FolkWorld Ausgabe 34 11/2007; Artikel von Susanne Kalweit
A Decade of Folk
Folk in Schleswig-Holstein
In den 10 Jahren ihres Bestehens hat die FolkWorld häufig über folkmusikalische Erscheinungen und Entwicklungen im hohen Norden Deutschlands berichtet. Oft hat sie dabei auf Artikel und Meldungen zurückgegriffen, die in der "FolkPost", der Mitgliederzeitung der LAG Folk Schleswig-Holstein, erschienen sind. Damit wäre bereits eine Besonderheit der norddeutschen Folkszene genannt: Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland, in dem die Folkies organisiert sind.
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Eine öffentliche Folk-Veranstaltung am 19. Oktober 1975 gilt als die Geburtsstunde des Folk-Treffens, das bis heute jährlich stattfindet. Der nächste Schritt war, die Gruppen nicht einfach spielen zu lassen, sondern eine umfassende Konzeption zu entwickeln, die 1978 in einem eintägigen Folk-Treffen mit Konzert und Diskussion umgesetzt wurde. 1979 dauerte das Treffen schon zwei Tage, ab 1981 ein ganzes Wochenende.
Schnell wurde das Treffen auf dem Jugendhof - mit seinem großen Raumangebot, zu dem auch für Tanz, Workshops und Kinderfolk sehr geeignete Rasenflächen gehören, mit den herrlich gelben Rapsfeldern und dem Blick über die Ostsee - zu einem Geheimtipp (der es leider auch heute wieder ist). Aus den Anfängen mit zwei eingeladenen Gruppen entwickelte sich bald eine Großveranstaltung, die z.T. bis zu 20 spielfähige Gruppen versammelte und - oft zum Ärger des Publikums - ein Doppelprogramm fahren musste.
Demokratisch entschieden die MusikerInnen, wer wann und wie lange spielen durfte. Dadurch wurden die Konzerte manchmal um zwei Stunden überzogen. Trotzdem blieb genug Zeit für Workshops, Gespräche und Sessions bis in den frühen Morgen.
Ex-LAG-Vorsitzender Jörg-Rüdiger Geschke mit |
Bereits Ende der 70er Jahre ließ das Folk-Interesse in Deutschland spürbar nach. Auch das Familientreffen auf dem Scheersberg war kein Selbstgänger mehr; es mussten neue Wege gefunden werden. Entgegen dem Trend wurde 1982 beschlossen: "Ja, wir machen weiter." In den nächsten Jahren wurde das Treffen durch angesehene Musiker (selten Musikerinnen) von außerhalb ergänzt, die neue Impulse geben konnten. Hein und Oss Kröher und Helmut Debus kamen, aus den Niederlanden Törf und Kat yn’t Seil, aus Schottland Hamish Imlach und Iain MacKintosh. Daneben bildeten sich – oft durch das Scheersbergtreffen – neue Gruppen, die auch heute noch die Szene beleben, z.B. Lorbaß, das Dragseth Duo, Guitavio, Strandgut oder Die Mollies.
1990 zogen erneut dunkle Wolken auf. Die bereits stark gekürzten Zuschüsse des Kultusministeriums, für eine Veranstaltung dieser Größenordnung unerläßlich, sollten wegfallen. Dazu kam eine neue Politik: Doppelförderung – institutionelle Förderung einer Einrichtung und gleichzeitige Förderung von individuellen Projekten wie dem Folk-Treffen – sollte künftig nicht mehr möglich sein.
In einem "Offenen Brief" protestierten über 100 Folkmusikerinnen und -musiker bei der Landesregierung gegen diesen Kahlschlag, der im wesentlichen allein die Folkies traf, weil andere Musikrichtungen – die sogenannte E-Musik, Rock und Jazz – institutionell gefördert wurden. Der solidarische Protest zeigte überraschende Wirkung. In Verhandlungen auf verschiedenen politischen Ebenen wurde ein akzeptabler Kompromiss erzielt. Als Voraussetzung verlangte das Kultusministerium allerdings Unerhörtes: "Folkies, organisiert euch!"
In Folk-Kreisen galt Vereinsmeierei als eine Sache für Kaninchenzüchter oder höchstens noch für Trachtengruppen. Und jetzt sollten gestandene Musikerinnen und Musiker - allesamt ausgewiesene Individualisten, die, dem Folke treu, Publikumsgeschmack, Kritikern und Medien die Stirn boten,
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Es half die Einsicht in die Notwendigkeit - kein Verein, kein Geld, kein Folk-Treffen. Die Landesarbeitsgemeinschaft Folk Schleswig-Holstein e.V. (LAG Folk) gründete sich. In den mehr als 15 Jahren ihres Bestehens hat sie sich von der Zwangsgemeinschaft zu einer Lobby für die Folkmusik gewandelt, die heute überall im Lande anerkannt ist und "modellhaft für ganz Deutschland wirkt" (so 1999 Prof. Erich Stockmann vom Deutschen Musikrat).
Seit 1991 gestaltet die LAG Folk SH die Treffen inhaltlich und organisiert sie ehrenamtlich in Zusammenarbeit mit dem Jugendhof. Das Programm ist heute weniger umfangreich, das Schwergewicht liegt auf den Werkstätten. Trotzdem sind viele traditionelle Elemente erhalten geblieben, weil sie den Bedürfnissen der Beteiligten entgegenkommen: das Konzert "Musiker für Musiker", wo sich neue Formationen oder neue Richtungen vorstellen können, die verstärkte Einbindung von Tanz – in Zusammenarbeit mit der LAG Tanz Schleswig-Holstein, Folk für Kinder, aber auch das Ständchen fürs Küchenpersonal beim letzten Mittagessen.
Am Sonnabend Abend ist immer ein öffentliches Konzert. In den letzten Jahren war darüber hinaus ein Abschlusskonzert in der nahe gelegenen Söruper Kirche überaus erfolgreich. Es werden, so weit finanziell möglich, weiterhin Künstler(innen) von außerhalb eingeladen. Sie bleiben üblicherweise das ganze Wochenende und geben inWerkstätten ihre Kenntnisse weiter. Neben renommierten deutschen Künstlern wie Jo Meyer von Jams, Wolfgang Meyering (mit und ohne Malbrook) oder Hans Eckardt Wenzel und mehreren Folk-Förderpreisträgern waren dies meist Gruppen oder Musiker aus anderen Ostsee-Ländern – Haugaard & Hoirup und andere aus Dänemark, Ove Ronström mit Tiddelipom aus Schweden, Troka aus Finnland oder das Nikolausorchester aus Polen. 2008 soll nach längerer Zeit der Schwerpunkt wieder einmal auf irisch-schottischer Musik liegen.
Frage an Ulli Ehlers: Weshalb hörte der Scheersberg nicht - wie viele andere Festivals - einfach auf zu existieren? "Als wohl einziges Festival wird es organisiert von Leuten, die Musik machen, für Leute, die Musik machen. Dann die durchweg gute Resonanz in der Presse und in den Medien sowie die Solidarität, die sich jeweils entwickelte, wenn das Festival bedroht war, und die bis heute fortwirkt."
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Allerdings steht das Scheersbergtreffen für viele nicht mehr im selben Maße im Mittelpunkt wie noch vor zehn Jahren. Mittlerweile hat die Arbeit der LAG Folk SH zur Entwicklung regionaler Schwerpunkte geführt. So gibt es heute Folkclubs oder Veranstaltungsorte, für die Folk ein Schwerpunkt ist, unter anderem in Mölln, Bad Segeberg, Flensburg, Eckernförde, Hamburg-Osdorf, Kiel-Mettenhof, Kellinghusen, Garding und Kappeln. Der Möllner Verein Miteinander Leben organisiert in Zusammenarbeit mit der LAG Folk SH alle zwei Jahre im Juni das Folksfest der internationalen Begegnung in der Altstadt, das regelmäßig vom Deutschlandfunk für seine Folksendungen mitgeschnitten wird. Das Flensburger Volksbad, die Kieler Räucherei, der Husumer Speicher, der Lutterbeker und der Lübecker Werkhof haben häufig Folk im Programm. Darüber hinaus bieten immer mehr Gaststätten in ihrem Programm auch Folkmusik live an. Bedauerlich ist nur, dass sie dort oft zum Hintergrundgeräusch degradiert wird. Dabei lohnt sich das Zuhören, da heute die meisten Gruppen das Stadium irischer Trink- und Rebellenlieder hinter sich gelassen haben und sowohl in der Liedauswahl als auch in den Arrangements sehr vielfältig geworden sind.
Die Vernetzung innerhalb der Szene fördert auch die seit 1991 regelmäßig erscheinende Broschüre "Folkmusik in Schleswig-Holstein" mit ausführlichen Selbstvorstellungen aktiver Gruppen, die auch auf der LAG-Homepage zu finden sind, und die Mitgliederinfo FolkPost (vorher "FolkNews"), die seit 1994 alle zwei bis drei Monate erscheint und zwar kurz, aber inzwischen sehr professionell aufgemacht ist. Sie enthält u.a. eine ausführliche Übersicht auch über regelmäßige Termine von Sessions usw. 2006 gab die LAG Folk SH die Doppel-CD "Von Küste zu Küste" mit 25 Aufnahmen von LAG-Gruppen heraus. Bereits früher wurde nicht nur ein Leitfaden für die Gründung von Folkclubs veröffentlicht, sondern auch ein Notenheft zu verschiedenen Bereichen der Folkmusik mit Tonbeispielen auf CD. Beides richtet sich vor allem an Musikschulen, die bereit sind, ihren Schülerinnen und Schülern Angebote aus dem Folkbereich zu machen. Sie können aber auch von anderen Interessierten für zusammen 20 € bestellt werden.
Für die Nachwuchsarbeit, ein besonderes Anliegen der LAG, kann Zentralisierung offenbar sogar ein Hindernis darstellen. Die Tønträger, über mehrere Jahre ein erfolgreiches Jugendprojekt mit mehr als 20 Mitgliedern, lösten sich in regionale Gruppen auf, weil die Belastung durch die weite Anfahrt zu den gemeinsamen Proben zu groß wurde. Die Schrägen Vögel dagegen, eine aus kirchlicher Jugendarbeit in Gelting hervorgegangene Gruppe, entwickelt sich trotz häufiger Mitgliederwechsel erfreulich gut weiter; auch auf Hof Akkerboom läuft seit einigen Jahren ein Folk-Workshop für Jugendliche.
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Der Schwerpunkt lag in den letzten Jahren stark auf Skandinavien bzw. den Ländern rund um die Ostsee. Zwar spielt ein großer Teil der Gruppen deutsche, vor allem plattdeutsche Stücke, ein ebenso großer Teil Schottisch-Irisches oder macht eigene Lieder in englischer Sprache. Das Interesse an anderen Bereichen – Balkantraditionen, Klezmer, Folkrock, genreüberschreitend und vor allem an skandinavischer und osteuropäischer Musik – nimmt jedoch zu, letzteres vor allem durch die Veranstaltungsreihe folkBaltica, die seit 2005 stattfindet. Dieses Projekt findet im Rahmen der in Schleswig-Holstein seit langem etablierten ars baltica statt, die ein Austausch zwischen den Kulturen der Ostsee-Anrainerstaaten zum Ziel hat. Im Trägerverein der folkBaltica, der von der Landesregierung und von mehreren nordischen Staaten finanziell unterstützt wird, ist die LAG Folk SH ein Mitglied unter mehreren; der Anstoß und der Aufwand, der zur Verwirklichung nötig war, ist jedoch vorwiegend aus ihren Reihen gekommen. Für das Programm lohnt es sich, Ende April nach Flensburg zu fahren, wie die gute Auslastung nahezu aller Veranstaltungen belegt.
Es ist im Rahmen eines solchen Artikels nicht möglich, die gesamte Folkszene in Schleswig-Holstein umfassend zu beschreiben. Natürlich gibt es auch Folkleben außerhalb der LAG, etwa den Wahl-Schleswig-Holsteiner Hannes Wader, Gruppen wie Godewind oder Speelwark, das Rio-Reiser-Haus sowie viele Kneipen und Veranstaltungsorte, die heute wieder zunehmend Folk anbieten.
Deutschlands Norden kann für Folkies sehr interessant sein. Am besten selbst kommen und erforschen!
Susanne Kalweit lebt in Norddeutschland, wo sie sich vor allem in der
Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Folk Schleswig-Holstein
engagiert. Beiträge von ihr erscheinen regelmäßig in FolkWorld und
Folker!.
Besucht auch ihre Webseite: mysongbook.de! Das nächste Scheersbergtreffen findet zu Pfingsten 2008 (9.-11. Mai) statt. |
Photo Credits:
(1) Gruppenbild 1998;
(2) Nachwuchsarbeit 2000;
(3) Werkstatt Haugaard 2001;
(4) Ulli Ehlers 1998;
(5) Schräge Vögel 1998 (by LAG Folk SH).
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 11/2007
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