FolkWorld Artikel von Walkin' T:-)M:

Asien beginnt an der Landstraße

Austro-Folk 2: Zwischen Orient und Okzident


photo: www.styria.com

Am 11. August hält die totale Sonnenfinsternis Europa in Atem. Während die einen eine eher stille Andacht bevorziehen, betäuben sich die anderen bei "So-Fi-Mega-Events": Auf dem Grazer Schloßberg etwa wird mit Volksmusi und Jazz aufgegeigt, auf dem Hausberg Schöckl spielt die Bigband der Grazer Verkehrsbetriebe, in Wiener Neustadt erklingen japanische Trommeln und chinesische Flöten.
Allerdings ist die musikalische Untermalung derartiger Naturphänomene keine Erfindung der Postmoderne!

Die Zeitung "Der Aufmerksame" plädiert 1842 - offenbar vergeblich -, dieses Ereignis kulturell-kulinarisch zu begleiten: "Zweifelsohne wird an diesem Tage bei günstiger Witterung ein beträchtlicher Theil des Grätzer Publikums schon Morgens 5 Uhr die Promenade auf den Schloßberg beginnen, und der ,Aufmerksame' glaubt sich der schaulustigen Welt verbindlich zu machen, wenn er öffentlich die Bitteergehen läßt, daß an diesem Morgen die reizenden Anlagen des Schloßberges durch die Klänge einer oder der anderen Musikbande verherrlicht werden möchten, und die Gastgeber beim Uhrturm und in der Höhe für ein gutes Frühstück Sorge trügen. Wird doch alles Neue und Großartige auf der Erde durch Musik und Gastmahl in`s Leben gerufen, warum soll der sterbliche Mensch nicht auch einmahl die Natur, wenn sie ihm ein seltenes Schauspiel in einer Morgen-Prachtausgabe spendet, mit dem Jubelklange anmuthiger Töne empfangen, und sich dabei eines guten Frühstücks erfreuen!"

Ein Wiener Gastwirt hingegen ergreift die Eigeniniatiative und engagiert den Geigenvirtuosen Joseph Lanner (1801-43): "Grosse Morgen-Assemblée, welche morgen Freytag den 8. Julius 1842 in Kremsers`s Localitäten am Währingerspitz, indem sie zur Beobachtung der Sonnenfinsterniss vorzüglich geeignet seyn dürften, auf Veranlassung des Herrn Capellmeisters Joseph Lanner, welcher die große Instrumental Musik persönlich leiten wird, bey günstiger Witterung Statt findet. Anfang um halb 6 Uhr Früh Eintrittspreis 10 kr. / C.M." (Wiener Zeitung vom 7. Juli 1842).

photo: www.rudolstadt.de Man muß nicht immer gleich in die Alpen fahren, um Austro-Folk genießen zu können, ein Abstecher auf das thüringische Tanz&Folkfest Rudolstadt hätte heuer auch genügt. Gäbe es das Habsburgerimperium noch, wären die ehemaligen Untertanen ihrer Majestät gut vertreten: Die traditionellen Tanzensembles Metkovic (Dalmatien) und Zengö (Ungarn), die Liedermacherin Zuzana Homolova (Slowakei), die Folkrockband Ceskomor und die Dub-Band Hypnotix (Tschechien) sowie die geographisch wie musikalische Crossoverband The Transsylvanians.
Nicht gerade dem österreich-ungarischen Kulturkreis zurechnen wird man wohl die Wiener Band Pasaport können. Die Gewinner des Österreichischen Folkförderpreises 1998 sind acht Türken und zwei Österreicher, die ihren Gastgebern - und als Deutschlandpremiere den Rudolstädtern - die Musik ihrer anatolischen Heimat näherbringen wollen. Das Ergebnis ist ein folkiger "Ethnojazz", dessen geschickte Arrangements sich auch in europäische Ohren einschleichen.

Schon Fürst Metternich (1773-1859), der die Grenzen gegen alle unliebsamen Einflüße von außen dichtmachen wollte - 150 Jahre später kommen Vorschläge aus Österreich, die Genfer Flüchtlingskonvention abzuschaffen; von Jörg Haider mal ganz zu schweigen (zum Zeitpunkt des Erscheines dieser Zeilen schlägt sich der Verfasser wahrscheinlich die Hände vor den Kopf, wie viele Österreicher den Freiheitlichen bei den Nationalratswahlen die Stimme gegeben haben, oder hat schon die Koffer gepackt) -, glaubte zu wissen: "Asien beginnt an der Landstraße" [im 3. Wiener Bezirk]! Als 1683 das osmanische Heer geschlagen von Wien abzieht, bleiben Kastanien, Flieder und das Kaffeehaus zurück, das Erbe der türkischen Immigranten mag neben dem Kulinarischen (in Rudolstadt gab es mehr Dönerbuden als Getränkestände) auch ein Beitrag zu österreichischer Weltmusik sein.

photo: www.bmgclassics.com Auf den ersten Blick haben Daisy Jopling (Violine) aus London, Aleksey Igudesman (Violine) aus St. Petersburg und Tristan Schulze (Cello) aus Dresden nichts mit Österreich zu tun. Doch die drei klassischen Musikstudenten taten sich 1995 im Wiener Porgy & Bess Jazz Club zusammen, um einmal etwas Anderes zu Gehör zu bringen. Mittlerweile bieten Triology je nach Bedarf Klassik, Jazz oder traditionelle Musik. Ihr Debütalbum besteht aus Werken des italienischen Filmkomponisten Ennio Morricone, der mit Sergio Leones "Spaghetti-Western" zu Berühmtheit gelangt ist. "Spiel mir das Lied vom Tod" ist sicherlich eine Volksweise im besten Sinne des Wortes.

Apropos: Das "Instrumentenspecial" von Rudolstadt war der Mundharmonika gewidmet. Und die Entstehung des "Goschenhobels" wird dem Wien des vorigen Jahrhunderts zugeschrieben.

photo: www.folkladen.com Weder originär alpenländische Klänge, noch die Musiken der Donaumonarchie erklingen beim Folkfest Gutenbrunn, sondern speziell das keltische Erbe - auch wenn es 2.000 Jahre lang in Vergessenheit geraten ist und nun re-importiert werden muß. Der Ort ist gut gewählt, ist das "mystische Waldviertel" doch übersäht mit bizarren Steinformationen des erodierten böhmischen Massivs sowie menschlichen Hinterlassenschaften - inklusive "Fiedelstein", "Druidentreff" und einer vierstufigen Pyramide.

Zentralen Stellenwert beim Festival im Steinbruch am Hanslteich, "Skandinavien ums Eck", nimmt das legendäre Fußballspiel Irland-Österreich ein. Statt Schnitzerln bieten die Gaststätten Irish Breakfast an. Heuer dabei: Cran und Lia Luachra (IRL), das Songwriter-Duo Andy M. Stewart & Gerry O'Beirne (SCO/IRL), "Banjo wizard" Gerry O'Connor (IRL), die folkrockenden Whisky Priests (UK) sowie Feelsaitig (D). Auftakt und Abschluß sind keltischen Klängen alpiner Abkunft gewidmet: Smoky Finish (dem Whisk(e)yliebhaber wird der Ausdruck geläufig sein) und Ballycotton (benannt nach einem Dorf in Irland, "bekannt für Pubs, Whiskey und Haifische").

photo: www.t0.or.at Die Gruppe Novi Sad hingegen hat mit dem gleichnamigen Ort in der Vojvodina ("Neues Feld") nichts zu tun, der Bandname soll schlicht "Neue Traurigkeit" bedeuten. Der Mix aus Jazz, Folk und Rock baut aber ebensolche Brücken, wie die jugoslawische Stadt schon immer ein Brückenkopf zwischen dem Balkan und Zentraleuropa gewesen ist. (Selbige sind nun allerdings den NATO-Bombardements zum Opfer gefallen - das Stadtwappen zeigt eine über die Türme der Stadt fliegende Taube mit einem Olivenzweig im Schnabel...) Die Harfenistin Monika Stadler versucht, "ein Gegengewicht zu unserer hektischen, naturentfremdeten Technowelt" zu schaffen. Harfenmusik (begleitet nur vom Broadlahn-Perkussionisten Franz Schmuck) auf einem Festival ist sicherlich eine ganz eigene Erfahrung und Herausforderung - und nicht jedermanns Sache.

photo: www.folkladen.com Für das musikalische Katerfrühstück am Sonntag Morgen sorgt die Original Stiefelbein Bluhs-Bänd (mit Fiddler Andi Fasching als Gast), einem der unterhaltsamsten Versuche alpiner "Weltmusik": Das akustische Blues-Duo Georg Siegl (Gitarre, Slide, Dobro) und "Billy" Wotawa (Akkordeon, Mundharmonika, Banjo) klingen je nach Lust und Laune nach Heurigen oder Tex-Mex. Es sollte eine "Blues-Kiste mit Wiener Dialekttexten und Fransen zum Wienerlied, Cajun, Folk" werden (so Georg). Als musikalischer Vater der "Bänd" wird der böhmische Musikant Frantisek Dobrovolny "entdeckt", der "während des Ersten Weltkrieges desertiert und mit seinen in den Delta-Blues übertragenen Wiener Liedern zum ,White Godfather of Black Music' in den Südstaaten der USA geworden ist" (laut Siegl/Wotawa ist der Altwiener Gassenhauer "S' Oide Haus im Liebhartstal" zum "House of the Rising Sun" mutiert). Der Großteil des Repertoires besteht denn auch neben selbstständig verfaßten Texten und Melodien aus "Wienerlied-Vorlagen Dobrovolny's, die jener in den Blues portiert hatte, oder (eigenen) Rück-ßbersetzungen ins Wienerische." Na denn!

Und wenn man jetzt noch die Dauer der Umbaupausen minimieren und ein wenig am Mix arbeiten würde, dann könnte ich rundherum zufrieden sein!


Diskographie:

Ballycotton: "Joanna's Wedding", "Fairytale"
Ceskomor: "Mezi horami"
Zuzana Homolova: "Slovenske balady"
Hypnotix: "New World Order", "Right Time", "Witness of our Time"
Novi Sad: "Music for the Time after Rock'n Roll"
Original Stiefelbein Bluhs-Band: "Gstieß & Mond"
Monika Stadler: "Another World", "Two Ways", "On the Water"
The Transsylvanians: "Öröme", "Jo!"
Triology: "Plays Ennio Morricone"
V/A: "2. Folkfestival Gutenbrunn"
Zengö: "Vig ora - A Time To Be Merry"

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Photo Credit:
(1) Sonnenfinsternis, Courtesy of www.styria.com
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 10/99

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