FolkWorld Artikel von Walkin' T:-)M:

Die Kelten, die zu Hause geblieben sind

Austro-Folk 3: Monster, Mumien, Mutationen


Von Walkin' T:-)M

"Auf das von der VP-Spitze [Volkspartei] mittels eigenhändiger Musik- und Stimmbegleitung vorgestellte Liederbuch ,Sing mit uns' hat die SPÖ [Sozialdemokratische Partei] schon tags darauf über eine Zeitung aktionistisch reagiert. ,Sink mit uns' heißt das Motto einer ,Initiative 8', das die musizierenden VP-Politiker in einem sinkenden Boot darstellt. Damit sollen die Wähler unterscheiden können, ,was zukunftsorientierte Politik ist und was nicht'. VP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat zeigte sich nicht sehr erbaut, dankte aber dafür, dass der Koalitionspartner damit ,gute Werbung' für das VP-Büchlein mache. Die SPÖ will wissen, dass ein Posten des VP-Liederbuches im Unterrichtsministerium angekauft worden sei, um es gratis an den Schulen zu verteilen. Damit werde Parteipolitik in die Pädagogik hineingebracht. Die VP-Generalin vermutet, dass die geheimnisvolle ,Initiative 8' im Bundeskanzleramt angesiedelt ist. Das würde bedeuten, dass mit Steuergeldern Reklame für die Kanzlerpartei gemacht werde. (Kleine Zeitung)

Wie man diesen Zeilen entnehmen kann, habe ich (noch) nicht die Koffer gepackt. Jörg Haider sinnt - wenn er nicht gerade durch New York joggt - (noch) in Kärnten über die NS-Beschäftigungspolitk, Einwanderungsquoten und die "A[usländer]-Card" nach. Drei von "1938 Gründen" nichts über das Kärntner Volkslied zu schreiben, von dem es heißt: "Dort, wo 3 Kärntner zusammenkommen, wird vierstimmig gesungen." - "Ist es der südliche Himmel, die Vielfalt seiner Landschaft oder ein Erbe des regen keltischen Blutes, was den Mund zum Singen so oft und so leicht öffnen läßt?"

Nun ist eh die Jahreszeit gekommen, wo die Gespenster aus ihren Grüften kriechen, sprich: Es ist Hallowe'en. Und offenbar - schaut man sich die Geschäftsauslagen und Partyangebote an - hat man wieder etwas entdeckt, das sich gewinnbringend vermarkten läßt. Das Spektrum reicht vom "Samhain-Festival" bis zur "Sarg-Party". Am gleichen Wochenende findet die Österreichische Musikermesse statt, konzipiert nach dem Ausspruch einer weiteren Leiche, mit der sich Geld machen läßt: "Lederhose neben Lederjacke, Harmonika neben Synthesizer - Kontakte sind für Musiker lebensnotwendig" (Falco, 1957-98).

Bleiben wir bei den Kelten! Es tut mir fast schon leid (aber nur fast), da betitele ich dieses Tagebuch "Austro-Folk" und statt über Gstanzln und Schuhplattln folgen schon wieder Auslassungen über das keltische Erbe. Liegt das nur an meinen persönlichen Vorlieben oder doch einfach in der Luft? Leopold Kohr (1909-94), Begründer der "Small-is-beautiful"-Idee, stellt über sein Exil Wales lapidar fest: "Die Kelten sind den Österreichern sehr ähnlich, in Charakter, Temperament, leider auch in Schlamperei. Schließlich kommen sie ja aus der Gegend von Hallein. Die Österreicher sind die Waliser, die zu Hause geblieben sind."

photo: web.inter.nl.net photo: web.inter.nl.net Im Salzburgischen - Heimat nicht nur Kohrs, sondern auch Mozarts (1756-91) und der Trapp-Familie (Austrias Antwort auf die Kellys) - wurde Weihnachten 1818 erstmals ein kirchliches Lied mit Gitarrenbegleitung aufgeführt, das berühmt-berüchtigte "Stille Nacht, Heilige Nacht"! Komponist Franz Xaver Gruber (1787-1865) ist vor der Dekanatskirche in Hallein begraben, Texter Joseph Mohr (1792-1848) stammt mütterlicherseits aus demselben Ort. Vor exakt 150 Jahren rief Gruber die "Liedertafel" - oder "Litertafel", wie spitze Zungen behaupten - ins Leben, die noch heute am Heiligen Abend an seinem Grab die Originalfassung von "Stille Nacht" singt.

Heuer findet im Eichenhain in Hallein-Gamp zum 11. Mal ein einstmals "keltisch" geprägtes Folkfestival statt. In den Salzminen am Dürrnberg wurde schon vor 3.000 Jahren das "weiße Gold" gewonnen, nun setzt die Keltenstadt allerdings auf "Ethno-Jazz", "Neue Volxmusik" und "Cross-Over". Das Potential an zugkräftigen Bands sei ausgeschöpft, ist Friedrich Bahner von der Halleiner Folkinitiative überzeugt, "nur mit der Weltmusik können wir auch in Zukunft Erfolg haben". "Von der Optik her kann man sagen, dass sich die Publikumsstruktur bereits bei diesem Festival verändert hat", freut sich Bahner. Die "Freaks" seien verschwunden. Und vielleicht ist die Musik auch gar nicht so wichtig: "Man trifft hier so viele Leute, dass man von der Musik oft gar nicht mehr viel mitkriegt", "Die Musik ist Nebensache", "Ich kenne viele, die nur wegen der Leute kommen" - so hört man.

Die Eröffnung übernehmen Colin Wilkie & Peter Ratzenbeck sowie Allan Taylor. Das Halleiner Quartett Sardraela interpretiert Griechisches und Irisches, klingen aber irgendwie immer alpin. Veseli Halychany ("Die lustigen Galizier") warten mit Liedern und Tänzen aus der Ukraine auf. Als Zugabe gibt es "Die kleine Kneipe". Das 15-köpfige Pürbacher Volkskunstorchester - "Aus Pürbach kommt kein Schwein, dafür sind zwei Piefke dabei" - versucht der österreichischen Volksmusik einen weltmusikalischen Anstrich zu geben. Heraus kommt eine Kreuzung zwischen Blasmusikkapelle, Jazz und Freistil. Fanfare Ciocarlia aus Rumänien musizieren "im Akkord": "Blasmusikalische Akrobaten", "Rabauken mit Trompeten", "Kampfblasen im Techno-Beat", "Blaskapellenpunk", "Mischung zwischen Volksmusik und Miles Davies" - und während die Schreiberlinge noch nach Worten ringen, sind wir bereits zwei Stücke weiter...

photo: www.nmz.de "Konfrontation von Tradition und Innovation": Traditionelle Klänge gibt es von Duncan Chisholm & Ivan Drever sowie den in Prag beheimateten Dun an Doras (der Bandname läßt mich einen kurzen Augenblick heiß und kalt werden) - ganz international - mit der asturisch-böhmischen Sängerin Katia Garcia, dem griechisch-bulgarisch-irischen Piper Scott Mavroudis, und dem tschechischen Bouzouki-Spieler Rene Starhon. Die Pariser L'Attirail präsentieren ein multikulturelles Konglomerat aus orientalischen Klängen, Dancefloor und Polka (wobei die Alpen großzügig umfahren werden). Die Kerberbrothers Alpenfusion verschneidet Motive und Instrumente der Volksmusik - inklusive Alphorn, Zither und Hackbrett - mit Jazzelementen. Was den Allgäuer Alphornpabst in Rage bringt ("Das Alphorn gehört in die Berge und nicht in die Jazzkneipe"), ist grob betrachtet Jazz mit volksmusikalischen Anleihen (hauptsächlich) und Traditionelles angefunkt (gelegentlich). Eine Fusion ist das nicht, sondern eine Gegenüberstellung. Aber eine Alternative für manches Jazzfest.

Im letzten Block heißt es: Plommon ("Pflaumen"). Oder: Eine geballte Ladung schwedischer Spielmanns(bzw. frau)musik mit fünf Violinen. Schluchzende Geigen kommen hier immer gut an. An Erminig - um Bass und Perkussion auf eine 5-köpfige Formation erweitert - lädt zur bretonischen "Erdäpfelernte". Zum guten Schluss führt Tamorra auf eine musikalische Reise nach Sizilien. Das "Folk-Bier" schmeckt und ein professionelles Technikteam sorgt für einen reibungslosen Ablauf. Freuen kann man sich über das schöne Wetter, waren die letzten Jahre doch ausnahmslos verregnet. Ach ja, ein kleines Rahmenprogramm im Ort - u.a. mit dem Liedermacher Christian Schermer - gibt es auch. Aber, liebe Leute, baut das doch aus! Sonst merkt der zufällige Besucher von Hallein gar nicht, daß hier ein Internationales Folkfestival stattfindet.

photo: www.kleine.co.at Abschließend darf der Jubeltag nicht unerwähnt bleiben, an dem der "Kaiser der Volksmusik" Kao Moi-kung, vulgo Karl Moik, mit dem "Verbotenen Stadl" in Peking einfällt. Die Langnasen bedienen jedes Klischee: Selige Walzer und Schlager, zünftige Märsche, "Lebensfreude aus dem Zillertal" und das "selige Wolferl" in der Popversion. Jegliche Spontaneität, die auftreten könnte, wird von einem Großaufgebot Sicherheitspolizei unterdrückt. Die handverlesenen chinesischen Zuschauer hat man ins hinterste Eck verbannt, damit sie die europäischen Fans bei ihrem Frohsinn nicht stören. 2.700 Deutsche, 800 Schweizer und 500 Österreicher haben die "Original Fanreise" gebucht und legen dafür bis zu 55.000 Schilling (für die Anreise mit der Transsibirischen Eisenbahn) auf den Tisch. Karl Moik ist entzückt - "Wissen Sie wie viele da zuschauen? 800 Millionen!" - und freut sich, daß kein Parteidiktat seine künstlerische Freiheit einschränkt.

"Und was die sogenannte ,Jodlerei' betrifft, geht die Mär, dass sie in China erfunden wurde. Die lieben Leute dort vermeiden es tunlichst, den Buchstaben R auszusprechen. Zwei Chinesen, so die Story, seien im Garten gesessen und wollten plötzlich Radio hören. Hol Ladio! habe der eine gesagt. Hol du Ladio! habe der andere erwidert. Das Jodeln war erfunden. Dass es dann weit entfernt vom Reich der Mitte viel populärer wurde, ist eine andere Geschichte."

photo: www.steirisches-volksliedwerk.at Und jetzt gehe ich - bepickt mit einem Sticker der Initiative "Ansteckende Ausländerfreundlichkeit" - zum Büro für Weihnachtslieder und frage nach besinnlichem Liedgut - natürlich in Alt-Österreichisch. Frohes Fest!

Oíche Chiúin, oíche Mhic Dé,
Cách na suan go héiri an lae.
Dís is dílse ag faire le spéis.
Glór binn aingeal le clos insan aer.
Críost ag teacht ar an saol.
Críost ag teacht ar an saol.

Diskographie:

Kerberbrothers Alpenfusion: "A Nuis Feeling"
Martin Kerber: "Alpenländische Zitherklänge"
Kerber-Familie: "Alpenländische Bläsermusik", "Alpenländische Kammermusik", "Die Kerber-Familie", "Volksmusik vom Kerberhof"
Peter Ratzenbeck: "Gitarero", "Nightfall", "Outremer", "Over The Years", "Travelogue", "Acoustically Yours"
Trapp Family Singers: "The Original Trapp Family Singers", "Folk and Harp Music of Austria"

Austro-Folk Teil 1: Der Himmel voller Geigen
Austro-Folk Teil 2: Asien beginnt an der Landstraße


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/99

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