"Der Schwarze, so unfrei er auch immer in der weißen Gesellschaft gewesen sein mag, fand immer Freiheit in seiner Musik, seiner Musik der Freiheit."
Der Edelsteinschleifer Markus Schüßler aus Idar-Oberstein hat eine Schatztruhe geöffnet:
340 mosel-fränkische Dialektlieder mit Texten, Noten und Akkorden
aus der Eifel und dem Hunsrück bis nach Lothringen hinein,
in zehn-jähriger Pionierarbeit zusammengestellt, hundert davon bislang unveröffentlicht.
Beginnend mit dem gesamt-deutsch bekannten "Backe, backe, Kooche, Bäcker hot geroofe"
sind die Lieder in zehn thematische Kapitel eingeteilt - von ohne daat geht's net
(Lieder über Grundbedürfnisse wie 's is mir alles eins, ob ich Geld hab oder keins,
wer Geld hat kann nit verderwe, wer kans hot, muss aach sterwe)
bis ditt onn jenes (Lieder über Dinge des Alltags).
Es finden sich Kärmeslieder und Trenkliedchi, vertonte Gedichte und Karnevalsschlager.
Alldäiwels Techtelmechtel handelt von der Liebe etc.:
Hennerm Haus um Äppelbam do hänkt mei Schatz on zabbelt dran,
wenn hä net mei zabbeln kann, schaff'n ich mir en anern an.
Jeera wie er kann (Handwerker, Randgruppen, Lebenskünstler)
beinhaltet u.a. Jürgen Thelens Schinderhanneslieder [43],
und überhaupt sind aktuelle Mundart-Liedermacher
wie Manfred Pohlmann [37] und
Walter Liederschmitt [35] mit von der Partie.
Der Anhang enthält Liedinfos, Quellenangaben, sowie ein Orts- und Personenregister.
Tusche-Zeichnungen und Radierungen des Landauer Künstlers Xaver Mayer komplettieren das Werk.
Das aufwendig gestaltete Hardcover-Buch macht sich nicht nur gut im Bücherschrank,
sondern ist auch praktisch zu gebrauchen.
Dem Autor ist uneingeschränkt zuzustimmen: diese Musik, die nicht in Hitparaden zu finden ist,
ist authentisch, ungeschminkt und direkt und nichts Verstaubtes oder Altmodisches.
Markus Schüßler, Moselfränkisches Liederbuch.
Pandion,
2011, ISBN 978-3-86911-036-3, 422 S, €24,90
(www.moselfraenkisches-liederbuch.de).
Singen wirkt stimmungs-erhellend und baut Stress ab, Singen stärkt das Immunsystem, lässt das
Liebeshormon ausschütten und fördert die Sozialkompetenz,
predigt die Musikpädagogin und Chorleiterin Hagara Feinbier
(ihre Aus- und Weiterbildung umfasste u.a. Deep Soul Singing bei der tschechischen Sängerin
Ida Kelarova [44])
die heilende Kraft des gemeinsamen Gesangs und engagiert sich für die Verbreitung
einer neuen Singkultur in Workshops, einem alljährlich im Juni stattfindenden Festival
und der Liedsammlung Come Together Songs.
Vor mehr als einem Jahrzehnt hat sie den ersten Band herausgegeben, mittlerweile sind wir
bei Teil 3 angelangt. 176 ein- und mehrstimmige Lieder,
zunächst rituelle Lieder aus aller Welt. Das traditionelle Romalied "Ederlezi" kennt wohl jeder,
und sei es nur durch den "Time of the Gypsies"-Soundtrack. Der ebenfalls
bekannte irische Reisesegen "May the road rise with you..." ist hier vom
Briten Nickomo Clarke vertont worden.
Außerdem geht es nach Süd- und Nordamerika, Afrika und in den Pazifik.
Im zweiten Teil stehen christliche Lieder wie "Ubi caritas" und "Kyrie eleison"
neben hinduistischen und buddhistischen Mantras und Liedern der Sufi und Sikhs.
Diese repetierenden Lobgesänge sind textlich knapp und musikalisch simpel,
sodass auch ungeschulte Sänger sich schnell zurecht finden.
Der praktische A5-Band mit Spiralbindung enthält Texte, Übersetzungen und Erläuterungen,
sowie Noten und Akkorde, und wird ergänzt durch Geschichten und Gedichte zur Heilkraft der Musik.
16 spirituelle Liedern aus den Traditionen der Hindus, Sufis, Sikhs, dem Judentum und aus Hawaii
finden sich auf der CD zum Buch, Voices of Unity - Herzenslieder und Mantras,
inbrünstig, aber entspannt vorgetragen von Hagara Feinbiers Chor und begleitet von
Musikern wie dem Klarinettisten Helmut Eisel
[39].
Hagara Feinbier, Come Together Songs - Das Liederbuch Band III.
Neue Erde Verlag, 2011, ISBN 978-3-89060-239-4, 160 S, €18,00
(www.come-together-songs.de).
Ein sozialdemokratisches Liederbuch gibt es seit dem späten 19. Jahrhundert.
2009 wurde eine neue moderne Version zusammengestellt,
die aber an die Tradition anknüpfen sollte und nun in einer zweiten überarbeiteten Auflage erhältlich ist.
Motto: Geschlossenheit und Solidarität über hitzige Debatten hinweg und
Rückblick auf die lange 150-jährige Geschichte der Sozialdemokratischen Partei.
Das Vorwärts Liederbuch enthält hundert Lieder mit Texten, Noten und Akkorden, sowie
Anmerkungen zu Komponisten, Textern und dem geschichtlichen Hintergrund, gegliedert
in thematische Kapitel: Die Freiheitslieder der Bürger, Bauern und Handwerker enthalten u.a.
das bekannte Spottlied "Papst und Sultan" und das
antimilitaristische "Mein Michel", das Zupfgeigenhansel vertont hat,
die Lieder aus dem Widerstand die "Moorsoldaten"
[25] und
Theodor Kramers [33] "Andre, die das Land so sehr nicht liebten",
die Friedenslieder Bob Dylans [45] "Blowin' in the Wind",
Hannes Waders [47] "Schon so lang"
und Bots' [27] "Das weiche Wasser".
Die Politrocker sind auch mit ihrem Hit "Sieben Tage lang" in der Abteilung
Allerlei politische Lieder zu finden, neben dem jüngst verstorbenen
Franz Josef Degenhardts [47] "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern".
Arbeiterlieder (z.B. Heinrich Heines "Weberlied" [F])
machen mit Abstand die größte Abteilung aus,
Fahrten- und Lagerfeuerlieder (wie die bündische Hymne "Wenn die bunten Fahnen wehen"
[46])
die kleinste.
Verabschiedet wird sich mit Bellmans "Tischlied" [40] und
Waders "Heute hier, morgen dort".
Na wo die Sozis wohl morgen sein werden?
Das Vorwärts Liederbuch.
vorwärts buch,
2011, ISBN 978-3-86602-907-1, 199 S, €12,50.
I've heard there was a secret chord that David played, and it pleased the Lord ...
Leonard Cohens [46] Klassiker könnte als Motto für das zweibändige
Great Songs For Guitar - Chord Songbook dienen.
Keine einzige Note, sondern nur Liedtext und Gitarren-Akkorde, aber auch Taktbezeichnung.
Das ist zunächst gewöhnungsbedürftig.
Das Black bzw. White Book enthält jeweils siebzehn
Hits aus älterer und jüngerer Zeit, von der Hard-Rock-Band AC/DC ("Highway To Hell")
bis zur New-Wave-Gruppe The Police ("Every Breath You Take") und dem
Jazz-Pianisten Fats Waller ("Ain't Misbehavin'").
Für Folkies finden sich Willie Nelsons "Crazy",
Don MacLeans "American Pie", Bob Dylans "Don't Think Twice",
Johnny Cashs "I Walk The Line" und Gordon Lightfoots "If You Could Read My Mind"
(die meisten im schwarzen Bändchen). Na denn, drei Akkorde und ein Hallelujah!!!
Adrian Hopkins (ed.), Great Songs for Guitar - Chord Songbook - The White Book.
Wise Publications AM1004091,
2011, ISBN 978-1-78038-374-3, 48 S, €15,95.
Adrian Hopkins (ed.), Great Songs for Guitar - Chord Songbook - The Black Book.
Wise Publications AM1004102,
2011, ISBN 978-1-78038-375-0, 48 S, €15,95.
Zwei in einem - Buch und CD, Okarina und Harmonika.
Die Münchnerin Silvia Kumeth stellt selbst-komponierte Stücke für die Okarina vor,
sowie die entsprechenden Noten für die Steirische Harmonika.
Es sind überwiegend Polkas, aber auch Ländler, Marsch und Walzer sind vertreten.
Die 14 Stücke sind abwechslungsreich, aber nicht unbedingt für den Anfänger geeignet.
Auch die Gefäßflöte aus Norditalien ist ein durchaus
ernst zu nehmendes Instrument und für komplexe Musik verwendbar.
Akkorde zur Begleitung sind angegeben (für Okarina in F-Dur,
die Okarina-Noten sind unabhängig von der Tonart spielbar;
dies entspricht einer Harmonika in G-C-F-B) als auch eine
Griffschrift-Tabelle für die vierreihige Steirische Harmonika
und eine Okarina-Grifftabelle.
Die beiligende CD ist als Hilfe gedacht und enthält als Aufnahmen einerseits Harmonika
plus Okarina, andererseits Harmonika solo.
Eines der Ziele, Okarinisten das Zusammenspiel mit anderen Musikanten näherzubringen,
kann man als erfüllt betrachten.
Silvia Kumeth, Spielstücke für Okarina und Steirische Harmonika.
Preissler JP 6618,
2011, ISBN 979-0-2014-6618-7, 25 + 16 S, €19,80 (inkl. CD).
Der in England lebende Geiger, Mandolinist und Gitarrist,
der u.a. für zweibändige Tutorials für Geige bzw. Mandoline verantwortlich ist
("Around the World in 80 Tunes"
[45]),
stellt eine selbstkomonierte Mini-Suite für zwei Geigen, Viola und Violoncello vor, Autumn Breeze.
Knapp und präzise, gelassen und friedvoll.
Eine Landschaft zieht vor meinem geistigen Auge vorbei,
aber ich bin mir nicht sicher, ob es die
grünen Hügel Devonshires sind (Berthouds Wohnsitz)
oder die staubige Savanne Zimbabwes (seinem Geburtsort).
Phil Berthoud, Autumn Breeze for String Quartet.
Spartan Press SP860,
2011, ISMN 979-0-57999-860-0, 3 S, €4,99.
Bereits im Jahre 1816 bemerkt ein Beobachter an gerade in Nordamerika eingetroffenen schwarz-afrikanischen Sklaven: They have great amusement in collecting together in groups and singing their favourite African songs ...
Die Afro-Amerikaner singen schon bald nicht mehr ihre traditionellen Stücke, sondern neue, durch Gebrauch selbst entwickelter Instrumente oder aus dem Alltag heraus entstandener Texte entstandene Lieder. Anglo-amerikanische Hymnen verbinden sich mit afrikanischen Gesängen zum Spritual (in der Kirche) und dessem weltlichen Gegenstück, dem Blues (bei der Arbeit).
Die stärkste integrative Kraft bildete dann sicherlich der Rhythm'n'Blues und der Rock'n'Roll.
Die schwarze Musik wurde auch eine kulturelle Komponente der Protestbewegung. Blues- und Jazz-Musiker betonten ihre spezifische soziale Situation, aus der ihre Musik entsprang, und engagierten sich oft auch politisch. Martin Luther King, der wichtigste Vertreter der Bürgerrechtsbewegung, fand während der Demonstrationen Kraft im Gesang und nannte die freedom songs die Seele der Bewegung.
Der militantere Aktivist Malcolm X nahm immer wieder Bezug auf die Musik, um schwarze Gleichwertigkeit, wenn nicht gar Überlegenheit zu beweisen.
Der Schweizer Lehrer und Journalist Jürg Martin Meili geht mit seiner Dissertation Kunst als Brücke zwischen den Kulturen dem Zusammenhang zwischer schwarzer Bürgerrechtsbewegung und schwarzer Musik nach.
Teil 1, betitelt: Musik der Freiheit, ist eine Analyse afro-amerikanischer Musik im Licht der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Meili diskutiert die Herkunft und Entwicklung der Musik, insbesondere Spiritual und Blues, und interpretiert ausgewählte Liedtexte und ihre Bedeutung in der Gesellschaft.
Ganz nebenbei wird die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung erzählt. Das Ganze liest sich überhaupt nicht trocken, und ich wünschte mir, es wären alle Dissertationen derart lesenswert.
Die heutige Hip-Hop- und Rap-Musik interpretiert Meili als Fortsetzung der slave narratives (formelhafte Lebensberichte), da sie Geschichte und Alltag in den USA reflektierten, und er stellt die interessante Frage, ob dieses - teils amoralische, teils zu Gewalt aufrufende - Musikgenre in der Lage sei, rassische, kulturelle und soziale Schranken zu überwinden.
Oder muss man Platon recht geben, dass Kunst dem Wohl des Einzelnen und der Gesellschaft abträglich sei, da sie von der vernünftigen Suche nach der Wahrheit und dem Guten ablenken würde?
In Teil 2 des Buches, Kunst für mehr Identität und Solidarität, wird es also theoretischer: Meili diskutiert, ob Kunst als eine Brücke zwischen verschiedenen Kulturen dienen und das gegenseitige Verständnis zwischen verschiedenen Kulturen fördern könnte. Anhand von John Deweys Ausführungen zeigt er auf, inwiefern Kunst etwas zum besseren Verständnis der Kulturen leisten, und anhand Richard Rortys, dass Kunst Solidarität schaffen kann, und schlägt somit die Brücke zur Gegenwart und den Problemen von Globalisierung und Migration.
Der Textdichter und Librettist Michael Kunze hat seinen Teil zum Thema Migration beigetragen. "Griechischer Wein", gesungen von Udo Jürgens (der ein i-Vokal-Typ ist - Griiiechischer ... - im Gegensatz zu Karel Gott - Maaajaaa ...), ist nur ein oft zitiertes Beispiel im Handbuch für Songtexter.
Stoppoks[41] "Aus dem Beton" ist das Paradebeispiel für die Bauteile eines Songs (Lied mit zwei Strophen, Refrain und Bridge). Matthias Claudius "Der Mond ist aufgegangen" muss herhalten als Beispiel für den Schweifreim, "Zuhälter" von Wir sind Helden für den Schlagreim. Überhaupt gilt die Dichtung der Helden-Sängerin Judith Holofernes[36] pars pro toto.
Die Spitze zielt auf den deutsch-französischen Liedermacher Reinhard Mey:[47]
Thorsten Sutter, Musikchef von Radio NRW, ergänzt:
Das Helden-Lied "Denkmal" wird als Beispiel für anschauliche Sprache herangezogen, "Darf ich das behalten" für bildliche Sprache, "Bist du nicht müde" für den Gebrauch von Metaphern, und "Die Zeit heilt alle Wunder" wie man Neues aus bekannten Redewendungen erschafft.
Klingt alles ganz einfach, oder? Michael Kunze merkt jedoch kritisch an:
Edith Jeske und Tobias Reitz, deren eigenes Œuvre vor allem im Schlager- und Chanson-Bereich liegt (Tim Fischers "Rinnsteinprinzessin" bzw. Diverses für Helene Fischer und Patrick Lindner), bilden seit 1996 in ihrer Celler Schule professionell Textdichter aus. Sie beginnen bei den Grundlagen: Liedtypen, der Songfahrplan, Erzählzeiten, der Spannungsbogen, Metrum und Reime ...
Mehr als einmal wird betont:
Nicht umsonst hat Genitiv-sein-Tod-Autor Bastian Sick ein Grußwort geschrieben.
Die Erläuterungen, Tipps und Vorschläge gehen ins Detail (Hookline, Konsonantenkollisionen, ...). Wie geht man mit der eckigen Phonetik der deutschen Sprache um, die aber eine Fülle an Lautmalerei bietet. Man solle von der Werbung abschauen: eindeutige, plakative, bildhafte, energielose Sprache ... Das Handbuch liefert die Basis dazu, in der Online-Lounge www.songtexte-schreiben-lernen.de kann man das Gelernte anhand von Beispielen und Übungen vertiefen.
Ein eigenes Kapitel ist dem Thema "Wie es [garantiert] kein Hit wird" gewidmet. Zwischendurch sind Kurz-Interviews mit Praktikern aus der Musik-Industrie eingestreut, und zuguterletzt gibt "Der Weg nach draußen" praktische Tipps zur Vermarktung und Grundsätzliches zu GEMA und Urheberrecht. Das Handbuch ist also auch ernsthaft für denjenigen gedacht, der eine Karriere als professioneller Texter anstrebt.
Es ist vielleicht nicht das erste deutschsprachige Handbuch für Songtexter wie der Klappentext verlauten lässt,[34] aber die zweckdienlichste, anschaulichste und umfassendste Lektüre, die mir zu diesem Thema bislang in die Finger gekommen ist. Dem Texter und Sänger Frank Ramond (u.a. Roger Ciceros "Frauen regier’n die Welt") überlassen wir das Schlusswort:
123 Jodler und Juchzer. Steirisches Volksliedwerk, 2011, ISBN 3-902516-25-9, 167 S, €8,50.
Hal Leonard Violin Play-Along Vol. 16 - Folk Songs. Hal Leonard HL00842429, ISBN 978-1-4234-8649-7, 22 S, €14.95 (inkl. CD).
Photo Credits:
(1ff) Book Covers (from website/author/publishers).