"Billie" ist das packende wie berührende Filmporträt der Sängerin und Menschenrechtlerin Billie Holiday.
"Die Bäume des Südens tragen seltsame Früchte / Blut auf ihren Blättern / Blut an ihren Wurzeln / Schwarze Körper schwingen im Wind des Südens / Seltsame Früchte baumeln an den Pappeln."
Die Szenerie, die in "Strange Fruit" von Billie Holiday besungen wird, ist bedrückend. Es ist das Jahr 1939, die Jazzsängerin tritt mit Count Basie und anderen Größen auf. Der Durchbruch von Blues und Jazz ist auch eine Folge der Prohibition: Um sich zu amüsieren, gehen Weiße nun in die Clubs der Schwarzen, vor allem ins New Yorker Café Society, wo der Jazzstar Hof hält. Doch bei "Strange Fruits" verlassen sie den Saal.
An das, was Holiday auf die Bühne bringt, wollen sie nicht erinnert werden: Die seltsamen Früchte, von denen sie singt, sind die Körper von Schwarzen, die in den von Rassismus geprägten Südstaaten der USA wegen ihrer Hautfarbe gelyncht wurden. Die 24-jährige Sängerin, geboren als Eleanora Fagan, Spitzname Lady Day, ist schon früh wegen ihrer intensiven Performance berühmt und erlangt mit diesem Song Weltruhm. Er ist ein künstlerischer Meilenstein in der Geschichte des Kampfes um die Menschenrechte, "der Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung" wie die New York Times schrieb.
Wenn wir auf Tour waren, habe ich mir im Restaurant immer einen Extra-Burger bestellt, den ich mitnehmen konnte. Ich wusste nicht, wann es das nächste Mal was zu essen gab. Die weißen Kellner bedienten keine Schwarzen.
Die Geschichte dieses Lieds ist auch ein Zentrum des Dokumentarfilms "Billie" von James Erskine. In den späten 1960er-Jahren hatte die Journalistin Linda Kuehl für ihre Holiday-Biografie Größen der Jazzszene wie Charles Mingus und Count Basie, aber auch Schulfreunde und FBI-Agenten interviewt. Denn Holiday wurde von Polizei und Geheimdienst verfolgt, nicht zuletzt wegen Drogenbesitzes. Aber Kuehl starb in den 70er-Jahren unter ungeklärten Umständen, und die Bänder, die 200 Stunden umfassen, wurden nie angemessen ausgewertet. In seinem Film rekonstruiert Erskine das Leben der Jazzikone anhand dieser Tonprotokolle. Aus ärmlichsten Verhältnissen stammend, muss Billie Holiday schon mit 13 Jahren als Prostituierte arbeiten, sie wird früh zum Star, hält ihre Berühmtheit, Expressivität und Produktivität mit Drogen aus und stirbt 1959 beinahe so arm, wie sie geboren wurde.
Die Aufnahmen von ihrem musikalischen wie privaten Leben sind so schockierend wie faszinierend, das Material wurde aufwändig restauriert. Der Film vermittelt eine Vorstellung von ihrer starken Bühnenpräsenz, aber auch von dem Hass und den Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert war. "Wenn wir auf Tour waren, habe ich mir im Restaurant immer einen Extra-Burger bestellt, den ich mitnehmen konnte. Ich wusste nicht, wann es das nächste Mal was zu essen gab. Die weißen Kellner bedienten keine Schwarzen", erzählt Holiday.
Erskines Film ist eine ungeheure Fleißarbeit und ein ungemein spannender, schöner und mitreißender Film: das vielschichtige Porträt einer Sängerin, deren Leben von Shows, Exzessen und Rebellion gekennzeichnet war. Ein Film wie ein Denkmal – für die wohl bedeutendste Jazzsängerin weltweit und eine wichtige Kämpferin für die Bürgerrechte in den USA.
Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung der Ausgabe Januar 2021 des Amnesty Journals entnommen
(www.amnesty.de/journal/).
Jürgen Kiontke ist freier Autor, Journalist und Filmkritiker.
Photo Credits:
(1) "Billie - Legende des Jazz",
(2) "The United States vs. Billie Holiday",
(3) amnesty international
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