FolkWorld #61 11/2016
© Walkin' T:-)M

»Der Sommer endet niemals hier...«

Tønder 2016 wird den Erbsenzählern mit rund 120 Konzerten auf insgesamt 9 verschiedenen Bühnen in Erinnerung bleiben – den meisten Besuchern vor allem aber durch heiße Musik bei subtropischen Temperaturen.

Nordic Fiddlers' Bloc

Tønder Festival
25.-28. August 2016


Tønder 2015

www.tf.dk

Artist Video Nordic Fiddlers' Bloc @ FW:
FW#46, #46, #49, #54, #60

www.thenordicfiddlersbloc.com

Bis dato hatte sich der Sommer noch nicht so richtig entscheiden können, aber pünktlich zum Tønder Festival ist die Hitzewelle herangerollt. Gleich zu Beginn erwartet mich eine positive Überraschung, ungeplant und unerwartet: der 20jährige Jacob Dinesen aus der Kleinstadt Tønder selbst rockt die Open-Air-Bühne. Der muntere Americana-Sound passt eher in die Badlands und Great Plains als an die dänischen Nordseedeiche; seine eingängigen Songs brauchen sich nicht vor den Mumfords & Co. verstecken.

Einer der Gründe, Tønder 2016 unbedingt nicht zu verpassen, dürfte aber eine andere Band sein. Flook sind zurück! 2008 hatte sich das englisch-irische Quartett nach mehreren Alben und einem dicht gefüllten Tourkalender getrennt; seit 2013 tritt man gelegentlich wieder auf. Wie eh und je liefern sich Sarah Allen (Querflöte) und Brian Finnegan (Whistle) furiose Gefechte und spielen sich zu den hammermäßigen Beats von Ed Boyd an der Gitarre und John Joe Kelly am Bodhrán die Bälle zu. Das Programm besteht aus betagten und fabrikneuen Instrumentalsets; Abschlusspunkt bildet das gute, alte "Pressed for Time", immer wieder ein Hinhörer. Einen tiefen Seufzer ausstoßend würde ich mir dann nur noch ein neues Album wünschen.

Im großen Festivalzelt treten nun die Barra MacNeils auf. Zuletzt war die kanadische Familiengruppe 1997 in Tønder, ihre Europa-Tournee im vergangenen Jahr hatten sie wegen Krankheit absagen müssen. Das bunte Potpouri steht unter dem passenden Motto Summer never ends here... und ruft die verschiedensten Erinnerungen wach. Die eklektische Musik der McNeills (ursprünglich von der schottischen Insel Barra im Süden der Äußeren Hebriden stammend, jetzt auf Cape Breton Island, Nova Scotia, beheimatet) beinhaltet instrumentale Tanzstücke, englische Folksongs (wie Steeleye Spans "Misty Moisty Morning") und schottische Mouth Music, als auch Kompositionen aus jüngerer Zeit wie Dougie McLeans "Caledonia" und der Oysterbands "Northern Lights".

Flook

Artist Video Flook @ FolkWorld:
FW#1, #7, #11, #11, #12,
#22, #23, #30, #31, #31

www.flook.co.uk

Können die McNeills als Veteranen und langjährige Botschafter der keltisch-kanadischen Musik und Kultur gelten, präsentieren Ten Strings & A Goat Skin die junge Garde kanadischer Roots-Musik. Direkt eingeflogen vom Shrewsbury Festival ist keine Spur von Müdigkeit zu entdecken, das Trio Geige/Gitarre/Gamsfell von Prince Edward Island überzeugt mit fetzig und rasant ausgeführter traditioneller Musik. Aus Neufundland ist das junge Duo Fortunate Ones angereist; Catherine Allan und Andrew James O'Brien spielen unverbrauchten Folkpop, der Herz und Seele anspricht.

Das schottische Heimatland geizt ebenfalls nicht. Die von den Orkney-Inseln stammenden The Chair rocken das Tønder-Publikum mit Stomp Music, die die keltisch-nordische Tradition mit Blues und Rock verbindet, während die Songwriterin Karine Polwart (Malinky, Battlefield Band) am anderen Ende des akustischen Spektrums mit ruhigeren Tönen über sozialen Fragen und Umweltprobleme philosophiert. Das Trio Talisk mit Konzertinaspieler Mohsen Amini und Geiger Hayley Keenan wiederum spielt traditionelle Musik durch und durch, mit jugendlichem Elan versteht sich allerdings, und pflückt prachtvolle Blumen abseits der ausgetretenen Wege.

Eliza Carthys 12-köpfige Wayward Band repräsentiert die englische Liedtradition, eine der wenigen englischen Künstler, die in Tønder und anderen Festivals vertreten sind. Wer weiss, ob nicht wegen des Brexits bald noch weniger originäre Musik aus England auf dem europäischen Kontinent zu hören sein wird!? Der niederländische Sänger und Gitarrist Hans Theessink, der Tønder seit Anbeginn als seine (musikalische) Heimat betrachten darf, präsentiert seine Blues & Roots Revue. Uramerikanische Musik selbst, hier Country, da Blues, spielen Rosanne Cash, die älteste Tochter des legendären Johnny Cash und beinahe ebenso erfolgreich, und Eric Bibb, Patenkind von Paul Robeson, der seinen Geburtsort New York schon vor Jahrzehnten mit Schweden und Finnland eingetauscht hat.

Über alle Grenzen hinweg bewegt sich das multi-kulturelle Geigensextett The String Sisters, bestehend aus den Amerikanerinnen Liz Carroll und Liz Knowles, der Schottin bzw. Irin Catriona MacDonald und Mairéad Ní Mhaonaigh, sowie den Skandinavierinnen Emma Härdelin und Annbjørg Lien. Auch bei der Begleitband begegnet man alten Bekannten, wie dem schottischen Schlagzeuger James Mackintosh (Shooglenifty) und dem norwegischen Gitarristen Tore Bruvoll (Hekla Stålstrenga).

Väsen

Artist Video Väsen @ FolkWorld:
FW#2, #13, #13, #17, #23, #28, #33,
#34, #39, #41, #52 , #53, #54, #54

www.vasen.se

Damit wären wir auch schon bei den skandinavischen Acts, die immer recht zahlreich in Tønder vertreten sind. Während Triakel (Emma Härdelin, Kjell-Erik Eriksson, Janne Strömstedt) sich auf das Liedgut der schwedischen Regionen Jämtland und Hälsingland beschränkt, erkundet The Nordic Fiddlers Bloc (Olav Luksengård Mjelva, Anders Hall, Kevin Henderson) alle Gefilde zwischen Schweden und den Shetland-Inseln. Der Folk Spot Denmark wiederum präsentiert Basco, Himmerland, Fru Skagerrak, Fromseier/Hockings und Elof & Wamberg, die alle eifrig bemüht sind, dänische Volksmusik ins 21. Jahrhundert zu bringen. In der Tat ist die dänische Folkszene eine der lebendigsten in Europa.

Im Klubzelt sehe ich das schwedische Instrumentaltrio Väsen. Die Sonntag Nacht hatte endlich die ersehnte Abkühlung gebracht, die leider in einen anhaltenden Landregen übergeht. Väsen ist ein passender Einstieg in den Tag; das Trio malt nordisch unterkühlt, aber mit kräftigem Geigen- und Nyckelharpa-Strich Regenbogenfarben in den regengrauen Himmel. Leider ist die PA im Klubzelt zunächst nicht in der Lage, die Tuborg-Trinker und Gummistiefelträger zu übertönen, die mehr am Bier und am Schutz vor dem Regen interessiert sind. So dauert es eine Weile, bis der Zauber nordischer Polskas und Walzer sich entfaltet.

Mit der Lautstärke hat die Scott Wood Band weniger Probleme. Die Band um den schottischen Bagpiper will noch wilder als der Rest ihrer Landsleute erscheinen, vermag aber durchaus auch mit komplexen Arrangements zu überzeugen, die die Eigenkompositionen im traditionellen Stil mit Ethno, Jazz und Rock verbinden. Einer von Scotts illustren Tunes ist seinem konservativen, militaristischen Piping Teacher gewidmet und er hat prompt ein E-Gitarren-Solo hineinkomponiert, um ihn zu ärgern.

Mànran

Artist Video Mànran @ FolkWorld: FW#56

www.manran.co.uk

Das Klubzelt war einst eher der zweiten Klasse vorbehalten, nun spielen hier auch die Hauptacts in Ergänzung zu dem offenen Konzept mit den zwei großen Zelten und der Open-Air-Bühne. Auf letztere klettert nun bei echt schottischem Wetter Scott Woods Schlagzeuger Mark Scobbie, nun als Part von Mànran, die das schottische Folk-Rock-Kontigent neben Rura, den Peatbog Faeries und dem Treacherous Orchestra ergänzen (Shooglenifty musste leider wegen der zunehmenden Unpässlichkeit des mittlerweile verstorbenen Fiddlers Angus R. Grant kurzfristig absagen). Bei den Songs von Mànran, angerockte Mouth Music, kommt der charakteristische Runrig-Sound durch. Ungewöhnlich im Instrumentarium sind die Uilleann Pipes, die der irisch-stämmige Flötist Ryan Murphy spielt, gelegentlich gedoppelt mit den Highland Pipes des Fiddlers/Sängers Ewen Henderson. Der trance-artige Schamanen-Sound und die Anleitung zum Regentanz können zwar nicht die Regenwolken vertreiben, sie aber zumindest für einen Moment vergessen lassen.

Für mich soll es das nun gewesen sein. Das Festival selbst schließt mit dem großen Gala-Konzert von Eddi Reader, Cathy Jordan und Sofia Karlsson. Gegen Mitternacht versammeln sich viele der Musiker auf der Bühne, um zusammen mit Allan Taylor die magische Gospel-Hymne "Will the Circle Be Unbroken" an- und sich auf das nächste Jahr einzustimmen.

Fazit: Nach der Ablösung von Urgestein Carsten Panduro als Festivalchef wurde das Konzept von Tønder ganz schön umgekrempelt. Einiges hat sich geändert. Da gibt es keinen Brian McNeill mehr, der sein mächtiges Charisma durch die Gegend schiebt; auch kein gnarzender Ron Kavana. Anderes ändert sich wohl nie, die deutsch-dänische Celtic-Folk-Band Drones & Bellows wird wohl noch in hundert Jahren im Gastgarten von Hagge's Pub spielen.

Das neue Team um Maria Theessink kann jedenfalls auf ein gelungenes Wochenende zurückblicken. Die ersten Acts für 2017 sind bereits gebucht; die Namen von Loudon Wainwright III, Lucinda Williams, Altan und Afenginn werden gehandelt. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, und die Zukunft hat für das Tønder Festival erst begonnen.

Scott Wood Band

Artist Video Scott Wood Band @ FolkWorld:
FW#59

www.scottwoodband.com

Ten Strings And A Goat Skin

Artist Video Ten Strings And A Goat Skin @ FW:
FW#53

www.tenstringsandagoatskin.com

Treacherous Orchestra

Artist Video Treacherous Orchestra @ FW:
FW#48, #56, #57, #57

www.treacherousorchestra.com

Karine Polwart

Artist Video Karine Polwart @ FolkWorld:
FW#49, #49

www.karinepolwart.com

Eric Bibb

Artist Video Eric Bibb @ FolkWorld:
FW#34, #46, #49

www.ericbibb.com

Triakel

Artist Video Triakel @ FolkWorld:
FW#9, #16, #29, #30, #44, #45, #54

www.triakel.se


Das nächste Tønder Festival findet vom 24. bis 27. August 2017 statt. In der Adventszeit veranstaltet das Tønder Festival jeden Sonntag ein Gewinnspiel auf Facebook.



Photo Credits: (1) The Nordic Fiddlers' Bloc, (2) Flook, (4) Väsen, (7) Treacherous Orchestra, (8) Karine Polwart (9) Eric Bibb, (10) Triakel (by Michael G. Rose); (3) Ten Strings And A Goat Skin, (5) Scott Wood Band, (6) Mànran (by Walkin' Tom).


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