Du Bartàs "Es Contra ta Pèl"
Sirventes, 2012
Das französische Folk-Quintett Du Bartás veröffentlicht mit "Es Contra Ta Pèl" bereits ihre dritte CD mit Liedern aus dem reichhaltigen Fundus der Musik des französischen Südens. Diesmal haben sie ihre Chansons nach historischem Bezug ausgewählt. Sie widmen sich in den Liedern den Soldaten des Ersten Weltkrieges, die aus dieser Gegend stammten, sowie dem Gewerkschafter Louis Barthas, dessen schriftlich niedergelegte Erlebnisse selbst vom französischen Präsidenten Mitterand gewürdigt wurden. Immigration, soziale Ausgrenzung, auch das sind Themen der Lieder von Du Bartas. Aber trotz der thematischen Brisanz vergessen sie nicht, dass das Languedoc auch eine sehr lebensfrohere Region ist, in der Musik zur Unterhaltung und zum Tanz gespielt wird. Bezeichnen wir die Musik von Du Bartàs kurz als politisch engagierten Folktanz mit historischem Bezug.
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Miroslav Evacic "N.E.W.S. Blues"
Croatia Records, 2012
Der kroatische Musiker Miroslav Evacic legt mit der CD "N.E.W.S. Blues" ein recht vielgestaltiges Weltmusikalbum vor. Während sich das Vorgängeralbum "Cardas Blues" mit einer Mischung aus kroatischer Volksmusik und amerikanischem Blues begnügte, harkt Evacic auf der aktuellen CD ein paar Musikstile unter, die man nicht unbedingt erwartet. So gelingt ihm der Spagat, einen fast balkantypischen Akkordeontitel zu spielen, den er Bossa nennt und der von einem Reggaerhythmus unterlegt ist. Dann schlägt er auf einem Instrument herum, das sich nach verstimmter Zymbal anhört, lässt sich gekonnt auf einem Klavier aus und beschließt die CD schließlich mit stilechten Southern Blues. Schon etwas speziell der Miroslav Evacic, aber eine Entdeckung, die man nicht unbeachtet lassen sollte.
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Michael Sagmeister & Antonella D'Orio "Nell' Anima"
Jawo Records, 2012
Michael Sagmeister gehört zu den Jazzgitarristen, die dieser schwer in Kategorien einzuordnenden Musikrichtung einen eigenen Stempel aufdrücken. Er hat mit zahllosen Jazzgrößen gearbeitet und ist mittlerweile Professor an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Frankfurt am Main. Mit seiner Produktion "Nell' Anima" wagt er einen angedeuteten musikalischen Seitensprung in die Weltmusik. Angedeutet, weil hier die Grenzen verschwimmen. Seiner akustischen Gitarre tritt die italienische Sängerin Antonella D'Orio zur Seite. Ein auf zwei Elemente beschränktes Album - Stimme und Gitarre - könnte auf den ersten Blick ein wenig mager wirken. Doch weit gefehlt. Jazz und Weltmusik, seit Langem ein harmonisches Paar, finden sich auf dieser CD zu einem sehr romantischen Date zusammen. Dabei greifen Sagmeister und D'Orio auf Klassiker der süditalienischen Folklore zurück, allerdings auch auf ein Stück von Chick Corea und auf eigene Kompositionen. Ein gelungenes, leises Album, das in die späten Abendstunden gehört.
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Luis Frank Arias "Se me ocurre un Bolero"
Connector Records, 2012
Als der Buena Vista Social Club auf Tour ging, war das für die alten Herrschaften nicht nur ein angenehmer Spaziergang, sondern ein Kraftakt. Kaum einer erwartete von den betagten Musikern eine zwei Stunden währende Show, in der sie die ganze Zeit auf der Bühne stehen. Die Begleitband jedoch war gut aufgestellt. Unter ihnen befand sich der Sänger Luis Frank Arias. Mit seiner hellen Stimme und seinem Gefühl für die Musik seiner kubanischen Heimat konnte er bald aus dem Schatten der Weltstars treten und seinen eigenen Weg gehen. Mittlerweile hat er fast jeden kubanischen Musikstil interpretiert. Sein neuestes Album beschränkt sich ausschließlich auf Boleros. Dieser lateinamerikanische Musikstil gilt als behäbig. Zu unrecht wird er als Randnotiz bei der Entstehung des Son Cubano erwähnt. Dabei ist es, wie Luis Frank Arias auf seiner CD "Se me ocurre un Bolero" sehr eindrücklich unter Beweis stellt, ein gefühlvoller Tanz, harmonisch und liebenswürdig. Arias schrieb sieben der Boleros auf dieser CD selbst und ergänzte sie um zehn weitere Kompositionen aus dem letzten Jahrhundert. Wer sich die Zeit nimmt und das Tempo, das im Allgemeinen um einen herum herrscht für eine gute Stunde drosseln will, sollte sich gemütlich hinsetzen und der warmen hellen Stimme dieses kubanischen Interpreten und seinen auf unspektakuläre Weise grandiosen Arrangements lauschen.
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Ralf Weihrauch Trio "Green Break"
Blue Bowl, 2012
Das Ralf Weihrauch Trio geht die traditionellen Lieder des Celtic Folk mit einer erfrischenden Selbstverständlichkeit an. Das sind alles Traditionals. Gut. Aber die müssen ja nicht immer gleich klingen, scheint sich Weihrauch zu sagen und arrangiert flott drauf los. Und so klingen die Songs und Tunes angenehm frisch. Akkordeon, Geige, Stimme, mehr braucht es nicht, um den Hörer der CD "Green Break" in die Welt des Celtic Folk zu entführen und ihn dort für die Dauer von einer knappen Stunde festzuhalten. Die musikalischen Wanderjahre des Ralf Weihrauch bei Partyfolkformationen, Punk- und Death Metal Bands, Chansonprojekten und sogar in unmittelbarer Nähe des von mir ganz besonders verehrten Götz Alsmann, haben ihm sicher eine weite Sicht auf die Musik in dieser Zeit gegeben. Aber eins haben diese Erfahrungen nicht geschafft. Sie haben ihn nicht die Sicht auf die Einfachheit von Melodien genommen. So ist "Green Break" eine zwanglose und unkomplizierte CD geworden, die selbst in den etwas düsteren Momenten, wie in "April Morning" eine Freundlichkeit versprüht, wie es nur ehrlich gemeinte Musik vermag.
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The Olllam "The Olllam"
Compass, 2012
Die drei Musiker der irischen Gruppe Olllam haben ihre Banderfahrungen bereits in einigen bekannten Formationen des Celtic Folks gesammelt. Der Pipes- & Whistlesspezialist John McSherry gründete Lunasa. Mike Shimmin und Tyler Duncan spielten bei der Crossoverband Milish. Mit dem Bandprojekt The Olllam gelingt ihnen nun eine spannende Fusion aus Mainstreampop, Elektrobeat und Irish Folk. Der Irish Folk gibt in Form der Uilleannpipes deutlich den Ton an, die treibenden Gitarren und Perkussionsrhythmen schieben eine gelungene Britpopnote hinterher. Mit acht Titeln deutlich zu kurz, räumen The Olllam mit dem Vorurteil, dass der Irish Folk in seiner Entwicklung auf dem Standard des Schnarch- und Dudelfolks stehengeblieben wäre, endgültig auf.
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Musiktheater Dingo "Es stunt ein frouwe alleine"
Minnesang.com, 2011
Das, wovor das moderne Stadtfräulein heute in allen Medien gewarnt wird, gehörte im Mittelalter zum guten Ton. Stalking - oder altdeutsch: Minnesang. Geht das liebenswerte Mädchen (wahlweise jung oder prominent) ans plötzlich schellende Telefon und eine Stimme hebt zum Huldgesang an, darf man völlig gerechtfertigt die Polizei einschalten. Wurde die Burgbraut, während sie des Abends an ihrem Erkerfenster saß und fernsah - also in die Ferne blickte - plötzlich aus dem Burggraben angesungen, blieben ihr nur wenige Möglichkeiten zu reagieren. Entweder sie ließ den jodelnden Deppen mit den Resten aus der Erkertoilette segnen oder sie musste sich verlieben. Der Minnegesang, eine der am weitesten verbreiteten Belästigungen der mittelalterlichen Weibstugenden gehörte, so man der Geschichtsschreibung glauben möchte, selbst dann zum guten Ton, wenn der Minnende nicht einen davon richtig traf. Angeblich taten das nur die Männer, doch was, wenn eine Frau einen Blick auf einen dieser edlen Ritter geworfen hatte. Durfte sie sich vor die Burg stellen und minnen? Offensichtlich stellte sich das singende Weibsvolk nicht vor die Burg, aber Lieder, in denen sie ihre Traumjungs vergötterten, dichteten sie schon. Das Musiktheater Dingo hat einige dieser kaum in die Öffentlichkeit geratenen Gesänge weiblicher Minne in der Geschichtsschreibung erspäht, ausgegraben und für ein aufgeschlossenes Publikum restauriert. Das Programm "Es stunt ein frouwe allein", mit dem sie auf zahlreichen Burgen und Minnegesangs- Contests auftraten, ist nun auch auf CD zu hören und es gibt einiges aus der Sicht der weiblichen Minne darauf zu entdecken, dass dem heutigen meist billig agierenden Anbaggerer zu denken geben sollte. Auf die Trobairitz, die weiblichen Troubadoure, wurde man in der Dichtung des Occitan, im südlichen Frankreich aufmerksam. Dort war es zwar ungewöhnlich, weibliche Troubadoure zu hören, aber nicht ausgeschlossen. Laut Mittelalterforschung ist außer den Trobairitz in Europa keine andere Form des weiblichen Minnegesangs bekannt. Das hindert das Musiktheater Dingo nicht daran, in den Liederbüchern weitere öffentlich gemachte Liebesbekenntnisse aus weiblicher Sicht zu finden. Eleonore von Aquitanien, die Mutter des mittelalterlichen Hochadels schlechthin (Richard Löwenherz war wohl ihr berühmtestes Kind) war Förderin der Kultur an ihrem Hofe und schaute sich so manches von den Dichtern und Sängern ab. Aus ihrem Nachlass finden sich in der Minnesammlung des Musiktheaters Dingo zwei Stücke. Doch auch im christlichen Bild gehörte die Liebesdichtung zu den vielen Facetten der mittelalterlichen Kultur. Bekannte Mystikerinnen und Nonnen jener Zeit waren Hildegard von Bingen und Mechthild von Magdeburg. Ihre Hingabe galt zwar fast ausschließlich ihrem Herrn, doch ist dies ebenfalls als Minne zu verstehen. Nicht oft hatte diese Hingabe zum himmlischen Bräutigam deutlich erotische Töne. Das Musiktheater Dingo spricht hierbei selbst von einem erotischen Glaubensbekenntnis. Manchmal waren es die Männer selbst, die Minnedichtungen aus weiblicher Sicht ersannen. In ein anderes Ich zu schlüpfen ist ja in der Literatur kein seltenes Stilmittel, warum sollte das also im Minnegesang des Mittelalters anders sein. Stilecht begleitet von Flöten, Pfeifen, Gemshorn, Glockenspiel, Sackpfeife, Harfe und Drehleier, Laute und allerhand weiterem mittelalterlichen Brimborium, führt uns das Musiktheater Dingo durch eine interessante Zeit, in der die Rollenverhältnisse vielleicht doch nicht so klar getrennt waren, wie man glauben möchte.
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Sternenreiter "Und wir träumen unter Sternen ..."
Eigenverlag, 2011
Pfadfinderlieder, Liedgut aus den Bünden, deutsche Wanderlieder aus den vergangenen Jahrhunderten haben die beiden Wandervögel Hauke und Alexander gesammelt und durch eigene Kompositionen ergänzt, die sich in Stimmung und Gesinnung von den alten Liedern der heimatliebenden Jugend unter Krone und Kaiser nicht unterscheiden. Die im Orden der Wikinger im Nerother Wandervogel organisierten Sänger verschreiben sich ganz diesen Liedern, die die Tugend und Reinheit des deutschen Wanderers herausheben. Lieder von trinkenden Studenten, Sternenguckern unter freiem Himmel nach vollbrachtem Tagewerk, singen sie, von napoleonischen Truppen, die Russland verlassen, von Kameradschaft und Blumen auf namenlosen Gräbern. In selbst erdachten Versen, träumen sie vom geputzten Säbel, der im Felde wacker und siegreich in des Feindes Reihen dringt. Dazu liefern sie ein Booklet voller Bilder von im Gleichschritt marschierender Kinder, Verdienstkreuz tragender Haudegen aus dem Ersten Weltkrieg und stolz im Wind wehender Fahnen. Ja, diese CD hat sich ganz dem geistigen Wohle einer heranwachsenden Jugend verschrieben, mit nostalgischem Blick auf die gute alte Zeit und voller Lust, in Gleichschritt und in Uniform mit Regelwerk und Codex gruppendynamisch Freiheit zu genießen. Als völlig unpolitisch hat sich einst die Jugendbewegung mit ihren Bünden gegründet. Dass die gesellschaftlichen Denkmuster zu jener Zeit stark national ausgerichtet und nicht eben nachbarschafts- und fremdenfreundlich waren, merkt man den alten Texten heute noch an. Im Dritten Reich waren diese Jugend- und Wanderbewegungen verboten. Erst nach dem Ende der Nazizeit formierten sie sich wieder neu. Heute spielen die wenigen Bünde kaum noch eine ernstzunehmende Rolle in der Jugendarbeit. Grund ist sicher auch der in den Liedern deutlich herauszuhörende Eiertanz zwischen dem Herausheben solch freiheitlicher Eingrenzungen wie "Führen und Folgen" und dem Wunsch weitgehend unbelästigt durch den Wald zu ziehen.
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Stefano Saletti & Piccola Banda Ikona "Folkpolitik"
Finisterre, 2012
Wenn man den Mittelmeerraum als Wiege der Demokratie bezeichnet, so kommt man in der Rückschau nicht umhin zu fragen, wie diese Demokratien entstanden, verteidigt oder nach grausamen Diktaturen wiedergewonnen wurden. Meist spielten Aufstände und Proteste eine wesentliche Rolle. Eine noch wesentlichere Rolle spielt die Tatsache, dass der Mut der Menschen, die Aufstände und Proteste tragen gestärkt wird. Musik als Mittel einzusetzen, Menschen im gemeinsamen Aufbegehren zu verbinden war schon immer sehr erfolgreich. Das Protestlied lässt die Herzen der Menschen mutig werden. Stefano Saletti hat sich rund um das Mittelmeer nach Protestsongs und politischen Liedern umgesehen. "Folkpolitik" ist eine Sammlung, die am Tahrir-Platz in Kairo beginnt, dort wo der arabische Frühling ein mächtiges, aber unvollendetes Symbol gebildet hat. Saletti wandert weiter, findet überall dort Protestsongs, wo es Unrecht gibt. Damit dürfte es rund um das Mittelmeer wohl kaum eine Musikrichtung geben, die über einen größeren Fundus verfügt, auch wenn es nur spezielle Lieder sind, die die Massen anstimmen. Wie das Lied von José Afonso "Cantigas do Mayo". Das stammt zwar aus Portugal, aber man möchte dieses kleine Land am Atlantik gern als mediterran bezeichnen. Die Nelkenrevolution gehörte nicht nur wegen seiner gewaltarmen Durchführung, sondern auch wegen seiner Musik zu den besonderen Momenten in der Geschichte der Demokratie. Wesentlich unerfreulicher ging es im Spanischen Bürgerkrieg zu. Auch aus dieser Zeit hat Saletti Musik gefunden. Über die Zeit der Militärjunta in Griechenland redet man kaum noch. Heute haben sie in Griechenland andere Sorgen. Doch Saletti erinnert sich an das Massaker während des Studentenprotests vom 17. November 1974 in Athen, über das der Lyraspieler Mihalis Tsagarakis schrieb. Palästina, Sardinien und nahezu alle Regionen Italiens besitzen mitreißende Protestlieder, doch oft ist es erst die Trauer, die die Menschen verbindet. So gehören traurige Lieder ebenfalls zum großen Songpool des Protestliedes, wie man auf der CD hören kann. "Folkpolitik" von Stefano Saletti & Piccola Banda Ikona klingt wie ein musiziertes Kompendium der mediterranen Empörung.
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Robby Maria "Metropolis"
Timezone Records, 2013
Ein häufig auftauchendes Thema in Kunst, Gesellschaft und sozialem Umfeld ist die Suche nach sich selbst. Zu dem Thema sind sicher mehr Aufsätze und Bücher geschrieben worden, als über den Umgang miteinander. "Wir sind alles Individuen" rief der große Kreis der Jünger des Brian im Chor. "Ich nicht" traute sich nur einer zu sagen. Das Erstaunliche an diesem Thema ist, wo sich die Suchenden so vermuten. Der Musiker Robby Maria Scheer-Muñoz suchte im Amazonasdschungel nach seinem Ich. Ein Schamane schickte ihn wieder nach Hause, wo Robby Maria Scheer-Muñoz nach sieben Jahren Weltenwanderung feststellte, wo er sich befand: gar nicht weit weg von dem Ort, von dem er seine Reise begann. Jetzt trug er allerdings den verkürzten Namen Robby Maria. Seine Entscheidung, in der weiten Welt Erfahrung zu sammeln, war allerdings alles andere als überflüssig. Reife benötigt Zeit und Erkenntnis Reife. Das musikalische Reifezeugnis Robby Marias liegt nun mit der CD "Metropolis" vor. Mit erstaunlicher Klarheit betrachtet er den Rhythmus der Großstadt, untermalt von Gitarre und Fender-Rhoads Piano, einem kaum hörbaren Klavier und gut sortierter Perkussion. Aus Silent Revolution wird mit "Metropolis" Silent Watching. Seine Stimme und sein stilistischer Umgang mit Harmonien erinnert deutlich an Bowies Berliner Jahre und passt auch von der Beobachtung her zu dessen Comebacksong "Where are we now". "Metropolis" ist ein gelungenes Großstadtalbum. Ein Album mit bildreichen Texten voller Beobachtungen, die man wohl kaum noch macht, wenn man der Stadt nicht für eine Weile entfliehen konnte.
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Ensemble FizFüz & Gianluigi Trovesi "Papillons"
HGBS, 2012
Der Klarinettenspieler Gianluigi Trovesi aus Bergamo hat sich mit dem Ensemble FisFüz getroffen und versucht die Gemeinsamkeiten der italienischen Folklore mit der Musik des Orients zu ergründen. Musikalische Einflüsse des Orients sind in der Musik Südeuropas seit dem Ende des Ersten Jahrtausends zu finden. Kultureller Crossover ist keine Erfindung der multikulturell aufgeklärten Gegenwart, sondern ein Prozess, der so unvermeidlich ist wie die Evolution. Die CD "Papillons" haut nicht einfach alles in einen Topf. Die orientalischen Strukturen sind genau so zu erkennen, wie die folkloristischen Elemente Europas und auch die Einflüsse der jüdischen Musik und der Musik des Balkans kann man deutlich erkennen. Es ist eine harmonische Einheit ohne regionale Eigenheiten unterzubuttern. "Papillons" ist ein hervorragendes Beispiel für kulturübergreifende Gemeinsamkeiten in der Weltmusikszene und zeigt, dass die Musik Europa auf eine komplikationsärmere Weise vereint, als es sich Brüssel je zu erträumen wagt.
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Carmen Souza "Kachupada"
Galileo, 2012
Die kapverdische Jazzstimme von Carmen Souza gehört zweifelsohne zum ungewöhnlichsten, was diese Inseln hervorgebracht haben. Carmen Souza verbindet wie kaum eine andere Sängerin die lusophone Folklore mit grandios gespieltem Jazz. "Kachupada" ist das inzwischen vierte Studioalbum der Sängerin, die, obwohl in Lissabon aufgewachsen, die musikalische Vielfalt der Kapverden repräsentiert wie kaum eine andere Künstlerin ihrer Heimat. Das Album trägt den Namen eines Gerichtes, das auf den Kapverden sehr häufig gegessen wird. Viele Zutaten und Gewürze gehören hinein, Mais, Bohnen, Kohl, Huhn und Fisch. Was die kapverdische Köchin an Gemüse zur Hand hat, wird in diesem Eintopf verwendet. Carmen Souzas musikalischer Eintopf ist reichhaltig und gut gewürzt. Ihre Stimme ist meist scharf, die Arrangements voller Raffinesse und die Zutaten kommen nicht nur aus der Tradition der Kapverden, sondern aus dem Elektro- und Akustikjazz, sind gespickt mit afrikanischen Elementen und besitzen eine leichte Soulnote. Für europäische Ohren ist ihre Musik immer noch gewöhnungsbedürftig und ihre Musik exotisch. Aber man kommt immer mehr auf den Geschmack.
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Steve Postell "Time Still Knocking"
Immergent Records, 2008
Die Musik, die von der amerikanischen Westküste kommt, hat häufig etwas Entspanntes. Muss wohl an der Sonne liegen. Steve Postells "Time Still Knocking" versprüht genau dieses sonnige Gefühl, ohne sich dabei mit Surferklischees zu verkitschen. Die Songs pendeln alle zwischen Songwritermusik und Westcoastrock. Postell ist ein umtriebiger Musiker, der mehrere Bandprojekte in Gang brachte, Soloalben produzierte und auch schon mal für Film und Theater arbeitete. Diese musikalischen Erfahrungen bringt er in "Time Still Knocking" gut unter. Das Album klingt zwar häufig etwas gefällig, passt musikalisch prima ins Erwachsenenradio, wirkt aber nicht wie von der Stange. Postell lässt auch mal die Pferde los und hoppelt durchs Countrydickicht. Doch meistens spielt er geradlinige Westcoastmusik. Dazu hat er sich eine passable Riege an Gastmusikern zu Seite gestellt, unter denen sich Namen wie Jeff Pevar und David Crosby befinden. Manchmal vergisst er bei den Liedern etwas die Zeit. Der Buzz Feiten Song "Long way home" könnte auch für eine Fernsehserie in den Achtzigern geschrieben worden sein. "Missing You" ist eine schöne zeitlose Countrynummer und an einigen Stellen schimmern die Eagles durch. Ein weitgehend gelungenes Folkrockalbum am Rande des Mainstreams.
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Plantec "Awen"
Aztecmusique, 2012
Die Bombarde ist das Instrument, das in der bretonischen Folklore die bedeutendste Rolle spielt. Mit dem Dudelsack und allerhand Schlaginstrumenten sorgt es in den großen Bagadvereinigungen für größte musikalische Lautstärke, die Straßenumzüge weltweit ohne elektrische Verstärkung hervorbringen können. 120 Dezibel wurden bei Bagadprozessionen schon gemessen (was aber nicht allein an der Bombarde liege dürfte). Plantec gehen auf ihrer CD "Awen" die Sache mit etwas mehr Elektronik an. Die Kombination aus Bombarde, akustischer Gitarre und computergesteuerter Rhythmusbeigaben ist ungeheuer mitreißend. Hier interagiert die traditionelle Bretagne mit der elektronischen Musik der Gegenwart und dem Klang der Märkte der Mittelalterszene. Hier tanzen Folkies, Elektropunks und Renaissancerocker in gleicher Verzückung miteinander. Was auf der CD bereits deutlich die Schweißausbrüche auf den Tanzflächen ankündigt, ist live eine musikalische Orgie, die sich bestenfalls als eine Art Fez Noz mit Headbanging beschreiben lässt.
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Jagwa Music "Bongo Hotheads"
Crammed Discs, 2012
In den Vororten von Dar es Salam kann sich kaum ein Musiker ein teures Piano leisten. Aber das macht nichts. Man mag dort zwar arm sein, aber nicht einfallslos. Das Album "Bongo Hodheads“ der Band Jagwa Music ist ein Beispiel für diesen Einfallsreichtum. Ein billiges Casio-Keybord, ein altes Megafon und ein paar Trommeln genügen, um einen musikalischen Trend zu kreieren, den man Mchiriku nennt. Verzerrte Elektroklänge, pulsierende Tanzrhythmen auf Bongos und Blechtonnen und ein paar in die Welt gesungene Texte, die die Wut ausdrücken über die Probleme am Rand der afrikanischen Gesellschaft. Gewalt, Drogen, Alkohol, AIDS, Untreue, alles Themen, die eigentlich der Rap für sich vereinnahmt hat. Da bei aller Problematik die Jugend in Dar es Salam auch gern tanzt, verbinden Jagwa Music coole Texte mit tanzbarer Musik. "Bongo Hotheads" ist ein rasantes Album, wild, entschlossen, chaotisch, eine Art afrikanischer Straßenpunk.
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Yukazu "C'est plus fort que toi"
Kitchen Records, 2012
Das französelt so schön vor sich hin, was Yukazu da auf ihrer CD "C'est plus fort que toi" spielen und man fühlt sich in die Nähe der Gypsiswingpopkapelle Paris Combo versetzt, die vor einigen Jahren ein paar ganz feine Platten produziert hat. Aufmüpfig guckt der Herr vom Plattencover und die Damen posieren schmolllippig und mit herausfordernden Blicken am oder auf dem Tresen einer Kneipe. Wenn man sich jetzt nach Montparnasse in Paris versetzt fühlt, ist das Absicht. Die Musiker zitieren genügend Gipsyswing, ramschen etwas osteuropäischen Speedfolk dazwischen, lassen die Sängerin wie eine erfahrene Chanteuse klingen und sparen nicht mit kurzen arabischen Anleihen. Alles klingt wie bei einer weltläufigen, multikulturell geprägten Pariser Stadtkapelle. Dabei macht es überhaupt nichts, dass die Musiker Lena, Franziska und Mike heißen und aus Berlin stammen. Es ist Yukazu nicht anzuhören und bei der Beziehung, die Paris und Berlin heute verbindet, spielt es auch keine Rolle. "C'est plus fort que toi" wirkt wie ein Sommernachmittag auf einer Dachterrasse im Friedrichshain. Man blickt auf die Spree und trinkt Café Olé.
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Rodrigo Santa Maria y el Paquete Chileno "Elitro"
Flowfish, 2012
Der Begriff Bossa Chilena drängt sich auf, wenn man sich der Musik von Rodrigo Santa Maria widmet. Der in Berlin lebende Chilene arbeitet bereits seit Jahren mit chilenischen Musikern zusammen, als Studiomusiker, als Livebegleiter, Komponist und Arrangeur. "Élitro" ist sein zweites Soloalbum. Seine Wurzeln sind die Tänze und die Folklore Südamerikas. Traditionelle Einflüsse Argentiniens und Perus hört man auf seinem Album genau so heraus, wie brasilianische Bossa und chilenische Folklore. Rodrigo Santa Maria legt Wert auf dezente, aber deutliche Akzente. Seine Lieder wirken trotz ihrer komplizierten Strukturen federleicht. Es fällt mir schwer, einen Lieblingssong herauszufischen. Vielleicht das verträumte "Aya Yai" oder das verspielte "Malena". Ach, da ist ja noch das sentimentale "Posadeña", das mich an die Klassiker des lateinamerikanischen Liedes erinnert, wie sie Caetano Veloso auf seiner CD "Fina estampa" sang. Mit dem Jazzpianisten Larry Porter und dem Flügelhornvirtuosen Alan Sommer hat sich Rodrigo Santa Maria zudem ein paar ausgesucht einfallsreiche Musiker ins Boot geholt, die der CD "Elitro" eine deutliche Note Cool-Jazz zufügen. Eine sehr elegante Produktion mit zurückhaltender südamerikanischer Musik zwischen Tradition und Jazz.
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Various Artists "Los Grandes de la Salsa y el Son"
Termidor Musikverlag, 2012
Der Termidor Verlag hat sich auf die Produktion lateinamerikanischer Musik spezialisiert. Mit dem Projekt "Los Grandes de la Salsa y el Son" versucht der Verlag ein paar Schätze zusammen zu sammeln, die er in den über 25 Jahren, in denen sich Termidor zwischen Salsa, Son, Rumba und Merengue umschaut, gehoben hat. Auf der vorliegenden Doppel-CD befinden sich vierzig Songs, die sich ausschließlich mit kubanischer Salsamusik beschäftigen. Herausgekommen ist eine Sammlung, die an manchen Stellen etwas beliebig klingt. Vielleicht ist es ein bisschen viel auf einmal. Schöne Momente des kubanischen Liedes tauchen allerdings unvermittelt auf. Meist dann, wenn die Auswahl auf Werke zurückgreift, die nach großem Ballroom klingen und schon einige Jahre auf dem Buckel haben. Gina Leon und Orlando Morales möchte ich hier herausheben."Los Grandes de la Salsa y el Son" vermittelt einen guten Überblick über die kubanische Musik, ist aber insgesamt etwas abwechslungsarm.
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Dick Farrelly & Mat Walklate "Keep it Clean"
Eigenverlag, 2012
Dick Farrelly lebte bereits eine Weile in Amsterdam und spielte auf den Straßen und in Kneipen Gitarre, als ihm irgendwann der Harmonikaspieler Mat Walklate über die Füße stolperte. Sie jamten ein bisschen herum und bemerkten, dass sie sehr gut harmonierten. Der eine ging sparsam mit der Gitarre um, der andere blies eine ganz ordentliche Bluesmundharmonika. Gesanglich funktionierte das auch, also verabredeten sie sich dazu, das Ganze ein paar Monate später in einem Studio zu wiederholen. Herausgekommen ist die CD "Keep it clean", eine kleine feine Blues-CD, die die beiden Männer angeblich innerhalb eines Tages einspielten. Die akustischen Bluesnummern haben etwas angenehm Altbackenes, klingen wie Vorkriegsblues, der am Rande der Eisenbahnschienen entstand. Etwas rastlos wirken die Songs, wie "Nothin' but love". Liebe ist das alles beherrschende Thema seiner Lieder. So singt er über die Folgen außerehelicher Aktivitäten, wie in "Good As I Been To You". Das letzte Lied der CD "It it's love" steht dem in nichts nach, wirkt aber um einiges überlegter. Besonders hervorragend ist der Blues "Black Cat Bone". Ich habe lange keine so geradlinige Blues-CD gehört.
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Dva "Hu"
Indies Scope, 2010
Mit einer Mischung aus lebendiger und fantasierter Sprache kommt die tschechische Spaßkapelle Dva auf uns zu. Das Duo besteht aus Bára Kratochvilova und Jan Kratochvíl, zwei experimentierfreudigen Musiktüftlern. Dieses dritte Dva Album stellen sie unter das Motto "Pop-Musik aus Radiosendern, die es nicht gibt". Da man sich dabei auf keinen Stil festlegen muss, packen sie also alles zusammmen, was man in dieser Form nirgendwo hören kann. Irgendwie klingt ihre Musik, wie eine Art Kleinkunst-Elektro-Cabaret mit folkloristischen Einspeisungen. Allerdings hauen sie nicht wahllos alles in einen Topf, sondern arrangierten überlegt und einfallsreich. Wenn leere Glasflaschen, als Perkussionsinstrumente benutzt werden und aus einer Art Kinderabzählreim ein Abzähl-Hip-Hop wird, hat das etwas ziemlich Geistreiches. So exotisch und seltsam mir die CD beim ersten Hören vorkam, so vereinnahmend ist dieses musikalische Gemisch beim wiederholten Hören. Hypnotisierende Klänge.
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Os Cempes "Tentemozo"
Folmusica, 2012
Os Cempes werden gern als die Urväter der neuen galicischen Folksmusik bezeichnet. Neben Carlos Nuñez, Mercedes Peon und Berrogüetto haben Os Cempes in den letzten zwei Jahrzehnten dafür gesorgt, dass man den kleinen nordwestlichen Landstrich heute musikalisch anders wahrnimmt, als das übrige Spanien. Zum zwanzigjährigen Bestehen der Band haben sich die Musiker ein paar Gäste eingeladen und mit ihnen zusammen ein längeres Geburtstagsständchen eingespielt, das unter dem Namen "Tentemozo" bei Folmusic erschienen ist. Über fünfzig Musiker und Techniker rührten an der musikalischen Geburtstagstorte. Die meisten Kompositionen stammen vom Os Cempes Chef Oscar Fernandez, der nach dem üblichen Rezept mit Gaitas, Pandereitas, Bouzouki und Drehleier die für Galizien typische iberokeltische Folklore arrangierte. Eine stimmungsvolle, wenn auch etwas überraschungsarme CD der galizischen Urgesteine.
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Őškestar "Balkan Beasts"
Folkbeats, 2011
"Balkan Beast" ist ein treffender Name für eine CD, die gefüllt ist mit einem musikalischen Tempo, das Schwindelgefühle hervorruft. Die ungarische Band Ösketar startet mit einer wilden Mischung aus Balkan Beat, Funkedelic und Sythetic Jazz durch. Die Musiker fanden sich 2004 im Süden Ungarns zusammen. Die Nähe zu Serbien ist an vielen Stellen der Musik von Öskestar zu bemerken, auch wenn sich die Kapelle mittlerweile in Budapest angesiedelt hat. Schön, mal Balkanmusik zu hören, die ihre Heimat nicht in Berlin, Amsterdam oder Paris hat, sondern vor Ort angesiedelt ist. Sehr schwungvoll das Ganze.
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Brian Bender and Little Shop of Horas "Eyn Velt"
Face The Music, 2012
Wenn ein Volk über Jahrtausende durch die Welt gejagt wird, sich an den unwirtlichsten Stellen eine neue Heimat suchen muss und oft genug in alle Winde verstreut wird, so hinterlässt das nicht nur Spuren in der Geschichte dieses einen Volkes. Die jüdische Kultur hat ihre Spuren weit über die Erde getragen und findet sich an den entferntesten Stellen wieder, hat aber auch ihrerseits Spuren in anderen Kulturen hinterlassen. Brian Bender kam bei der Produktion seiner CD nicht umhin, diese "Eyn Velt" zu nennen, denn er hat auf seiner CD jüdische Musik unterschiedlichster Prägung aus zahlreichen Ländern dieser Welt zusammengetragen. Bender ist ein erfahrener Weltmusiker. Crossover ist ihm nicht fremd. Auf "Eyn Velt" verbindet er den Klezmer mit lateinamerikanischer Musik, mit Salsa, Rumba, mit Swing, Calypso und Reggae, aber auch mit europäischen, arabischen und türkischen Rhythmen. New Jewish Music nennt sich diese musikalische Bewegung, die religiöse Befindlichkeiten zwar ernst nimmt, aber nicht durch Unnahbarkeit lähmt. Bender stehen einige namhafte Musiker, jüdische und nichtjüdische zur Seite. So ist der wichtigste Vertreter der New Jewish Music Frank London selbstverständlich mit von der Partie, aber auch Jazzgröße Charles Neville und der Geiger Charles Rappaport aus Frankreich. Für Leute, denen die traditionelle Klezmermusik zu streng ist, dürfte Brian Bender and Little Shop of Horas eine gute Empfehlung sein, sich dieser Musik trotzdem zu nähern.
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Mario Moita "Fado Navegante"
ARC Music, 2011
Der in Evora geborene Sänger Mario Moita gehört nicht unbedingt zu den mutwilligen Erneuerern des Fado. Trotzdem versucht er mit seiner CD "Fado Navegante" sich dem Ursprung dieser Liedform zu nähern und dabei gleichzeitig das enge Korsett des Fado zu sprengen. Der Fado, der Ausdruck von Sehnsucht ist, wurde immer gern mit dem Blick zu Meer, mit der Sehnsucht nach der Ferne gesungen. Moita kombiniert nun den Fado mit der Musik aus Übersee. So taucht ein orchestraler Tango auf, kann man afrikanische Trommeln hören, die kapverdische Morna und sich der brasilianischen Schwester des Fados, der Bossa Nova hingeben. Und auch die maurischen Einflüsse, die sich über etliche Jahrhunderte im Süden Portugals gehalten haben, vergisst Moita nicht. Seine Lieder sind voller Hingabe, aber ohne die verzückte Leidensbereitschaft, die vielen anderen Fadosängerinnen und Sängern so eigen ist.
© Karsten Rube
Fee Badenius "Feemannsgarn"
Reimkultur Musikverlag GbR, 2012
Wenn man seine Debüt-CD auf einem Label macht, das den reizenden Namen Reimkultur trägt, muss man nicht überrascht sein, wenn das, was man zu hören bekommt sprachlich höchst ausgeschlafen ist. Felicitas Badenius, die sich nun Fee Badenius nennt, stammt von der Küste, was ihr erlaubt etwas „Feemannsgarn“ zu spinnen, so lautet zumindest der Titel ihrer ersten zauberhaft leichtfüßigen CD. Hört man sich durch ihre Lieder, stellt sich heraus, dass sie keine Fee im fantastischen Sinne ist, ätherisch und unnahbar, sondern ein singend sinnierendes Fräulein mit den ganzen Problemen, die einer wachen und aufmerksamen Person entgegenschlagen. Im Lied "Keine gute Freundin" stellt sie fest, dass sie keine Lust auf banalen Mädchenkram mit Schminke, Fernsehserien und Bravofragebogen hat. Sie hält sich für einen "Schmetterling", der allerdings im falschen Kleid unterwegs ist und sie findet es "Ungerecht", dass sie ihren Freund in die Wüste schicken kann, ohne dass dieser fragt, warum. Mit kluger Poesie, geformt aus Alltag und Spinnerei und gebacken aus Wunsch und Realität schickt sie ihre Tagträume zur Gitarre in die Welt und erreicht damit die staunenden Köpfe derer, denen die Tagträume allmählich entschwinden. Bei allem Witz, der in ihren Wortspielen hervorblitzt, dringt jedoch auch ein melancholisches Gefühl aus ihren Liedern hervor. Selbst, wenn sie Liebeskummer mit medizinischen Fachbegriffen aus der Kardiologie persifliert, bleibt es doch eher ein Kummer und nicht nur ein Witz. Auch in der Zwiesprache mit dem Titel "Liebe Tomate" gibt es letztlich kein Happyend. Ihre Stimme klingt zerbrechlich, manchmal frech, doch immer frei von falscher Verkünstelung. Eine dezente musikalische Begleitung mal mit Gitarre, mal mit einem Akkordeon oder einem Cello beweist, dass sie im Moment noch keine große Untermalung benötigt, um sich auszudrücken. Solch schlauer melancholischer Witz, wie man ihn in Fee Badenius Liedern erleben darf, ist nicht so häufig in dieser Gegenwart, in der man nur glaubt, komisch zu sein, wenn es für irgend jemanden peinlich wird. Von solchen Anflügen ist sie dankenswerterweise weit entfernt.
© Karsten Rube
Carlos da Carmo "Fado"
Sunset France, 1978/2008
"Dez Fados Vividos" hieß die CD ursprünglich, die Carlos da Carmo 1978 aufnahm. Das französische Sunset-Label hat diese CD 30 Jahre nach dem ursprünglichen Erscheinungsdatum unter dem simplen Titel "Fado" neu aufgelegt. Da Carmo gilt als einer der bedeutendsten lebenden männlichen Fadosänger Portugals. Stets bemüht, seine Musik nicht als touristische Attraktion verkommen zu sehen, legte er viel Wert auf Qualität und Authentizität. Gleichzeitig ist er bis heute ein Freund der Erneuerung des Fados. Noch immer steht er auf der Bühne, als Fadosänger und Chansonier. Der jungen Fadokultur ist er sehr zugetan und Sängerinnen, wie Mariza und Ana Moura holen ihn gern mit auf die Bühne, wenn es sich anbietet. Die "Dez Fados Vividos" liefert ein Bild seines Schaffens vor reichlich 35 Jahren. Die meisten Titel sind mittlerweile Klassiker des Fado und klingen mir heute im Ohr mit den Stimmen von Misia, Mariza, Ana Moura oder Cristina Branco.
© Karsten Rube
Tim Langford "Broken Halo"
Underworld Records, 2012
Für Freunde des akustischen Folk-Blues ist die CD "Broken Halo" des Gitarristen Tim "To Slim" Langford eine echte Empfehlung. Der Kopf von Too Slim And The Taildraggers hat sich hier auf Solopfade begeben und das Album weitgehend allein eingespielt. Gitarre, Ukulele, Harmonika, Bass und ein paar dezente Effekte aus der Tonbox, mehr benötigt er nicht, für ein überwiegend ruhiges, aber gehaltvolles Bluesalbum. Im Titelsong schlägt er mal kurz etwas rockigere Töne an, allerdings in der erzählerischen Art und Weise, wie man das von den Dire Straits kennt. Zerzausten Mississippi-Blues liefert er in "You Hide it Well" ab. Sehr entspannter Folk-Blues. Hörenswert.
© Karsten Rube
Ana Moura "Desfado"
Universal Jazz, 2012
"Desfado" heißt das neue Album der portugiesischen Sängerin Ana Moura. Es ist ein Fantasiewort, das soviel bedeuten soll, wie Entfadoisierung. Abkehr vom Fado, bei einer Künstlerin, die durch den Fado bekannt wurde? Ganz so schlimm kommt es nicht, aber Ana Moura betritt Neuland und mutet dem Fadofreund einiges zu. Nachdem sie mit Musikern von den Rolling Stones zusammenarbeitete und mit dem amerikanischen Popmusiker Prince (einem großen Verehrer des Fado) befreundet ist, nahm der Produzent Larry Klein sich ihrer an. Klein produziert unter anderem Herbie Hancock, der bei einem der Songs auf der CD "Desfado" am Fender Rhodes Piano zu hören ist. Englische Songs singt sie drei auf dem Album. Unter anderem den Joni Mitchell Song "A Case of You" den bereits die Portugiesin Cristina Branco auf ihrem wunderbaren Album "Ullisses" interpretierte, ein Song, den die portugiesischen Sängerinnen sehr gern singen, da er eigentlich ein Fado zu sein scheint, auch wenn er sich musikalisch nicht ganz so anhört. Gänzlich von ihren Fadowurzeln möchte sich Ana Moura indes nicht lösen. Für das Album nahm sie ein paar heimatliche Musiker mit ins Boot, wie Angelo Freire, der bei ihr und auch bei Mariza die portugiesische Gitarre spielt. Der überwiegende Teil der Musiker stammt jedoch aus der Vertragsmasse von Larry Klein, Leute, die mit Springsteen, Dylan und Stevie Wonder im Studio standen. Und so ist "Desfado" ein gewagter Spagat zwischen Pop und Fado geworden, den sie auf eigenwillige Weise meistert. Ihre fadogeschulte Stimme versetzt selbst so mainstreamlastige Songs, wie "Dream of fire", den sie mit einem amerikanischen Freund geschrieben hat und in dem sie von Herbie Hancock begleitet wird, in eine Stimmung, die deutlich nach Süden klingt, wenn auch nicht unbedingt nach Südportugal. Andere Lieder bringt sie dann aber doch wieder in die Nähe des Fado und des portugiesischen Liedes. Kompositionen vom musikalischen Kopf der Band Deolinda sind ebenso zu hören, wie Titel des portugiesischen Liedermachers Miguel Araújo und des Rockmusikers Manel Cruz. Alle drei sind in Portugal sehr erfolgreiche Musiker. Dank der portugiesischen Gitarre und Ana Mouras deutlichem Willen, sich ein Stück vom klassischen Fado zu entfernen, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen, ist die CD eine musikalische Überraschung geworden, an die man sich langsam gewöhnen muss, die einen dann aber umso mehr fasziniert.
© Karsten Rube
Surkalén "Essence de lumière"
Eigenverlag, 2012
Die Welt ist ein Dorf, ein globales Village geworden. Manchmal weiß ich nicht, ob ich das rückhaltlos begrüßen soll oder nicht. Surkalén gehören zu den Musikern, die ohne Grenzen zurechtkommen. Getroffen haben sie sich in Valparaiso in Chile im Jahre 1995. Erst 2008 gründeten sie sich als Trio Surkalén in Montreal. Die Musiker sind alle chilenischer Herkunft, bis auf die Geigerin Maria Demacheva, die 2009 dazu stieß und die Gruppe zu einem Quartett erweiterte. Maria Demacheva ist eine russischstämmige Kanadierin. Das macht den Namen des Ensembles plausibel. Surkalén ist ein Begriff, der aus der Sprache Feuerlandes entnommen wurde und so viel wie "andere Wurzeln" bedeutet. Kanadier mit chilenischen Wurzeln und einem Blick nach Russland im Gepäck. Das könnte sich musikalisch noch einigermaßen überschauen lassen, aber Surkalén sind weltmusikalisch raumgreifend. Ihr Klangteppich lässt zwar Rückschlüsse auf ihre lateinamerikanischen Wurzeln zu, doch mengen sich in ihre Musik noch arabische, bengalische, europäische, afrikanische und fernöstliche Elemente hinein. Das Ende der CD erlebt man in dem Eindruck, eine Weltreise in den Ohren klingen zu hören, ohne wirklich was von der Welt gesehen zu haben. Ethno Fusion nennt sich dieses grenzenlose Zusammenraffen von kulturellen Elementen. Das musikalische Handwerk der Gruppe ist wirklich zu bewundern. Sie scheinen sich jedem Stil gut anzupassen. Das Ergebnis der CD jedoch ist ermüdend. Zu viele Zutaten machen ein Gericht nicht unbedingt zu etwas Besonderem. Ein bisschen weniger unbesonnenes Kulturshopping wäre hier angebracht gewesen.
© Karsten Rube