FolkWorld #46 11/2011
© Walkin' T:-)M

English Book Reviews

T:-)M's Nachtwache

Ist es ein Problem, dass die Musiker heute ihre Licks und Riffs von Clapton anstatt von Robert Johnson lernen? Die ganz alten Bluesmen haben auch nicht mehr als eine Generation zurückschauen können. Es gilt dennoch, dass es immer noch am besten ist, von den Originalen zu lernen als von den Epigonen, und: Die Altmeister wurden vom Musikbusiness in der Regel bereits mehr als genug bestraft; das Mindeste, was wir ihnen heute schulden, ist Respekt und ehrliches Interesse an ihrem Werk. Der Schweizer Slide-Gitarrist [25][38] und Autor [26] hat in einem Band sowohl die Lebensgeschichten als auch die Spieltechniken der wichtigsten Bluesmen zusammengestellt. 15 stilbildende Pioniere des Folk Blues, sowie 5 davon inspirierte aktuelle Künstler von heute, die den Gral weiterpflegen, werden in chronologischer Reihenfolge - nicht Schwierigkeitsgrad - vorgestellt: vom Vater des Country Blues Charley Patton (perkussiver Fingerpicking- und Rhythmus-Stil) bis zu Muddy Waters (der Übergang vom Delta-Blues zum elektrifizierten Chikago-Blues, hier sein Fingerpicking in Open-G-Stimmung) und John Lee Hooker (rhythmische vom Piano inspirierte Boogies). Zu jedem Künstler gibt es eine Biografie, eine Stilbeschreibung, 3 Vorübungen und 2 Tunes (sowohl Noten als auch Gitarren-Tabulatur). Koechli hat sich intensiv damit auseinandergesetzt und ein grundlegendes Werk geschaffen, das Techniken mit Historie verbindet. Das ist teilweise recht anspruchsvoll, nicht unbedingt für Anfänger geeignet. Der Autor selbst rät zu Vorkenntnissen: die wichtigsten Akkorde, Anschlags- und Zupftechniken, erste Erfahrungen mit offenen Stimmungen und Bottleneck-Technik. Die CD enthält aber auch jeweils eine langsamere Version zum Mitspielen .
Richard Koechli, Masters of Blues Guitar - Geschichte, Interpreten und Spieltechniken des American Folk Blues. AMA Verlag, 2010, ISBN 978-3-89922-138-1, 148S, €24,95 (inkl. CD).


Andrew Gordon hat zuvor ein Buch für fortgeschrittene Gitarristen verfasst. Dies hier ist nun eine schmale, aber erschöpfende Anleitung, um Anfänger mit den rhythmischen als auch solistischen Techniken der Bluesmusik bekannt zu machen, d.h. charakteristische riffs (kurze melodische oder rhythmische Phrasen) zu lehren, die das Blues-Gitarrenspiel ausmachen. Gordon stellt 100 dieser Ideen in 5 Abschnitten vor, und zwar grundlegende Blues-Riffs, sowie von R&B-, Boogie-, Rock- und Gospel-beinflusste Phrasen. Zuguterletzt werden aus diesem Vokabular zwei improvisierte Blues-Solos geschaffen, die man als Vorlage verwenden kann. Eine Audio-CD ist inbegriffen, die jedes Beispiel als Play-along zu Klavier, Bass und Schlagzeug enthält. Optional sind MIDI-Dateien mit Schmankerln wie Tempi- und Tonart-Änderungen erhältlich.
Andrew D. Gordon, 100 Ultimate Blues Riffs for Guitar. A.D.G. Productions ADG145, 2011, ISBN 1-934163-40-6, 66 S, US-$21.95 (incl. CD).


Pioneers of English Folk Guitar enthält zehn klassische Songs des Folk-Revivals, beginnend mit Richard Thompsons [39] Biker-Hymne "1952 Vincent Black Lightning". Erste Übung: eine gleichmäßige Bassfigur mit dem Daumen-Plektrum spielen, die Gitarre gestimmt in CGDGBE. Das Nächste ist Davey Grahams [38] Instrumentalstück "Anji", von dem Ralph McTell sagte: Hart war, dass da zwei Schläge für jede Bassnote waren, anstatt der einen, die die meisten von uns in der Lage waren zu spielen ... Das Büchlein enthält traditionelle Lieder - "Black Waterside" (Gordon Giltrap), "Canadee-i-o" (Nic Jones), "The Whale Catchers" (Martin Carthy) [45] - als auch Kompositionen von John Renbourn, John Martyn, Nick Drake (siehe engl. Rezis), Jake Thackray und dem jüngst verstorbenen Bert Jansch [46]. Die Stücke wurden in Noten und Tabulatur von den originalen Plattenaufnahmen aufgezeichnet. Liedtexte sind enthalten als auch kurze Biographien der Künstler.
Adrian Hopkins (ed), Pioneers of English Folk Guitar - 10 Acoustic Guitar Songs from the Heroes of British Folk. Wise Publications, 2011, ISBN 978-1-78038-199-2, 72 S, € 21,90.


Der Glasgower Gitarrist Tom Richardson (Phamie Gow Band [31], Brolum [20]) hat einen zweiten Band selbst-verfasster Tunes im keltischen Stil veröffentlicht - geeignet für jedes Melodieinstrument, nicht notwendigerweise, wenn überhaupt für die Gitarre. 63 Stücke sind in 5 Kapiteln geordnet: 4/4-Tunes wie das herumtollende "Cowboy Ceilidh", der ungebändigte "Reel for Bartok" inspiriert von Bartoks Klavierstücken, oder der flatternde "Flight of the Butterfly". Es gibt einen Jig, "America," basierend auf Leonard Bernsteins Tune aus der "Westside Story", "Galloping Home" mit sich änderndem Takt zwischen 9/8 und 12/8, und Pipe tunes wie "Gordon and Fred", gewidmet seinen Lieblingspipern Gordon Duncan [25] und Fred Morrison [41]. Die Stücke sind in Standardnotation mit Akkorden niedergeschrieben.
Tom Richardson, Jigs, Reels and Fancy Feels Volume 2 - A Collection of 63 New and Exciting Tunes for Fiddle or Accordion. Spartan Press, 2011, ISBN 979-0-57998-120-6, 39 S, £11,50.


Akustik- und E-Gitarre stehen für unterschiedliche Welten: das Lyrische und In-sich-Gekehrte der Akustik- und das Aggressive und Erotische der E-Gitarre. Das ist nur eine Gitarristen-Weisheit. Der diplomierte Gitarrenlehrer Jörg Jewanski erzählt die Geschichte dieses in Folk, Flamenco, Rock und vielen anderen Genres klangprägenden Instruments von der Renaissance (der erste Gitarrist erscheint im Spanien des 16. Jhds.) bis heute - kein umfangreicher Wälzer, sondern ein kompaktes Porträt - und liefert Aus- und Einblicke über grundlegende Typen und ihre Stimmungen, die Greatest Guitarists of All Time wie Django Reinhardt [41] oder den jüngst verstorbenen Bert Jansch [46]. Vorgestellt werden einige wichtige Gitarristen, die innerhalb ihres Genres prägend waren: von Merle Travis bis Bob Dylan [45] - "Blowin' in the Wind" ist einer der ersten Songs, die ein Gitarrenschüler einübt. Jewanski hat zudem Kurzinterviews mit dem Lautenisten Hopkinson Smith, den Gitarristen Neuer Musik Reinbert Evers und Seth Josel, sowie den Gitarrenbauern Bernhard Kresse und Oliver Baron geführt.
Jörg Jewanski, Portrait Gitarre - Kultur, Praxis, Repertoire, Interpreten. Bärenreiter, 2011, ISBN 978-3-7618-1843-5, 153 S, €27,95.


Forever Young! Heuer wurde der Meister 70 Jahr jung [45]! Feiern allerorten, wie z.B. beim D-Day Tribute auf dem Tønder-Festival [46]; die zwei Stunden waren kein bißchen langweilig, das Œuvre ist umfassend und abwechslungsreich genug. Das zeigen auch diese 100 Hits von den frühen 60ern (Blowin' in the Wind) bis in die jüngste Vergangenheit (Beyond Here Lies Nothin'), kompakt verpackt mit Noten, Texten und Gitarrenakkorden. Die Stücke sind nach Kapiteln geordnet: von "New Kid On The Block" in der Greenwich-Village-Szene über "Songs of Social Conscience", "Plugged In", "Back to Basics", ... Das PVC-Cover sollte dafür sorgen, dass man es lange Zeit mit sich herumtragen und intensiv benutzen kann. Mindestens bis zum 100. Geburtstag.
The Gig Book: Bob Dylan - Perfect for guitarists, keyboard players and all other musicians. Wise Publications, 2010, ISBN 978-1-84938-071-3, 304 S, €22.99.


Klein, aber dick ist das Kleine Grüne Volksliederbuch im handlichen DIN-A6-Format mit 200 deutsch- und englisch-sprachigen Volksliedern. Das geht vom böhmischen Wiegenlied "Aber Heidschi Bumbeidschi" bis zu "Zogen einst fünf wilde Schwäne", der masurischen Vorlage für "Sag mir, wo die Blumen sind". Es gibt aber nicht nur deutsche Volkslieder, wie das Shanty "Hamborger Veermaster" [46] oder "Wenn die bunten Fahnen wehen", das die Edelweisspiraten sangen, sondern eben auch auch anglo-amerikanische Balladen (Banks of the Ohio, Greensleeves), das irische "Whiskey in the Jar", Gospel (Go Down Moses) und Shanties (Drunken Sailor), genauso wie "Bella Ciao", "Sur le pont", das mexikanische Revolutionslied "La Cucaracha" und das lateinisch-sprachige Studentenlied "Gaudeamus Igitur", sowie die deutsche, britische und französische Nationalhymne. Mancheine Entdeckungen kann man am Wegesrand machen. Alle Lieder sind als Melodielinie mit Texten und Gitarrenakkorden notiert.
Das Kleine Grüne Volksliederbuch. Bosworth Edition BOE7559, 2011, ISBN 978-3-86543-667-2, 384 S, €9,95.


Hiaz is der rauhe Winter då, den siacht ma umadum, in Bergn sengt der Reimfrost her, in Gråbn, då scheint ka Sunn. Ma hört ka Vogerl pfeifn, ma siacht ka Blattl Klee, ka Brentlglockn läutn, ka Gamserl auf der Höh ... Seit mehr als zehn Jahren gibt das Steirische Volksliedwerk, das in der Adventszeit ein Büro für Weihnachtslieder unterhält, Bücher mit diesem Liedgut heraus. Da diese mit der Steirischen Harmonika gespielt vermeintlich in besonderer Weise klingen, war ein Büchlein mit Griffschrift für dieses Instrument überfällig. (Aus diesem Grunde wurden auch nur Lieder in Dur ausgewählt, da wegen der unterschiedlichen Bass-Anordnungen keine allgemein gültige Griffschrift möglich wäre.) Die 63 Lieder enthalten gesamt-deutsche Klassiker wie "Alle Jahre wieder" genauso wie den südtiroler "Andachtsjodler" und das niederösterreichische "Wir sagen euch an den lieben Advent" aus jüngerer Zeit. "Stille Nacht" findet sich in der heute bekannten, melodisch vereinfachten als auch der originalen Version, die noch sechs Strophen hatte.
Weihnachtslieder selber singen ... in Griffschrift Steirisches Volksliedwerk, 2011, ISBN 3-902516-24-0, 120 S, €15,00.


Der Kölner Thórralf Schuh spielt Bodhrán und andere Perkussion bei den Gruppen Troyl [46] und Spillÿck [44]. Nachdem man sich in seiner Bodhrán-Fibel durch ein paar Seiten Palaver durchgeschlagen hat, erläutert er Spielhaltung, Schlagwinkel zum Fell und Pendelweite. Das ist detailliert beschrieben, aber ob man dem wirklich folgen kann? Er sagt selbst, dass es unerläßlich ist, von einem versierten Lehrer die Spieltechnik gezeigt zu bekommen. Jedes Lehrbuch ist begleitend, ein Richtfaden für praktischen Unterricht. Zum Selbstlernen nur geeignet für sehr begabte Anfänger oder Leute, die schon perkussive Vorbildung haben. Besser, um nicht zu sagen, sehr gut folgen kann man, wenn es um Spielmodi, Randschläge und Dribblings geht. Los geht's dann mit einem Reel (4/4) und Tonmodulationen mit der linken Hand, sowie einem Jig (6/8) und Verzierungen wie Schleifschlag und Triolen. Nach diesen beiden wichtigen irischen Rhythmen folgen verschiedene Grooves, Muiñeira und Andro, Polska und Rumba, griechisch, türkisch, ... Thórralf hat dazu, orientalischem Beispiel folgend, eine Tabulaturschrift entwickelt, um Notenwerte und Klanggestaltung darzustellen.
Thórralf Schuh, Bodhrán Fibel - 100 keltische und internationale Rhythmen. 2011, 48 S, €18.


Die peruanische Kistentrommel Cajon hat die letzten Jahre eine große Popularität erfahren und ist mittlerweile Standard bei allen Unplugged Settings [44]. So einige Bücher beschäftigen sich mit dem Instrument, der Dresdner Perkussionist Torsten Pfeffer will zeigen, wie man am besten Rock, Pop, aber auch HipHop, House und Drum'n'Bass spielt. Um dem typischen Schlagzeug-Sound möglichst nahe zu kommen, wird in die drei Grundspieltechniken Bass (Bassdrum), Tipp (Hi-Hat) und Ton (Snaredrum) eingeführt. Einfache Grundrhythmen werden verfeinert, am Ende stehen 5 komplette Songs mit Breaks, Fills, Intros und Outros. Die beiliegende CD-ROM beinhaltet Videos zur Spieltechnik, Übungen als Audiofiles und Playalongs. Pfeffer bietet mehr als andere Anleitungen, als Beispiel sei nur genannt Tonhöhenveränderung durch Abdämpfen der Schlagfläche durch die Ferse. Man muss mit diesem Wissen ja nicht unbedingt HipHop spielen, ist jedenfalls gut gerüstet, um andere Rhythmen zu entdecken.
Torsten Pfeffer, Nur für Anfänger: Cajon. Bosworth Edition, 2011, ISBN 978-3-86543-693-1, 48 S, €14,95 (inkl. CD).

Gefährliche Lieder: Während der Nazi-Diktatur gab es einige tausend Jugendliche im Rheinland die sich gegen die Nazi-Barbarei aufgelehnt haben.

Fotos aus der Zeit zeigen: Junge Menschen, darunter langhaarige Jungen und burschikose Mädchen, in trachtenähnlicher Wanderkleidung um Gitarren und andere Instrumente versammelt, zumeist inmitten romantischer Naturlandschaften. Die sogenannten Edelweisspiraten hatten die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Hintergründe; gemeinsam war den unangepassten Jugendlichen nur die Liebe zum Singen unangepasster Lieder in freier Natur.



Gefährliche Lieder - Lieder und Geschichten der unangepassten Jugend im Rheinland 1933 - 1945. Emons, 2011, ISBN 978-3- 89705-742-5, 191S, €19,95 (inkl. CD).

Die Kölnerin Gertrud 'Mucki' Koch berichtet, dass sie

weitere Jugendliche kennengelernt [hatte], die neben der Lust an Wandern, Zelten und Liedern auch über Wege nachdachten, um ihre eingeengte Lage zu verbessern. Die Gruppe von Jungen und Mädchen setzte sich aus Naturfreunden, illegalen Bündischen und jungen Menschen zusammen, alle gemeinsam auf der Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben. Der Name, den sie sich gaben, war diesem Ideal geschuldet: "Gruppe Edelweiß".

Die "Gruppe Edelweiß" traf sich in Kölner Parks und Grünflächen, zunächst nur zum Singen und Schwadronieren, und ging auf Fahrt ins Bergische/Overbergische Land oder ins Siebengebirge. Dort fand sie in Steinbrüchen und Höhlen Unterschlupf - stets auf der Hut vor neugierigen Augen und Ohren, insbesondere vor dem HJ-Streifendienst.

Nach ersten Schlägereien wich die jugendliche Leichtigkeit der Angst vor Strafen und dem zornigen Aufbegehren: Wir müssen etwas tun. Wir können dem Treiben nicht tatenlos zusehen! Die ersten Flugblätter wurden geschrieben, vervielfältigt und unauffällig verteilt, darauf Parolen wie: Macht endlich Schluss mit den braunen Horden!, Soldaten, legt die Waffen nieder!, Räder rollen für den Sieg, Hitlerköpfe nach dem Krieg!

Mucki wurde 1942 verhaftet, verhört und geschlagen.

Hier erklärte man Mucki nach einer Zeit der Verhöre, Demütigungen und Schläge als besonders verstockten Fall und steckte sie in Isolationshaft - Tage und Nächte in absoluter Stille. Um nicht durchzudrehen, sang sie im Kopf Fahrtenlieder wie "In Junkers Kneipe" oder "Hohe Tannen weisen die Sterne".

Der Kehrreim Rio de Janeiro, Aho Caballero, Edelweißpiraten sind treu ist noch heute lesbar in einer Zelle im Kölner EL-DE-Haus, der ehemaligen Gestapo-Zentrale, in die Wand geritzt.

Das jährliche Edelweißpiratenfestival setzt seit 2005 im Kölner Friedenspark der naziresistenten Jugend der Region ein musikalisches Denkmal. Die Autoren von Gefährliche Lieder haben mit den letzten Zeitzeugen der Jugendbewegung gesprochen und ein Dutzend exemplarische Porträts erstellt.

Im Mittelpunkt stehen jedoch die Lieder, zumeist Fahrten- und Wanderlieder aus dem Liederschatz der bündischen Jugend stammend - mit vollständigen Texten, Noten, Akkorden und Kommentaren. Auf der beiliegenden CD stimmen zudem die Zeitzeugen ihre Lieblingslieder an.

Wenn die bunten Fahne wehen,
geht die Fahrt wohl übers Meer.
Wolln wir ferne Lande sehen,
fällt der Abschied uns nicht schwer
Leuchtet die Sonne, ziehen die Wolken,
klingen die Lieder weit übers Meer

Hei die wilden Wandervögel
ziehen wieder durch die Nacht!
Schmettern ihre alten Lieder,
dass die Welt vom Schlaf erwacht.
Kommt dann der Morgen, sind sie schon weiter,
über die Berge, wer weiß, wohin.

"Wenn die bunten Fahne wehen" hat längst den Rang eines Volksliedes erreicht. Das Lied verbreitete sich von dem Nerother Wandervogelbund aus.

1937 wurde bei einem Prozess mehreren Nerother Wandervögeln vorgeworfen, verbotene Fahrten durchgeführt und verbotene bündische Lieder gesungen haben. In dem Moment als ihr Verteidiger sein Plädoyer hielt, marschierte eine HJ-Gruppe singend am Gerichtsgebäude vorbei; und sie sangen "Wenn die bunten Fahne wehen!" Geistesgegenwärtig ließ der Anwalt sämtliche Fenster im Gerichtssaal öffnen: Sehen Sie, meine Herren Richter, diese Jugend hier, die sie verurteilen wollen, den Nerother Wandervogel, von denen ist auch dieses Lied, was jetzt draußen die HJ gesungen hat. Der Vorfall war ausschlaggebend für den Freispruch der Angeklagten.

"Die Gedanken sind frei" und "Wir sind des Geyers schwarzer Haufen" kennt jeder, "In Junkers Kneipe" ist ein bekannter Wandervogel-Gesang.

In Junkers Kneipe,
bei Bier und Pfeife,
da saßen wir beisamm'.
Ein kühler Tropfen,
vom besten Hopfen,
der Teufel hält die Wacht.

Ja wenn die Klampfen klingen
und die Burschen singen
und die Mädel fallen ein,
was kann das Leben
Schöneres geben,
wir wollen bündisch sein!

Genauso wie aus schlage Hader und Zwietracht entzwei in dem Lied "Hohe Tannen" schlage Baldur von Schirach entzwei wurde, erfuhr der "Junker" eine spätere Umdichtung:

Hei, wo die Fahrtenmesser blitzen
und die Hitlerjungen flitzen ..
Was kann das Leben
bei Hitler uns geben,
wir wollen bündisch sein.

Themenwechsel. Leonard Cohen wurde 1934 im kanadischen Montreal geboren, vom Vater hat er die Vorliebe für polierte Schuhe, Manschettenknöpfe, maßgeschneiderte Anzüge und den leicht schräg aufgesetzten Hut geerbt, von der litauischen Mutter die angeborene Neigung zur Schwermut und die Liebe zum Liedersingen.

Cohen nimmt Flamenco-Gitarre-Stunden, die wahrscheinlich für seinen charakteristischen Gitarrenstil verantwortlich sind. Er spielt Folkmusik und singt mit einer schwermütigen, eigentümlich klingenden Stimme zu seiner mit Nylonsaiten bespannten spanischen Gitarre.

Ich habe eine schreckliche Stimme, kann nicht mal einen Ton halten. Dann bin ich sehr klein, spindeldürr und habe Aknenarben. Und ich bin unübersehbar Jude (Dylan nicht). Das Einzige, was nicht gegen mich spricht, ist, dass ich ganz gut Gitarre spielen kann.



Anthony Reynolds, Leonard Cohen - Ein aussergewöhnliches Leben. Bosworth Edition, 2011, ISBN 978-3-86543-649-8, 356 S, €24,95.

www.myspace.com
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www.leonardcohen.com
www.leonardcohenfiles.com

Sein Hauptinstrument ist aber zunächst die Schreibmaschine. 1956 wird ein relativ erfolgreiches Buch mit Gedichten veröffentlicht. Seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit: scharfsinnig, ansehnlich, belesen, geistreich, romantisch und geil. Sein zweites Buch will er als farbenfrohes Büchlein im Hosentaschenformat herausbringen, seine Dichtung solle so leicht zugänglich und so populär wie möglich sein und so allgegenwärtig wie Folkmusik.

Das Schicksal nimmt einen anderen Lauf. Er schreibt "Suzanne" und durch Judy Collins[44] populäre Version steigt er ins Musikgeschäft ein. Talent-Scout und Produzent John Hammond muss gegen die Mächtigen bei Columbia kämpfen, die in Cohens Alter und seiner allgemeinen Aura der Andersartigkeit ein kommerzielles Hindernis sahen, das Debütalbum findet aber allmählich seinen Weg und sein Publikum.

Die Biographie einen ruhigen, introvertierten Persönlichkeit ist selten spannend. Auch Anthony Reynolds kann Cohens Außergewöhnliches Leben nicht rüberbringen. Das größte Abenteuer scheint für den Sänger, Poeten und Gentleman die Zusammenarbeit mit dem egozentrischen Produzenten Phil Spector gewesen zu sein: Er hat einige sehr sanfte und wunderbare Lieder gemacht wie 'To Know Him Is To Love Him'. Damals war er in seiner Debussy-Phase. Als wir uns begegneten, war er jedoch in seiner Wagner-Phase.

Das untypischste Album in Cohens Plattenkanon bietet im Wesentlichen solide, melodisch starke Stücke, die wirr in einem opulenten panoramaartigen und paranoiden Klangmeer schwimmen. Insbesondere in Nordamerika war Cohen in der Disco- und New Wave-Ära etwa so angesagt wie der Burenkrieg.

Cohen selbst sagt: Meine Musik wird die neue Welle überdauern. New Wave ist eine Art letzter Versuch, den Rock'n'Roll innerhalb eines kommerziellen Rahmens wiederzubeleben, aber es ist nichts Neues gemacht worden ...

Dann schreibt er "Hallelujah", das über die Jahre zu einem Phänomen wird. Sein großes Comeback macht er 1988.

Cohens neue musikalische Platte war bunt und breit gefächert mit plakativem und nüchternem Einsatz von Sequenzern, Drummachines, Synclavier und Synthesizern, die sich alle auf exotische Weise mit den sehnsuchtsvollen süd- und osteuropäischen Texturen von Bouzouki, Oud und einer herzzerreißenden Violine vermischten. Die Studioband hier klang wie eine Art neues, etwas verrücktes akustisches Abbild eines europäischen Parallelstaates: Melodien von Giorgio Moroder, intoniert von einer rumänischen Zigeunerband.

Die Stimme war jetzt unbestreitbar zu einem kraftvollen Instrument geworden, das dem Gier-ist-gut-Mantra, das so tief durch die Thatcher-Reagan-Jahre hindurch erschallte, etwas entgegenzusetzen hatte.

Bis 1993 ist er unermüdlich auf Tour. Dann zieht er sich ausgebrannt in ein Kloster zurück und steht erst 2008 wieder vor einem Publikum und witzelt: Ich stand zuletzt vor 15 Jahren auf dieser Bühne, als junger Knabe von 61 Jahren und mit dem Kopf voller Flausen.

Cohens Innerstes bleibt auf über 300 Seiten unergründlich und Reynolds Spekulationen deshalb äußerst vage, vor allem da abgesehen von einigen wenigen Hintergrund-Informationen keine Textanalyse des Cohenschen Werkes erfolgt. Einige Übersetzungsfehler fallen auf, so wird z.B. aus der englischen Folksängerin Sandy Denny ein Mann gemacht, und ich denke nicht, dass es damit zu tun hat, dass bei der Übersetzung versucht wurde, sich so nahe wie möglich an der ursprünglichen Stilistik des Autors zu orientieren, wie es im Vorwort heisst.



Wilfried Ulrich, Die Hummel - Geschichte eines Volksmusik-Instrumentes. Museumsdorf Cloppenburg, 2011, ISBN 978-3-938061-23-7, 181 S, €15,50.

www.ulrich-instrumente.de

Cohens langjähriger Produzent John Lissauer meint: Cohen hat einen europäischen Hintergrund, kommt sogar aus der Tradition des französischen Chansons. Er hat eine europäische Sensibilität, mit der er in Amerika nie großen Erfolg haben wird. Cohen also eigentlich ein Europäer; das Instrument, das Hummel genannt wird, hat auch eine mitteleuropäische Entwicklungsgeschichte und keinen westasiatischen Ursprung, wie die Literatur behauptet.

Das will zumindest der Instrumentenbauer Wilfried Ulrich im Buch zur Ausstellung von historischen Instrumenten im Museum Cloppenburg belegen.

Die Hummel ist ein einfaches, zitherähnliches Saiteninstrument, das neben Melodiesaiten frei mitschwingende Bordunsaiten besitzt (bourdon, frz. Hummel). Ein Vorläufer oder eine Verwandte ist das Scheitholt, welches der herzoglich-braunschweigische Kapellmeister Praetorius zu Beginn des 17. Jhds. als Bettler- und Lumpeninstrument beschrieben hat.

Dieses unmusikalische Volk hatte mit seinen Händen tagtäglich zwölf und mehr Stunden für geringen Lohn derbe zu arbeiten - kräftig zuzupacken- und konnte somit keine genügende Feinmotorik der einzelnen Fingerglieder entwickeln, die notwendig gewesen wäre, um ein Spinett, eine Laute, eine Viola da Gamba oder eine Harfe zu traktieren. Eine auf dem Tisch liegende Hummel jedoch mit einem Spielstab in der Linken oder auch mit dem linken Zeigefinger und einem Federkiel in der Rechten zum Klingen zu bringen, war recht gut möglich. Das konnte der Bauernknecht ebenso wie der Grobschmied.

Einst war das Instrument weitverbreitet, im 19. Jhd. wurde der Klang zunehmend als altmodisch empfunden und die Hummel wurde wie Drehleier und Sackpfeife auch von anderen Instrumenten verdrängt. Ulrich fand bei der Restaurierung einer Northeimer Hummel die resignierten Worte: Du kömst nicht wieder mit. Sie können nach der Orgel [Handorgel = Ziehharmonika] gehen und tanzen.

Sharon Krauss

In Amerika hingegen wurde das Scheitholt zum Mountain Dulcimer weiterentwickelt,[22] welches durch das Folk-Revival eine Wiederbelebung erfahren hat und durch das auch Ulrichs Interesse Mitte der 1970er Jahre geweckt wurde. Nun unternimmt der Instrumentenbauer eine Entdeckungsreise durch die Museen dieser Republik und die dort ausgestellten Hummeln, die er teilweise auch restaurieren und spielbar machen durfte.

Anhand der noch existierenden Exemplare in Museen von Schlesien bis Schleswig erzählt Ulrichs Buch reich bebildert und gut recherchiert die Geschichte des Instruments, beschreibt die Spielweise und dokumentiert die detaillierte Maße von 44 Instrumenten.

Da möchten wir doch der Hummel dieselbe Wiedergeburt wünschen, wie sie bereits Drehleier und Dudelsack erfahren haben. Wie Ulrich augenzwinkern zu mir meinte: Die Hummel ist eigentlich sehr Nachbarschafts- und Mietwohnungskompatibel im Gegensatz zu den anderen beiden Borduninstrumenten.

Das amerikanische Label Hal Leonard Corporation hat gemeinsam mit dem Gitarrenbauer Tom Anderson ein Lehrbuch für Perkussionisten mit dem Untertitel Elemental Rhythms from around the Globe herausgegeben. Anderson schrieb dafür die Musik, die auf der mitgelieferten Arbeits-CD zu hören ist. Es gibt für jedes der 13 Stücke zwei Aufnahmen; die erste als Demonstration mit didaktischen Erklärungen, die zweite ohne Perkussion zum Mitspielen. Wie es sich für ein Lehrbuch gehört, werden zuerst die Lernziele für jeden einzelnen Rhythmus definiert, dann startet der Unterricht mit dem Rock'n'Roll. Zuerst lernt man den Rhythmus mit Body-Percussion (klatschen, schnippen, trommeln) zu spielen, dann setzt man das Gelernte mit Perkussionsinstrumenten um und schließlich kann man optional noch Melodie-Instrumente dazufügen und ein eigenes Arrangement kreieren. Dafür stehen sowohl Rhythmuspartituren wie auch Notenblätter fürs Klavier zur Verfügung.

Es folgen mittelamerikanische Rhythmen wie Calypso aus Trinidad, lebensfroher südafrikanischer Groove, cooler Bossa Nova von der Atlantikküste Brasiliens oder die Chorea, ein feuriger altgriechischer Reihentanz. Dann geht die musikalische Reise um den Globus zurück in die Staaten, wo der Gospel zu Hause ist; er wird im 12/8 und 2/2 Takt vorgestellt. Nach dem swingenden American Jazz entführt uns Anderson auf die Grüne Insel, wo wir den Jig und den Reel kennenlernen. Weiter geht's in den Südosten der Vereinigten Staaten mit dem Zydeco und zum Abschluss hat Anderson einen Song geschrieben, der dem Lernenden erlaubt, ihn mit einem Rhythmus seiner Wahl zu begleiten, einzige Vorgabe ist der 4/4 Takt, "The Beat of the World".

Die Hal Leonard Corporation erlaubt die Reproduktion der Notenblätter für den Schulunterricht, die Erklärungen (in Englisch) und didaktischen Methoden sind hervorragend und ich könnte mir das Lehrbuch als hervorragendes Medium für einen kombinierten lebensnahen Englisch/Musikunterricht vorstellen.

[Adolf „gorhand“ Goriup]

Tom Anderson, World Grooves - Elemental Rhythms from Around the Globe. Hal Leonard HL09971490, 2010, ISBN 978-1-61774-161-6, pp32, US-$29,99 (inkl. CD).


Photo Credits: (1ff) Book Covers (from website/author/publishers); (15) Sharron Kraus (by Bruce Cardwell).


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