FolkWorld #47 03/2012
© Walkin' T:-)M

English Book Reviews

T:-)M's Nachtwache

"Der Schwarze, so unfrei er auch immer in der weißen Gesellschaft gewesen sein mag, fand immer Freiheit in seiner Musik, seiner Musik der Freiheit."

Schüßler, Moselfränkisches Liederbuch Der Edelsteinschleifer Markus Schüßler aus Idar-Oberstein hat eine Schatztruhe geöffnet: 340 mosel-fränkische Dialektlieder mit Texten, Noten und Akkorden aus der Eifel und dem Hunsrück bis nach Lothringen hinein, in zehn-jähriger Pionierarbeit zusammengestellt, hundert davon bislang unveröffentlicht. Beginnend mit dem gesamt-deutsch bekannten "Backe, backe, Kooche, Bäcker hot geroofe" sind die Lieder in zehn thematische Kapitel eingeteilt - von ohne daat geht's net (Lieder über Grundbedürfnisse wie 's is mir alles eins, ob ich Geld hab oder keins, wer Geld hat kann nit verderwe, wer kans hot, muss aach sterwe) bis ditt onn jenes (Lieder über Dinge des Alltags). Es finden sich Kärmeslieder und Trenkliedchi, vertonte Gedichte und Karnevalsschlager. Alldäiwels Techtelmechtel handelt von der Liebe etc.: Hennerm Haus um Äppelbam do hänkt mei Schatz on zabbelt dran, wenn hä net mei zabbeln kann, schaff'n ich mir en anern an. Jeera wie er kann (Handwerker, Randgruppen, Lebenskünstler) beinhaltet u.a. Jürgen Thelens Schinderhanneslieder [43], und überhaupt sind aktuelle Mundart-Liedermacher wie Manfred Pohlmann [37] und Walter Liederschmitt [35] mit von der Partie. Der Anhang enthält Liedinfos, Quellenangaben, sowie ein Orts- und Personenregister. Tusche-Zeichnungen und Radierungen des Landauer Künstlers Xaver Mayer komplettieren das Werk. Das aufwendig gestaltete Hardcover-Buch macht sich nicht nur gut im Bücherschrank, sondern ist auch praktisch zu gebrauchen. Dem Autor ist uneingeschränkt zuzustimmen: diese Musik, die nicht in Hitparaden zu finden ist, ist authentisch, ungeschminkt und direkt und nichts Verstaubtes oder Altmodisches.
Markus Schüßler, Moselfränkisches Liederbuch. Pandion, 2011, ISBN 978-3-86911-036-3, 422 S, €24,90 (www.moselfraenkisches-liederbuch.de).


Singen wirkt stimmungs-erhellend und baut Stress ab, Singen stärkt das Immunsystem, lässt das Liebeshormon ausschütten und fördert die Sozialkompetenz, predigt die Musikpädagogin und Chorleiterin Hagara Feinbier (ihre Aus- und Weiterbildung umfasste u.a. Deep Soul Singing bei der tschechischen Sängerin Ida Kelarova [44]) die heilende Kraft des gemeinsamen Gesangs und engagiert sich für die Verbreitung einer neuen Singkultur in Workshops, einem alljährlich im Juni stattfindenden Festival und der Liedsammlung Come Together Songs. Vor mehr als einem Jahrzehnt hat sie den ersten Band herausgegeben, mittlerweile sind wir bei Teil 3 angelangt. 176 ein- und mehrstimmige Lieder, zunächst rituelle Lieder aus aller Welt. Das traditionelle Romalied "Ederlezi" kennt wohl jeder, und sei es nur durch den "Time of the Gypsies"-Soundtrack. Der ebenfalls bekannte irische Reisesegen "May the road rise with you..." ist hier vom Briten Nickomo Clarke vertont worden. Außerdem geht es nach Süd- und Nordamerika, Afrika und in den Pazifik. Im zweiten Teil stehen christliche Lieder wie "Ubi caritas" und "Kyrie eleison" neben hinduistischen und buddhistischen Mantras und Liedern der Sufi und Sikhs. Diese repetierenden Lobgesänge sind textlich knapp und musikalisch simpel, sodass auch ungeschulte Sänger sich schnell zurecht finden. Der praktische A5-Band mit Spiralbindung enthält Texte, Übersetzungen und Erläuterungen, sowie Noten und Akkorde, und wird ergänzt durch Geschichten und Gedichte zur Heilkraft der Musik. 16 spirituelle Liedern aus den Traditionen der Hindus, Sufis, Sikhs, dem Judentum und aus Hawaii finden sich auf der CD zum Buch, Voices of Unity - Herzenslieder und Mantras, inbrünstig, aber entspannt vorgetragen von Hagara Feinbiers Chor und begleitet von Musikern wie dem Klarinettisten Helmut Eisel [39].
Hagara Feinbier, Come Together Songs - Das Liederbuch Band III. Neue Erde Verlag, 2011, ISBN 978-3-89060-239-4, 160 S, €18,00 (www.come-together-songs.de).


Vorwärts Liederbuch Ein sozialdemokratisches Liederbuch gibt es seit dem späten 19. Jahrhundert. 2009 wurde eine neue moderne Version zusammengestellt, die aber an die Tradition anknüpfen sollte und nun in einer zweiten überarbeiteten Auflage erhältlich ist. Motto: Geschlossenheit und Solidarität über hitzige Debatten hinweg und Rückblick auf die lange 150-jährige Geschichte der Sozialdemokratischen Partei. Das Vorwärts Liederbuch enthält hundert Lieder mit Texten, Noten und Akkorden, sowie Anmerkungen zu Komponisten, Textern und dem geschichtlichen Hintergrund, gegliedert in thematische Kapitel: Die Freiheitslieder der Bürger, Bauern und Handwerker enthalten u.a. das bekannte Spottlied "Papst und Sultan" und das antimilitaristische "Mein Michel", das Zupfgeigenhansel vertont hat, die Lieder aus dem Widerstand die "Moorsoldaten" [25] und Theodor Kramers [33] "Andre, die das Land so sehr nicht liebten", die Friedenslieder Bob Dylans [45] "Blowin' in the Wind", Hannes Waders [47] "Schon so lang" und Bots' [27] "Das weiche Wasser". Die Politrocker sind auch mit ihrem Hit "Sieben Tage lang" in der Abteilung Allerlei politische Lieder zu finden, neben dem jüngst verstorbenen Franz Josef Degenhardts [47] "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern". Arbeiterlieder (z.B. Heinrich Heines "Weberlied" [F]) machen mit Abstand die größte Abteilung aus, Fahrten- und Lagerfeuerlieder (wie die bündische Hymne "Wenn die bunten Fahnen wehen" [46]) die kleinste. Verabschiedet wird sich mit Bellmans "Tischlied" [40] und Waders "Heute hier, morgen dort". Na wo die Sozis wohl morgen sein werden?
Das Vorwärts Liederbuch. vorwärts buch, 2011, ISBN 978-3-86602-907-1, 199 S, €12,50.


Great Songs For Guitar - Black Book I've heard there was a secret chord that David played, and it pleased the Lord ... Leonard Cohens [46] Klassiker könnte als Motto für das zweibändige Great Songs For Guitar - Chord Songbook dienen. Keine einzige Note, sondern nur Liedtext und Gitarren-Akkorde, aber auch Taktbezeichnung. Das ist zunächst gewöhnungsbedürftig. Das Black bzw. White Book enthält jeweils siebzehn Hits aus älterer und jüngerer Zeit, von der Hard-Rock-Band AC/DC ("Highway To Hell") bis zur New-Wave-Gruppe The Police ("Every Breath You Take") und dem Jazz-Pianisten Fats Waller ("Ain't Misbehavin'"). Für Folkies finden sich Willie Nelsons "Crazy", Don MacLeans "American Pie", Bob Dylans "Don't Think Twice", Johnny Cashs "I Walk The Line" und Gordon Lightfoots "If You Could Read My Mind" (die meisten im schwarzen Bändchen). Na denn, drei Akkorde und ein Hallelujah!!!
Adrian Hopkins (ed.), Great Songs for Guitar - Chord Songbook - The White Book. Wise Publications AM1004091, 2011, ISBN 978-1-78038-374-3, 48 S, €15,95.
Adrian Hopkins (ed.), Great Songs for Guitar - Chord Songbook - The Black Book. Wise Publications AM1004102, 2011, ISBN 978-1-78038-375-0, 48 S, €15,95.


Kumeth, Spielstücke für Okarina und Steirische Harmonika Zwei in einem - Buch und CD, Okarina und Harmonika. Die Münchnerin Silvia Kumeth stellt selbst-komponierte Stücke für die Okarina vor, sowie die entsprechenden Noten für die Steirische Harmonika. Es sind überwiegend Polkas, aber auch Ländler, Marsch und Walzer sind vertreten. Die 14 Stücke sind abwechslungsreich, aber nicht unbedingt für den Anfänger geeignet. Auch die Gefäßflöte aus Norditalien ist ein durchaus ernst zu nehmendes Instrument und für komplexe Musik verwendbar. Akkorde zur Begleitung sind angegeben (für Okarina in F-Dur, die Okarina-Noten sind unabhängig von der Tonart spielbar; dies entspricht einer Harmonika in G-C-F-B) als auch eine Griffschrift-Tabelle für die vierreihige Steirische Harmonika und eine Okarina-Grifftabelle. Die beiligende CD ist als Hilfe gedacht und enthält als Aufnahmen einerseits Harmonika plus Okarina, andererseits Harmonika solo. Eines der Ziele, Okarinisten das Zusammenspiel mit anderen Musikanten näherzubringen, kann man als erfüllt betrachten.
Silvia Kumeth, Spielstücke für Okarina und Steirische Harmonika. Preissler JP 6618, 2011, ISBN 979-0-2014-6618-7, 25 + 16 S, €19,80 (inkl. CD).


Berthoud, Autumn Breeze Der in England lebende Geiger, Mandolinist und Gitarrist, der u.a. für zweibändige Tutorials für Geige bzw. Mandoline verantwortlich ist ("Around the World in 80 Tunes" [45]), stellt eine selbstkomonierte Mini-Suite für zwei Geigen, Viola und Violoncello vor, Autumn Breeze. Knapp und präzise, gelassen und friedvoll. Eine Landschaft zieht vor meinem geistigen Auge vorbei, aber ich bin mir nicht sicher, ob es die grünen Hügel Devonshires sind (Berthouds Wohnsitz) oder die staubige Savanne Zimbabwes (seinem Geburtsort).
Phil Berthoud, Autumn Breeze for String Quartet. Spartan Press SP860, 2011, ISMN 979-0-57999-860-0, 3 S, €4,99.



Jürg Martin Meili, Kunst als Brücke zwischen den Kulturen - Afro-amerikanische Musik im Licht der schwarzen Bürger- rechtsbewegung. transcript, 2011, ISBN 978-3-8376-1732- 0, 316 S, €32,80.

Bereits im Jahre 1816 bemerkt ein Beobachter an gerade in Nordamerika eingetroffenen schwarz-afrikanischen Sklaven: They have great amusement in collecting together in groups and singing their favourite African songs ...

Die Afro-Amerikaner singen schon bald nicht mehr ihre traditionellen Stücke, sondern neue, durch Gebrauch selbst entwickelter Instrumente oder aus dem Alltag heraus entstandener Texte entstandene Lieder. Anglo-amerikanische Hymnen verbinden sich mit afrikanischen Gesängen zum Spritual (in der Kirche) und dessem weltlichen Gegenstück, dem Blues (bei der Arbeit).

Die integrative Kraft der afro-amerikanischen Musik bestand nicht so sehr darin, dass sie in ihren afrikanischen Ursprüngen gefangen blieb und das schwarze Afrika zelebrierte, sondern dass sie weiße Elemente aus Europa in sich aufnahm und so das schwarze Afrika mit dem weißen Europa musikalisch verband.

Die schwarzen Entertainer - wie Bessie Smith, Billie Holiday, Harry Belafonte und viele mehr - [haben] durch ihr Auftreten in einer weißen Öffentlichkeit in gewissem Sinne die Bürgerrechtsbewegung vorbereitet. Durch ihr Auftreten nahm die weiße Öffentlichkeit die Schwarzen nämlich gewissermaßen in ihren Bekanntenkreis auf.

Die stärkste integrative Kraft bildete dann sicherlich der Rhythm'n'Blues und der Rock'n'Roll.

Die schwarze Musik wurde auch eine kulturelle Komponente der Protestbewegung. Blues- und Jazz-Musiker betonten ihre spezifische soziale Situation, aus der ihre Musik entsprang, und engagierten sich oft auch politisch. Martin Luther King, der wichtigste Vertreter der Bürgerrechtsbewegung, fand während der Demonstrationen Kraft im Gesang und nannte die freedom songs die Seele der Bewegung.

An important part of the mass meetings were the freedom songs. In a sense the freedom songs are the soul of the movement. They are more than just incantations of clever phrases designed to invigorate a campaign; they are as old as the history of the Negro in America. They are adaptions of the songs the slaves sang ...

We sing the freedom songs today for the same reason the slaves sang them, because we too are in bondage and the songs add hope to our determination that We Shall Overcome, Black and White Together, We Shall Overcome Someday.

Der militantere Aktivist Malcolm X nahm immer wieder Bezug auf die Musik, um schwarze Gleichwertigkeit, wenn nicht gar Überlegenheit zu beweisen.

I've seen black musicians when they'd be jamming at a jam session with white musicians - a whole lot of difference. The white musician can jam if he's got some sheet music in front of him. He can jam on something that he's heard jammed before. If he's heard it, then he duplicate it or he can imitate it or he can read it. But that black musician, he picks up his horn and starts blowing some sounds that he never thought of before. He improvises, he creates, it comes from within. It's soul, it's that soul music.

Likewise he can do the same thing if given intellectual independence. He can come up with a new philosophy. He can come up with a philosophy that nobody had heard of yet. He can invent a society, a social system, an economic system, a political system, that is different from anything that exists or has ever existed anywhere on this earth.

Der Schweizer Lehrer und Journalist Jürg Martin Meili geht mit seiner Dissertation Kunst als Brücke zwischen den Kulturen dem Zusammenhang zwischer schwarzer Bürgerrechtsbewegung und schwarzer Musik nach.

Teil 1, betitelt: Musik der Freiheit, ist eine Analyse afro-amerikanischer Musik im Licht der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Meili diskutiert die Herkunft und Entwicklung der Musik, insbesondere Spiritual und Blues, und interpretiert ausgewählte Liedtexte und ihre Bedeutung in der Gesellschaft.

Ganz nebenbei wird die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung erzählt. Das Ganze liest sich überhaupt nicht trocken, und ich wünschte mir, es wären alle Dissertationen derart lesenswert.

Die heutige Hip-Hop- und Rap-Musik interpretiert Meili als Fortsetzung der slave narratives (formelhafte Lebensberichte), da sie Geschichte und Alltag in den USA reflektierten, und er stellt die interessante Frage, ob dieses - teils amoralische, teils zu Gewalt aufrufende - Musikgenre in der Lage sei, rassische, kulturelle und soziale Schranken zu überwinden.

Oder muss man Platon recht geben, dass Kunst dem Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft abträglich sei, da sie von der vernünftigen Suche nach der Wahrheit und dem Guten ablenken würde?

In Teil 2 des Buches, Kunst für mehr Identität und Solidarität, wird es also theoretischer: Meili diskutiert, ob Kunst als eine Brücke zwischen verschiedenen Kulturen dienen und das gegenseitige Verständnis zwischen verschiedenen Kulturen fördern könnte. Anhand von John Deweys Ausführungen zeigt er auf, inwiefern Kunst etwas zum besseren Verständnis der Kulturen leisten, und anhand Richard Rortys, dass Kunst Solidarität schaffen kann, und schlägt somit die Brücke zur Gegenwart und den Problemen von Globalisierung und Migration.

Der Textdichter und Librettist Michael Kunze hat seinen Teil zum Thema Migration beigetragen. "Griechischer Wein", gesungen von Udo Jürgens (der ein i-Vokal-Typ ist - Griiiechischer ... - im Gegensatz zu Karel Gott - Maaajaaa ...), ist nur ein oft zitiertes Beispiel im Handbuch für Songtexter.



Edith Jeske, Tobias Reitz, Handbuch für Songtexter - Mehr Erfolg durch pro- fessionelles Schreiben und Vermarkten. Autorenhaus Verlag, 2011, ISBN 3-86671- 096-2, 303 S, €19,95.

Stoppoks[41] "Aus dem Beton" ist das Paradebeispiel für die Bauteile eines Songs (Lied mit zwei Strophen, Refrain und Bridge). Matthias Claudius "Der Mond ist aufgegangen" muss herhalten als Beispiel für den Schweifreim, "Zuhälter" von Wir sind Helden für den Schlagreim. Überhaupt gilt die Dichtung der Helden-Sängerin Judith Holofernes[36] pars pro toto.

Kurz nach der Jahrtausendwende traten plötzlich neue Bands ins Rampenlicht, neue Interpreten mit neuen Autoren - die wieder eine elegantere Sprache pflegen (ohne dass die Sprache deswegen eitel oder gestelzt wäre). Es wird wieder sauberer gereimt und (zumindest ziemlich) sauber betont. Kluge Gedanken in ästhetikbewusster Form.

Die Spitze zielt auf den deutsch-französischen Liedermacher Reinhard Mey:[47]

Reinhard Mey importierte die französische Art, mit Betonungen umzugehen. Das heißt: er plazierte Worte auf Musik, ohne sich an die Betonungen der gesprochenen Sprache zu halten. Dadurch entstand eine für uns neue Stilistik, auf der ein Text sehr frei auf der Musik liegt. Nun wurde es endlich möglich, auch sperrige Wörter in Songtexten zu verwenden. Sein Umgang mit den Betonungen ließ die Möglichkeiten förmlich explodieren. Die Einschränkung, sauber zu reimen, wird ausgeglichen, indem fast jedes Wort an fast jede Stelle gesetzt werden kann.

Die Gegenbewegung orientierte sich in ihren Liedern weitaus mehr an der gesprochenen Sprache (bedienten also die Betonungen wieder exakter), waren dafür aber beim Reimen nicht so penibel. Dass die Sprache der Lieder sich veränderte, hatte auch mit der Musik zu tun, die sich an der angloamerikanischen Rock- und Pop-Kultur orientierte, während es bei den Liedermachern eher Folk, deutsches Volkslied und Chanson waren. In der englischsprachigen Rock- und Popmusik sind die Reime nicht mit dem Lineal gezogen.

Thorsten Sutter, Musikchef von Radio NRW, ergänzt:

Wir sind Helden und wie sie alle heißen haben für die deutsch-sprachige Popmusik mehr geschaft, als in den letzten 30-40 Jahren im gesamten Deutschrock passiert ist. Großen Einfluss hatte auch die deutsche Hip-Hop-Szene. Die Qualität der deutschen Texte ist besser geworden.

Das Helden-Lied "Denkmal" wird als Beispiel für anschauliche Sprache herangezogen, "Darf ich das behalten" für bildliche Sprache, "Bist du nicht müde" für den Gebrauch von Metaphern, und "Die Zeit heilt alle Wunder" wie man Neues aus bekannten Redewendungen erschafft.

Klingt alles ganz einfach, oder? Michael Kunze merkt jedoch kritisch an:

Warum glauben viele, die von einem Hit in den Charts träumen, sie könnten sich das Lernen ersparen? Weil sie musikalisch und sprachgewandt sind? Das ist so, als würde jemand mit Spaß am Teigkneten bereits zum Bäcker qualifiziert sein. In einer Zeit, in der eine Fernsehsendung über Nacht jeden School-Dropout zum "Superstar" machen kann, darf man sich nicht wundern, wenn Professionalität im Entertainment unterschätzt wird.

Edith Jeske und Tobias Reitz, deren eigenes Œuvre vor allem im Schlager- und Chanson-Bereich liegt (Tim Fischers "Rinnsteinprinzessin" bzw. Diverses für Helene Fischer und Patrick Lindner), bilden seit 1996 in ihrer Celler Schule professionell Textdichter aus. Sie beginnen bei den Grundlagen: Liedtypen, der Songfahrplan, Erzählzeiten, der Spannungsbogen, Metrum und Reime ...

Mehr als einmal wird betont:

Jede Formschlamperei, die Sie sich genehmigen, ist eine kleine Sünde an Ihrem Text. Und kleine Sünden summieren sich. Ihr Text wird definitiv besser, wenn Sie ohne das auskommen. Auch wenn Ihr Publikum nicht die mindeste Ahnung hat, woran dieses besser liegt. Denn das Publikum reagiert nun mal unbewusst. Der Autor muss damit aber umso bewusster umgehen.

Nicht umsonst hat Genitiv-sein-Tod-Autor Bastian Sick ein Grußwort geschrieben.

Die Erläuterungen, Tipps und Vorschläge gehen ins Detail (Hookline, Konsonantenkollisionen, ...). Wie geht man mit der eckigen Phonetik der deutschen Sprache um, die aber eine Fülle an Lautmalerei bietet. Man solle von der Werbung abschauen: eindeutige, plakative, bildhafte, energielose Sprache ... Das Handbuch liefert die Basis dazu, in der Online-Lounge www.songtexte-schreiben-lernen.de kann man das Gelernte anhand von Beispielen und Übungen vertiefen.

Ein eigenes Kapitel ist dem Thema "Wie es [garantiert] kein Hit wird" gewidmet. Zwischendurch sind Kurz-Interviews mit Praktikern aus der Musik-Industrie eingestreut, und zuguterletzt gibt "Der Weg nach draußen" praktische Tipps zur Vermarktung und Grundsätzliches zu GEMA und Urheberrecht. Das Handbuch ist also auch ernsthaft für denjenigen gedacht, der eine Karriere als professioneller Texter anstrebt.

Es ist vielleicht nicht das erste deutschsprachige Handbuch für Songtexter wie der Klappentext verlauten lässt,[34] aber die zweckdienlichste, anschaulichste und umfassendste Lektüre, die mir zu diesem Thema bislang in die Finger gekommen ist. Dem Texter und Sänger Frank Ramond (u.a. Roger Ciceros "Frauen regier’n die Welt") überlassen wir das Schlusswort:

Das Wichtigste ist, etwas zu finden, das so noch nicht gesagt wurde. Imitieren hilft nicht. Die Suche nach Originalität setzt natürlich voraus, dass man sein Handwerk beherrscht.

Hart, Die Frau im Moor In der vorigen FW-Ausgabe habe ich Paddy O'Briens letzte Akkordeon-CD rezensiert, die u.a. auch drei Lieder gesungen von seiner Ehefrau Erin Hart enthält [46]. Während des Winters bin ich endlich dazu gekommen, den ersten von Erins Kriminalromanen (auf Englisch) zu lesen, Die Frau im Moor (Haunted Ground). Schauplatz: das irische East Galway, an area fairly saturated with flute players, and you never knew when a bit of music might turn up. Die Handlung folgt dem Archäologen Cormac Maguire und der Pathologin Nora Gavin, die versuchen, die Identität einer Moorleiche aus dem 17. Jahrhundert aufzudecken. Zur gleichen Zeit fesselt sie das Verschwinden und die offensichtliche Ermordung einer lokalen Frau und ihres Kindes. Das ganze Buch hallt von traditioneller irischer Musik wider: der Polizist spielt Fiedel, Cormac ist ein Flötist und Nora stellt sich als Sängerin mit einer dark, earthy voice heraus. Zuguterletzt erinnert sie sich an ein traditionelles Lied, welches das Geheimnis enträtselt. Bereits im Vorspann dankt Erin Hart ihrem Freund Dáithí Sproule [46] (den ich nur wenige Tage vor der Lektüre als Gitarrist von Altan gesehen habe [47]), als auch Musikern wie Sean O'Driscoll [29], James Kelly [31], Susan McKeown [44] und Niamh Parsons [34]. Wer nur Krimis mag, sollte sich lieber mit irischen Autoren wie Bruen, McGilloway, Kerrigan oder Bateman befassen; wer nur irische Musik mag, sollte sich Paddy O'Briens Werk widmen; wem aber beides gefällt, der ist mit Erin Harts Romanen gut bedient. Ich berichte weiter! [Walkin' T:-)M]

Erin Hart, Die Frau im Moor. 2003.
Jodeln ist ein Gesang mit zumeist sinnlosen Silben, bei dem häufig zwischen Bruststimme und Kopfstimme hin- und hergewechselt wird – so oder ähnlich wird es auch bei Wikipedia definiert. Dabei streiten sich die Gelehrten darum, ob es ursprünglich eine eher kultische Bedeutung hatte oder einfach nur erfunden wurde, um über tiefe Gebirgstäler hinweg mit anderen Menschen kommunizieren zu können. Ausgeübt wird es tatsächlich hauptsächlich in den Bergen (Bayern, Österreich, Schweiz), und man würde als Norddeutscher mit diesem Thema vermutlich nicht in Berührung kommen, wenn es nicht auch das „Blue Yodeling“ in der Countrymusic gäbe, oder das Jodeln beim tff (Tanz- und Folk-Festival) in Rudolstadt bereits vor einiger Zeit (als es noch einen Regionalschwerpunkt gab, in diesem Fall Bayern) oder im letzten Jahr (mit dem Länderschwerpunkt Schweiz u. a. durch Christine Lauterburg) auf eine coole Art präsentiert würde. Na gut, vielleicht hilft es auch, wenn die eigene Mutter ursprünglich aus Wien stammt.

Da jedenfalls letztes Jahr ein Urlaub in der Schweiz auf dem Programm stand und der Jodel-Workshop mit Christine Lauterburg beim tff in einem viel zu kleinen Raum stattfand, kam ein Jodelkurs beim Sommermusikfest auf dem Knüllköpfchen genau recht, diese Lücke zu füllen. Wie schon gesagt, braucht man zum Jodeln eigentlich Berge (und Echo), aber zur Not tut es auch ein steinernes Treppenhaus: Eine Gruppe steht oben und eine unten, und schon kann es zweistimmig losgehen. Hinterher aber hat man Mühe, sich an alles Gelernte zu erinnern, und da kann dieses Büchlein eine große Hilfe sein. Dort ist bereits mindestens ein Stück aus unserem Anfängerkurs enthalten.

Man sollte allerdings die technischen Grundlagen des Jodelns schon gelernt haben, wenn man dieses Buch zur Hand nimmt. Dann könnte man anhand der Noten auch weitere Stücke erlernen, obwohl man Tempo und Betonung doch am besten live lernt. Als Gedächtnisstütze ist das Buch jedoch optimal. Obwohl es ein so handliches Format hat, dass es in eine der hinteren Hosentaschen passt, sind die Noten doch so gut lesbar, dass man auch zu zweit hineinschauen kann. Es enthält Jodler aus allen Bereichen und Lebenslagen, nämlich vom „Wirtshausruf“ bis zum „Andachtsjodler“, vom „Kleintal“ über die „Südwand“ bis zum „Gipfel“ und von der „Lustigen Bäuerin“ bis zum „Prinzen Johann“.

Alle Stücke sind ein- bis fünfstimmig aufgeschrieben und mit Text versehen, was gerade für Neueinsteiger sehr hilfreich ist (Fortgeschrittene kennen wahrscheinlich genügend Silben, um improvisieren zu können). Dazu gibt es zu jedem Jodler kurze Hintergrundinformationen und eine Einführung in das Thema am Anfang des Buches. Die Publikation ist im Steirischen Volksliedwerk erhältlich und soll 8,50 Euro kosten. Vielleicht wird man ja demnächst auch in Norddeutschland nicht mehr so irritiert angeschaut, wenn einem nach Jodeln zumute ist (ich bin fest davon überzeugt, dass dabei irgendwelche Glückshormone freigesetzt werden). Also traut euch!

[Christian Zastrow]

123 Jodler und Juchzer. Steirisches Volksliedwerk, 2011, ISBN 3-902516-25-9, 167 S, €8,50.

Kleiner Tippam Rande: Der Osloer Musikk-Husets-Forlag verlegt eine Reihe von Lehr- und Notenbüchern mit traditioneller norwegischer Musik als auch ost-europäischer Gypsy- und Folkmusik.

www.musikk-huset.no
Ein Notenheft mit CD. Keine Einleitung oder Erklärung. Also einfach die Noten aufschlagen, die CD einlegen und mal sehen, wie weit man kommt. Nun, der erste Start geht schief, weil ich das Vorspiel nicht erkenne. Der zweite Versuch klappt besser. „Home on the Range“ heißt der Anfangstitel. Ich mag das Stück, seit ich es in meiner Zeit in England von einem Amerikaner gelernt habe. Es beschreibt eine traumhaft heile Welt …

Der Text ist angegeben, obwohl man ihn zum Musizieren mit der Fiddle nicht unbedingt benötigt. Einen Durchgang lang spielt die Geige die Melodie, dann wechselt sie in die Begleitung und spielt Akkorde. Sehr praktisch, mit Akkorden kann ich allemal noch Hilfe gebrauchen. Das Arrangement ist vollständig ausgeschrieben. Ein Fingersatz ist allerdings nicht angeben, und ich frage mich, wie ich im A7-Akkord ein e und ein g greife, ohne die Lage zu wechseln. Doch spätestens beim dritten Durchgang muss man in höhere Lagen wechseln, denn die Melodie wird eine Oktave höher wiederholt. Das ist mir zu schmalzig, und ich schaue, was für Stücke sonst noch dabei sind.

Es ist eine ziemlich bunte Mischung von insgesamt acht Liedern. Als nächstes Lied folgt „House of the Rising Sun“, dann „I’ve Been Working on the Railroad“, „Midnight Special“, „Nobody Knows the Trouble I’ve Seen“, „Scarborough Fair“, „When the Saints Go Marching In“ und „Will The Circle Be Unbroken“. Bei „Scarborough Fair“ ist die Melodie allerdings etwas ungewohnt. Entsprechend vielfältig ist auch die Begleitung: Banjo, Mandoline, Keyboard, Percussion und Trompete. Mal südamerikanisch temperamentvoll, mal ruhig getragen. Jedes Stück wird zweimal gespielt: einmal mit Geige zum Lernen und einmal ohne zum Selberspielen. Falls man die Gelegenheit hat, mit anderen Musikern zusammen zu spielen, sind in den Noten die Akkorde für die Begleitung angeben. Ansonsten ist die CD eine brauchbare Alternative. Und eine gute Übung ist es allemal.

[Christian Zastrow]

Hal Leonard Violin Play-Along Vol. 16 - Folk Songs. Hal Leonard HL00842429, ISBN 978-1-4234-8649-7, 22 S, €14.95 (inkl. CD).


Photo Credits: (1ff) Book Covers (from website/author/publishers).


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