Bluegrass Jamboree! - 3. Festival of Bluegrass and Americana Music, 1. bis 18. Dezember 2011.
Im 100. Geburtsjahr von Bill Monroe, dem "Vater" der Bluegrass Music, weist Festival-Veranstalter Rainer Zellner mit drei jungen innovativen Formationen in die Zukunft des immer wieder aktuellen Genres. Die spannendsten Entwicklungen finden zur Zeit abseits der Ursprungsregionen im Südosten der USA statt. Auf die gleiche Weise wie Bill Monroe mit seiner Band in den späten 40er Jahren aus Blues, Jazz, Irish und Scottish Folk sowie Gospel und Spirituals in Kentucky die "Arme-Leute Musik" Bluegrass erfand, erneuert sich die Musik Generation für Generation: Jede trägt die Fackel ein Stück weiter, neugierig in neue Nischen leuchtend.
Auf dem Jamboree 2011 wird dieser Entwicklung Raum gegeben, alle Künstler leben im Norden, dort wo Bluegrass fast genauso ein Fremdwort ist wie außerhalb der USA, sich aber dennoch hochkarätige Bands finden. Ihr Sound ist so authentisch, da fällt es meist nur den Experten auf, dass die meisten der aufgeführten Stücke des Konzerts neu geschrieben sind und sich nicht aus dem Repertoire von sechzig Jahren Bluegrass bedienen, sondern einen wichtigen Beitrag zur lebendigen Weiterentwicklung leisten.
Cahalen & Eli
Anders als auf einem herkömmlichen Atlas findet man auf der musikalischen Bluegrass Landkarte immer wieder unentdeckte Gegenden und unbekannte Bewohner. Momentan überschlagen sich die Medien über ein Duo, das noch nicht einmal entfernt aus dem "Bluegrass Gürtel" der südöstlichen USA Bundesstaaten stammt, sondern aus Seattle an der Westküste. Weitab vom Anpassungsdruck des Hillbilly Publikums entwickelten sie in ihrem Teil der USA einen undogmatischen, eigenständigen aktuellen Duo-Klang, der dennoch in vielen Aspekten klingt, als wäre er direkt den 40er Jahren entlehnt. Einer Zeit, in der harte Arbeit und Überlebenskampf der Depressionsjahre in der Bergregion der Appalachen eine Musik entstehen ließ, die sich mit den existentiellen Dingen des Lebens beschäftigte: tief, spirituell, offen und ehrlich...der Blues der Weißen, im Laufe der Geschichte und Popularisierung mit Namen wie Oldtime, Folk, Country oder Hillbilly bezeichnet.
Der Songwriter des Duos, Cahalen Morrison bekennt sich zu der Inspiration dieser alten Lieder. Er verarbeitet Themen von Landschaft, Natur, Liebe, Leid, Trauer, Freude, Tod und Ehrfurcht; seine Sprache, seine Bilder klingen so authentisch, dass sich Traditionals von den Originalkompositionen kaum unterscheiden. Das "Feuer" von Cahalen und Eli liegt in der Kombination dieses Songwritings mit der Intensität des Bluegrass, wunderbar gespielten Instrumenten und extrem intensivem, oft komplex verwobenem zweistimmigem Gesang. Hier kommt Eli West ins Spiel: Erfahren in vielen Musik-Stilen erwischte ihn mit 15 Jahren der (praktisch unheilbare) Bluegrass Virus, seitdem sind Saiteninstrumente seine große Leidenschaft. Elis besondere Art Gitarre zu spielen, vereint Solo und Rhythmusaufgaben, beides auf atemberaubendem Niveau. Er schreibt die Gesangsarrangements, mit Liebe zu rhythmischer wie harmonischer Vertracktheit - genau mit der Freiheit, die sich die Musiker des Genres damals in der Frühzeit des 20. Jahrhunderts schon erlaubten. Roots Legende Tim O'Brien sagt kommentiert das neueste Album "...music that the world needs!"
Deadly Gentlemen
Wenn Folk-Protestsänger und Dylan-Vorbild Woody Guthrie das noch erlebt hätte: Sein "Talking Blues" Stil gilt als eines der Ursprungselemente des weißen Hip-Hop, den Rapper und Eltern-Schreck Eminem schließlich zum weltweiten Erfolg führte. Und nun kommen mit den Deadly Gentlemen fünf der wohl fähigsten jungen Bluegrass Musiker aus Boston mit einem akustischen Experiment daher, das ebenfalls in Guthries Stil einen seiner Ursprünge hat: gerappte Vokalsätze, punktiert und mit deutlicher, derber Lyrik versehen, eingebettet in instrumentale Eruptionen, die ohne Scheu den alten Instrumenten alles abverlangen, um die Bluegrass-Scheune zum Beben zubringen.Mit viel Humor und Leidenschaft brechen sie mit den Konventionen des Genres, mischen unverblümt Rap mit Jazz und Acoustic-Rock und richten dennoch ihre Kompassnadel immer wieder auf Newgrass und Bluegrass aus, um zu zeigen wo alles begann.
Master-Gentleman und Doktor der Molekular-Biologie Greg Liszt spielte mit Bruce Springsteen auf CD und Tourneen, ist Gründungsmitglied der progressiven Folk Roots Band "Crooked Still" und gilt als einer der wenigen echten Banjo Erneuerer. Sein Spiel ist sehr "funky", es verbindet traditionelles 3-Finger Picking mit einem eigenen "Touch", der vor allem von rhythmischen Exzessen und kraftvollen melodischen Linien geprägt ist.
Die weitere Besetzung liest sich wie das „Who's Who“ der ganz jungen Stars der Szene: Sam Grisman, Sohn des New Acoustic Genies David Grisman legt am Kontrabass das heftige Fundament sowohl der tiefen Töne als auch den pulsierenden Beat. Rechtzeitig tauschte Stash Wyslouch seine lärmende Heavy Metal E-Gitarre gegen eine akustische Bluegrass Gitarre. Er ist rastlos auf seiner Mission, die Vebindung zwischen Trash Metal und Bluegrass zu finden, in beiden Formen spielt sein Können, laut und hoch zu singen, eine wichtiger Rolle. Mit drei Jahren war die Ukulele Dominick Leslies Lieblingsspielzeug und nun mit zwanzig Jahren gilt er als einer der wichtigsten Mandolinenspieler seiner Generation. In seinen eruptiven Improvisationen verwischen sich die Grenzen zwischen Folk, Pop, Klassik und Jazz. Erst im Studio entdeckte man die Gesangsstimme von Mike Barnett, bis dahin verneigten sich alle vor seinem grandiosen Geigenspiel. Mike absolvierte seine Bluegrass Lehrstunden mit 15 Jahren in der Band von Jesse McReynolds, Bluegrass Pionier der ersten Generation. Er wurde dabei in der Grand Ole Opry, der "Kathedrale der Country Music" in Nashville mit echtem "Moonshine" (schwarz gebrannter Schnaps) als Bluegrasser sozusagen „getauft“. Mittlerweile knapp 20 Jahre alt, wird er als "the hottest new fiddler" in den USA gepriesen.
Della Mae
Ganz früher hätten Sie wohl Auftrittsverbot gehabt, heutzutage werden sie zumindest im Süden immerhin noch argwöhnisch beäugt. Die Rede ist von der einzigen professionellen, rein weiblich besetzten Bluegrass Band der USA, Della Mae. Im relaxteren Oldtime haben sich Frauen wie z.B. Uncle Earl mittlerweile gut in Szene setzen können, im Bluegrass jedoch, dessen Sound von gepresstem hohem männlichem Gesang und kraftvollem instrumentalem Spiel definiert wurde, spielten sie lange Zeit keine große Rolle. Erst mit der sanften Sängerin Alison Krauss wurden (brave) Frauen-Stimmen akzeptiert. Um so spannender, dass sich in Della Mae (benannt nach einer anspruchsvollen Frau in einem Bluegrass Hit der Osborne Brothers) einige der angesagtesten Solistinnen in einer Art Frauen-Supergroup zusammenfanden, mit dem klaren Ziel, männliche Bastione zu schleifen. Ob in ihren eigenen Songs oder die Lieder fremder Autorinnen, immer betrachten sie Themen wie Mühen, Triumphe, Niederlagen, Abschied, Mut, Reisen, Liebe und Verlust aus weiblichem Blickwinkel. Nie vergessen sie dabei den Pionierinnen ihrer Zunft Tribut zu zollen, wie etwa der legendären Cousin Emma oder der kürzlich gestorbenen Ikone Hazel Dickens.
Die Stimme der Band ist Celia Woodsmith. Mit voller Kraft reitet sie auf den Wellen von Bluegrass, Country Soul, Blues und Folk. Mit ihrer kompetenten Rhythmusgitarre hält Celia auf der Bühne alle Fäden des Bluegrass-Netzes zusammen. Mit drei Jahren gab ihr der Großvater die ersten Geigenstunden und mit Anfang 20 ist sie bereits zweimalige Grand National Fiddle Champion, eine großartige Leistung, auch wenn man aus einer alten "Fiddler" Familie stammt: Kimber Ludiker gilt als zentrale Künstlerin ihrer Generation, ihr furioses Spiel auf der außergewöhnlichen 5-string Geige vereint Bluegrass Oldtime und Western Swing - mittlerweile gastiert sie sogar bei Bluegrass Stars wie Laurie Lewis.
Courtney Hartman hat sich an das wohl am männlichsten besetzte Bluegrass Soloinstrument getraut - die Flatpicking Solo-Gitarre, ein Instrument das anfangs kaum im Bluegrass Konzept vorhanden war und erst in den 60ern einen ebenbürtigen Platz neben Mandoline, Fiddle und Banjo erhielt. Noch bevor sie die Schulbank drückte, lernte sie Geige, Mandoline und Gitarre und tourte früh mit ihrer Familienband The Hartmans. Ihre Soli sorgen mittlerweile regelmäßig für Ovationen. Heute studiert sie neben ihren Bandaktivitäten "ernsthafte Musik" im renommierten Berklee College of Music in Boston, der Ort an dem momentan die spannendste neue Bluegrass Entwicklung der USA zu finden ist.
Mandolinistin Jenni Lyn Gardner ist sozsuagen die "Snare Drum" der Band und sorgt für den typischen Bluegrass Off-Beat. Im traditonellen Bluegrass gibt es keine Perkussion, diese Aufgabe teilen sich die Instrumente untereinander auf. Richtig spannend wird es, wenn sie immer wieder angetrieben von ihrer Band für funkelnde, wilde Mandolinen-Soli an das Mikro tritt. Jennis Vornamen sind einem alten bekannten Fiddle Tune entlehnt, auch sie tourt regelmäßig mit Größen der Szene überall in der Welt. Eine wahre Legende am großen akustischen Kontrabass ist Amanda Kowalski - seit Jahren bereichert sie ausgefallene Projekte, etwa mit den Banjo Königen Tony Trishka, Bela Fleck und Abigail Washburn. Ihre musikalische Reiseroute führte die im Hillbilly Staat West Virginia geborene Amanda in die "Grand Ole Opry in Nashville ebenso wie ins ehrwürdige Opera House von Sidney
Photo Credits:
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(2) Cahalen and Eli,
(3) Deadly Gentlemen,
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