"Lieber eine Fahrt ins Blaue als ein Blauer in Fahrt", besagt eine neue folkloristische Weisheit. Tja, die Zeitenwende hat sich wohl mancher in Österreich anders ausgemalt. Aber man mag sich damit trösten, dass interessante Zeiten gerade die beste Kunst hervorbringen. Harren wir also der Dinge, die da kommen ....
Noch einmal einen Sprung zurück: "Friert der Österreicher nicht gern und kann er sich's leisten, so verbringt er die Feiertage auf Lanzarote. Dort, erzählen Hotelmanager, will er alles so haben, wie er's von zu Hause gewöhnt ist. Und wenn dann endlich ,Stille Nacht' ertönt, ,brüllen die meisten inbrünstig mit - vor lauter Heimweh.'" Die Experten streiten hingegen, ob nicht doch "Rudolph the Red-Nosed Reindeer" der beliebteste Weihnachtsschlager war. Wie auch immer, auf dem Gabentisch fand ich "Folk & Volxmusik in der Steiermark", das rund 40 Jahre steirische Folkszene Revue passieren läßt: "Geschichte in Geschichten" über den "ersten steirischen Folkmusiker" Jim Cogan (vulgo Johann Köberl) in den 60ern, dem "Almdudlerrocker" Wilfried Scheutz in den 70ern (heute beim Musikkabarett 4-Xang) bis zu den "Neuen Volxmusikanten" Broadlahn und Deishovida heute. Buch und CD bieten dem Frischling einen hervorragenden Einstieg, dem alten Hasen wehmütige Rückschau und vielleicht freudig-bangen Ausblick.
Das neue Jahr beginnt - traditionell - mit dem Strauß-Konzert der Wiener Philharmoniker, den "Gralshütern der Strauß-Tradition", und - alternativ - dem Vienna Art Orchestra, dem "österreichischen Nationalorchester des Jazz". In den etwas in die Jahre gekommenen Sofiensälen, Schauplatz von rund 70 Strauß-Uraufführungen, wird unter Leitung von Mathias Rüegg die offizielle Vormittagsmatinee Stück für Stück nachgespielt. Einzig der "Radetzky-Marsch" - "mit dem kollektiven Klatschorgasmus" - wird ausgespart. Opulenter Big-Band-Sound auf der einen, Soloeinlagen auf der anderen Seite, so verschmilzt die Tanzmusik des ausgehenden 19. mit der des angehenden 20. Jahrhunderts. Ob wir damit schon im 21. angekommen sind, sei dahingestellt. Und bitte jetzt keine Diskussionen über das Millennium!
Augenblicklich ist alle Welt Schifoan, "Events" (so heißt das auf Neu-Österreichisch) sind weit und breit keine in Sicht. Zwar schießen "Irish Theme Pubs" wie Schwammerln aus dem Boden, die Dreifaltigkeit von Guinness, U2 und Nostalgie-Mobiliar macht aber noch lange keinen Sommer, schon gar keinen Folkigen. Doch da schon die alten Sangesbarden Ulrich von Liechtenstein und Tannhäuser das Wiener Wohlleben - schöne Mäderln, guter Wein und erlesene Leckerbissen - priesen, fällt es nicht schwer, den Semmering zu überqueren. Und einzig in Wien findet man in einem der zahlreichen Beisln eine ausgeprägte Tanz- und Session-Szene.
"Wien groovt" kündigt sich die Hauptstadt schon von weitem an, "im 3/4 Takt" erfährt man wenige Meter weiter: "Die klingenden Trompeten und allerseits erschallende Musik auß den adelichen Palläst und Höfen machten immerzu ein solches angenehmliches Getöß, daß man davor gehalten, der Himmel müß ein Loch bekommen, wodurch die Freuden Metzen weiß in die Wienstatt fallen" (Santa Clara). Wiens "Beiträge zur Kultur des Abendlandes sind unübertroffen" wirft man sich in die stolzgeschwellte Brust: Beethoven (aus Bonn), Brahms (Hamburg), Gluck (Erasbach), Haydn (Rohrau), Mozart (Salzburg), und Schubert (jo, Wien!). (Böse Zungen lästern, Beethoven sei ein Wiener und Hitler aus Bonn.) Auf ihren Spuren oder denen ihrer Instrumente vermag man durch die Stadt zu wandeln. Abzuraten ist, um der Musen Willen, es nicht dem beliebten Touristensport nachzumachen, auf den Nixen des Strauß-Denkmals herumzusteigen. Der Autor dieser Zeilen dankt!
Ende des 18. Jhds. wird - unter Mozarts Namen - eine "Anleitung, Walzer oder Schleyfer mit zwey Würfeln zu componiren, soviel man will, ohne etwas von der Musik oder Composition zu verstehen" verbreitet. Ein Salomo Wolf führt den "Beweis, daß das Walzen eine Hauptquelle der Schwäche des Körpers und des Geistes unserer Generation sey." Das alles kann den Erfolg des "der Gesundheit schädlichen zu raschen Tanzens" nicht verhindern - "eine Musikgattung sui generis, die nur hier entstehen konnte, weil sie ihren Ursprung im Naturell des Wieners hat, einer eigenartigen Mischung von Lebensfreude und Sentimentalität". Zwischen dem Wiener Kongress (der tanzt, aber "il ne marche pas") und dem "Großen Krieg" (in dem nurmehr Marsch und Gesang das Genre bestimmen) stürzen Johann Strauß Vater und Sohn die Stadt in den Walzertaumel.
Musik für jede Gelegenheit: Ob "Revolutions-Marsch" und "Schwarz-Roth-Gold" (später als "Landesfarben-Walzer" verharmlost) oder "Kaiser-Franz-Joseph-" und "Jellacic-Marsch". (Der kroatische Feldmarshall räumt mit der 1848er-Revolution auf. Vor einigen Jahren wurde in Zagreb sein Reitermonument wiedererrichtet; einst zeigte die Säbelspitze gen Budapest, heute Richtung Belgrad.) Als 1866 bei Königgrätz der "Anfang vom Ende der Monarchie" eingeleitet wird, muß dem Nationalstolz geschmeichelt werden: In der Praterstraße 54 entsteht der wohl berühmteste Walzer der Welt: "An der schönen blauen Donau". - "Warum die Donau ,blau' ist? Auf ,grau-grün' reimt sich bestenfalls ,tauziehn' und das ist nicht im 3/4 Takt."
Zu einem anderen Sylvester- und Neujahrskonzert: "Vom Naschmarkt in die Staatsoper", um zur "Lustigen Witwe" aufzuspielen, scheint ein volksmusikalisch weiter Weg. Für die Wiener Tschuschenkapelle, die "einen der abfälligsten volkstümlichen Ausdrücke für Steuerzahler, die aus dem Südosten Europas und der Türkei nach Österreich kamen, stolz und provokativ zu ihrem Markennamen wendete", nur eine weitere Grenzüberschreitung: "Uns allen in der Band war das eigene Kaff von Anfang an zu klein. Umso weniger lassen wir uns jetzt in nationalistische Löcher pferchen." "Es wird nicht möglich sein zu sagen: So, hier ist die Staatsgrenze, bis hier wird kroatische Musik gespielt und ab dort serbische. Das hat es in der Geschichte nie gegeben, und das wird auch keine Zukunft haben. Man wird auch wieder Lieder von anderen Völkern spielen, zumal die ja so anders nicht sind und deren Sprache ja ähnlich oder gar gleich ist."
Die augenblickliche Besetzung der Tschuschenkapelle, die man vor allem live erlebt haben muß, sind Slavko Ninic (Gitarre und Gesang), Krszysztof Dobrek (Akkordeon) und Metin Meto (Perkussion) sowie Alfred Stütz am Bass und Christian Gruber-Ruesz an der Mandoline ("Es war uns immer wichtig, daß auch österreichische Musiker bei uns um Arbeitsbewilligung ansuchen"). Das Repertoire besteht vor allem aus Liedern und Tänzen aus dem Landstrich, der einmal Jugoslawien hieß, aber auch der Türkei und Kurdistan, aus griechischem Rembetiko und Zigeunerjazz - und auf ihrem letzten Werk "Wie schön Österreich ist" auch Wienerliedern. "Wir wären nicht die Wiener Tschuschenkapelle, würden wir an diesem musikalischen Reichtum, an dessen Quelle wir uns hier befinden, vorübergehen. Unüberhörbar sind ja auch die slawischen und ungarischen Einflüsse im Wienerlied."
Wenn das der Führer wüsste: "Unsere Staatsoper, die erste Kunst- und Bildungsstätte der Welt, der Stolz aller Wiener, ist einer frechen jüdisch-negerischen Besudelung zum Opfer gefallen. Christliche Wiener und Wienerinnen, Künstler, Musiker, Sänger und Antisemiten erscheint in Massen und protestiert mit uns gegen diese unerhörten Schandzustände in Oesterreich." (Demonstrationsaufruf gegen Ernst Kreneks Oper "Jonny spielt auf", Sylvester 1927) Die simple Botschaft der Tschuschenkapelle dagegen: "Wir sind Synonym für ,erfolgreiches Zusammenleben der Kulturen' und manchem Ewiggestrigen ein Dorn im Auge. Gut so."
Kreise sind dazu da, geschlossen zu werden: Das philharmonische Neujahrskonzert wurde mit dem "Lagunen-Walzer" eröffnet; ritualisierter Abschluss war der "Radetzky-Marsch", dem Feldmarschall gewidmet, der 1848 mit einem Luftangriff auf Venedig Militärgeschichte geschrieben hat (als ob "La Serenissima" nicht von alleine zerfallen würde). Sowohl die Lagunenstadt als auch das Salzkammergut können sich um den Ursprung des Karnevals streiten. In den Wiener Sofiensälen findet ein "Dreigroschenopernball" statt: Der "Opferball". Mit den Verkäufer/innen der Straßenzeitung Augustin - benannt nach dem legendären Dudelsackspieler, der die Pest aus der Stadt trieb (Denkmal in der Neustiftgasse) - und allen Obdachlosen und Habenichtsen der Stadt, damit "diejenigen, die in Gesellschaft und Wirtschaft die erste Geige spielen, im Fasching die zweite Geige spielen. Was auch der alte subversive Sinn des Faschings ist, wie jeder Volkskundler bestätigen wird."
Broadlahn: "Broadlahn", "Leib & Seel", "Almrauschen im Weltempfänger"
Jim Cogan Band: "Heritage"
Deishovida: "Fast Folk", "Not 4 U"
V/A: "Folk & Volxmusik in der Steiermark" (Buch & CD, ed. A. Safer), "Johann Strauß - Der Walzerkönig" (Buch,
CD & CD-ROM, ed. H. Rögl), "Klangführer durch die Sammlung alter Musikinstrumente" (Kunsthistorisches Museum Wien), "Der
Staat ist in Gefahr! - Lieder zur Wiener Revolution 1848" (Historisches Museum Wien, in: Ausstellungskatalog "1848 - das
tolle Jahr")
Vienna Art Orchestra: "All That Strauss"
Wiener Philharmoniker: "Johann
Strauß-Edition", "New Years Concert 2000"
Wiener Tschuschenkapelle: "Wiener Tschuschenkapelle", "Wiener
Tschuschenkapelle", "G'rebelt - Live", "Wie schön Österreich ist"
4-Xang: "4-Xang"
"Austro-Folk":
Teil 1: Der Himmel voller Geigen
Teil 2: Asien beginnt an der Landstraße
Teil 3: Die Kelten, die zu Hause geblieben sind
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Zum Inhalt des FolkWorld online musikmagazins Nr. 13
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