FolkWorld #59 03/2016
© Walkin' T:-)M

Spannungen und Entladungen

Um die Jahrtausendwende macht sich eine Gruppe Musiker mit dem exotischen Bandnamen Äl Jawala und einem noch exotischerem Stilmix aus dem badischen Breisgau auf, um die Welt zu erobern. 15 Jahre später blickt Perkussionist Markus Schumacher auf eine aufregende und zufriedenstellende Reise zurück.

Äl Jawala: Blast Your Ghetto

»... ein Garant für
zertanzte Füße ...«

Markus Schumacher: Am Anfang waren wir als Quartett unterwegs oder besser gesagt einem Doppel-Duo: zwei mal Percussion (Daniel Pellegrini und ich, Markus Schumacher) und zwei mal Saxophon (Stefanie Schimmer und Krischan Lukanow). Sehr reduziert - aber dadurch auch recht speziell... Musikalisch war es eine Mischung aus afrikanischen Rhythmen, orientalischem Gypsy Brass und elektronischer Musik - zumindest was die Arrangements anging -, der Sound war aber 100% akustisch. In diesen Jahren haben wir hauptsächlich auf der Straße gespielt, haben unsere selbstgebrannten und handkopierten CDs verkauft und sind so im VW Bus durch Deutschland, die Schweiz und Südfrankreich gezogen.

In den ersten zwei Jahren fühlten wir uns quasi alleine mit diesem Fusion Sound, doch nach und nach tauchten andere Bands auf, die ähnliche Ideen hatten, z.B. Balkan Beat Box. 2004 kam Daniel Verdier am Bass dazu und wir fingen langsam an Drumset und Keyboards zu integrieren. Nun konnten wir die elektronischen Klang-Ideen umsetzen, die davor eigentlich nur in unseren Köpfen existiert hatten. Später lernten wir Shantel kennen und wir luden uns gegenseitig zu gemeinsamen Konzerten und DJ Sessions ein. Die "Balkan Szene" wuchs sehr schnell und bald hatte jede Stadt ihre eigene Party-Reihe.

Äl Jawala

Artist Video Äl Jawala @ FolkWorld:
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www.jawala.de

Was uns stark geprägt hat, waren sicher unsere Konzerte in Rumänien, Bulgarien und der Türkei. Dort haben wir noch mal sehr viel über die Wurzeln der osteuropäischen Musik erfahren. Und vor allem konnten wir unsere Musik danach mit ganz anderen Ohren hören! Denn die Menschen im Osten nehmen eher den "elektronischen", rockigen Aspekt in Äl Jawala war. Die Menschen im Westen hören dagegen vordergründig die "exotischen" östlichen und orientalischen Elemente.

Tom Keller: "Balkan Big Beats" habt ihr eure Musik anfangs genannt...!?

Markus: "Balkan Big Beats" trifft es immer noch ganz gut, auch wenn es in Bezug auf alle Einflüsse stark vereinfacht ist. "Balkan" steht für alle "archaischen", traditionellen, orientalischen Elemente - Trubaci, Rembetiko, rumänische Folklore, Musik der Roma. Künstler, die uns in den Anfängen hauptsächlich beeinflussten waren Rabih Abou-Khalil, Goran Bregovic und Bands wie z.B. das Kocani Orkestar.

"Big Beats" steht für alles, was "neu" ist, was kombiniert wird, was aus der Sub- und Clubkultur kommt und mit dem wir selbst aufgewachsen sind: z.B. Grunge, Elektro, Hip Hop, etc. Im Laufe der Jahre kamen da noch viel mehr Einflüsse dazu. Vor allem Reggae, Ska und andere karibische Elemente und auch neuen Stile der Clubmusik wie zum Beispiel Dubstep oder Electro Swing. Wir sind grundsätzlich einfach angezogen von neuen Kombinationen, Spannungen und Entladungen, die passieren, wenn verschiedene Stile aufeinander treffen.

Tom: Von Emmendingen bis Shanghai, Creole-Festival für Weltmusik und rumänisches Fernsehen, Bucovina Club, Fanfare Ciocarlia und Emir Kusturica ... Es sind einige interessante Stationen in der Bandgeschichte zu benennen. Was ist persönlich in besonderer Erinnerung geblieben?

Da gibt es viele Momente - im Prinzip die Situationen, in denen wir etwas komplett Neues gemacht haben: Die Spannung, bevor wir 2005 das erste Mal in Rumänien oder Bulgarien auf einer Bühne standen. Oder ein Konzert in einem Pariser Gefängnis, wo wir vor hauptsächlich nordafrikanischem und osteuropäischem Publikum gespielt haben, das dann im Laufe des Konzertes das vorher ausgesprochene Tanzverbot vor den Augen der "Aufpasser" ausser Kraft gesetzt hat... Oder in China, wo 4000 Menschen, die uns noch nie zuvor gehört haben, nicht nur jede Aufforderung zum Springen mitmachten, sondern auch jeder kleinen Nuance der Musik folgten und teilweise kollektives Raunen durch die Menge ging, wenn eine Steigerung oder ein Break gut gespielt wurde.

Äl Jawala: Live

»... eine Herausforderung
für die Schweißdrüsen ...«

Klar ist es auch immer etwas besonderes auf andere Künstler zu treffen. Zum Beispiel Shantel lief zufällig an uns vorbei, als wir Straßenmusik in Strassburg machten. Wir lernten uns kennen und luden uns gegenseitig in unsere Heimatstädte zu Konzerten und DJ Sessions ein und es entwickelte sich eine langjährige Zusammenarbeit, bei der ich Keyboards auf seinen Alben einspiele und die Demotracks gestalte. Ein weiteres Highlight war unser Konzert in Jordanien, wo wir zum Jerash Festival eingeladen wurden und dort in einem antiken Amphitheater gespielt haben.

Die ersten Tonträger waren allesamt Konzertaufnahmen, bevor 2009 das erste Studioalbum erschienen ist. Wie kam das?

Wir haben in den ersten Jahren nur Live-Aufnahmen gemacht, weil es genau das eingefangen hat, was wir am besten konnten: Auf der Bühne alles geben! Das war wild, spontan und ungehobelt. Irgendwann hat uns dann einfach der Ehrgeiz und die Lust gepackt, im Studio einen Schritt weiter zu gehen. Bei "Asphalt Pirate Radio" haben wir dann, glaube ich, einfach das gemacht, was eh schon immer als Grundgefühl in unseren Hinterköpfen mitgeschwungen ist, während wir 100% handgemachte Live-Musik gemacht haben: Elektronische Einflüsse, Grunge, Samples (wir haben Straßenmusik-Aufnahmen eingebaut), Verzerrer auf die Bässe und natürlich die Gastvocals von Delhia De France von den Pentatones. Letzten Endes ist ein Studio Album, das man aufnimmt, arrangiert, schneidet und sound-gestaltet auch immer ein gewaltiger Lernprozess.

Nach dem 2013er-Live-Album, mit dem quasi Zwischenbilanz gezogen wurde, folgte die »Black-Forest-Voodoo«-EP-Reihe. Was war da der Sinn und Zweck?

Äl Jawala

Nach dem Live Album 2013 - der letzten Veröffentlichung der Blast Your Ghetto Reihe - war bei uns musikalisch alles offen - in alle Richtungen! Wir haben ausgiebig experimentiert! Um mehr Freiheit zu haben, wollten wir dann erst mal "kleine" Releases machen. Das hat es uns ermöglicht, uns selbst nicht ganz so "ernst" zu nehmen bei jeder Veröffentlichung. Eine Art Selbstfindung - die ja auch im "richtigen" Leben manchmal bedeutet, sich für etwas zu entscheiden und andere Dinge sein zu lassen. Jeder von uns hat seine musikalischen Schwerpunkte, die in den Sessions durchscheinen: Steffi liebt Reggae und Dancehall, Pelle steht auf Elektro, Krischan auf Funk und Soul, Daniel ist unser Rocker, und ich bin der, der meistens die traditionellen Elemente einbringt.

Nie hatten wir so viel Songmaterial gesammelt, so viel gejammt, in alle Richtungen Spaß gehabt, um es dann aber auch einfach wieder zu verwerfen. Der Name Black Forest Voodoo steht dabei für eine Art "Ich-Bezogenheit". Zurück zu den Wurzeln, unserer Heimat. Der Schwarzwald - irgendwie auch als nahe liegendes Gegenstück zum Begriff "Balkan". Und wir haben uns darin vorgestellt - wie ein unentdecktes kleines Naturvolk; ein Überbleibsel Wildnis; ein kleiner Stamm, der seinen alten Traditionen noch verbunden ist. Wer stets offen für neue Einflüsse ist, wie wir es sind, der braucht ein starkes Fundament, um nicht beliebig zu klingen. Und ich denke, es ist uns in dieser Phase gelungen, uns dort zu verankern, wo wir uns schon seit unserer Gründung wohlfühlen - unabhängig von irgendwelchen Trends und Geschmäckern.

Nun ist das neue Studioalbum "Hypnophonic" erschienen! Darf der Hörer etwas Anderes und Neues erwarten?

Für mich ist der größte Unterschied zu den Vorgänger-Alben, dass Hypnophonic trotz aller Tanzbarkeit, allgemein etwas gelassener, entspannter, "deeper" klingt. Es gibt zwar auch die schnellen Songs wie Dancefloor Dervish, doch selbst der klingt irgendwie erdig und relaxt in meinen Ohren. Soundmässig ist uns dank der Zusammenarbeit mit Vicente Celi (Phlexton Studios) wirklich ein guter Schritt gelungen, finde ich. Wir waren noch nie so zufrieden mit dem Gesamtklang eines Albums.

Äl Jawala: Hypnophonic

»Extrem tanzbare Platte,
die Balkanbeat & Dance-
floor auf sehr sympathi-
sche Weise verschweißt.«

Unsere anderen Alben waren ja größtenteils instrumental. Bei Hypnophonic gibt es auf dem ganzen Album nur zwei Stücke ohne Gesang! Das war gar nicht von Anfang an so geplant - aber letzten Endes haben wir Gastsänger/-innen aus der ganzen Welt eingeladen: Bayan Faroun aus Jerusalem/Palästina, Mamoudou Doumbouya aus Guinea, Flo Mega aus Bremen und Rukie (über deren Herkunft wir nichts sagen dürfen). Steffi, unsere Saxophonistin, singt zum ersten Mal die Leadstimme bei zwei der Songs und beim Stück Be Anybody haben wir etwas experimentiert und zwölf verschiedene Vocals gleichzeitig und abwechselnd aufgenommen.

Klingt gut! Aber wie werden denn die Stücke live zu hören sein - ohne Gastvokalisten?

Wir spielen fast alle Stücke von Hypnophonic im neuen Programm, mit dem wir jetzt auf Tour sind. Steffi, unsere Saxophonistin, singt nicht nur "ihre" eigenen Songs, sondern auch viele der Songs, die wir mit Gästen aufgenommen haben. Für uns eine ganz neue und gute Erfahrung, da es uns eine ganz neue Welt öffnet, mit Vocals zu arrangieren.

Wir freuen uns auf die vielen Konzerte in ganz Deutschland und der Schweiz, die jetzt im Frühjahr anstehen! Und darauf wie die Songs dabei wachsen und reifen werden! Dann kommt die Festivalsaison. Frankreich und Rumänien sind auch in Planung. Wir werden also viel unterwegs sein....


Dank dem Vertrieb Soulfire Artists ist FolkWorld in der Lage, mehrere 'Hypnophonic' CDs zu verlosen.

Verlosung abgeschlossen!



Photo Credits: (1)-(5) Äl Jawala (unknown/website).


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