FolkWorld #49 11/2012

CD & DVD Reviews

Richie Lawrence "Water"
Big Book Records, 2012

www.richielawrence.com

Auf dem Cover seines zweiten Soloalbums ist das Klavier von Richie Lawrence Vater aus dem Jahr 1917 abgebildet, aufgenommen wurde das Album in einem Raum voller alter Möbel in Sacramento, Kalifornien. Dessen warmer, organischer Klang verbunden mit der entspannten Stimme des Sängers zieht den Zuhörer in seinen Bann des 'Water' getauften Albums. Blues, Rock, Folk und Countryklänge bilden dessen Basis.' Wasser ist für den Pianisten, Sänger und Akkordeonisten Lawrence Sinnbild für Leben und Liebe, Unschuld und Erfahrung, Zauber und Humor. Von alle dem scheint Lawrence eine Menge in sich zu tragen und dies an die zwölf Songs auf 'Water' weitergegeben zu haben. Mitgewirkt haben neben Produzent Scott McChane, Scott Prawalsky am Bass. Bart van der Zeuw an den Drums und Lawrence Ehefrau Katie Thomas Gesang. Fazit: Empfehlenswert! Anspieltips: 'tracks of time' & 'poets prayer' .
© Holger Brandstaedt


Lydie Auvray "3Couleurs"
Westpark, 2012

www.lydieauvray.de

Wollte man meine Mutter mal davon abbringen beim Fensterputzen das ganze Dorf mit Milva zu beschallen, gab es nur ein Zaubermittel: Lydie Auvray. Deren Akkordeonklänge sorgten für etwas Leichtigkeit und Schwung am Samstagmorgen. Nun legt die Virtuosin ihr zwanzigstes Album vor. '3Couleurs' getauft, spiegelt es die 3 Farben im derzeitigen Schaffen der Akkordeonistin wieder. Zum Einen die Arbeit mit den Auvrettes, die heuer schon seit 30 Jahren bestehen, dann das Lydie Auvray Trio und ihre Arbeit als Solokünstlerin. Auch nach dreißig Jahren geht Lydie Auvray unbeirrt ihren Weg und besticht vor allem dadurch, dass auch das zwanzigste Album ganz frisch und unverbraucht daherkommt. Chanson, Jazz. Latin, Tango und das unverwechselbare Spiel von Lydie Auvray fügen sich erneut aufs wunderbarste zusammen. Erstmals ist hier übrigens ihre Tochter Cannelle Picot mit von der Partie.
© Holger Brandstaedt


Micha Schlüter ".108"
Eigenverlag, 2012

www.micha-schlueter.de

'Vorstadtdramen über Alltagspanik, Jobgedöns, Seelenschmerz und Beziehungskisten. Die spannendsten Geschichten passieren direkt vor meiner Haustüre. Ob in der kleinen Eckkneipe, im Dönerladen, zwischen Einkaufsregalen oder im heimischen Wohnzimmer.' sagt Micha Schlüter und hat daraus 12 Lieder gemacht, die der Wahlstuttgarter ganz klassisch nur mit Gitarre und Gesang für sein Debütalbum '.108' eingespielte. 108 Kilometer sind es von Schlüters ehemaliger Heimatstadt Trossingen, wo die Lieder entstanden, bis nach Stuttgart, wo sie ihre ihre Reifung erfuhren. Das nun vorliegende Album schließt die Zeit in Trossingen ab und macht den Blick frei auf Neues. Schlüter, der auf dem Cover aussieht wieder junge Lloyd Cole, verfügt leider nicht über dessen variable Singstimme, doch mit seiner guten Beobachtungsgabe und einem klassischen Gitarrenstudium im Hintergrund schafft er es Interesse für seine Musik zu wecken. Nicht schlecht für ein Debüt und durchaus viel versprechend für die Zukunft.
© Holger Brandstaedt


Reno Rebscher "Auf stillen Pfaden"
Conträr, 2012

www.rainer-rebscher.de

Erst dachte ich nur mit der Stimme und dem 'Gesang' Reno Rebschers nicht klar zu kommen., dann erklang sein 'Rastakind am Bodensee'. Textprobe gefällig? 'Schwarzgelocktes Indiomädchen / aus dem Regenwald/ lässt dein gelbes Gummiboot / am Strand von Nussdorf ankern. (…) Hüpfst jetzt wie ein Dschungeläffchen / leicht den Uferweg entlang (…). Genug gehört? Ich auch – ich schnapp mir jetzt mein gelbes Gummiboot und paddel weit fort, dorthin wo keine Reno Rebscher Lieder erklingen. Sorry, aber was hat solcher Mist bei Conträr zu suchen?
© Holger Brandstaedt


Schmidbauer Pollina Kälberer "Süden"
FAME/SONY, 2012

www.suedenmusik.com

Wenn Inhalt und Form wunderbar miteinander harmonieren, kann man von einem Meisterwerk sprechen. Das 'Süden' getaufte Projekt und dazugehörige Album ist ein solches. Hier haben sich drei Meister ihres Faches zusammengefunden. Was mit einer gerissenen Gitarrensaite begann, hat sich als Glücksfall für Künstler und Publikum erwiesen. Der Gründungsmythos geht so: Bei einem Konzert Pippo Pollinas wechselte Werner Schmidbauer diese derart flink, dass sich gleich eine gemeinsame Improvisation anschloss. In den Jahren drauf besuchten die Künstler gegenseitige Konzerte und 2010 war die Zeit reif für eine erste 'Süden' Tournee. Alle drei Musiker, neben Pippo Pollina und Werner Schmidbauer ist der Multiinstrumentalist Martin Kälberer mit im Boot, stammen aus dem Süden ihres Heimatlandes und sind ihrer Herkunft sehr verbunden. Der arme Süden Italiens und das wohlhabende Bayern – passt das? Und ob, denn alle Drei haben bei ihrer ausgewiesenen musikalischen Virtuosität den Blick auf die sozialen Schieflagen unserer Zeit nicht verloren, nach zuhören in 'Die ganz große Kunst' und 'Mia san zua'. Alle Drei sind versierte Sänger, die aufzeigen wie wunderbar Italienisch und Bayrisch zusammenpassen. (Für mich Nordländer ist Beides eh nur bedingt verständlich.) Und alle Drei bilden wirklich eine harmonische Einheit - 'Süden' ist eben kein aus den jeweiligen Programmen hastig zusammen gestückeltes Programm. Live muss das ein sehr intensives Ereignis sein, jetzt gibt es für Alle die wie ich zu weit nördlich wohnen und alle, die nicht genug von 'Süden' bekommen können ein Album. Das ist meisterlich!
© Holger Brandstaedt


Cathy Jordan "All the way home"
Blix Street, 2012

www.cathyjordan.com

Manchmal muss man mit seinen Liedern woanders hingehen um einen anderen Zugang zu ihnen zu finden und eingefahrene Bahnen zu verlassen. Die Dervish-Sängerin Cathy Jordan hat ihr neues Album 'All the way home' überwiegend in Schweden aufgenommen. Unter der Regie von Roger Tallroth, entstand ein zeitlos schönes Werk, das große Ruhe und Harmonie ausstrahlt und Lichtjahre entfernt von der üblichen irischen Mischung aus Mystik und Säufercharts, ausgetretenen Jigs und Reels ist. Mir fiel beim ersten Hören die großartige Susan MacKeown ein, wobei Jordan eben in Schweden und nicht in Amerika aufnahm, was man hört. Und so waren hier neben Andy Irvine, Eddie Reader und Michael McGoldrick auch einige schwedische Musiker mit am Werk. Fazit: Empfehlenswert.
© Holger Brandstaedt


James Yorkston "I Was A Cat From A Book"
Domono Records, 2012

www.jamesyorkston.co.uk

Nein etwas wirklich Neues ist James Yorkston auf seinem lang erwarteten Album nicht eingefallen. Fünf Jahre Wartezeit, Gastmusiker von Lamb, sowie dem Cinematic Orchestra und doch klingt alles sehr vertraut. Und es scheint als hätte der sympathische Eigenbrödler mit dem 2006er Album 'Year of the Lepard' seinen künstlerischen Höhepunkt bereits erreicht. Dennoch ist 'I Was A Cat From A Book' eine schöne Platte geworden und wirkt für mich wie der Brief eines entfernt lebenden Freundes. Man freut sich von ihm zu hören, erinnert sich an frühere Tage und geht lächelnd durch den Tag.
© Holger Brandstaedt


Kyle Carey "Monongah"
Eigenverlag, 2012

www.kyleannecarey.com

‘S urrainn dhi leasanan phrìobhaideach a’ thoirt seachad air am fòn no ‘Skype’ cuideachd. Alles klar? Die US-Amerikanerin Kyle Carey bringt ihren Landleuten gaelisch bei und da die Wege weit sind, auch via Telefon und Skype. Gelernt hat sie die Sprache und auch gleich traditionelle Gesangstechniken auf Lewis und Skye. Doch weder Gälisch, noch traditioneller Gesang prägen das Debüt der Musikern Kyle Carey, (einzig das zweite Stück zeigt die erworbenen Fertigkeiten.) Für dieses war sie im Winter 2011 im Westen Irlands unterwegs und scheint dabei eine Menge guter Kontakte gehabt zu haben. Produziert von Donogh Hennessy (Lùnasa), sind auf dem ‘Monongah’ getauften Album Pauline Scanlon (Lumiere) und Aoife Clancy (Cherish the Ladies) als Harmony Vocals, Cape Breton Fiddler Rosie MacKenzie (The Cottars), Brendan O’ Sullivan (Gràda), Old-time Fiddler Cleek Schrey, Appalachen Spezialist John Kirk (Quickstep) an Mandoline und Banjo, sowie Trevor Hutchinson (The Waterboys, Lùnasa) am Kontrabass zu erleben. Herausgekommen ist eine transatlantische Mischung, die mich an Mary Black erinnert und eher in Kentucky als in Mayo verortet scheint. Geprägt von sanfter Harmonie hat das Album keine Höhepunkte, aber viele schöne Momente zu bieten. Anspieltips: 'Let them be all' & 'Virginia'.
© Holger Brandstaedt


Jamie Kent "Navigation"
Eigenverlag, 2012

www.jamiekent.com

So who the f#*k is Jamie Kent? In einer immer größer und übersichtlicher werdender Musik- und Medienwelt eine berechtigte Frage. Kent, ein Mitzwanziger Singer/Songwriter aus Massachusetts versucht seine Unabhängigkeit im Musikleben durch alternative Finanzierungs- und Marketingkonzepte zu behaupten. Social Networking & Crowdfounding sind da natürlich angesagt. Kent offeriert seinen Förderern spezielle Angebote wie Konzertkarten, exklusive Fanartikel, Special-Remixes und Studioversionen neuer unveröffentlichter Lieder. Die so erreichten fasst er unter dem Begriff 'The Collective' zusammen und dieses Kollektiv scheint so gut zu funktionieren, dass jetzt sein zweites Album 'Navigation' möglich wurde Und das kann sich sehen bzw. hören lassen. Kent steht in der Tradition klassischer Sänger wie Bob Seeger, Brunce Hornsby und Bruce Springsteen. Dazu ein bisschen Jazz (Jamie Cullum lässt grüßen), ein Spritzer Reggae und etwas Sound der 70er, fertig ist eine druckvolle, gut hörbare, abwechslungsreiche Platte, die zwar nichts wirklich Neues bietet, aber durchaus Freude macht. Anspieltips: Hold On & Lovers Lost.
© Holger Brandstaedt


Layori "Rebirth"
Afrojam-Music, 2012

www.layori.com

Layori, das ist der Name einer junge Sängerin aus Nigeria, die mit dem Album "Rebirth" bereits ihr zweites Album vorlegt. Afrojazz mit souligem Timbre lässt Layori hören. Einen größeren Teil der Songs singt sie auf Yoruba, der Sprache ihrer Heimat. Trotzdem ist es kein pures Afroalbum, denn Layori lässt sich von lateinamerikanischen Einflüssen ebenso leiten, wie von europäischer Popmusik und afrikanischen Klängen. "Rebirth" ist ein multikulturelles Album, durchzogen von spielerischer Leichtigkeit und ohne verkunstete Überfrachtung. Es macht einfach Spaß dieser neuen Stimme und ihrer angenehm positiv wirkenden Musik zuzuhören.
© Karsten Rube


Ana Alcaide "La Cantiga del Fuego"
Ana Alcaide Producion, 2012

www.anaalcaide.com

Ana Alcaide spielt seit ihrem siebenten Lebensjahr Violine. Auf einer Reise nach Schweden lernte sie die dort in der Folkszene häufig benutzte Nickelharpa kennen. Sie nahm dieses typisch skandinavische Instrument mit nach Spanien und führte es erfolgreich in die Weltmusik ihrer iberischen Heimat ein. Ihre aktuelle CD "La Caniga del fuego" ist geprägt von einer stimmungsvollen Melange aus nordischer Melancholie und südeuropäischer Sonne. Das überhitzte Temperament wird mittels dieses skandinavischen Einflusses ein wenig herabgekühlt, was der Musik sehr gut tut. Ana Alcaide benutzt die Musik der Sepharden als Grundmuster. Das gibt ihr Gelegenheit, dazu passende Einflüsse aus Osteuropa einzubinden. Neben der Nickelharpa, der Violine sowie der keltischen Harfe, lässt sie ein buntes Spektrum an weltmusikalischen Klängen in ihre Musik einfließen. Die spanische Gitarre findet sich gleichberechtigt neben dem Oud, der Mandola, der Bouzouki, verschiedenen türkischen Instrumenten und sogar der griechischen Lyra. "La Cantiga del Fuego" klingt stellenweise nach Mittelaltersehnsucht, jüdischen Schwer- und nordeuropäischem Langmut. Eine gewisse Schwere steckt in allen Liedern, viel Ernsthaftigkeit und etwas Wehmut. Und doch wirkt die Musik lebendig und frei. Ein eigenwilliges und schönes Album.
© Karsten Rube


Romengo "Kétháné"
Gryllus, 2010

www.romengo.com

Das neue Selbstbewusstsein zahlreicher Roma-Musiker hat in den letzten Jahren schon für manche musikalische Neuentdeckung gesorgt. Von der Türkei nach Spanien finden sich immer häufiger Ensembles, die ihre Kultur einer immer aufgeschlosseneren Hörerschaft vorstellen. Ungarn, ein Land mit einem recht großen Anteil an Sinti und Roma lag allerdings bisher selten im Fokus des Betrachters. Mit der Gruppe Romengo ändert sich das auf angenehme Weise. Die Musiker, die sich um die Sängerin Monika Lakatos gruppieren gehören zu den Oláh. Diese Volksgruppe wanderte einst aus Moldawien und der Walachei im heutigen Rumänien nach Ungarn ein. Entsprechend gefärbt ist die Musik von Romengo. Einflüsse der türkischen Musik hört man ebenso deutlich heraus, wie die Musik der Puszta und der Karpaten. Alles zusammen ergibt eine freundlich fröhliche dreiviertel Stunde Romamusik, die einen schnell in ihren Bann zieht.
© Karsten Rube


Burkina Electric "Paspanga"
Cantaloupe Music, 2010

www.burkinaelectric.com

Wenn sich die traditionelle Musik plötzlich modern gibt, hat sich entweder der Geschmack gewandelt oder die traditionelle Musik hat sich weiterentwickelt. In der Musik Afrikas ist Letzteres längst keine Seltenheit mehr. Viele Musiker gehen nicht nach Europa und Amerika, um ihrer eigenen Kultur zu entfliehen und sich anzupassen, sondern nehmen ihre Kultur mit und beeinflussen damit den westlichen Musikgeschmack. Andere wiederum bleiben in ihrer Heimat und sehen ihre Kultur nicht mehr als rückständig an. Sie integrieren ihre Wurzeln in den Alltag und modernisieren damit ihre Kultur. Burkina Electric ist mit ihrer CD "Paspanga" ein hörenswertes Beispiel für die Modernisierung der afrikanischen Alltagskultur und deren Traditionen. Mai Ligani ist eine Sängerin aus Burkina Faso mit einer einprägsamen Stimme, Wende K. Blass gehört zu den bedeutendsten Künstlern an der perlenden afrikanischen Gitarre. Beide prägen das Album. "Pasanga" entstand unter Mitarbeit von Kurt Dahlke, der seit Jahren in der elektronischen Musik eine bekannte Größe ist. Burkina Electric spielen den Downtown-Sound Westafrikas, schnell, aktiv, voller elektrisierender Momente. Songs wie "Gom Zanga" und "Naab Koobo" klingen nach der Schnelllebigkeit der modernen Zeit und stehen doch auf traditionellem Fundament. Mit "Mdolé" kehrt allerdings etwas Ruhe ein. Ruhe, die man in einer hektischen Welt immer wieder benötigt. "Paspanga" weiß beide Seiten des modernen Afrikas zu beleuchten und ist damit ein vielseitiges und vielschichtiges Album.
© Karsten Rube


Unterbiberger Hofmusik "Bavaturka"
Himpslrecords, 2012

www.unterbiberger.de

Die bayrische Blasmusik scheint ein paar Verwandtschaftsgene mit der Musik der Janitscharen zu haben. So stellt es sich jedenfalls dar, wenn man die "Türkische Reise" der Unterbiberger Hofmusik anhört. Bayern trifft auf die Türkei, und da es sich um kein Fußballspiel der bayrischen Nationalmannschaft handelt, kommen die dort zusammengewürfelten Vertreter ihres Landes ausgezeichnet miteinander zurecht. Diese osmanisch-bajuwarische Melange kann sich hören lassen. Die Hofmusik ist nicht nur mit ihren Blasinstrumenten ziemlich laut und tendieren hin zu einer Art improvisierten Blasmusikjazz, sondern verstehen es auch ihren türkischen Freunden genug Spielraum zu geben und deren Kultur einzuweben. Das treibt mitunter ganz interessante Stilblüten. "Dere Geliyor" verbindet ein Volkslied aus Thrakien mit einem aus dem Bayrischen Wald. Die Übergänge sind fließend und harmonisch. Ich weiß nicht, ob ich schon jemals die Kombination aus Waldhorn und Oud gehört habe. Aber seit dieser CD, weiß ich keinen Grund, warum man diese beiden Instrumente nicht miteinander verbinden sollte. Zwischen drin lassen es sich die Musiker nicht nehmen ein bayrisch-krachledernes Volkslied mit dem Euphonium vorzutragen. "Bavaturka" ist eine gelungene Reise zwischen den Kulturen und zeigt uns eine längst bestehende stabile kulturelle Brücke zwischen der Türkei und Bayern, die man getrost in beide Richtungen beschreiten kann.
© Karsten Rube


Various Artists "Fado" – World Heritage" [2 CDs]
Universal Music, 2012

Über den Fado ist viel geschrieben worden. Die melancholischen Lieder, die einst in den Arbeitervierteln Lissabons ersonnen wurden und durch den Alltag halfen, haben heute den Status des portugiesischen Kulturgutes erreicht. Das lässt sich gut vermarkten und jeder Lissabontourist muss mindestens eine Fado-CD als Trophäe vom Portugalurlaub mitbringen, ob er sie dann zuhause anhört oder nicht. Entsprechend viel wird gepresst. Unter dem schlichten, wie einfallsarmen Titel "Fado" brachte Universal Music 2012 ein Doppelalbum heraus, das die Größen dieser Musikform fein aneinanderreiht. Da sind durchaus hervorragende Künstler mit ihren vielleicht besten Interpretationen vertreten. Doch diese stilistische Sortenreinheit hat zur Folge, dass man die CD „Fado“ bestenfalls als Hintergrundbeschallung in einem portugiesischen Restaurant einsetzen kann, um für ein bisschen Authentizität zu sorgen. Nichts gegen Amalia Rodrigues, Mariza, Carlos da Carmo und all die anderen Künstler, aber Universal Music packt da wahllos zusammen, was im Fado einen Namen hat, presst es randvoll auf die Silberlinge und schmeißt es relativ unmotiviert auf den Markt. Irgendwie klingt mir da ein "Haben wir das auch mal gemacht" hervor. Sehr ambitioniert erscheint mir das Unterfangen nicht. Schade, denn diese Künstler haben es sicher nicht verdient, so verramscht zu werden.
© Karsten Rube


Luke Jackson "...And Then Some"
Opsicle Records, 2008

www.lukejackson.com

Luke Jackson hat sich nach langer Korrespondenz mit einem schwedischen Musiker namens Magnus Börjeson getroffen. Musikalisch lagen sie auf einer Wellenlänge, also kamen sie schnell zusammen ins Studio. Magnus Börjeson spielt Bass, Luke Jackson alles, was Gitarre heißt und singen kann er auch ganz anständig. Herausgekommen ist ein gefälliges poppig rockiges Album, das an die eher seichteren Momente von Ben Folds erinnert. Irgendwo hört man musikalisch auch ein bisschen Schwedenpop im Stile der Cardigans raus, aber Luke Jacksons Stimme gerät nicht so ins Schmelzen, dass man Angst bekommen könnte auszurutschen. "Goodbye London" kommt ordentlich zu Sache. Hier zeigt sich das Gespann von seiner tempogeladenen Britpopseite. Überhaupt überzeugt Luke Jackson auf der CD "... And Then Some" immer dann, wenn er es nicht allzu seicht angehen lässt. Angenehmer Gitarrenpop ist das, was er da produziert hat auf jeden Fall.
© Karsten Rube


Habib Koité & Eric Bibb "Brothers in Bamako"
Contre Jour, 2012

www.habibkoite.com
www.ericbibb.com

Zu einem Gipfeltreffen der besonderen Art kam es im Januar 2012, als sich Habib Koité aus Mali mit dem Amerikaner Eric Bibb in Bamako traf und sie sich auf eine Suche nach den Gemeinsamkeiten in der Musik beider Länder machten. Letztlich fanden sie vieles, das sie verband, wie sie auf der vorliegenden CD "Brothers in Bamako" beweisen. Bibb ist in einer Familie von Folk- & Bluesmusikern im Großraum New York aufgewachsen. Der Blues hat bekanntlich eine Entwicklungsgeschichte, die direkt auf die Zeit der Sklavenjagd zurückgeht. Somit durfte Eric Bibb seine musikalischen Wurzeln in Afrika suchen. Besser konnte er es mit der Wahl seines musikalischen Partners Habib Koité nicht treffen. Koité ist im Senegal geboren und hat nach langen Jahren der Wanderung durch die Studios der Welt Bamako in Mali als neue Heimat gewählt. Beide, Bibb, wie Koité sind meisterhafte Gitarristen, deren zurückhaltender Stil sich vor allem im geschickten Fingerpickig zeigt. Die CD "Brothers in Bamako" verbindet die beiden Seiten des Blues, die afrikanische und die amerikanische harmonisch und zeigt die beiden außergewöhnlichen Musiker auf dem Höhepunkt ihres Könnens.
© Karsten Rube


Karima Nayt "Quoi D'Autre?"
Ajabu Music, 2012

www.karimanayt.com

Die algerische Sängerin und Tänzerin Karima Nayt legt mit ihrem Soloalbum "Quoi D'Autre" ein erstaunliches Debüt vor. Die dreizehn Eigenkompositionen sind Lieder voller Stärke und Selbstbewusstsein und doch randvoll gefüllt mit Gefühl. Dass sie sich dabei durchaus zur musikalischen Tradition ihrer Heimat Algerien hingezogen fühlt, hört man in allen Stücken. Auch europäische Einflüsse bereichern ihre Lieder. Besonders das Akkordeon bringt immer wieder Grüße aus Frankreich hervor. Karima Nayt ist eine hervorragende Botschafterin der arabischen Klangwelt, die es schafft, den Hörer schnell und ohne Umschweife für sich, ihre Musik und ihre Sprache zu begeistern. Poetisch ist die Sprache und klar die Botschaft. In I'didn't know" fragt sie sich, wie es möglich ist, dass die eigenen Nachbarn einem das eigene Paradies niederbrennen. In "Mèli" einem dynamischen Tango stellt sie materielle Werte gegen Liebe und Frieden nebeneinander und fragt sich, was wohl Bestand hat. Flüchtlinge, die es nie schafften, das Meer zu überwinden, das zwischen der aussichtslosen Realität und den unberechenbaren Träumen liegt, ist das Thema des Liedes "Harraga". Karima Nayt besitzt eine sanfte Stimme, die schnell an Intensität gewinnen kann. "Salam" ist ein Lied, in dem ihre Stimme fast zerbrechlich wirkt, dem aber doch eine enorme Kraft innewohnt. Sehnsucht und Wille kombiniert sie mühelos in ihrer Seele. Das Ergebnis fließt ihr aus der Kehle, wie eine Botschaft zum wach und aufmerksam Werden. Ihre Lieder sind die blanken Energietransporter. Wer sie singen hört, findet sich am Ende nicht eingelullt wieder, sondern frisch und voller Lebensmut. "Quoi D'Autre?" ist eine der aufregendsten Musikproduktionen aus der arabischen Welt, die mir in den letzten Jahren untergekommen ist. Vielleicht kann man Karima Nayt leise hören, vielleicht sollte man sie besser laut hören, aber hören sollte man sie unbedingt.
© Karsten Rube


Locarno "Un a Mas Y Ya Nos Vamos"
Jericho Beach Music, 2011

www.locarnomusic.com

Wer in der Musikbranche bereits recht erfolgreich durch die Lande zieht und es sich leisten kann, ohne künstlerischen Selbstmord zu begehen, kommerzielles Denken für eine Weile abzuschalten, der hängt gern mal sein bekanntes Gesicht in den Fundus und versucht sich in der Sparte, die ihm eigentlich am Herzen liegt. Tom Landa ist mit den Paperboys recht bekannt geworden. Mit seinem Projekt Locarno bewegt er sich allerdings in eine etwas andere Richtung, als der des bekannten Folk-Pops. Wer das Cover betrachtet, denkt zunächst, hier feiert der lateinamerikanische Protestsong seine Auferstehung. Doch weit gefehlt, es sei denn, Revolutionen werden heute getanzt. Landa taucht ab in die Gefilde tanzbarer Latinmusik, lässt Funk auf Salsa prallen, spielt mit Cumbia, Mariachimusic und Cuban Son herum, klingt dabei selbst, wie eine Mischung aus Juanes und Raul Paz. Wo er kann, setzt er feurige Bläsersätze ein. Nebenbei hängt sein Himmel voller mexikanischer Gitarren und selbst singt er sich voller Hingabe durch die mit sieben Songs unangemessen kurze, aber ausgesprochen überraschungsreiche CD.title="Contact Author">Karsten Rube


Charlie Morris "The Forest"
Blues Pages Records, 2011

www.charliemorris.com

Da kommt eine Menge bodenständiger Countryblues aus dem Player, wenn man die CD „The Forest“ von Charlie Morris reinlegt. "The Forest" heißt das aktuelle Album des Gitarristen und Sängers, der in Florida geboren wurde und in Tennessee aufwuchs. Seit seiner frühen Kindheit spielte Musik eine Rolle. Bald war er selbst mit verschiedenen Bands unterwegs und landete im Laufe seiner musikalischen Wanderzeit schließlich in der Schweiz. Das ist seiner Musik allerdings nicht anzuhören. "The Forest" ist uramerikanische Countrymusic, wenn man das "ur" in diesem Zusammenhang so anbringen darf. Folkig und mit satten Bluegrasselementen versehen, ist die CD vom ersten Moment an eine wunderbar gradlinige Produktion. Keine Kunst, sondern einfach gut.
© Karsten Rube


Claudia Aurora "Silêncio"
World Village Music, 2011

www.claudia-aurora.com

Hingebungsvollen Fado zu interpretieren ist für beinahe jeden portugiesischen Musiker die Königsdisziplin. Dabei können die Künstler auf einen über die Jahre sehr gut gefüllten Pool von Fadokompositionen zurückgreifen. Die Sängerin Claudia Aurora jedoch beschreitet einen anderen Weg. Zum einen interpretiert sie auf der CD "Silêncio" fast ausschließlich eigenen Kompositionen, zum anderen fährt sie nicht die klassische Fadoschiene, sondern greift auf die Klangvielfalt des Flamenco zurück. So wird die Melancholie des Fado mit der Leidenschaft des Flamencos gepaart, was eine Musik erzeugt, die im Bezug auf gefühlvollen Ausdruck beinahe zu dick aufgetragen wirken könnte. Claudia Aurora gelingt allerdings die Balance zwischen heftiger Rührseligkeit und musikalischer Unterhaltung so gut, dass die CD auf eine erfrischende Weise sentimental ist, ohne kitschig zu werden. Die acht Herren, die sie wie ein kammermusikalisches Ensemble um sich schart, tun ein Übriges, um die CD "Silêncio" zu einer guten Stunde portugiesischer Musik zu machen, die nicht den üblichen Spuren des Fado folgt.
© Karsten Rube


Odessa Express "Russanova"
Oriente Music, 2012

www.odessaexpress.de

Die russische Sprache wurde mir in der Schule mit großer Wucht ins Gehirn gepaukt. Wesentlich schneller suchte ich sie nach der Schule wieder zu vergessen. Zu kantig, zu kratzig erschien sie mir. Wahrscheinlich wirkte sie auf mich, wie die deutsche Sprache auf einen Franzosen oder Portugiesen wirken muss. Jedenfalls war Russisch keine Sprache, mit der ich unterhaltsame und leichte Sommermusik verbinden wollte. Um so überraschender war dann das Erlebnis, als ich "Russanova" vom Odessa-Express hörte. Als großer Freund der Bossa-Nova und des seichten Jazzschlagers zogen meine Augen schon bei den ersten Klängen Wasser. Gennadij Desatnik lebt seine russische Seele in Berlin aus. Berlin als neue Heimatstadt des zugewanderten Musikers hat eine Menge zu bieten. Doch umgekehrt ist diese Beziehung ebenso fruchtbar. Ensembles, wie das Odessa Express bereichern die Kulturszene Berlins und Deutschlands ganz entschieden. Die Liebe zur neuen, die Sehnsucht nach der alten Heimat in der Ukraine und Russland und das Fernweh nach Orten wie Paris oder Rio machen die Musik, die auf "Russanova" erklingt ebenso zu unterhaltsamer Weltmusik, wie zu einer neuen Form von Heimatklängen. In Berlin lebende Russen und Ukrainer dürfte sie dabei vertraut erscheinen. Ans Herz kann sie allerdings auch den nicht russischsprachigen Hörern wachsen. Mit Bossa-Nova, Akkordeon und Schmelz in der Stimme, wirkt die russische Sprache nicht mehr kantig, sondern liebenswürdig. Letztlich ist auch nicht die Sprache entscheidend, sondern das Lebensgefühl, das man damit ausdrücken möchte. Und wenn Gennadij Desatnik mit gebrochenem Deutsch vom Latte Macchiato auf dem Dach singt, davon, dass die Stadt genug Platz für alle und seine Liebe hat und davon, dass der Herbst in Berlin am besten ist, will man sich ihm widerspruchslos anschließen. Je öfter ich die CD höre, umso deutlicher schwimmen auch wieder Erinnerungen an die Sprache in mir hoch und ansatzweise beginne ich, sogar die russischen Texte zu verstehen. Wenn ich also in Zukunft auf seichten Jazzschlager mit einem Hauch Bossa Nova zurückgreifen will, kann ich nun neben Caetano Veloso und Götz Alsmann getrost auch auf den Odessa-Express zurückgreifen.
© Karsten Rube


Luna Blanca "El Dorado"
LunaBlancaMusic, 2012

www.lunablancamusic.com

El Dorado, das sagenumwobene Goldland im Herzen Südamerikas war jahrhundertelang der Traum von Reichtum und Überschwang an exotischen Orten, wie ihn europäische Kolonialisten träumten. Noch heute träumt sich der Fernwehgeschädigte an exotische Orte, an denen er genussvoll an Reichtum, Alkoholmissbrauch, erotischer Selbstüberschätzung und deutscher Reisebegleitung leiden darf, kurz an ein Traumschiff aus purem Gold. Auch Träume brauchen einen Soundtrack. Mit der CD "El Dorado" hätte Wolfgang Rademann, seines Zeichens Produzent der schwimmenden ZDF-Altersresidenz ein passendes musikalisches Hintergrundrauschen, das mit dem eingespielten Meeresrauschen perfekt harmonieren könnte. Luna Blanca ist in Bocholt im westlichen Münsterland angesiedelt. So verrät es ihre Heimseite. Ich kenne Bocholt nicht und weiß nicht, wie nötig es der Einwohner hat, sich dort herauszuträumen. Aber Fernweh ist ein unberechenbares Tier, das einen auch an fernen Orten schlagen kann. "Die Ferne ist ein schöner Ort, doch wenn ich da bin, ist sie fort", sang einst treffend Tamara Danz. Das Fernweh, das Luna Blanca unter dem mehr als unzutreffenden Begriff Nuevo Flamenco musikalisch zelebriert, klingt aber verdächtig nach Neckermannreisekatalog live gelesen in einer Ledercouchgarnitur vom selben Anbieter. Nichts gegen Neckermann, aber bei "El Dorado" wurden aus dem deutschen Plüschteppich soviel weltmusikalische Klischéefussel gebürstet, das selbst ZDF-Sonntagsbraten Andrea Kiewel eher als rassige Kolumbianerin durchgehen würde, bevor diese CD den Eindruck erwecken würde, sie hätte tatsächlich irgendwas mit Flamenco oder vielleicht sogar mit lateinamerikanischer Musik zu tun. Der Gitarrist träumt von seinen musikalischen Vorbildern. Dieser Traum sei ihm ja noch gegönnt, wir träumen ja alle von irgendetwas Unerreichbaren. Der Einsatz der Geschmackspolizei allerdings ist spätestens dann von Nöten, wenn, wie in dem Lied „Kolibri" Kastagnetten und E-Orgel aufgeregt versuchen, das Partyschiff zum Kentern zu bringen. "El Dorado" ist wie ein Traum, aus dem man schweißgebadet aufwacht, sobald auf der CD das letzte Pferdewiehern verhallt ist. (Es ist tatsächlich ein Pferdewiehern.) Für den Hörer endet dann der Traum vom "El Dorado" und er weiß eines ganz sicher: "Wenn die Suche nach Gold solch einen Soundtrack besitzt, ist es kein Wunder, dass Goldsucher häufig vom Wahnsinn befallen werden."
© Karsten Rube


Carolina Chocolate Drops "Leaving Eden"
Nonesuch Records, 2012

www.carolinachocolatedrops.com

Wandert man entlang des Appalachian Trials so gelangt man irgendwann nach North Carolina und zum Great Smoky Mountains Nationalpark. Hier sieht der Osten der USA noch etwas, sagen wir mal naturbelassen aus. Zwar reihen sich Ausflugsorte mit Erlebniswanderrouten in die Natur ein, wie Fastfoodketten in Vororte, doch pflegt die Bevölkerung in den ländlichen und bergigen Regionen noch eine gewisse nostalgisch angehauchte Einfachheit. Carolina Chocolate Drops versuchen diese Einfachheit mit simplen musikalischen Mitteln wiederzugeben, in dem sie sich bewusst der Old Time Music widmen. Die drei jungen Leute wirken wie die Wiederentdecker des abendlichen Jamborees farbiger Wanderarbeiter in den frühen Dreißigern. Banjo, Geige, ein paar Schlaginstrumente, mehr braucht es eigentlich nicht, um ein bisschen nostalgische Partystimmung zu erzeugen. Gelegentlich ergänzt eine Mandoline oder mal ein Cello das Trio. Aber im wesentlichen genügt es dem Trio sich in die Old Time Music hineinzuversetzen und den Hörer gleich mitzunehmen. Dass es sich um junge dynamische Leute handelt, ist die ganze Zeit zu hören und zu spüren und nur, weil sie einen nostalgischen Stil pflegen, muss die CD "Leaving Edan" nicht altmodisch oder verstaubt klingen. Songs, wie "Country Girl" und "Ruby" besitzen deutlich moderne Anklänge und der Song "Leaving Eden" erinnert musikalisch wie stimmlich deutlich an die schönsten Songs von Joan Baez. Die CD "Leaving Eden" ist eine musikalische Entdeckung mit Seltenheitscharakter. Old Fashion Songs alt und jung zugleich klingen zu lassen, gelingt nicht vielen.
© Karsten Rube


Carla Pires "Rota das Paixões"
Ocarina-Music, 2011

www.myspace.com/carlapires

Würde man das nationale Kulturerbe Portugals einer kurzen Analyse würdigen, wäre der Fado sicher eines der bedeutendsten Elemente der Kultur dieses kleinen, aber herzerwärmend vereinnahmenden Landes an Europas westlichem Ende. Wer als Sänger in Portugal einigermaßen ernst genommen werden will, versucht sich sicher irgendwann am Fado. Doch dies ist nicht einfach, denn der Fado erfordert, wie kaum eine andere Musik einen offenen Blick in die Seele des Interpreten. Gefühl, Verletzlichkeit und kompromisslose Hingabe muss man ertragen können, wenn man sich dem Fado verschreibt und er ist nur dann glaubwürdig, wenn er mit Leidenschaft und ohne Berechnung vorgetragen wird. Carla Pires verschreibt sich dem Fado mit großer Hingabe, doch ohne übertriebenes Pathos. Die Sängerin, die 2002 im Musical "Amalia" die junge Amalie Rodrigues spielen durfte ist seit knapp 20 Jahren auf den Bühnen der portugiesisch sprechenden Welt beheimatet. "Rota das Paixões" wurde 2011 veröffentlicht und gibt der Sängerin Gelegenheit ihre Empfindungen preiszugeben. Der Fado der Carla Pires ist leise, kunstvoll und von einer fast schon zerbrechlichen Sensibilität. Ihr fehlt, der bei Fadistas so häufig auftretende Hang zur Übertreibung, zum darstellenden Leid. Gänzlich von zarten, persönlichen Empfindungen ist die CD "Rota das Paixões" geprägt. Nichts Geringeres gelingt Carla Pires, als große Kunst leicht erscheinen zu lassen.
© Karsten Rube


I Muvrini "Imaginà"
Edel Content, 2012

www.muvrini.com

Auf Korsika gibt es eine Karikatur, die die typische korsische Gesangstradition aufs Korn nimmt. Ein Sänger hält sich eine Hand aufs Ohr und singt, ein weiterer hält sich beide Hände auf die Ohren. In dem kleinen korsischen Bergdorf in der Castagniccia, in dem ich letztes Frühjahr meine Ferien verbrachte, wohnte ein alter Mann, einer dieser korsischen Barden, der gelegentlich zum Gesang anhob, was nicht mal schlecht klang. Die meiste Zeit aber saß er vor dem Haus mit seinen Katzen und beobachtete vom Berg aus das Meer. Vielleicht muss man diese Natur erleben, die Ruhe genießen können und vor allem Zeit haben, um mit Leidenschaft laut zu singen, egal wie weit die Nachbarschaft das erträgt. Die korsischen Edelbarden von I Muvrini sind wohl die bekanntesten Vertreter der singenden Zunft Korsikas. Jahrelang haben die Gebrüder Bernardini, die ebenfalls aus einem kleinen Dorf in der Castagniccia stammen, die korsische Tradition hochgehalten, Volklieder interpretiert, korsische Gesänge zelebriert, ihre Heimat besungen. Erfolgreich wurden sie und reisten um die Welt. Mit "Imaginà" legen sie nun ein weiteres Album vor, ein Album, auf dem sie so klingen, als hätte sie ein deutscher Regionalsender in eine Heimatsendung mit Musik eingeladen und ihnen freundlicherweise einen regionalen E-Orgelspieler zur Seite gestellt, der ihre Lieder begleitet. Dieses Album "Imaginá" ist bis zum Rand mit musikalischem Kitsch vollgestopft, dass man sich hinterher mit Wattestäbchen die Ohren sauber machen muss. Was einst als authentische Traditionsmusik begann, ist nun nichts anderes als kommerzielle Anbiederei. So billig arrangierte Songs habe ich bestenfalls mal im Fernsehgottesdienst gehört. Als besonders prägnant sei das Lied "Pietà" hervorgehoben. Sofort muss ich an die Karikatur aus Korsika denken. Da höre ich mir lieber wieder den jodelnden korsischen Nachbarn mit offenen Ohren an. Der verzichtet wenigstens auf das E-Orgelgewimmer. Die CD „Imaginá“ von I Muvrini ist der Tiefpunkt der musikalischen Entwicklung dieser korsischen Kapelle. Zieht einem die Schuhe aus, die CD.
© Karsten Rube


Knoxville Jazz Orchestra "Christmas Time is Here"
Own label, 2012

FolkWorld Xmas

www.knoxjazz.org

Manchmal glaubt man ja wirklich, die Amerikaner hätten Weihnachten erfunden. Das ist so sicher nicht richtig, aber sie haben es auf eine Weise kultiviert, die wir Europäer oft genug mit einer Mischung aus Faszination und Grauen betrachten. Aber seien wir mal ehrlich, ganz entziehen wollen wir uns doch dem kitschig, klebrigen Glanz amerikanischer Weihnachten auch nicht. Oder? Der dicke Weihnachtskuchen mit Sahnehäubchen, Schokostreuseln drüber und einer Kirsche oben drauf und jetzt kommt es, einem Waffelkeks in der Sahne und ein paar bunten Zuckerkrümeln, die ein Herz bilden - das in etwa ist die kulinarische Entsprechung zur Weihnachts-CD des Knoxville Jazz Orchestras. Was sie auf der brillanten CD "Christmas Time is Here" veranstalten ist quasi eine Cholesterinvergiftung in Noten. Satte Bläsersätze, zum Niederknien durchtriebene Arrangements lassen einen glatt wieder an den Weihnachtsmann glauben. Dass ich ein Basssolo und ein paar Saxofoneinsätze mit dem Eintreffen des fliegenden Rentiers in Verbindung bringe, ist mir bisher noch nicht passiert. "Little Town of Bethlehem" gesungen von der hinreißenden Jill Andrews erinnert ein bisschen an die Muppets, wäre da nicht das Flügelhorn, das das Lied für einen Moment aus dem klebrigen Plüschtheater in die Rauchigkeit eines Jazzclubs zerrt. "Go tell it to the Mountain" wird wahrhaftig mit einem Harmonium oder besser mit einer Hammondorgel, mit Harmoniumregister gespielt. Man sucht schon nach dem Gesangsbuch der Großmutter, als plötzlich die ganze Bigband aus dem trägen Gospelsong eine teuflisch gute Jazznummer macht. Und so geht es Song für Song weiter. Wem die Weihnachtszeit irgendwann zu besinnlich wird, sollte sich die bombastische Jazzweihnacht des Knoxville Jazz Orchesters auf keinen Fall entgehen lassen. Hier lässt der Weihnachtsmann echt die Hosen runter. (Ein Segen, dass er einen Mantel trägt.)
© Karsten Rube


Bob Johnson "Graj, Panu, Graj"
Polonia Music, 2011

FolkWorld Xmas

Wenn man in den USA nicht gerade die Musik der Indianer hört, dann hat fast die gesamte amerikanische Musik einen Migrationshintergrund. Ein bedeutender Teil ist zweifelsohne die Musik, die die europäischen Einwanderer eingeschleppt haben. Bob Johnson ist ein Folkgitarrist aus Buffallo im Bundesstaat New York. Er ist ein polnisch stämmiger Amerikaner und seine Wurzeln graben sich speziell zur Weihnachtszeit immer wieder durch. In der großen Zuneigung zur polnischen Weihnacht hat er nun ein Album eingespielt, auf dem er das weihnachtliche Polen auf seiner Gitarre wiedergibt. Alle Stücke sind traditionelle polnische Weihnachtslieder, harmlos und harmonisch wiedergegeben, aber leider auch etwas einfallslos. Es ist für die späten Abendstunden des Weihnachtsabends gemacht, wenn die weihnachtliche Gemütlichkeit die Augenlieder schwer werden lässt. Ich glaube ja, dass die Polen ihr Weihnachtsfest etwas lebendiger feiern, als es Bob Johnson in seiner Fantasie möglich macht. Besinnlichkeit sollte nicht zwangsläufig einschläfern. Mit Bob Johnsons CD „Graj, Panu, Graj“ passiert einem so etwas aber.
© Karsten Rube


Golec uOrkiestra "Kolędy i Pastorałki" [2 CDs]
Golec Fabryka, 2009

FolkWorld Xmas

English CD Review

www.golec.pl

Bezug: www.pigasus-shop.de

Gerade mirakelte ich noch über eine Weihnachts-CD herum, die ein amerikanischer Folkmusiker mit polnischem Einwanderungshintergrund, aufgenommen hat und in dessen Fernweherinnerung die polnische Weihnacht in sehr sentimental geratene Erinnerungsfetzen herabhing. Das war mir doch ein bisschen zu schnarchig. Ganz anders hingegen sind die Weihnachtslieder, die das Golec Orkiestra aus den polnischen Karparten auf der Doppel-CD "Koledy I Pastoraliki" auspacken. Die polnischen Weihnachtslieder gelten als sehr melodiös, wie man auf diesen schönen Weihnachstplatten ausgiebig nachvollziehen kann. Die erste CD gibt einen Überblick über traditionelle polnische Weihnachtslieder, die zweite widmet sich den eher religiösen Weihnachtsliedern. Das polnische Weihnachtsfest wird von familiären Traditionen, religiösen Riten und ausgesprochen gutem und üppigem Essen bestimmt. Dazu wird viel gesungen. Das polnische Weihnachtsfest ist also nicht nur ein den Traditionen verpflichtetes Fest, sondern vor allem auch ein fröhliches.
Dazu passt die Musik von Golec ganz gut, auch wenn sie manchmal etwas ins Alberne abdriftet und ein bisschen viel Rumtata aufweist. Trotzdem macht es Spaß zwischen Besinnlichkeit und Festlichkeit hin und her zu schaukeln. Golec verwendet Volksmusik aus dem Karpartenraum ebenso großzügig, wie Pop und Jazz. Dieses polnische Weihnachtsalbum ist eine Art Breitbandantibiotikum gegen lauernde Weihnachtsdepressionen. Und auch wenn ich außer dem Wort Bethlehem nichts verstehe, fühle ich mich von dieser freundlichen polnischen Weihnachtsproduktion angenehm festlich eingestimmt.
© Karsten Rube


Mazowsze "Koledy Polskie"
MTJ, 2009

FolkWorld Xmas

www.mazowsze.waw.pl

Bezug: www.pigasus-shop.de

Richtig ernst gemeint ist die CD „Koledy Polskie“ vom Ensemble Mazowsze aus Masowien, also der Region, die sich entlang der Weichsel und rund um Warschau erstreckt. Mazowsze gehörte einst zum wichtigsten musikalischen Exportgut der VR Polen. Das Ensemble repräsentierte das polnische Volksmusikgut im Ausland und brachten damit dringend benötigte Devisen in das Land. Heute ist es vielleicht nicht mehr die bedeutendste Musikgruppe Polens, doch immer noch ein einflussreiches und mitgliederstarkes Ensemble von einer stimmlichen Wucht, die ihresgleichen sucht. Die CD "Koledy Polskie" versammelt einige der wichtigsten polnischen Weihnachtslieder aus Tradition und Religion. Akustisch ist es ein gesungener Weihnachtsgottesdienst. Dass dies auf Polnisch geschieht und ich wieder mal nichts verstehe ist dabei nebensächlich, denn der Geist der Weihnacht funktioniert in jeder Sprache. Eine sehr anheimelnde Aufnahme, die am Weihnachtsabend durchaus seinen Platz in der musikalischen Untermalung des Festes haben kann.
© Karsten Rube


Stanislava Gabriela & Jan Preucil "Neseme Vam Tú Novinu"
Indies Scope, 2011

FolkWorld Xmas

www.myspace.com/cmstanislavagabriela

Diese CD ist zugegeben ein wenig gewöhnungsbedürftig. Zumindest für deutsch hörende Ohren. Ganz wunderbare Weihnachtslieder mit Hackbrett, Streichern und Bläsern im besinnlichen Stil eines musikalisch ambitionierten Weihnachtsgottesdienst sind auf dieser CD zu hören. Es sind Weihnachtslieder aus der mährisch-slawischen Tradition, gespielt mit großer Professionalität und gesungen mit energischer Leidenschaft. Unterbrochen werden die einzelnen Lieder vom gesprochenen Lukasevangelium auf Tschechisch. Es liest Jan Preucil, ein Schauspieler, der auch immer wieder in deutschen Produktionen zu finden ist, wie "Schlafes Bruder" oder "Stalingrad". Da ich des Tschechischen nicht mächtig bin, was ein bisschen Schade ist, da ich die Sprache sehr mag, entgeht mir viel vom Zauber dieser Platte. Ich muss mich auf die Musik beschränken. Diese jedoch ist so schön, wie ein tschechischer Märchenfilm. Man kann sich sorglos fallen lassen und die Musik genießen. Und das Lukasevangelium kann man sich synchron dazu selbst durchlesen.
© Karsten Rube


Pust "Julero"
Kirkelig Kulturverksted, 2011

FolkWorld Xmas

www.pust.org

Da hat man gerade noch den Grill im Garten geputzt, schon läuten von gar nicht so fern wieder die Weihnachtsglocken. Wie doch die Zeit eilt. Eilt man mit? Es bleibt einem ja kaum etwas anderes übrig. Doch Weihnachten, ja, das ist doch die Zeit des Innehaltens, der Stille, des sich Besinnens. Es muss erst ein offizielles Fest nahen, das einen zum Bremsen verleitet. Und das gibt es, wenn auch nicht geräuschlos, so doch mit der passenden Musik. Während sich also im Radio die Weihnachtshits um die geistige Umnachtung des kommerziell abhängigen Weihnachtsjüngers reißen, findet sich der Geist der Weihnacht in ganz anderen, leiseren Tönen. Pust stammen aus Norwegen. Die Musik ihres Weihnachtsalbums "Julero" ist besinnlich, zurückhaltend, schön, bisweilen andächtig und manchmal von einem leisen Zuckerguss aus Kitsch überzogen. Doch ist es ein Zuckerguss, der zum Lächeln verführt, ohne Zahnschmerzen zu verursachen. "Julero" bedeutet "Weihnachtsstille". Still bleibt auch die Instrumentierung, denn die Musik von Pust ist A-Capella. Traditionelle Weihnachtslieder und eigene Kompositionen lösen sich in schöner Regelmäßigkeit ab. Der Geist der Weihnacht verzaubert mit Stimmen und Melodien. Dass alles in Norwegisch gesungen wird, spielt keine Rolle, denn die Stille Nacht erkennt man in jeder Sprache.
© Karsten Rube



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