Aller Anfang ist schwer. Aber jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Und wenn man an diesem Punkt schon wüsste, was da für eine Blume gedeiht...
Bereits mit zweieinhalb Jahren in der Mitte der dreißiger Jahre begeistert Peter Rohland als Varieté- und Bettel-Sänger in den Berliner Hinterhöfen.
Wo immer Musik war, da rannte er hin und war nicht mehr wegzukriegen, erinnert sich die Mutter:
1952 entdeckt Peter Rohland die Burg Waldeck, zentrale Anlaufstelle der bündischen Jugendbewegung. Fortan ersetzt die Jungenschaft für Rohland, nunmehr Pitter genannt, die Familie und das alte Leben. Er schreibt in sein Tagebuch: Das Jungenschaftliche ist das Herumexperimentieren auf allen Gebieten, die für den persönlichen Reifeprozess wichtig sind. Es ist ein Bund der Kritischen. Auf ihre Paniere geschrieben haben sie: Toleranz - Freiheit - Verantwortung - Achtung vor dem Anderen.
Zwischen Abitur und Studium (erst Jura in Tübingen, dann Musikwissenschaft in Berlin) fällt die für die Bündischen typische Orientfahrt, die Pitter bis nach Basra führt. Daneben (oder vor allem) arbeitet er an Musikprogrammen, da ihm da Geklampfe am Lagerfeuer längst nicht mehr genug ist. Ende 1962 erscheint bei Thorofon (Verleger Helmut König)[76] seiner erste Schallplatte.
Pitter fragt den Hanno Botsch, ob dieser mit seiner Geige mitmachen wolle, und tourt im Sommer 1963 mit seinem Jiddisch-Programm "Der Rebbe zingt" durch die Bundesrepublik.
Fast 60 Jahre später schreibt Hanno Botsch, der zwischendurch als Arzt tätig gewesen ist und erst im neuen Jahrtausend ein eigenes Programm mit jiddischen Liedern erarbeitet hat, seine Erinnerungen nieder. Peter Rohland: Biographie • Erinnerungen, Tagebücher, Reflexionen ist eine redliche Lebensbeschreibung Peter Rohlands geworden. Botsch hatte noch 1985 ein Interview mit Pitters Mutter geführt und Zugang zu Briefen und vor allen Dingen zu Pitters Tagebüchern. Er, der nie viel über sich redete, diesem Tagebuch vertraute er vieles an: Gedanken, Pläne, Gefühle, auch Poesie!
Als ob er geahnt hätte, dass ihm nur wenig Zeit verbleiben sollte, schlug er ein enormes Tempo an: Bereits 1963 überaschte er mit einem neuem Programm, zur Abwechslung überwiegend fröhlichen Balladen von Landstreichern und Handwerksgesellen, die er in Liedersammlungen wie dem Ostwald gefunden hatte.[26]
Um den Jahreswechsel 1963/64 war er Initiator und Mitorganisator des Chanson Folklore International auf der Burg Waldeck,[32] das das Sprungbrett für Liedermacher wie Degenhardt, Süverkrüp und Mey sein sollte. Auch Pitter wurde dabei klar, dass ein Programm mit eigenen Liedern her musste. Liedertexte verfasste er aber nicht, er schrieb Gedichte, also entschied er sich für Vertonungen und entdeckte François Villon in den Nachdichtungen von Paul Zech.
Auf dem Waldeck-Festival 1965 sang Pitter vier seiner Villon-Vertonungen und aus seinem neuen Programm Deutscher Volkslieder: heitere und deftige Moritaten des 14.-16. Jahrhunderts, sowie Lieder, die die gängigen Liederbücher verschweigen. Deserteur-Balladen als auch Lieder des Weberaufstands und der 1848er-Revolution fand er in der monumentalen Kompilation von Wolfgang Steinitz "Deutsche Volkslieder demokatischen Charakters aus sechs Jahrhunderten".[32]
Die meisten dieser von Pitter zu Tage geförderten Lieder wurden erst ein Jahrzehnt später wieder von der in den siebziger Jahren in Mode gekommenen Folkbewegung aufgegriffen. Pitter selbst konnte die Ernte nicht mehr einholen. Er verstarb unerwartet mit nur 33 Jahren an einem Schlaganfall. Ein bisschen wurde wieder der Nebel um die Person Peter Rohland gelichtet, und in Deutsch-Folk und Klezmer weit verbreitete Lieder aus der Geschichtslosigkeit geholt. Danke dafür!
Als Peter Rohland das Zeitliche segnet, ist Bob Dylan gerade in Europa unterwegs - begleitet von den Judas- und Go-Home-Rufen enttäuschter Fans. Im Jahr zuvor hat er sich mit den beiden LPs
"Bringing It All Back Home" (eines der ersten Folk-Rock-Alben) und "Highway 61 Revisited" (laut Rolling Stone Magazin das viertbeste Album aller Zeiten) vom Folk- und Protest-Lied abgewandt.
Dylan nimmt den Aufruhr im Publikum scheinbar gelassen und fordert The Band auf, lauter zu spielen. Zu diesem Zeitpunkt weiss aber auch er noch nicht, dass es eine Erfolgsgeschichte sein wird.
Diese Aussage von Wolfgang Niedecken über Herrn Robert Allen Zimmermann alias Bob Dylan muss man vielleicht nicht hundertprozentig für bare Münze nehmen, zu verschieden ist letztendlich das Œuvre des BAP-Frontmanns[42] in der Disziplin Deutschsprachige Rockmusik verglichen mit den Wandlungen Dylans vom Folk- und Protestmusiker über den Countrymucker und wiedergeborenen Christen bis zum rockenden Literaturnobelpreisträger auf endloser Konzerttour.
Dass die damalige Journaille den jungen Niedecken oftmals als "kölschen Dylan" zu bezeichnen pflegte, ist zunächst nicht mehr als eine Kuriosität; geschuldet einer tiefsitzenden Einstellung, alles in Schubladen stecken zu müssen, und mangels anderer brauchbarer Bezeichnungen. Der Name Jagger war für Gerd Köster (damals Schröder Roadshow,[38] heute Köster & Hocker)[66] reserviert; Springsteen hätte in der Frühzeit überhaupt nicht gepasst; Guthrie[66] ist hierzulande nur den intimsten Kennern der nordamerikanischen Folkmusik ein Begriff, dabei ist es gerade diesem Singer-Songwriter zu verdanken, dass Bob Dylan überhaupt die Gitarre in die Hand genommen hat.
Das Debütalbum "Wolfgang Niedecken's BAP rockt andere kölsche Leeder" von 1979 lässt allerdings durchaus Parallelen erkennen. Es enthält überwiegend intellektuelle, wortreiche und langatmige (aber nicht langweilige) Songs mit tausendundeiner Strophe. Später werden Dylan-Songs wie "Like A Rolling Stone", "One Too Many Mornings", "Senor" und "Every Grain of Sand" eingekölscht; und es ist wahrscheinlich weder Schicksal noch Dusel, dass "Zofall un e janz klei' bessje Glöck" in ganzen Textpassagen an "Simple Twist of Fate" erinnert.
Niedeckens zweites Solo-Album "Leopardefell" (1995) war dann vollumfänglich eingekölschten Cover-Songs gewidmet. In den launigeren Momenten wird dabei der "Highway 61" zum "Nürburgring", "License To Kill" zu "Nix andres em Kopp", der "Leopard Skin Pillbox Hat" zum "Leopardefellhoot"; und "Vill passiert sickher" ("My Back Pages") mutiert im Jahre 2003 zum Titel des BAP-Films.
Skurril ist womöglich, dass Herr und Frau Niedecken eine ihrer Töchter nach dem Dylan-Song "Isis" benannt haben. Em Äänz?! Ganz in demselben hat Wolfgang Niedecken jedenfalls den ersten Teil der Dylan-Autobiographie "Chronicles" als Hörbuch eingesprochen. Für die mehrteilige ARTE-Dokumentation "Bob Dylans Amerika" begibt er sich höchstpersönlich zu den Wirkungsstätten und Inspirationsquellen des Künstlers in den Vereinigten Staaten.
Diese Exkursion bildet auch den Rahmen für das essayistisch angehauchte Wolfgang Niedecken über Bob Dylan, passenderweise zu Niedeckens 70. Geburtstag im März und Dylans 80. Ehrentag im Mai. Er ist mit Herz und Seele bei der Sache, auch wenn wir mehr über Niedecken & BAP als über Dylan erfahren. (Das ähnelt also dieser Rezension.) Mit Schwänken und Döneken nähert er sich Opus und Vita des "Meisters", der zum richtigen Zeitpunkt am rechten Ort war, um das, was für uns heute wie selbstverständlich zusammengehört, zu vereinen - den Geist der Folkmusik, den Nonkonformismus der Beatniks und den Rhythmus des Rock'n'Roll.
Fazit der Lektüre: Kennt man alles schon, aber nicht aus diesem Blickwinkel, und dadurch unterhaltsam und kurzweilig!
Photo Credits:
(1ff) Book Covers, (3) Peter Rohland,
(4) Bob Dylan
(from website/author/publishers).