FolkWorld Ausgabe 42 07/2010; Buchrezensionen von Walkin' T:-)M
T:-)M's Nachtwache Songs & Tunes |
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In den Jahren 1816/17 kam es in einigen Regionen Europas zu Hungerkatastrophen. Schuld war der Ausbruch des Vulkans Tambora auf Indonesien, dessen Emissionen zu Missernten führte und die erste große deutsche Auswanderwelle auslöste. Was zeigt, dass ein Vulkanausbruch nicht notwendigerweise Stillstand und Immobilität bedeuten muss, sondern auch in Bewegung setzen kann.
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Hier hat man täglich seine Noth, Band 4 einer zusammen mit dem Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg herausgegebenen Liederbuchreihe, beschäftigt sich mit den musikalischen Hinterlassenschaften deutscher Auswanderer. Die meisten zog es - permanent oder nur vorübergehend - nach Nordamerika. Ein typisches Stück ist folgendes vor 1717 entstandene Abschiedslied:
Man spricht so viel von einem Land, Dacht' ich in meinem Sinn, Amerika wird es genannt, Da will ich auch noch hin. Ein jeder schreibt, dass dort zu Land, Das Gold so liegt wie hier der Sand, Und was das schönste sey Die Freyheit auch dabey. |
Das traditionelle "Muss i denn, muss i denn zum Städele hinaus" aus dem Odenwald kennt jeder, seitdem es ein amerikanischer G.I. zurück nach Europa gebracht hat, das meiste hier versammelte Liedgut war mir aber unbekannt. Neben den charakteristischen Klagen dieser Liedgattung hat Herausgeber Werner Hinze (FW#26, #30) aber auch Stücke wie das satirische "Bibel und Flinte" hineingenommen, mehr ein politisches Lied über die deutsche Kolonialpolitik.
Was treiben wir Deutsche in Afrika? Die Sklaverei wird von uns allda zerstört Und wenn so ein Kaffer von uns was will, Den machen wir flugs auf ewig still Piff! Paff! Piff! Paff! Hurra! O glückliches Afrika! Wir haben gar schneidige Missionär, juchhei! Den Branntwein, den Krupp und das Mausergewehr, die drei! So tragen Kultur wir nach Afrika Geladen! Gebt Feuer! Halleluja! Piff! Paff! Piff! Paff! Hurra! O glückliches Afrika! |
Hinzes eigene schaurige Moritat von "Karl Pistorius" soll hier nicht verschwiegen werden:
Zu Freiburg lebt und tat viel Buß' Der Pfarrer Karl Pistorius Er, der zu Freiburg Pastor war Das Gute wollt' er immerdar Daselbst wohnt auch ein Mägdelein Die wollte gern Frau Pastor sein Verlockt ihn eines Abends spat Ein Knäblein war das Resultat Die Schand ertrug der Pastor nicht Er bracht mit einem Kirchenlicht Das neigeborne Knäblein um Entsetze dich, o Publikum Dem Tod durchs Rad entging der Pistor Er schifft sich ein nach Baltimore Und büßet dort im fremdem Land Die Schuld als Essigfabrikant |
Das Liederbuch enthält 48 Lieder mit Noten, Texten und großteils Akkorden. Dazu kommen historische Hintergrundmaterialien, zusammengehalten von der Schilderung Franz Ennemosers, der 1859 in die USA emigrierte. Ein Lexikonteil behandelt Themen von Achtundvierziger (die Revoluzzer von 1848/49 -> #37) bis Zwei Brüder wollten wandern, die aber 1883 mit dem Schiff vor der Insel Borkum untergingen.
Das bekannte Auswandererlied "Ein stolzes Schiff" des Hamburger Arbeiterdichters Heinrich Schacht findet man auch in einem anderen Projekt, dessen sich Werner Hinze angenommen hat.
Die Historisch-politischen Lieder aus acht Jahrhunderten sind sowohl für den politischen wie für den musikalischen Unterricht geeignet. Es wurden Lieder zusammengetragen, die eine historisch bedeutsame Situation im Kern erfassen und erhellen helfen und in der Tat mehr von Volkes Meinung und vom Leben der Namenlosen als manche Textquelle vermitteln.
Diese Neuauflage baut auf einem Heft der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg aus dem Jahre 1987 auf, wurde in einem zweiten Schritt von Jochen Wiegandt (Mitbegründer von Liederjan) mit Liedern aus Nordeutschland ergänzt und jetzt von Werner Hinze für die Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein überarbeitet.
Deshalb finden sich nun auch Kapitel wie "Deutsch-Dänische Kriege", "Dänische Lieder" (1865 untersagte eine Verordnung im Herzogtum Schleswig das Absingen von dänischen Liedern mit beleidigendem oder aufhetzendem Inhalt in nationaler Hinsicht) und "Norddeutsches Leben". So heisst es in "Under Tagdryppet" aus den 1890er-Jahren (in Übersetzung):
Der Sönderjüte hat merkwürdige Gewohnheiten Er ist steif, er ist stur wie ein Hund Und vergeblich der 'sittliche' Germane Setzt ein Schloss vor seinen urdänischen Mund Deutsch lernen will er nicht, und er macht 'viel Geschrei', wenn ein Deutscher ihm auf den richtigen Weg helfen will Die Flagge schwarz, rot und weuß sollst du häufig hissen Denk dir das Schwarz nur weg und es ist deine Singt bloß "Schlesiwg-Holstein meerumschlungen" Gebraucht als Wahlspruch das bescheidene "Gott mit uns!" "Hoch der Kaiser" lasset über Eure Zunge rollen Leer für Bismarck euren Becher bis auf den Grund Und schnell wird der deutsche Gendarm mit seinem kräftigen Arm Euch an seine zünftige Brust drücken |
Die Liedauswahl - mit Notensatz und Erläuterungen wird jedes Thema angekratzt - beginnt jedoch im Mittelalter: Walther von der Vogelweides "Palästinalied" macht den Anfang (#36), gefolgt vom "Bauernlied" aus dem 15. Jahrhundert mit den bekannten Zeilen: Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?
Es findet sich gleich auch ein kleiner (Druck)Fehler: das "Ritterlied" Oswalds von Wolkenstein, das die Schlacht um die Burg Greifenstein im Jahre 1417 zum Thema hat, wird Walther von der Vogelweide zugeordnet.
Das Liederbuch enthält nicht nur die üblichen Verdächtigen: "Sag mir, wo die Blumen sind", "Lili Marleen", die "Wacht am Rhein", "Die Gedanken sind frei", oder das "Weberlied" aus dem schlesischen Weberaufstand von 1844 (FW Fiction). Wer hat denn schon von den Arbeitsbedingungen bei der Eindeichung des nordfriesischen Sönke-Nissen-Kooges in den 1920ern sagen und singen gehört?
Der Schachtmeister und der Budiker Die werden immer dicker Von unserm verdienten Lohn, o weh Im Sönke-Nissen-Koog, o weh Und kommt dann einst der Winter Dann schreien Frauen und Kinder: Wo hast du deinen Lohn, o weh Vom Sönke-Nissen-Koog, o weh? Den Lohn kann ich nicht geben Und kostet mir mein Leben Den Lohn hab ich versoffen, o weh Im Sönke-Nissen-Koog, o weh |
Und die Insassen der deutschen Konzentrationslager haben uns nicht nur das Lied von den Moorsoldaten hinterlassen (#25), sondern auch ein Lied aus dem KZ Neuengamme:
Dicht bei Hamburg liegt ein Lager Hinter Stacheldraht verbannt Dreimal tausend deutsche Männer Konzentrationäre sie genannt Unser Banner ist der Spaten "Teure Heimat" Feldgeschrei Keine Träne, stets den Kopf hoch Konzentrationär, auch du wirst frei |
Nun denn, singt doch mal wieder ein historisches Lied! Gelegenheiten gibt es genug, zum Beispiel wenn man mal wieder auf einem Flughafen festsitzt.
Leider findet man hierzulande wenig Lehrer, die einen abseits der Klassik unterrichten können. Diese Lücke versucht, ein weiteres Buch zu schließen. Es ist zwar in Englisch geschrieben, durch die Abbildungen, Notenbeispiele und eine beigefügte CD allerdings wahrscheinlich auch mit durchschnittlichen Englischkenntnissen gut zu verstehen. Das Buch ist technisch auf dem neuesten Stand und beginnt mit Ratschlägen zum Kauf von Instrumenten im Internet und zur Benutzung von elektronischen Stimmgeräten, wie sie in der Folkszene üblich sind. Der Theorieteil ist unvollständig (nicht alle der gleich im ersten Stück benötigten Notenwerte werden vorgestellt und Vorzeichen gar nicht erläutert, obwohl sie beim Fingersatz mit Pfeilen angedeutet sind) und hätte ganz weggelassen werden können. Dann werden zunächst einige einfache Melodien vorgestellt, die verschiedenen Techniken (Slides, Slurs usw.) eingeführt und anschließend auf passende Melodien angewendet. Viele der bekannten Fiddling Standards tauchen dabei nach und nach auf: Old Joe Clark, Bill Cheatem, Soldier’s Joy, Harvest Home, Devil’s Dream usw. Erläuterungen zu Tonarten, Variationsmöglichkeiten, Improvisation und Begleitung schließen das Buch ab. Positiv ist dabei, dass alle Noten (sogar die Übungen) mit Gitarrenakkorden versehen sind und daher sofort begleitet werden können. Dem fröhlichen Zusammenspiel steht also nichts im Wege … Die beigefügte CD beginnt etwas banal mit dem Stimmen der Saiten. Die Melodien sind mit einer einfühlsamen Gitarrenbegleitung eingespielt. Auch die Spieltechniken werden kurz vorgestellt, damit man sich ein Bild machen kann, wie z.B. die verschiedenen Slides klingen sollen. Um das Mitspielen zu erleichtern, wird jeweils kurz perkussiv „vorgezählt“. Vom Umfang her ist das Buch mit 56 Seiten etwas überschaubarer als ähnliche Bücher zu dem Thema, die ich bereits besitze, was vielleicht dazu führt, dass man es eher mal zur Hand nimmt. Aber es kann daher auch nur viele gute Anregungen geben, man wird jedoch nach dem Durcharbeiten des Buches sicher noch nicht der perfekte Fiddler sein und selbständig die erworbenen Fähigkeiten einsetzen können.
Chris Wagner, Fiddle Method Book 1. Hal Leonard HL00311416, ISBN 3 978-1-4234-2678-3, 56 S, US-$9,99 (inkl. CD). |
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 07/2010
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