf dem Hackbrett), als Bonus zudem die gute, alte "Reeperbahn". An-Rinn-Gitarrist und Banjospieler Matthias Malcher hat außerdem die "Ballad of Young Stephen" geschrieben. Eine insgesamt sehr schöne Auswahl.
www.anrinn.de
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Weiherer "Scheiße schrein!"
Label:
Conträr; 59; 2009
Der Weiherer (-> FW#35) stammt bekanntlich aus des Papstes Heimat, und wenn ich sehe, wie dieser mit Höchstgeschwindigkeit Richtung Mittelalter marschiert, möchte ich schon manchmal die nächste Schlucht aufsuchen und Scheiße schreien. Der Weiherer tut dies auch fortwährend in seinen Liedern, wenn er mit Stimme und sechs Saiten den Alltag in Bayern (und anderswo) aufs Korn nimmt. Ich wollt witzig sein, aber keiner hat gelacht. Es bleibt im Halse stecken. Wenn der Weiherer sich auch musikalisch etwas wiederholt (inklusive Neuauflage von "Eia Sissdem") gibt es wieder einiges zu entdecken. Lieder so schön wie der Süden gegen Establishment und Spießertum!
www.weiherer.com
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Boys of the Lough "Midwinter Live"
Label: Lough Records; 010CD; 2007
Die Boys of the Lough (-> FW#32) existieren nun auch fast schon 40 Jahre, augenblicklich mit Cathal McConnell (Flöte, Whistle, Gesang), Dave Richardson (Mandolin, Concertina), Brendan Begley (Akkordeon, Gesang), Malcolm Stitt (Gitarre) und Kevin Henderson (Fiddle). Jedes Jahr zur Winterszeit und das seit zwei Jahrzehnten touren die Jungs durch die Lande mit midwinter music aus Irland, Schottland und den Shetland-Inseln, um die dunklen Tage und Nächte etwas zu erleuchten. Das Konzert in Pittsburgh vom Dezember 2006 wurde mitgeschnitten. Das Konzert beginnt mit dem Shetland-Reel "Da Cold Nights o' Winter"; das Set endet mit "Da Spirit o' Whisky" und die Boys meinen, dass in früheren Zeiten Whisky eine spezielle Leckerei an Weihnachten und Sylvester gewesen sei (wer's glaubt). Es folgt "The Christ Child's Lullaby". Und so geht es weiter: Tanzstücke schottisch-irischer Provenienz mit Titeln wie "Christmas Day in the Morning", und viele andere, die keinen entsprechenden Titel aufweisen, aber einfach nur schön sind, Die Boys haben nicht die punkige Energie der heutigen Folkgruppen, sind aber gut eingespielt und verfügen allesamt über bemerkenswerte Technik und Zartgefühl. Interessanterweise stammen einige Tunes aus dem Repertoire von John Stickle, Ur-Ur-Enkel des in den 1770ern vor den Shetlands gestrandeten deutschen Geigers Friedemann von Stickel. Brendan singt Carols in gälischer Sprache ("Coinnle An Linbh Iosa", d.h. die Kerzen des Knaben Jesus) und "Oíche Chiúin, oíche Mhic Dé" (besser bekannt als "Stille Nacht, Heilige Nacht"). Klassiker sind das schwedische "Sankt Staffan Han Rider", und natürlich darf der "Wexford Carol" nicht fehlen.
www.boysofthelough.com
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Annette Degenhardt "Der Tanz der Musikantin"
Label: Eigenverlag; ANDEG 11; 2008; Spielzeit: 21:07 min
Seit 1986 veröffentlicht die Mainzer Gitarristin Annette Degenhardt eigenen Kompositionen. Wie ihre letzten drei CDs enthält auch "Der Tanz der Musikantin" nur ein halbes Dutzend Stücke. Das mag man positiv bewerten: manche Leute schreiben einen Tausend-Seiten-Roman und haben dennoch nichts zu sagen, während eine Kurzgeschichte es auf den Punkt bringt. "Der Tanz der Musikantin" präsentiert vier eigene Instumentalstücke, sowie drei schottische Lieder: Brian McNeills "Back of the North Wind", das nicht ganz unbekannte "Windmills" (ich komme gerade nicht auf den Verfasser) und Robert Burns "Rantin' Rovin' Robin", das letztere passend zum 250sten Geburtstag des schottischen Nationalbarden. "Der Tanz der Musikantin" ist gediegene Unterhaltung, sowohl bei den Liedern als auch Instrumentalstücken. Es ist außerdem ein Notenbuch mit ausführlichen Fingersätzen erhältlich.
www.annette-degenhardt.com
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IRXN "Wolfspfad"
Label: IRXN/MundArtAgeh; 307.0044.2; 2008
"Wolfspfad" - das klingt nach allem Möglichen, führt aber völlig in die Irre. IRXN - das ist altbairisch und bedeutet so viel wie Kraft oder Energie. Und kraftvoll ist auch die Musik keltischer Provenienz der fränkisch-bayerischen Folkrockband. Etwas mystisch geht es bisweilen schon zu, aber mehr noch kracht die Stromgitarre, das Schlagzeug donnert und Bass und Tuba grooven. Eine Fiddle sorgt für den Folk im Folkrock, insbesondere bei den Instrumentalstücken. Hinter der "Schlafende Maid" beispielsweise verbirgt sich der bekannte Reel "Drowsy/Sleepy Maggie". Es darf getanzt werden, aber auch gesungen. Und nicht auf Englisch, sondern auf bairisch. Den Herren gelingt ein Sound, den ich bei vielen Folkrockgruppen vermisse. Es kann halt nicht jeder. IRXN können es irgendwie. Mir persönlich gefällt es. Zumindest Originalität kann ihnen niemand absprechen, rein objektiv betrachet.
www.irxn.net
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Troy MacGillivray "Live at the Music Room"
Label: Trolleymac Music; Trolley-04; 2007
Troy MacGillivray & Shane Cook "When Here Meets There"
Label: Trolleymac Music; Trolley-05; 2008
Troy MacGillivray (-> FW#29, FW#36) ist ein äußerst feuriger Geiger aus Nova Scotia. Selbst erst Ende zwanzig entstammt er einer Familie, die Ende des 18. Jahrhunderts von der schottischen Insel Eigg nach Nova Scotia emigriert ist und seit Generationen die gälische Tradition im Nordosten Kanadas aufrecht erhält. Troy spielt traditionelle Jigs, Strathspeys und Reels, sowie Eigenkompositionen und anderer Zeitgenossen. "Live at the Music Room" präsentiert Troy in seinem Element, nicht nur bei Tanzstücken, sondern auch seiner Interpretation von "Neil Gow's Lament for the Death of his Second Wife". Begleitet wird er von Piano und Gitarre, er selbst ist ein begabter Klavierspieler, was er sogleich mit den "Piano Reels" beweist. Da wir in Kanada sind, darf Steptanz natürlich nicht fehlen.
"When Here Meets There" ist eine außergewöhnliche Zusammenarbeit zwischen Troy und dem Old-Time-Fiddler Shane Cook aus Ontario. Ein Kontrast der Stile: hier und dort, Mittlerer Westen und Ostküste, Old-Time und Cape Breton. Dazu noch Französisch-Kanada, die Orkney-Inseln und Texas. Alle beide bekommen die Möglichkeit, ihre Solo-Fähigkeiten herauszustellen. Spannend sind aber ihre Duelle: ein Funke springt über, wenn Troys rhythmisches Geigenspiel von Shanes weicherem Ansatz gefolgt wird. Sie spielen mit ihrem Material und man folgt gebannt ihren musikalischen Ausflügen und Abenteuern.
www.troymacgillivray.com
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Van Morrison "Astral Weeks - Live at the Hollywood Bowl"
Label: Listen to the Lion Records; 2009
Im Jahre des Herrn 1934 meinte ein irischer Monsignore: jazz was borrowed from Central Africa by a gang of wealthy international bolshevists from America, their aim being to strike at Christian civilisation througout the world. Eines der wenigen Dinge, die irische Katholen und Protestanten damals miteinander verband. Es hat den Nordiren Van Morrison nicht davon abgehalten, sich erfolgreich und innovativ den Gefilden des Blues, Rock'n'Roll und Jazz zu widmen. 1968 nahm er nach Abschied als Frontmann von Them das Album "Astral Weeks". Kritiker und Fans hassten es und erst über die Jahre wurde es ein klassisches Album der Popgeschichte. Es steht immerhin auf Rang 19 der Top 500 im Rolling-Stone-Magazin. Außer dem Song "Cyprus Avenue" (vergleiche z.B. das Live-Doppelalbum von 1974) hat er die Stücke von "Astral Weeks" nie gespielt. Aber Van the Man konnte es nicht lassen. Im November 2008 hat er zum 40-jährigen Jubiläum das Album in der Hollywood Bowl von Los Angeles in vollen Länge aufgeführt. In der ersten Hälfte spielte er Material von "Moondance" bis "Brown Eyed Girl" und "Gloria", in der zweiten Häfte sein Studio-Meilenstein. Er singt alle acht Titel von "Astral Weeks", nicht in der Originalreihenfolge, plus Bonustitel wie z.B. "Listen to the Lion" (Saint Dominic's Preview, 1972). Diese zweite Hälfte findet sich auf "Astral Weeks - Live at the Hollywood Bowl". Als Begleitband hat er ein ganzes Orchester aufgefahren. Van Morrison knödelt sich in seiner in den letzten drei Jahrzehnten entwickelten Gesangsform durch die Songs. Er singt, stammelt, schreit. Die Originalstudioaufnahmen hatten auf jeden Fall mehr Drive. Sie waren einen Hauch schneller, der Gesang direkter und gerader. Deshalb scheiden sich auch am heutigen Van die Geister. Die einen empfinden ihn als personifizierte Genialität, die anderen schlichtweg als nervtötend. Immerhin hat er zu stärkerem Material zurückgefunden, ließen seine letzten Veröffenlichungen doch eher zu wünschen übrig.
www.vanmorrison.com
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Kouglof "Verdrejter Kopf"
Label:
Brambus Records; 200945-2; 2009
Der Gugelhupf, vermutlich von mittelhochdeutsch gugel(e) (Kapuze; lateinisch: cuculla) und hopf (Hefe) ist ein Topfkuchen, der von den Pyrenäen bis an den Ural verbreitet ist. Eng verwandt ist die Kugel, eine jüdische Speise, und eine Legende besagt, dass die Heiligen Drei Könige den Kuchen - angelehnt an ihren Turban - nach Mitteleuropa gebracht haben. Kein Wunder, dass das musikalische Pendant, benannt nach dem elsässischen Ausdruck Kouglof, beheimatet im mittelbündischen Domleschg im Südosten der Schweiz, Klezmermusik spielt, genauso wie Melodien vom Balkan und aus Osteuropa. Folgendes Rezept wird von FolkWorld empfohlen: man tue eine Ansammlung von Klarinette, Cello, Gitarre, Kontrabass und Perkussion an einen geschlossenen Ort, bringe sie mit traditionellen und originalen Stücken zur Gluthitze, sorge für einen süßen melodischen Überguss, und fertig ist ein leckeres Gericht. Schmeckt nicht nur gut, man kann auch dazu hüpfen!
www.kouglof.ch
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LAU "Live"
Label:
Compass Records; 7 4479 2; 2008; Playing time: 61:23 min
Die Studioaufnahmen des schottisch-englischen Trios LAU (-> FW#34) sind schon eine Sache für sich, aber live in Konzert werden schwindelerregende Höhen erreicht. Dabei machen sie so viel mit so ein wenig. Kris Drever, Sohn des Ex-Wolfstone-Frontmanns Ivan Drever (-> FW#29) von den Orkney-Inseln, spielt Gitarre und singt (-> FW#33). Fiddler Aidan O'Rourke aus Oban an der Westküste Schottlands hat mit Claire Mann in Tabache gespielt und derzeit bei den Blazin' Fiddles (-> FW#8, FW#36). Der südenglische Akkordeonist Martin Green hat mit Eliza Carthy und Kathryn Tickell zusammengearbeitet. Die Sieger der BBC Folk Awards 2008 in der Kategorie Best Group spielen vor allem selbstkomponierte Jigs & Reels. Die Arrangements sind komplex, die Stücke ändern fortwährend ihre Stimmung und ihre Richtung. Improvisation hat einen großen Anteil und die Band ist drauf und dran die Gestade traditioneller Musik zu verlassen und in die Gefilde des Jazz vorzustoßen. Ganz haben sie die Bodenhaftung noch nicht verloren. Auf schottisch bedeutet lau so viel wie Licht oder Feuer, und das ist genau das, was man bekommt. Genau das Gegenteil von l a u !
www.lau-music.co.uk
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Notorious "Elkins"
Label: Black Socks; CD 27; 2008
Notorisch ist an dieser Band aus Boston, Massachussetts vor allem ihre Mischung aus Swing und Old-Time, keltischer und ost-europäischer Musik. Das klingt wie eine Gemischtwarenhandlung, ist aber durchaus kohärent. Eine gute, alte Gemischtwarenhandlung hat ja auch Qualitätsprodukte und kein billiges Junkfood. Das Quartett Notorious besteht aus Eden MacAdam-Somer (Fiddle, Gesang), Lary Unger (Gitarre, Banjo, Bass), Sam Bartlett (Mandolin) und Mark Hellenberg (Percussion). Das aktuelle Album wurde nach dem Augusta Festival in Elkins, WV, benannt, und beinhaltet traditionalle und originale Stücke aus dem amerikanischen Folkkanon, sowie ein jiddisches Hochzeitslied und rumänische Stücke wie z.B. die Roma-Hymne "Jelem, Jelem". Aber auch die selbstverfassten Stücke können sich sehen lassen. Als Larry Unger "Pickin' the Berries" komponierte, klingelte ein zufällig des Weges kommender Passant an der Tür und fragte, wie dieser Tune hieße, er sei gut. Und das gilt auch für die anderen Titel auf dieser CD.
www.notoriousfolk.com
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Tiny Tin Lady "Ridiculous Bohemia"
Label: Own label; ttl10208; 2008
Tiny Tin Lady sind jung (ca. 17 -23), 100% weiblich, und sorgen wie weiland die jungen Beatles für ein musikalisches Hochwasser. Kein Wunder, stammen doch beide Formationen von den Ufern des Flusses Mersey. Ihr zweites Album "Ridiculous Bohemia" versammelt Eigenkompositionen im Folk-Pop-Stil. Die Geschwister Danni Gibbins und Beth Gibbins verzaubern mit fabelhaften Gesang, abwechselnd Solostimmen und gemeinsam Harmonie, unterstützt von Bassistin Helen Holmes und Geigerin Kat Gilmore. Dazu haben sie prominente Fans gefunden; Mitglieder von Fairport Convention helfen hier und da aus und verhindern, dass die vier jungen Damen von jugendlichem Enthusiasmus hinweggetragen werden. Neben mitreissenden Titeln gibt es aber auch elegische Hymnen. Den Namen Tiny Tin Lady sollte man sich auf jeden Fall merken.
www.tinytinlady.com
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Stoppok "Auf Zeche" [CD + DVD]
Label:
Grundsound; GS0023; 2009; Spielzeit: 2:08:43 + Extras min
Man glaubt es kaum, nach dreißig Jahren auf den Bühnen dieser Republik ist Stoppok (-> FW#33, FW#35) zum ersten Mal auf DVD zu erleben. Beim Open Air auf der Zeche Carl in Essen am 29. August 2008, zusammen mit Sebastian Niehoff (Gitarre, Hammond), Reggie Worthy (Bass) und Benny Greb (Schlagzeug). Vor angenehm gemischtem Publikum ist ein Konzert zu erleben, das sich langsam hochschaukelt. Das Programm enthält Stücke jüngeren Datums, von denen "Mit dir und mir" und "Den anderen Weg" vielleicht die Besten sind, als auch alte Hadern wie "Dumpfbacke" und "Aus dem Beton". Stoppok ist, wie er ist, das nennt man wohl authentisch (und ich meine jetzt nicht das charakteristische bunte Hemd und die gestreifte Hose). Ein Konzert mit allen Stärken und Schwächen, nichts geschönt, und das ist gut so. Er ist kein Medien-Zampano, hat erfolgreich das Star-Image unterlaufen und ist trotzdem irgendwie einer geworden. Er ist halt einfach gut und verteidigt damit erfolgreich einen der Spitzenplätze in der deutschsprachigen Rockmusik. Das Bonusmaterial (ca. 45 min) zeigt Stoppok solo ("Viel zu schön") und mit Worthy ("Confusion", "Scheisse am Schuh", "Ärger") als eigenes Vorprogramm, ein Interview Stoppoks mit Theo Roos, und Backstage mit Sebastian Niehoff. Die dazugehörige CD ist um zwei, drei Stücke gekürzt.
www.stoppok.de
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Gueta na Fonte "Camin d'Arcana"
Label: Mist of Time; MISTCD02; 2008
Gueta na Fonte (-> FW#32) ist ein siebenköpfiges Ensemble aus Asturien. Wenn allerdings Gaita (der charakteristische Dudelsack Nordspaniens), Flöte und Fiddle ertönen, hört man nicht traditionelle Melodien. Mento Hevia hat alle Stücke in einem neo-spanisch-keltischem Stil komponiert. "Camin d'Arcana" schwankt zwischen Klassik und Folk, für Folk zu symphonisch, für klassische Musik zu beschwingt. Es ist beinahe Filmmusik, die Bilder im Kopf entstehen lässt. Ich sehe eine grüne Landschaft zwischen Meer und Gebirge. Insofern ist Mento Hevias Musik so asturisch, wie man nur sein kann.
www.guetanafonte.com
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Le Vent du Nord "Mesdames et messieurs!"
Label:
Borealis Records; BCD194; 2008
Le Vent du Nord (-> FW#36) live, das ist das Ding! Nach drei Studioalben endlich ein Konzert, mitgeschnitten beim Festival Mémoire et Racines in Quebec, verstärkt um andere Festivalteilnehmer. Der Nordwind aus Französisch-Kanada fegt über die Bühne und reisst das Publikum mit. Ein Quartett mit Akkordeon, Drehleier, Gitarre und mit viel Gesang. Traditionelle Melodien aus Quebec, Fußperkussion und Steptanz. Frohsinn ist angesagt, und wem das kein Lächeln auf die Lippen zaubert und die Hüften zum Kreisen bringt, dem ist auch nicht mehr zu helfen.
leventdunord.com
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Cain Da Breth "Sanas"
Label: Cemetery Records; 2008
Cain Da Breth existieren seit fünf Jahren und spielen derzeit in der Besetzung Damonica (Gesang, Akustikgitarre), Samuel Hain (Gesang, Perkussion), Vašek Polívka (Geige, Flöte) und Lenka Kavalová (Violoncello). Es ist eine tschechische Band, die aber einen gälisch-keltischen Bandnamen gewählt hat (den ich nicht wirklich verstehe und daher hier von einer Übersetzung ablasse). Das passt auch insoweit, als dass sie mystisch-mysteriöse Musik spielen, die sich im Umkreis von Neo-Keltentum und Neo-Heidentum befindet. Es ist allerdings keine Folkmusik, sondern - wie sie es selbst nennen - acoustic doom metal. Aha! Was muss man sich darunter vorstellen? Selbstverfasste englische Texte, musikalisch zwischen Mittelalter und Neofolk. Überwiegend ruhig und eindringlich, unterlegt mit Streichern. Die sphärische Frauenstimme harmoniert aufs trefflichste mit dem dreckigen Männergesang. Cain Da Breth versprechen nicht mehr und nicht weniger, als eine eigene Welt zu erschaffen, der man sich nicht mehr entziehen könne. Nun, das muss der geneigte Hörer selbst entscheiden. Der Sound der Prager Band wird auch hier seine Freunde und Freundinnen finden. "Sanas" ist in einem sehr schönen Buchformat mit allen Texten und Infos (in Englisch) erschienen.
www.caindabreth.com
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Gary Quinn "Keep Her Lit!"
Label: Own label; GQ-CD-001; 2008; Playing time: 38:40 min
Der Akkordeonspieler Gary Quinn stammt aus dem westirischen County Galway und stellt sein Debütalbum "Keep Her Lit!" vor. Der CD-Titel (und das selbstverfasste Anfangsstück) ist LKW-Fahrer-Slang für Gib Gummi! und gemäß seinem Akkordeon-Vorbild Mairtín O'Connor, der auch überraschende Wendungen und Richtungsänderungen liebt und ein paar Jigs beigesteuert hat, tritt Gary Quinn mit Mitstreitern wie Sean de Burca (Keyboards), Sean Regan (Fiddle), Mike McGoldrick (Whistle, Flöte), Steve Simmonds (Gitarre), Kieran Quinn (Banjo), Tom Giblin (Gitarre), Bruno Staehelin (Perkussion) und Sinead Deely (Whistle) zu einem musikalischen Rennen an. Jigs & Reels aus dem heimischen Irland sind dabei, als auch deren Mutationen aus Cape Breton und Französisch-Kanada. Gelegentlich tritt er dann doch sanft auf die Bremse, z.B. auf The Children's Carousel, einem selbstverfassten Walzer. Das Finale wiederum ist schierer Wahnsinn und fährt von Rag bis Rock'n'Roll das gesamt-mögliche Spektrum ab, was auf dem Akkordeon geht.
www.gquinn.ie
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Neill Lyons "Skins + Sins"
Label: Lyonsie Records; NLCD001; 2008
Der junge Dubliner Neill Lyons präsentiert in einer knappen halben Stunde sein Können auf der irischen Rahmentrommel (-> FW#36). 1994 im zarten Alter von 16 Jahren belegte Neill den ersten Platz der Unter-18-Bodhránisten auf dem All-Ireland Fleadh. Bald darauf gründete er zusammen mit Éamonn De Barra (Slide -> FW#34) und Éamonn Galldubh (-> FW#27) eine Band. Neill war u.a. im Studio mit den "Sessions from the Hearth" (-> FW#12). 2006 wird er Sieger bei den World Bodhrán Championships (und sein jüngerer Bruder Conor heimst den Titel sowohl 2007 als auch 2008 ein). In letzter Zeit tourte Neil mit Gavin Whelan (-> FW#32) und Popmusiker Damien Dempsey (-> FW#35). Neill spielt seine Bodhrán, Marke Seamus O'Kane, mit einem Stockbündel (sticks) und erzeugt damit einen komplexen, derzeit äußerst angesagten Sound. Dies demonstriert er auf zwei Solostücken, aber auch als rhythmische Unterstützung traditioneller Jigs & Reels. Dazu hat er sich Paul McNevin (Fiddle), Éamonn De Barra (Flöte), Peter Browne (Akkordeon), Leonard Barry (Uilleann Pipes), Mick Broderick (Bouzouki, Mandoline), Helen Lyons (Harfe), Michelle O’Brien (Fiddle), Andy Morrow (Fiddle), und andere mehr eingeladen. Wenn alle Trommler so präzise und feinsinnig das Ziegenfell bearbeiten würden, würde sicherlich niemand das Bodhrán als Sünde bezeichnen.
www.neilllyons.com
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The Duplets "Tree of Strings"
Label: Pond Chicken Music; CHIK001; 2008
Die Duplets sind ein schottisches Harfenduo bestehend aus Gillian Fleetwood, die zudem singt, und Fraya Thomsen, die Harmoniegesang hören lässt. Auf ihrem Debütalbum "Tree of Strings" werden sie zudem von Gästen wie Fiddler Gab McVarish (Daimh -> FW#34) und dem Bassisten Duncan Lyall (Breabach -> FW#37) unterstützt. Die Mädels spielen schottische und irische Tanzweisen, sowie eine Polska, die Gillian komponiert hat. Instrumental ist ihre Stärke: einfühlsames Zusammenspiel mit schönen Harmonien, fetten Akkorden und interessanten Verzierungen und Bassläufen. Bei traditionellen Lieder wie "Twa Corbies" und "Rigs of Rye", Robert Burns "Ca' the Yowes" und Andy M. Stewarts "Queen of All Argyll" singt Gillian mit tiefer und schläfriger Stimme, wenn auch gelegentlich etwas schwach auf der Brust. Insgesamt aber ein sehr empfehlenswertes Album.
www.theduplets.com
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Alalé "Wo Japen"
Label: Own label; 2007
Die Band Alalé wurde 2006 im westirischen Galway gegründet, bestehend aus irischen und spanischen Musikern. Galway war ja immer schon eine wichtige Handelsverbindung Richtung iberische Halbinsel, was sich auch in der bekannten Geschichte der Familie Lynch zeigt (s. Lynch’s Castle). Wie auch immer, jedenfalls ist die Musik der Gruppe nicht nur traditionell irisch, sondern beinhaltet spanische Musik, Rumbas und sogar etwas griechische Musik. Auf einem dichten Rhythmusteppich toben sich die Whistles aus, gespielt von Gabriel Wandelmer (Flöte, Whistle, Gaita) und Ciaran O'Donghaile (Uilleann Pipes, Flöte). Dazu kommen David Cardona (Bodhran) und Fergal Walsh (Gitarre, Piano, Bouzouki). Eine Gästeschar steuert Flamencogitarre, Tablas und Pandereta, Strom-Gitarre und Bass bei. Die acht Titel, mehr als die Hälfte sind über 5 Minuten lang, sind ein Versuch irisch-spanischen Weltmusik-Crossovers. Vergleiche mit Lunasa (-> FW#37) oder Beoga (-> FW#33) drängen sich. Insgesamt sehr schön, kraftvoll und originell. Man muss allerdings Flötentöne mögen.
www.alale.ie
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Manderley "...fliegt Gedanken, fliegt..."
Label:
Sireena Records; 2037; 1976/2008; Spielzeit: 44:03 min
Manderley ist der Name des Anwesens in Daphne du Mauriers Roman "Rebecca" (und der Filmversion von Alfred Hitchcock). Die gleichnamige Folkrock-Gruppe, die sich 1975 in Dortmund gründete, wollte sich damit wohl einen etwas geheimnisvollen Anstrich geben. Man hatte sich wohl noch nicht ganz von Elfen & Trollen gelöst. Dabei wurden im Gegenteil mehrstimmiger Gesang a la Crosby Stills, Nash & Young und gesellschaftskritische Texte a la Dylan ihr Markenzeichen. Musikalisch standen Fairport Convention und Ougenweide Pate. 1976 wurde die vorliegende Platte aufgenommen (hier mit zwei Live-Titeln ergänzt). Zu einer zweiten kam es nicht mehr und die Band löste sich 1978 auf. Pit Budde und Klara Brandi gründeten Cochise (-> FW#25), Lothar Knecht wurde unter anderem dabei gesehen, wie er einem FolkWorld-Mitarbeiter Gitarrenunterricht gegeben hat. "...fliegt Gedanken, fliegt..." ist allen alten Fans der Gruppe willkommen, bzw. allen Freunden der Sounds of the Seventies.
www.sireena.de
Walkin' T:-)M


The Shee "A Different Season"
Label: Shee Records; SHEE1; 2008
"A Different Season" ist das beeindruckende Debütalbum von sechs jungen Damen aus Südschottland, das sich mit den Worten schön und wundervoll nur unvollständig beschreiben lässt. The Shee besteht aus Lillias Kinsman-Blake (Flöte) und Rachel Newton (Harfe) (-> FW#37), Shona Mooney und Olivia Ross (beide Fiddle), Laura-Beth Salter (Mandoline) und Amy Thatcher (Akkordeon). Nur drei der elf Titel sind reine Instrumentalstücke: zum Teil selbstverfasst, eine Melodie der finnischen Akkordeonspielerin Maria Kalaniemi, sowie Americana aus der Feder von Jay Ungar und Bela Fleck. Drei der Damen singen: Rachel das tradionelle "Lady Margaret" und ein gälisches Lied; Olivia eine zauberhafte Version des aufmüpfigen "Tom Paine's Bones" und ein selbstgeschriebenes Lied; beide stimmen zudem den Pibroch "MacCrimmon's Lament" an; Laura schließlich das traditionelle "Chilly Winds" und Bowman/Langs "Here I Am". Der Gesang lässt nichts zu wünschen übrig, und die Instrumentierung ist flott und lebhaft, aber das genaue Gegenteil von roh und ungehobelt.
www.theshee.com
Walkin' T:-)M


Aufstrich "Brot"
Label:
Non Food Factory; nff 2323; 2008
Endlich ist der Beweis geglückt! Die Wiederentdecker traditioneller norddeutscher Musik zerbrechen sich seit Jahren den Kopf, wo sie sich stilistisch zwischen Schweden und dem Alpenland ansiedeln sollen. Dass beides kein Widerspruch sein muss, zeigt die neue CD der österreichischen Gruppe „Aufstrich“. Die Ähnlichkeit zur traditionellen schwedischen Musik liegt vielleicht auch an den Instrumenten, bei denen die Geigen meistens die Führung übernehmen und von Kontrabass und Bratsche begleitet werden. „Aufstrich“ ist allerdings kein reines Streicherensemble und auch keine reine Frauengruppe – Horst Lackinger fügt mit seinem Saxophon und seiner Stimme weitere Klangfarben zum „Aufstrich“ hinzu.
Der Bandname hat neben der musikalischen auch noch eine kulinarische Bedeutung – und da sich „Aufstrich“ auf einer CD befindet, heißt die CD eben „Brot“ – logisch? Entsprechend zeigen die Fotos im Booklet auch die Instrumente in einem kulinarischen Zusammenhang (ich hoffe, sie haben es gut überstanden und haben nicht allzu häufig Kontakt mit Nahrungsmitteln). Musikalisch kommen aber außer „Rotem Wein“ und „Apfel, Nuß und Kaiserbirn“ nicht so viele Lebensmittel auf der CD vor. Neben vielen traditionellen österreichischen Weisen mit mehrstimmigem Jodeln und neben einigen Eigenkompositionen finden wir auf der CD auch Musik aus Finnland, ein ruhiges Stück aus der Slowakei mit mehrstimmigem Gesang (sehr authentisch gesungen) und schmelzender Melodie, und schließlich beweist die Gruppe, dass sie auch einen bulgarischen 7/8-Takt souverän beherrscht (auch wieder mit perfektem Harmoniegesang).
Auch musikalische Überraschungen kann man erleben, wenn sich z. B. über einem massiven Bordun-Ton ein mehrstimmiger Jodler aus einer bekannten Kinderfilm-Melodie entwickelt, die man bisher nicht mit Jodeln in Verbindung gebracht hat … Insgesamt ein abwechslungsreiches Programm. Im Booklet finden sich zu allen Stücken zusätzlich zu persönlichen Gedanken auch genaue Quellenangaben. Wenn Quellenforschung doch immer solche lebendigen und frischen Ergebnisse hervorbringen würde! Vielleicht wäre vor dem Hören der CD ein Crash-Kurs in alpenländischen Tänzen angebracht, denn wer bei uns im Norden weiß schon, wie man einen „Schleunigen“ oder einen „Boarischen“ tanzt? Aber auch, wer nur über Walzer- und Polkakenntnisse verfügt, findet genügend Gelegenheiten, sich zu der CD zu bewegen!
www.aufstrich.at
Christian Zastrow


Netnakisum "Netnakisum"
Label: Geco; 05460-2; 2008
„Netnakisum“ – mit ein wenig Übung lässt sich der Bandname sogar aussprechen – ist eine Zusammensetzung aus „Netna“ (einem Wort aus einem wenig bekannten Dialekt Ostafrikas für die „Verzweiflung, die uns packt, wenn’s uns packt“) und „Kisum“ („ansteckender Schwung“). Oder einfach das Wort „Musikanten“ rückwärts gelesen. Und genau da wird das Dilemma schon deutlich: Sie legen sich nicht fest, man weiß nie, woran man ist. Sie machen einfach Musik, aber eben nicht geradlinig, wie man es erwartet. Man muss schon immer ein wenig suchen, um Antworten zu finden.
Auch das Begleitheft ist in dieser Beziehung nicht sehr hilfreich. Es scheint, dass die Gruppe nicht erklären kann oder will, was sie tut – sie tun es einfach. Es handelt sich um vier junge Frauen, die zwar eigentlich eine klassische Streichquartett-Besetzung (zwei Geigen, Bratsche und Cello) bilden. Die Musik ist aber eben nicht einfach klassisch.
Die CD beginnt temperamentvoll. Falls man sie während einer Autofahrt zum ersten Mal hört, sollte man die Lautstärke zunächst etwas leiser einstellen, um das Unfallrisiko zu minimieren. Dann eine Polka mit klassischen Zitaten (zum Tanzen allerdings zu viele Tempowechsel), und ein Swing-Stück, das unerwartet mit einem Jodler endet. Mal südamerikanisch temperamentvoll, mal wienerisch gemütlich, und immer wieder ein paar schräge Harmonien dazwischen, damit es nicht zu schmalzig wird (manchmal wird der tonale Rahmen auch schon etwas verlassen).
Ein Tango oder Bolero voll chromatischer Melancholie, von dunklen Stimmen zweistimmig vorgetragen, in den die Verzweiflung hereinbricht wie ein Blitz in Form eines instrumentalen Zwischenspiels, ein jazziger Schlussakkord – „ein Stück herausgerissene Seele“? Mal finden sich die Töne nach einer Weile des Herumtastens endlich zu einem harmonischen Strauß-Zitat zusammen. Doch unversehens verwandelt sich die Melodie in resignierendes Moll, und heftig bricht das Gewitter aus den „Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi über uns herein.
Strahlendes Lagenspiel und dunkle melancholische Passagen, sogar ungarische Anklänge. Gelungen auch die Kombination von Instrumentalspiel mit Hintergrundgesang oder Pfeifen. Plötzlich ein Rap, der sich harmonisch mit Jodeln verbindet und schließlich in heiterer Volksfeststimmung endet. Im Kontrast dazu beginnt das letzte Stück fast gruselig. Die Kuhglocken können keine idyllische Atmosphäre schaffen, und auch das Jodeln im Hintergrund wirkt eher gespenstisch. Trotzdem denkt man nach einer Weile, dass die CD mit endlosem eintönigen Kuhglockengebimmel ausklingt, und ist der Band ein letztes Mal auf den Leim gegangen. Als wollten sie ihre Grundsätze noch einmal zusammenfassen, beweisen die vier Damen, dass sie Erwartungen nicht immer entsprechen.
Fazit: Sie könnten ein wunderbares Streichquartett oder eine traditionelle Jodelgruppe sein, aber sie wollen mehr – nämlich alles zur gleichen Zeit! Daher nichts für Puristen, egal welchen Couleurs (Klassik, Volksmusik, Folklore). Sie schöpfen aus allen Quellen, machen jedoch etwas völlig Eigenes daraus. Die Grenzen zwischen den verschiedenen Musikstilen verschwimmen – sie sind eben einfach (wie der Name schon sagt?) „Musikanten“. Daher sollte man sich etwas Zeit nehmen, sich auf die Musik einlassen und am besten nichts Bestimmtes erwarten!
www.netnakisum.at
Christian Zastrow


Rhiannon "Was solln wir darzuo kalzen?"
Label: Eigenverlag; 2008
Das CD-Cover verrät nicht viel: Der Bandname „rhiannon“ ist mit keltischen Buchstaben geschrieben – es könnte sich also um mittelalterliche Musik handeln. Das Foto hilft nicht weiter, und bei dem CD-Titel „Was solln wir darzuo kalzen?“ lassen mich meine Sprachkenntnisse bereits im Stich. Dafür liefert das Begleitheft die Erläuterung „Musik in mittelalterlicher Spielmannstradition“ und eine gute Einführung in das Thema. Nur was das Wort „kalzen“ bedeutet, kriege ich nicht heraus.
Die CD beginnt kraftvoll mit „Nonesuch“ in bekannter Mittelaltermarktmanier mit Dudelsäcken, Rauschpfeife und Trommel. Die eingängige Melodie wird mit interessanten Variationen dargeboten.
An dieser Stelle kommt kurz Verwirrung auf: Im Begleitheft steht an erster Stelle etwas anderes. Ein Vergleich mit der Rückseite der CD-Hülle zeigt, dass die Texte im Heft nicht der Reihenfolge auf der CD entsprechen. Also am besten die CD-Hülle daneben legen und danach die Stücke heraussuchen.
Mit dem zweiten Stück geht es nach Finnland, eine Drehleier fügt ihren charakteristisch-schnarrenden Klang hinzu. Danach ein zartes Lied mit einem mittelhochdeutschen Text aus dem 12. Jahrhundert, vorgetragen von einer Frauen- und Männerstimme im Wechsel, umrahmt von Sopranino-Blockflöte und gotischer Kastenleier. Zu einem nachfolgenden sephardischen Lied (d. h. von Juden, die gegen Ende des Mittelalters aus Spanien z. B. in das osmanische Reich geflohen sind) wird eine Darabuka eingesetzt.
Wie man an diesen Beispielen bereits erkennen kann, verfügt die Gruppe über ein außergewöhnlich abwechslungsreiches Instrumentarium (Fotos der Instrumente findet man auf ihrer Web-Seite). Auch vom Charakter der Stücke ist es eine abwechslungsreiche Mischung. Auf zwei ruhige Lieder folgt wieder ein schnelles Dudelsackstück in teilweise wilden Quintparallelen und dann (noch schneller) ein An Dro in perfekt tanzbarem Tempo.
Es handelt sich um eine facettenreiche Mittelalter-Band. Und obwohl sie nicht den Anspruch erheben, authentisch zu sein, merkt man am Instrumentarium, der Stückauswahl und den Begleittexten, dass ihnen der Ursprung auch nicht egal ist. Eine gelungene Gratwanderung also zwischen populistischer Marktmusik und historischer Musikpraxis. Die CD ist im Eigenvertrieb für 15 Euro erhältlich, ein zweites Album befindet sich in Planung und soll noch in der ersten Jahreshälfte 2009 erscheinen.
www.rhiannon.at
Christian Zastrow


The Ortner-Roberts Duo "A Trip to America"
Label: Eigenverlag; 2008
Freitagabend. Die Kerzen sind angezündet, eine Flasche Rotwein steht auf dem Tisch. Warum musikalisch nicht mal etwas Neues ausprobieren? Die CD „A Trip To America“ des Ortner-Roberts-Duo scheint da genau das Richtige zu sein.
Dass es gegenseitige Einflüsse zwischen (jüdischer) Klezmer-Musik und (schwarzem) Jazz gibt, wird seit langem vermutet und hat zu Vorurteilen und Verboten geführt. Dieses Duo nimmt sich musikalisch nun dieses Themas an. Die Beschreibung „A Yiddish / Creole fusion“ ist allerdings irreführend, denn mit Südamerika hat das Ganze nichts zu tun.
Nach einem längeren langsamen Jazz-Intro beginnt eine typische „Sher“ und weckt „hejmische“ Gefühle. Susanne Ortner-Roberts’ Klarinettenspiel hat auch in den hohen Lagen einen wunderbaren weichen und schmelzenden Ton. Sie verwendet die traditionellen Klezmer-Verzierungen ganz im Stile von Naftule Brandwein und Dave Tarras.
Tom Roberts begleitet zurückhaltend am Klavier (ebenfalls traditionell) und spielt auch mal Melodie, während die Klarinette in die tiefe Oktave wechselt. Das Klavier übernahm in der Neuen Welt die Funktion des osteuropäischen „Tsimbl“ (ungarisch „Cimbalom“, ein trapezförmiges Hackbrett mit Schlegeln). Es ist interessant, dass es in der Spielweise dieses Jazz-Stils Gemeinsamkeiten zur traditionellen osteuropäischen Spielweise des Cimbalom gibt (z. B. eine Art Tremolo bei langen Tönen). Zwischendurch kommt jedoch auch der Jazz auf der CD zu seinem Recht.
Es gibt ein umfangreiches Begleitheft, das immer wieder Details hervorhebt. Interessant auch die Ausführungen zu dem „terkischen“ Rhythmus – ein Thema, das weitere Forschung verdient.
Klezmer-Musik und Jazz verbinden sich wunderbar auf dieser CD. Das ausgefeilte Klarinettenspiel und das einfühlsame Klavierarrangement sorgen für Gänsehaut (oder lag’s doch am Rotwein?). Schejn!
www.myspace.com/ortnerrobertsduo
Christian Zastrow


V/A [Sampler, EPs & Demo-CDs]

Letzte Instanz "Schuldig" (Promo-CD): Promo-CD mit Reingelaber und Ansage des Interpreten und des Titels, so überflüssig wie das Verkehrsstudio. Nach dem Akustikalbum zum Bandjubiläum (-> FW#36) rockt das bairisch-sächsische Septett wieder, inklusive einem Duett mit der türkischen Sängerin Aylin Aslim zum Thema Glaube jenseits von Kirchensteuer und Fanatismus.
www.letzte-instanz.de, www.drakkar.de


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 03/2009

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