Die FolkWelt zwischen Harz und Heide (6)
Sands Family, Cara, Squadune, Stoppok, Weiherer, Phrytz, Folk
on the Water, Peter Kerlin & Jens Kommnick, Change Partners
Njus aus dem Musikantristadel I: Es muss wohl die reine Langeweile gewesen sein, die mich die deutsche Country Music Award Gala live aus Erfurt schauen ließ. Erwähnenswert an dieser Stelle ist nur, dass die Gewinner in der Kategorie "Newcomer" die Braunschweiger Gruppe The Twang mit ihren countrifizierten Pophits geworden ist. Ein paar Wochen später konnte man die etwas besseren deutschen Bands auf dem Wolfsburger Country Festival erleben; moderiert von Walter Fuchs, dessen "Neues Großes Buch der Country Music" ich an dieser Stelle Interessierten ans Herz legen will (siehe Rezension in T:-)M's Nachtwache).
Gelegentlich ist auch der Sands Family (-> FW#9, FW#17) ein Country-Stück musikalisch nicht fremd, die Lieder über Nordirland und die Welt kann man aber in keinster Weise mit dem Nash-Trash aus Amiland vergleichen.Die Geschwister Sands sind seit den 1970er-Jahren den Folkies in BRD und DDR Inbegriff irischer Foklore. Geraden 70er-Jahre-Folk spielen sie immer noch, aber im Gegensatz zu vielen anderen wirkt dies in keinster Weise peinlich. Jedes Jahr im Januar sind sie in Deutschland unterwegs. Das Hildesheimer Konzert wurde kurzfristig in die Bischofsmühle verlegt. Aber besser ein kleines Haus vollgepackt als ein großes Haus halbvoll bzw. -leer. Jedenfalls animiert das Gedränge und die familiäre Atmosphäre die Zuhörer kräftig zum Mitsingen, sodass man nahezu glauben möchte, die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum sei wie bei einer informellen irischen Ceili aufgehoben.
Sands Family bedeutet vier Gesangstalente mit ihren jeweils eigenen Stärken, die sich kongenial ergänzen: Tommy (Gitarre, 5-String-Banjo -> FW#13) präsentiert (u.a.) seine preisgekrönten Lieder "There were Roses" und "Daughters and Sons". Auch Colum (Gitarre, Kontrabass, Konzertina, Geige -> FW#23, FW#23, FW#27) ist ein begnadeter Songwriter und zudem ein sympathischer Geschichtenerzähler. Ben (Mandoline, 4str Banjo, Gitarre, Whistle -> FW#7, FW#27) ist der begnadete Instrumentalist der Truppe. Anne (Bodhran -> FW#22) singt traditionelle Stücke wie "Ard ti Cuain" und "Month of January" und bringt stimmliche Abwechslung in das Quartett. Die Vier haben etwas zu sagen, sind aber auch unheimlich witzig und unterhaltsam. Die Chemie stimmt, nicht zuletzt die zwischen Musikern und Zuhörern, denn auch die sad songs sollen nicht trauriger machen, sondern Kraft spenden: to continue the dance of life.
Die Stadt Hildesheim ist geprägt von seinen Kirchen: Im Kreuzgang des Doms St. Mariae grünt der berühmte Tausendjährige Rosenstock. Die Kirche St. Andreas besitzt nicht nur den höchsten Kirchturm in Niedersachsen, sondern auch eine der größten Orgeln Norddeutschlands. In Hildesheim hat Wilhelm Busch das Vorbild für seine berühmten Figuren in einem barocken Fenstergitter entdeckt und zu den Nachkommen der Hildesheimerin Jente Hameln (1623-95) gehören Heinrich Heine, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Theodor Lessing.
Bischofsmühle, ein paar Wochen später: Wenn Cara (-> FW#29) aufspielt, befinden sich auch immer zahlreiche Musiker im Publikum, in diesem Fall Mitglieder der regionalen Bands Dereelium (-> FW#12, FW#17, FW#24), Ceolta und Dun Aengus (-> FW#30). Man kann ohne große Übertreibung behaupten, die zur Zeit beste und innovativste Irish-Trad-Band aus deutschen Landen vor sich zu haben. Die Auswahl der Songs und Tunes sowie die Arrangements sind exzellent, zu einem guten Teil stammen sie aus eigener Feder.
Gudrun Walther (Gesang, Fiddle -> FW#18, FW#24, FW#27), Claus Steinort (Flöte, Konzertina -> FW#12, FW#17, FW#24), Sandra Gunkel (Gesang, Piano, Flöte -> FW#24), Jürgen Treyz (Gitarre -> FW#2, FW#10, FW#29, FW#29) und Rolf Wagels (Bodhran -> FW#12, FW#17, FW#24) haben einen unverwechselbaren Sound kreiert, der kaum anderswo anzutreffen ist.
Die Fünf sind mit Spaß bei der Sache, da macht es auch gar nichts, dass die Songs selten ein Happy End haben. Natürlich gibt es auch die traditionelle Child-Ballade "Sir John" (mit eigener Melodie): der schändliche Ritter wirft regelmäßig seine Ehefrauen die Klippe hinunter, scheitert aber schließlich an der Achten. Am Tag nach dem Hildesheim-Konzert fahren Sandra und Claus in die wohlverdienten Flitterwochen; wir hoffen aber, dass die beiden sich von den Schluchten Gomeras fernhalten und Cara noch ein langes Leben beschieden ist. FolkWorld wird berichten.
Das Kleinstädtchen Lehrte vor den Toren Hannovers ist ein Ort, an dem man nicht unbedingt großartige musikalische Leistungen erwarten würde. Doch weit gefehlt, da sind doch tatsächlich Squadune (-> FW#7, FW#25) eingeladen worden. Allerdings können einige Besucher in der Gaststätte Zapfhahn mehr mit dem Titel des Debütalbums "The Invasion of the Macho-Chests" etwas anfangen, als mit dem Inhalt desselben.
Zusammengenommen erzeugt das österreichische Trio einen erstaunlich dichten Soundteppich, doch auch die Einzelleistungen können sich sehen lassen: Frontmann und Sänger Hubert Dohr (Mandoline, Bouzouki, Akkordeon, Drehleier, Sackpfeife) sowie Stephan 'Stoney' Steiner (Fiddle, Nickelharpa, Akkordeon -> FW#12, FW#28, FW#28, FW#29) und Martin Moro (Gitarre, Bouzouki) - dessen Fingerfertigkeiten durch einen Gips am Fuß glücklicherweise nicht eingeschränkt sind.
Die Lieder wie auch der Großteil der Instrumentalstücke sind irischen Ursprungs bzw. irisch geprägt, so sie aus eigener Feder stammen (-> FW#29). Man mag sich allerdings darüber streiten, ob man es hier mit Grüne-Insel-Keltisch oder Hallstein-Keltisch zu tun hat. Stilistisch reicht die gesamte Melange nämlich von der Atlantikküste bis in die Schluchten des Balkans. Nichtsdestotrotz wirkt das Ganze wie aus einem Guss. Hier offenbart sich auch ein reizvoller deutsch-österreichischer Gegensatz im Repertoire: die deutschen Top-Gruppen haben meist ein engeres musikalisches Spektrum und die Bands mit einer größeren Bandbreite gehören eher in die 2. Liga.
Wir ziehen nun in die Regionalmetropole Braunschweig, wo alle Hoffnungen, Europäische Kulturhauptstadt 2010 zu werden, mittlerweile begraben worden sind. Folkies haben damit wahrscheinlich wenig verloren, Kultur findet für unsereinen sowieso eher im Kleinen statt. Auf der Brunsviga-Bühne hat sich Stoppok (-> FW#21, FW#29) eingefunden. Diesmal ohne Band und Stopprock, sondern auf Solo-Tour. Aber so ähnlich hat er es ja schon einmal gemacht (-> FW#16, FW#18). Stefan Stoppok ist auch kein Gitarrist, der sich verstecken müsste. Es ergeben sich sogar einige intensivere Momente als mit Band und seine folkige Seite zieht ein teils älteres Publikum an als üblich, aber der sympathische Sänger befindet sich ja auch längst zwischen Twen Tours und Senioren-Pass. Das Lied wird heute übrigens mit dem 5-String-Banjo dargebracht.
Stoppok ist teils witzig und ironisch, teils - so ein Zuschauerkommentar - weise und therapeutisch. Aber schließlich gelte es ja jetzt auch, eine Lücke zu füllen, wo doch jetzt der Papst tot sei. Es gibt reichlich Zugaben und zum guten Schluss ein Stoppok-Wunschkonzert - Standing Ovations!
Apropos wir sind der Papst! Wenn man den Zeitungen glauben schenken will, so jauchzt ganz Deutschland. Merkwürdig nur, dass alle Leute, die ich so treffe, sich die Hände vor den Kopf schlagen - gelinde gesagt. Jedenfalls hat es so einen Trubel in der christlichen Welt wohl nicht mehr gegeben, seit man zum Heiligen Rock von Trier gepilgert ist. In Vormärzzeiten hat man sich noch darüber lustig gemacht - Freifrau von Droste-Vischering, Vi-, Va-, Vischering, zum heilgen Rock nach Trier ging, Tri-, Tra-, Trier ging ... -, heutzutage wird Bigotterie kritiklos hingenommen.
Ich schweife ab, Trier liegt schließlich nicht zwischen Harz und Heide. Aber der bayrische Liedermacher Christoph Weiherer (-> FW#26, FW#29, FW#30) kommt aus seiner neuen Heiligkeit Nachbarsdorf und übt schon a wengal katholischer wern - je nach Standpunkt moderner und flexibler oder traditioneller, seniler, großkopferter wern und mehrer Blödsinn redn. Nun ist er - der Weiherer, nicht der Bendedikt - mal wieder in unserer Gegend zu Gast, um die frohe Botschaft zu verbreiten: So lang's noch Glauben gibt und Hoffnung und i ganze Berge damit versetz, so lang i gwiss woas, dass i ned der oanzige bin, der amal aufsteht und si wehrt, wenn ihm irgendwoas net passt - so lang is alls noch ned so schlimm.
Eines Abends in Hallers Kultur-Café in Groß-Elbe, ein paar Tage später in der Braunschweiger Schüssel (-> FW#28). Und zwar als Warm-Up der Braunschweiger Phrytz, die einen treibenden Liedermacher-Pop spielen. Das Trio beackert durchaus gekonnt zwei Akustikgitarren und einen Bass; leider lässt im Lauf des Abends die Lautsprecherbox immer mehr nach, sodass die Texte überhaupt nicht zu verstehen sind. Ich kann nur die Weisheit aufschnappen: Musik ist noch kein Grund zum Tanzen. Und da haben sie nun auch wieder recht. Für zwei Lieder finden sich Phrytz als Backing-Band des Weiherers ein, was seinen Songs richtig Pepp und Drive gibt. Das sollte weiterverfolgt werden.
Gott-sei-dank sind die Saufen gegens Ersaufen-Parties und -Benefiz-Konzerte nun endlich vorbei. Eines der erfreulicheren Exemplare der Sorte, wo der Erlös an die Flutopfer in Südostasien ging, war die Fiddle Hell, die der Piperswine-Fiedler Holger Kinzel nach Peine geholt hatte. Nach einer Idee des Old-Time-Fiddlers Dale Hopkins, der diesmal nur per Live-Schaltung dabei sein kann, kommen Fiddler verschiedenster Stilrichtungen ungezwungen zusammen, um sich auszutauschen. Während draussen Windstärke 11 bis 12 herrscht, tobt drinnen im Owl Town Pub das musikalische Inferno. Punkt Mitternacht bricht die eigentliche Hölle los: alle anwesenden Fiddler spielen gemeinsam ein Stück...
Während am nächsten Morgen Frühschopen und Katerstimmung angesagt ist, findet gleichzeitig die Jahresversammlung des Scottish Culture Club statt, sodass auch einige Dudelsäcke anwesend sind. Schließlich gibt es mit der Owl Town Pipe & Drum Band und den Pipes & Drums of Brunswiek zwei entsprechende Kapellen in der Region. Jeweils am Muttertagswochenende findet im Peiner Stadtpark das Highland Gathering statt - inklusive den Deutschen Meisterschaften für Pipe Bands, einem Re-Enactment des 42nd Royal Highland Regiments sowie Tanzvorführungen von Rince Samhain und den Scottish Flowers. Diejenigen, die mit dem militärischen Schnickschnack nicht so viel anfangen können, dürfen bei orginal schottischem Wetter berauschende schottische Getränke testen oder sich an starken Männern erfreuen, die Baumstämme durch die Gegend werfen.
Kaum zu glauben, aber Salzgitter, die Stahlstadt zwischen Harz und Heide, mausert sich doch glatt zu einem (heimlichen oder unheimlichen) Folk- und Weltmusikzentrum: Das schon einige Jahre bestehende Klesmerfestival, in Erinnerung an die Wandermusikanten des 19. Jhds. (-> FW#29) ins Leben gerufen, bot mit Gruppen wie Dikanda und Gael Sli ein weit folkigeres Angebot als jemals zuvor. Im Schloss der Herren von und zu Salder spielten Hiss (-> FW#20, FW#28, FW#29) zur fröhlichen Polka auf, während In Extremo (-> FW#8, FW#25, FW#27) den Schlossplatz in ein mittelalterliches Heerlager verwandelten. Gleichzeitig fand im Waldschwimmbad Gebhardshagen unter dem Motto Folk on the Water das 1. Folk-Festival Salzgitter statt.
Es ist nahezu einmalig in Deutschland, dass ein Freibad von einem privaten Träger nicht nur betrieben, sondern auch noch umfassend saniert wird. Zudem wird in der Sommersaison neben dem Badespaß noch eine bunte Palette an Veranstaltungen geboten. Die Lokalmatadore Dun Aengus (-> FW#30) ließen sich auch von den Tücken der Technik nicht beirren und bewiesen, dass man mit akustischen Instrumenten einfach weiter musizieren kann, auch wenn mal eine Sicherung fliegt. Selbst die Zeitung musste feststellen: Das tat der Spielfreude keinen Abbruch, und beim dreistimmigen Harmoniegesang kuschelten die Pärchen auf den Holzbänken.
Anschließend gab es von der Wunstorfer No Mercy Jugband Südstaatenmusik aus den Roaring Twenties: Blues, Jazz, Country, Stringband-Music. Ein Ton- oder Blechkrug, der als Tuba-Ersatz und treibender Rhythmusgeber eingesetzt wird, gab der Musik ihren Namen. Zum guten Schluss ließ DeReelium (-> FW#12, FW#17, FW#24) den Funken auf das Publikum überspringen. Nur gut, dass sich erhitzte Gemüter auch nach Einbruch der Dunkelheit in den beleuchteten Schwimmbecken abkühlen durften. Eine betrübliche Note nur, dass eine von Deutschlands besten Adressen in Sachen Irish Folk eines ihrer letzten Konzerte gespielt hat. Wir wollen aber nicht allzusehr trauern, die Musiker werden nicht völlig von der Szene verschwinden.
Auch am Ende des Jahres hat sich noch einiges getan. Zum Beispiel einige interessante CD-Release-Parties: Peter Kerlin (-> FW#20, FW#21) und Jens Kommnick (-> FW#18, FW#23) stellten im Kulturkraftwerk Goslar ihr neues Album "Dancing Days" vor (siehe auch die CD-Rezension und das Interview in dieser FW-Ausgabe). Ohne Netz und doppelten Boden, aber mit Sicherheitshelm. Kein Problem, das neue Programm wurde gut über die Bühne gebracht.
Am selben Wochenende feierte das Braunschweiger Trio Change Partners in der Alten Stellmacherei in Gadenstedt bei Peine ihr zehnjähriges Bandjubiläum und ihre aktuelle CD. René Sahin, Uwe Johannes und André Huk spielen Lieder von Crosby, Stills, Nash und Young (-> FW#30), sind im Grunde also eine Coverband. Aber eine von allererster Sahne, mit beeindruckendem Satzgesang, fast besser als die Originale. Zumindest lebendiger. Es erklangen die alten Hadern aus den Sechzigern genauso wie neuere Stücke. Dazu wurde eine Reihe von Gastmusikern eingeladen, die die Band im Laufe des Bestehens begleitet haben. An diesem Abend kam bei niemandem Langeweile auf.
Nun aber genug. Wir werden (nach dem augenblicklichen Stand der Dinge) Change Partners sowie Jens Kommnick mit seiner Band Iontach (-> FW#30) beim 2. Folk on the Water-Festival wiedersehen. Der Termin steht bereits fest: 1. Juli 2006 im Waldschwimmbad Salzgitter-Gebhardshagen. Beim ersten Mal ließ die Zuschauerzahl noch ein wenig zu wünschen übrig. Aber einmal ist keinmal. Und so bleibt zu hoffen, dass man hier in der Gegend etwas aufbauen kann. Wäre schon schön.
Die FolkWelt zwischen Harz & Heide (5): Vom Brocken nach Rio de Westphalia (FW#30)
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