FolkWorld Fiction von Tom Keller

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Eine Kriminalgeschichte Teil 6

»Ach, hallo … Rita? Stimmt’s?« »Wer will das wissen?« Sie war blond und trug einen quietschroten Kunstlederrock. »Es ist wegen Grazia. Groß, dunkelhäutig, angeblich Süd- amerikanerin.« »Blondinen sind auch nicht zu verachten und preiswerter als Schokoküsse.« »Ich denk drüber nach. Aber wie war das mit Grazia? Wo könnte ich sie finden?« »Wer weiß das schon.« Schief grinsend nahm ich ein paar Treppenstufen auf einmal und ließ den Nuttendiesel hinter mir. Dass das brasilianische Vögelein für Feldmanns Tod verantwortlich war, hatte ich ohnehin zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Erwägung gezogen. - Der ›Weber‹ hat bereits einen Wirtschaftsboss und einen Gewerkschaftsfunktionär auf dem Gewissen. Wegen eines 150 Jahre alten Volksliedes aus Schlesien. Und wo steckt der Politiker Barenbrock? Mit einem flauen Gefühl im Magen ging ich um das Haus herum. Dann ging das Tohuwabohu los.

Ein nervöser Hund sprang ungestüm gegen das Gitter seines Zwingers und kläffte wütend drauflos. Ich prallte erschrocken zurück, wobei ich heftig gegen einen fahrbaren Abstelltisch stieß. Die Räder setzten sich quietschend in Bewegung und eine gläserne Karaffe fiel zu Boden. Glas zersprang scheppernd in tausend kleine Splitter.
    Bei dem Tier handelte es sich um einen Dobermann. Ausgerechnet, dachte ich an den Peterswaldauer Weber. Ein keilförmiger Kopf saß auf einem stromlinienförmigen, muskulösen Körper. Das glänzende Fell war pechschwarz. Barenbrocks Tückebote war nahezu ausgewachsen. Seine Schulterhöhe mochte sechzig Zentimeter betragen, das Kampfgewicht gut vierzig Kilogramm. Ohren und Rute waren gestutzt, obwohl die qualvolle Methode des ›Kupierens‹ schon seit einigen Jahren verboten war.
    »Braves Hündchen«, flüsterte ich beschwörend. Halt’s Maul, Mistköter!, dachte ich. Wohl wissend, dass das Tier einzig auf die Stimme seines Herrn hören würde.
    Aber wo zum Teufel steckte sein Herr?
    Der Hund hörte auf zu bellen und knurrte tief und drohend. Nicht lauter als das leise Surren der elektrischen Heckenschere nebenan. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass der Zwingerkäfig stabil und die Zwingertür fest verschlossen war, verbannte ich den Dobermann aus meinen Gedanken. Ich schaute mich weiter um.
    Wo war sein Herr?
    Alles deutete darauf hin, dass am Abend zuvor ein Gartenfest stattgefunden hatte. Unter einem weißen Partyzelt standen Tische und Bänke. Die Reste eines tranchierten Spanferkels schaukelten ächzend an einem Spieß. Eine morbide Szenerie. Wie wohl die Stimmung gestern Abend gewesen sein mochte? Ich vermutete wohl nicht zu Unrecht, dass sich normalerweise auch Zwanziger und Feldmann unter den Gästen befunden hätten.
    Hinter einer großen Weide blitzte etwas Helles und Buntes im Gras auf. Ich trat neugierig näher. Eine Lichterkette blinkte lustig rot, grün und gelb. Die Lämpchen flackerten wie bei einem Wackelkontakt. Die eine Hälfte flammte auf, die andere erlosch. Aber Barenbrock brauchte sich um die Stromrechnung keine Gedanken mehr machen.
    Aller guten Morde sind drei.
    Barenbrock lag bäuchlings im feuchten Gras. Um seine Hüfte trug er eine Grillschürze, an seinen Füßen ein paar Pantoffeln. Ich nahm nicht an, dass er den Rausch des vergangenen Abends ausschlief.
    In der Tat. Um seinen Hals war die Lichterkette geschlungen und er war mit ihr erdrosselt worden. Die farbigen Leuchten schufen einen interessanten Gegensatz zu seiner fahlen Gesichtsfarbe. Seine stahlgrauen Augen waren trüb. Er war über eins achtzig groß gewesen, der Bürstenschnitt vollständig ergraut. Seine linke Wange wies eine kleine Narbe auf, bleibendes Andenken seiner Universitätslaufbahn. Trotz fortgeschrittenen Alters hätte er noch für jedes Modemagazin posieren können. Zwanzig, dreißig Jahre zuvor war er der Traum aller Schwiegermütter gewesen.
    Barenbrock, das strahlende Licht seiner Partei. Ausgeknipst. So weit dazu.
    Die Leichenstarre war bereits vollständig ausgeprägt. Um den Hals verliefen mehrere zirkuläre Furchen. Der Kehlkopf wies Quetschungen auf. Es hatte eine Weile gedauert, bis die Unterbrechung von Blutzu- und Blutabfuhr zum Gehirn Ohnmacht und Tod herbeigeführt hatten.
    So methodisch der Killer auch seine Opfer aussuchte, so spontan und willkürlich war seine Mordmethode. Ein Eispickel, ein Kissen, eine Lichterkette. Was war noch zu erwarten? Und wer war er nur? Der einzige Zeuge der Tat saß, sprachlos und zum Nichtstun verurteilt, im Zwinger.
    An den Stamm der Weide war dieselbe Art Notizblockzettel aufgespießt worden, die ich schon bei Zwanziger vorgefunden hatte. Dieselbe Handschrift. Derselbe Kugelschreiber. Den Reim kannte ich bereits.

Die Gebrüder Hoferichter hier,
Was soll ich von in'n sagen,
Geschindet wird hier nach Willkühr,
Dem Reichthum nachzujagen.
Die Feuchtigkeit kroch mir die Hosenbeine hinauf. Unnötig zu erwähnen, dass ich nicht unbedingt neben der Leiche ertappt werden wollte. Der Dobermann hatte mich die ganze Zeit heiser knurrend beobachtet. Er fixierte mich mit misstrauischem Blick. Ich streckte ihm die Zunge raus und machte mich aus dem Staub.

Hinter einer großen Weide blitzte etwas Helles und Buntes im Gras auf. Aber Barenbrock brauchte sich um die Stromrechnung keine Gedanken mehr machen. Um seinen Hals war die Lichterkette geschlungen, mit der er erdrosselt worden war.

XIII

Um den Hobbygärtner brauchte ich mir keine allzu großen Sorgen zu machen. Der war jetzt darin vertieft, mit einem Laubsauger seinen Garten abzugrasen. Ich fuhr auf mein Dach zurück, eiskalt und verschwitzt zugleich. Als erstes mixte ich mir mein Hausmittel gegen Wehwehchen aller Art: ein fingerbreit Glen, ein Löffel Honig, das Glas mit heißem Wasser auffüllen. Dann rief ich Frau Van Aken an und riet ihr, sich bei der Polizei als sorgende Bekannte Barenbrocks auszugeben und ihn als verschwunden zu melden. Das musste genügen, um die Bürgerpflicht zu erfüllen und den Toten schnellstens entdecken zu lassen.
    Den Rest des Tages verbrachte ich damit, den Fischen das Weberlied vorzuspielen. Ich nahm die Mandoline von der Wand und klimperte mit schluchzendem Tremolo die simple Melodie. So als ob Romeo schmachtend seine Julia besingt, bevor sie gemeinsam in den Tod gehen.
    Ich wäre ja liebend gerne Berufsmusiker geworden, wenn mir nicht das Musikbusiness so ungemein auf den Geist ginge. Dieser belanglose Müll in den Hitparaden! Diese pubertierenden Gören, die ihre belanglosen Ansichten über Gott und die Welt in die Mikrofone plärren! Wenn ich mir einen Leberfleck entfernen lasse, gehe ich doch auch nicht zum Schneider. Warum sollte sich dann ein Künstler kompetent über Politik, Gesellschaft oder den Sinn des Lebens äußern?
    Nein, seien wir ehrlich. Der wahre Grund, warum ich kein Musikprofi geworden bin, ist doch vielmehr, dass ich kaum drei Akkorde klampfen kann. Ich warf die Mandoline aufs Bett und stellte mich so lange unter die Dusche, bis der Boiler sich der Plackerei verweigerte.

Den Rest des Tages verbrachte ich damit, den Fischen das Weberlied vorzuspielen. Ich nahm die Mandoline von der Wand und klimperte mit schluchzendem Tremolo die simple Melodie. So als ob Romeo schmachtend seine Julia besingt, bevor sie gemeinsam in den Tod gehen.

Gegen Abend holte mich Anna Van Aken mit ihrem Wagen ab. Als ich in den Audi einstieg, erklangen gerade die ersten Takte der Guns’n’Roses-Version von ›Knockin’ on Heaven’s Door‹. Sie drehte die Lautstärke ein paar Dezibel herunter und lächelte mich an.
    Diesen Musikgeschmack hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Guns’n’Roses-Frontmann Axl Rose sang mit seiner Reibeisenstimme, dass es selbst Bob Dylan die Schuhe ausgezogen hätte. Von dem wurde schon gesagt, er klinge als schalle seine Stimme über die Mauern eines Tuberkulose-Sanatoriums. Oder wie ein misshandelter Bär. Dylan hatte damals gekontert: ein Bär habe wenigstens etwas zu erzählen. Bei Axl hatte ich den Eindruck, als hämmerte er mit der linken Hand an die Himmelspforte. In der Rechten ein .45er Colt Automatik, um Petrus den Schlüssel abzunehmen und das göttliche Triumvirat um das Gold am Ende des Regenbogens zu erleichtern.
    Diesmal hatte ich die Lokalität ausgesucht, auch um meine Geldbörse zu schonen. Ich schloss deshalb einen Kompromiss zwischen hinreichend gefüllten Tellern einerseits und exzellenter Kost andererseits. Das schloss die große schottische Futterkette und den Libanesen meiner Wahl schon mal aus. (Sorry, Ali, ich arbeite daran.) Ebenso eine Reihe weiterer, durchaus empfehlenswerter Etablissements.
    Also fuhren wir zum Chinamann. Hier konnte ich mich auf ein opulentes Mahl zu kleinen Preisen verlassen. Allerdings sollte der Gaumen noch nicht durch Lachsschnittchen und gesalzene Störeier verdorben sein.
    Wir ließen die City hinter uns zurück und die Casa Rustica links liegen. Das China-Restaurant Long Mei liegt keine fünf Kilometer stadtauswärts, eingeklemmt zwischen der freien Pläne, auf der die jährliche Kirmes stattfindet, sowie dem Tierheim und einer Muskelbude.
    »Wo sonst, als in Nachbarschaft eines Asiaten, kann man ein Fitnessstudio ›Langer Marsch‹ nennen«, bemerkte sie, während sie den Wagen einparkte. Die berosten Revolverhelden spielten gerade einen letzten, schwermetallernen Schlussakkord.
    Nur wenig später erklangen Bambusflöten in unseren Ohren. Wir saßen am Fenster. Mit Blick auf einen kleinen, künstlichen Teich und eine geschwungene Holzbrücke. Eine mandeläugige Schönheit kredenzte uns als Aperitif ein Gläschen Drachenblut.
    Bei dem alkoholhaltigen Getränk handelt es sich nicht wirklich um den Lebenssaft des legendären, geflügelten Untiers, sondern um süßlichen Pflaumenwein. Erfinderische Geister hatten ein exotisches Harz beigemischt. Besonders in erhitzter Form entwickelt das Drachenblut ganz spezielle Aromen und wird wie zermalmte Elefantenstoßzähne oder Tigerhoden als Aphrodisiakum geschätzt. Zumindest war es leichter zu beschaffen. Pflaumenwein, meine ich.
    »Stößchen!« Wir hoben die Gläser. Ich berichtete von den Geschehnissen des Tages, nachdem ich die ›Sieben Glückseligkeiten‹ bestellt hatte. Das Erlesenste, was Familie Yü zu bieten hatte. Wan-Tan und Haifischflossensuppe als Vorspeise, geröstete Ente, zweimal gebratenes Schwein, geschmorte Hummerkrabben und geschwenkte Tintenfischringe, sowie als Nachtisch gebackene Früchte. Ein Mahl, das majestätischer klingt, als tatsächlich dahintersteckt. Aber es beeindruckt. Zumindest einfache Gemüter.
    Anna Van Aken revanchierte sich nach Bericht und Bestellung mit den Schand- und Untaten des Herrn Barenbrock. Einiges war mir schon aus regelmäßiger Zeitungslektüre bekannt und Otto war seit Jahr und Tag eine ergiebige Quelle über das private und öffentliche Leben der lokalen Schickeria.
    Barenbrock. Finanzberater zwischen neun und fünf, Ratsherr nach Feierabend. Er ließ keinen noch so dummen Spruch aus, wenn dieser versprach, Mäuse (sprich: Wähler) zu fangen. Ihm war kein Scherz zu billig, keine Attacke zu waghalsig. Der Partylöwe hatte sich gern als Anwalt des kleinen Mannes aufgespielt, der Pfründen und Privilegien den Kampf angesagt hatte. »Bei uns regieren die Rothäute und die Schwarzen«, pflegte er zu sagen, »und nicht wie üblich, dass sie in den Reservaten leben.« Eine ideale Besetzung, wenn es galt, Reden an Stammtischen und auf Faschingsfesten zu halten.
    Neben seinen neoliberalen Feldzügen hatte Barenbrock gerne im Trüben gefischt: Asien beginnt an der Elbe! Der Asylant kriegt vom Sozialamt gratis Medikamente zur Hormonbehandlung, um die Fruchtbarkeit zu steigern! Schwule muss man geschlechtsspezifisch mit Peitschen und Ochsenziemern zurechtweisen! In den Gefängnissen dürfen die Gefangenen zwischen fünf Menüs auswählen und leben besser als die Rentner! Für den schlechten Sommer waren sowieso die Sozis verantwortlich. Und Barenbrock hatte die lokale Variante von Adolfs Jobwunder Autobahn und Adolfs ordentlicher Beschäftigungspolitik gefunden: im Gegensatz zu den Betonsilos und Hochhausgettos der Nachkriegszeit böten die vom Führer erbauten Wohnanlagen vorbildliche Wohnbedingungen und hielten den modernsten Kriterien stand.
    Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte. [36]

XIV

Ich hing an ihrem Mund und nahm kaum den verlockenden Duft der Speisen wahr. Meinetwegen hätte sie von A bis Z das Telefonbuch vorlesen können. Mochte Anna Van Aken manchmal noch so förmlich und unnahbar erscheinen, das Gesicht ein wenig zu streng, persönlich war ich fest davon überzeugt, dass man mit ihr Pferde stehlen könnte. Oder zumindest die Schweine durchs Dorf treiben. An diesem Abend ging sie ganz in schwarz: schwarze Jeans, schwarze Weste, nur eine helle Bluse. Dazu passend tiefschwarze Knöpfe im Ohr, die Ebenbilder ihrer glänzenden Augen waren. Die kurz geschnittenen, ebenfalls rabenschwarzen Haare fielen vorne frech in die Stirn.
    Anna Van Aken schien den schillernden Ratsherrn nicht besonders gemocht zu haben, aber sein gewalttätiger Tod machte sie doch betroffen. Die Missklänge des vergangenen Abends waren jedenfalls vergessen. Als ich wieder an die Reihe kam, nutzte ich die Gelegenheit, um die Theorie zu erläutern, die ich in den vergangenen Stunden entwickelt hatte. Beim Anblick von Barenbrocks Leichnam war mir nämlich ein Licht aufgegangen.
    »Zwanziger, Feldmann, Barenbrock. Was haben die drei gemeinsam? Die ersten beiden haben für Automotronix gearbeitet. Der letztere nicht. Aber es gibt eine andere Gemeinsamkeit. Erinnern Sie sich, was wir gestern über den flotten Dreier gesagt haben?«
    Sie nickte, während sie gekonnt mit den Stäbchen hantierte, und ich fuhr fort. »Ich glaube, dass der Killer Zwanziger, Feldmann und Barenbrock umgebracht hat, weil er unangenehme Zeitgenossen auf dem Kieker hat. Im engeren Sinne die Vertreter der ›Hai Society‹: unsoziale Manager und Wirtschaftsbosse, korrupte Gewerkschaftsfunktionäre, karrieregeile Volksvertreter. Also alle diejenigen, die Otto Normalverbraucher von hinten bis vorne verarschen, während sie selbst ihren Schnitt machen.«
    Noch standen Zweifel in ihrem Gesicht geschrieben. Doch nach und nach lösten sie sich in Luft auf, während ich weiterredete. »Ich denke, unser Mann – oder Frau – ist ein im Leben gescheiterter Mensch, der den Bonzen die Schuld an seiner Misere gibt. So weit, so gut. Aber er ist derart durch den Wind, dass er sich die Strophen des ›Blutgerichts‹ zum Vorbild nimmt und die Blutsauger wirklich aus dem Weg räumt.«
    Sie legte die Stäbchen an die Seite. »Wie lange, glauben Sie, wird das noch weitergehen?« Sie meinte nicht die halb vertilgten Glückseligkeiten.
    »Nicht mehr lange. Das Lied liefert nur noch einen Namen. Außer natürlich, der Weber mordet nach einer anderen Version. Es gibt bei Liedern traditioneller Überlieferung ja die dollsten Dinger. Da ist dann eine Ballade über einen tapferen Ritter schon mal sechsundneunzig Strophen lang, bevor er endlich erschlagen wird und die Krähen sich seiner annehmen.«
    Unser Gespräch nahm eine unerwartete Wendung. »Das scheint wohl Ihr Steckenpferd zu sein. Dabei machen Sie gar nicht den Eindruck, als ob Sie ein Liebhaber von Volksmusik wären.«
    »Volksmusik, oh je. Aber was heißt das schon: Volksmusik?« [37]
    »Das frage ich Sie. Was heißt es?«
    Wenn es um Musik geht, bin ich in meinem Element. »Nun, da streiten sich die Gelehrten. Die eine Fraktion pocht darauf, ein Lied kommt tatsächlich aus dem Volk. Im Gegensatz zu einem Lied, das von einem Gebildeten stammt und nur im Volk Aufnahme findet. Das Weberlied ist demnach nur dann ein Volkslied, wenn es wirklich von einem Weber, besser noch mehreren, erdichtet wurde.«
    »Für das Blutgericht trifft das offenbar zu.«
    »Offenbar. Es ist aber kein Volkslied, wenn der Dorflehrer oder der Pfarrer der Verfasser ist. Die andere Fraktion vertritt deshalb die Meinung, ein Volkslied ist ein Lied, das im Volk Verbreitung findet. Die Herkunft ist schnurzpiepegal. Für den Stumpfsinn, der unter der Rubrik Volksmusik oder volkstümliche Musik in den Heimatsendungen im Fernsehen gedudelt wird, gilt meist weder das eine noch das andere.«
    »Wenn ich das recht verstehe, dann wäre nach der ersten Theorie jede Fußballhymne und nach der zweiten jeder zweite Beatles-Song ein Volkslied?«
    »Genau. Was sagt uns das? Völker, Rassen und so weiter sind vollkommen ungeeignete Schubladen, um die Dinge einzuordnen. In der realen Welt gibt es nur bestimmte Gruppen mit konkreten Anlässen zum Singen und Musizieren: Geburten, Taufen, Hochzeiten, Scheidungen, Beerdigungen. Was auch immer.«
    Ich erinnerte mich an meine Vorlesungen und Seminare in historischer Musikwissenschaft. »Bis 1800 war das alles überhaupt kein Thema. Die Lieder wurden mündlich von Bauer zu Bäuerin weitergegeben. Musiziert wurde abends in der Stube oder im Gasthaus. Bis dann die gelangweilten und modehungrigen Großstädter Gassenhauer und Evergreens und schließlich die Schlager- und Popmusik erfunden haben. Das Bürgertum des neunzehnten Jahrhunderts und nicht erst die Nazis haben die alten Lieder auf dem Gewissen.«
    »Also die Biedermänner? Womit wir wieder beim Thema wären.«
    »Genau. Die Biedermänner und«, ergänzte ich, »die Biederfrauen. Das Weberlied ist jedenfalls nicht in die Top Ten der Biedermeiercharts gekommen. Die Biedermenschen suchten Vergnügen und Unterhaltung. Auf der Landpartie, im Kaffeehaus, im Tanzlokal.«
    »Ich könnte mir vorstellen, dass die zensurfreudige Obrigkeit nichts gegen Tanzveranstaltungen einzuwenden hatte. Ein bevormundetes und in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränktes Volk durfte sich bei körperlicher Betätigung abreagieren.«
    »Nicht nur das. Comedy erfreute sich größter Beliebtheit. Es wurden bezahlte Beifallsspender eingeführt. Dutzendware für den Tag war angesagt. Sentimentale und gefällige Lieder wurden fließbandmäßig produziert. Austauschbare Werke, nach den immer gleichen Mustern gestrickt. Die meisten Komponisten und Verleger waren vom Typ her Unternehmer, die dem schnellen Erfolg und Geld hinterher jagten.«
    »Es gibt ein Gedicht von Heinrich Heine. Da heißt es: ›Kastraten, die vom Liebeserguss sangen.‹ [38] Wovon reden wir? Walzerkönig Strauss? Liszt? …«
    »Schön wär’s. Die Tagesgrößen von damals kennen heute nur noch Historiker. Aber Komponisten und Kapellmeister, Sängerinnen und Ballerinas wurden umjubelt wie heutzutage Boygroups und die Gewinner von Talentwettbewerben im Fernsehen. Skandale lieferten Stoff für die Klatschspalten der Regenbogenpresse. Biedermann und Biederfrau liebten nichts so sehr wie das Sensationelle.«
    »Also genauso wie heute?«
    »Nicht viel anders.« Ich sah aus dem Fenster und betrachtete die grauen Wolkenbänder. Wann kommt der nächste Frühling?
    Wir waren gesättigt und die Kellnerin räumte Schüsseln und Schalen ab. Anna Van Aken nahm den unterbrochenen Faden wieder auf. »Nur noch ein Name?«
    »Die Steinitz-Version kennt nur noch einen Namen: Kamlot. Aber niemand hier in der Gegend heißt so oder auch nur so ähnlich.«
    »Dann müssen wir wieder nach einem Analogon Ausschau halten. Wie bei Hoferichter und Barenbrock.«
    »Das denke ich auch. Fragt sich nur was?«
    Sie dachte angestrengt nach. »Kamelot ist der Name einer amerikanischen Heavy-Metal-Band.« [39]
    »Millionenschwere Prolls, wie?« Ich schnalzte mit der Zunge. »Gut möglich. Aber die Jungs werden sich wohl in Amiland aufhalten und nicht gerade jetzt durch unsere Gegend toben. Und ob Weber gleich eine ganze Kapelle abmurkst?«
    »Die Burg von König Artus: Camelot!«
    »Ich glaube nicht wirklich, dass er es auf die Ritter der Tafelrunde abgesehen hat. Oder?«
    »Rollenspieler! Oder die Ritter könnten, hm, Parlamentarier sein, oder Aufsichträte …«
    »Sicherlich sehr ritterliche Berufe. Ja, ja. Unser Killer denkt wohl um die Ecke, aber er ist nicht albern.« Ich seufzte. »Das führt alles zu nichts. Für heute habe ich genug. Ich kann nicht mehr. Mir brummt der Schädel.«
    Anna Van Aken war auch mit ihrem Latein am Ende und stimmte mir zu. Ich zahlte und wir verließen das Lokal. Wir hatten schon die Brücke über den Teich überquert, als uns eine melodische Stimme nachrief. »Hallo, hallo!« Wir wandten uns um. Die zierliche Kellnerin kam uns nachgeeilt, in den Händen ein schmaler Karton.
    »Ein Geschenk des Hauses. China-Wein macht Schmerzen klein.«
    Das Päckchen enthielt eine Flasche Drachenblut. Flüssige Glückskekse. Das war schon mal ein Anfang. [40]

XV

Am Morgen des 5. Juni 1844 versammelte sich eine auf dreitausend Köpfe angeschwollene Menge in Peterswaldau. Aus allen Dörfern des Eulengebirges waren die Weber mit ihren Frauen und Kindern herabgekommen. Auch der Herr Pastor Kittelhaus konnte die johlende Masse nicht mit guten Worten beruhigen. Der rotgesichtige Pfarrer stieß Flüche und Verwünschungen aus und machte sich mit fliegenden Rockschößen davon. Wachtmeister Wagner ließ sich gar nicht erst sehen. Karl Dobermann hielt sich im Hintergrund, als sich die Menge in Marsch setzte. Wilhelm lief an der Spitze des Zuges. Die Weber trugen Stangen, Hacken, Knüppel und Äxte.

Die Herren Zwanziger die Henker sind …

Aus allen Dörfern des Eulengebirges waren die Weber mit ihren Frauen und Kindern herabgekommen. Die Weber trugen Stangen, Hacken, Knüppel und Äxte. Das neue Lied ging von Mund zu Mund. [Käthe Kollwitz, Ein Weberaufstand, 1893-7]

Das neue Lied ging von Mund zu Mund. Trotz des schaurigen Textes hätte ein unbeteiligter Beobachter geglaubt, es handele sich um einen fröhlichen Familienausflug. Die Kinder sangen alberne Abzählreime. Die Insekten summten sorglos in den Feldern und ein Mäusebussard segelte kreisend über das Land.
    Die Kunde war den Peterswaldauern vorausgeeilt. Im benachbarten Langenbielau wurden sie vom Fabrikanten Dierig erwartet, der dort eine Fabrik mit mechanischen Webstühlen betrieb. Er war kein preußischer Junker, sondern hatte selbst einmal als einfacher Handwerker angefangen. Mit Gottes Vorsehung, das war sein fester Glaube, hatte er sich empor gearbeitet. Hatte Dierig die Zeichen der Zeit erkannt? War er weniger gefühllos als sein Nachbar? Oder nur durchtriebener? Die Frage sollte bald beantwortet werden.
    Dierig erwartete die Weber vor dem Portal der barocken Kirche. Sie war frisch verputzt und gekalkt, ein schlanker Turm erhob sich stolz über den niedrigen Dachfirst. Das schlichte Gotteshaus stand auf einer kleinen Anhöhe. Dahinter erstreckten sich Wiesen und Wälder, die sanft in Richtung Eulengebirge anstiegen. Von der Kirche aus ließ sich der Ort mühelos überblicken. Windschiefe Fachwerkhäuser mit rußgeschwärzten Dächern, verwinkelte Gassen, das Geviert des Dorfplatzes. Daran angeschlossen das backsteinerne Fabrikgebäude.
    »Es ist uns verheißen, Gericht wird gehalten.« Dierigs Stimme schallte über den Platz. »Aber nicht wir sind die Richter. Mein ist die Rache, spricht der Herr.«
    Hager und übergroß stand er da, zornigen Hauptes. Wie ein Prophet aus dem Alten Testament oder ein Racheengel der Apokalypse schleuderte er Blitze unter die Menschen. Von Kopf bis Fuß war er schwarz gekleidet. Der knielange Gehrock wirkte wie eine Mönchskutte.
    Die Weber hielten inne und lauschten atemlos. Nur Wilhelm Dobermann konnte es wieder einmal nicht lassen. »Für unsereinen wäre es das Beste, der liebe Gott hätte ein Einsehen und nähme uns nur bald von der Welt.«
    Dierig lächelte verständnisvoll. Er verwandelte sich augenblicklich in einen liebevollen Onkel, der an die Kinder Süßigkeiten verteilt. »Ein nervöser Magen und ein unruhiger Geist waren schon immer die Väter von törichten Träumen. Das ist das Vorrecht der Jugend. Schöne Ideale. Aber Ideale sind so flüchtig wie der Sonnenschein.«
    Er deutete in den wolkenlosen Junihimmel. »Lasset den sorgen, der den Vögeln ihr Bett und ihr Futter bereitet hat und die Lilien auf dem Feld nicht verderben lässt, heißt es in der Heiligen Schrift. Sorgt euch nicht und vertraut dem Herrn. Und wer fleißig ist und seine Sache versteht und in der Furcht Gottes seine Arbeit verrichtet, dem wird auch geholfen werden. Das verlangt die Christenpflicht.«
    Im Gegensatz zur Familie Zwanziger wollte Dierig sein Hab und Gut nicht durch mangelnde Umsicht verlieren. Er hieß die Weber, sich in einer Reihe aufzustellen. Jedem Mann ließ er fünf Silbergroschen und einen Schnaps austeilen. Die Familien erhielten Brot, Butter und Speck. Er hatte vorgesorgt. Auch in anderer Hinsicht. Zum einen hatte er einen Jungen in die Feste Schweidnitz geschickt. Zum anderen hatte er seinen eigenen Arbeitern eine Zulage angeboten, damit sie sich als schützende Mauer vor die Peterswaldauer stellten.
    Die Solidarität der Unterdrückten hört beim Geld auf.
    »Ihr Alten, die ich euch für ehrenwert und gottesfürchtig gehalten habe, ihr nehmt teil an diesem Spektakulum«, sprach Dierig weiter, während ein Weber nach dem anderen sein Quantum erhielt. »Ihr wart gesittet und anständig, bis die Humanitätsdusler, Demagogen und Debattierclubs daherkamen. Die reden und reden, in welch entsetzlichem Elend ihr steckt. Schließlich glaubt es der Weber und hat den Vogel. Ihm passt dies nicht und passt jenes nicht. Aber was haben sie denn mit all ihrer Humanität weiter zustande gebracht, als aus Lämmern Wölfe zu machen? Was hat es dem Manne genützt, vom Baum der Erkenntnis zu essen?«
    Dierig warf ungeduldig einen Blick auf seine Taschenuhr, aber er verließ seinen Standort vor der Kirche nicht. Er hatte sich seinen gesellschaftlichen Platz mühsam erarbeitet. Er würde darum kämpfen. Beruhigt tastete er nach der doppelläufigen Pistole unter seinem Rock und spürte das kalte Metall.
    Zunächst lief alles in geordneten Bahnen ab. Aber es war ein heißer Tag. Heiß und schwül. Kein Lufthauch brachte Kühlung. Über kurz oder lang würde ein Gewitter Erlösung bringen. Noch aber war die Luft stickig und die Hitze lag drückend auf den Wartenden. Die Schlange, die sich mehrmals um den Dorfplatz wand, schob sich nur langsam voran. Es gab kaum schattige Gassen oder Gärten. Die Gemüter waren erschöpft und gereizt zugleich. Eine verdrossene Gruppe suchte Schutz im Kesselhaus und stand mit einem Male vor der großen Dampfmaschine.
    Maschinenmeister Menzel gebot den Eindringlingen halt. »Ich warne euch. Ich kann für die Folgen einer Beschädigung nicht einstehen.«
    Der Dampfkessel zischte und blubberte, die Kupferrohre klapperten und gurgelten. Die Weber musterten misstrauisch die Maschine. Dann lachten sie: »Das ist doch sehr schön.« Was dann geschah, konnte hinterher keiner mehr so genau rekapitulieren. Die einen sagen so, die anderen so. Auf jeden Fall öffnete sich ein Sicherheitsventil.
    Dampf strömte aus. Mit dem Schrei »Hier ist Pulver« stürzten die Weber in Panik auf den Platz hinaus. Es wurde geschubst und gedrängelt und begann alsbald auszuarten. Karl Dobermann sah mit wachsendem Entsetzen, wie sich die Handwerker gegenseitig die Köpfe einschlugen. Mann gegen Mann, Weber gegen Weber, Peterswaldauer gegen Langenbielauer, Streikende gegen Streikbrecher.
    Oh, ihr Elenden, dachte er.
    Karl Dobermann stand am Rande des Dorfplatzes und entdeckte deshalb als erster den Stoßtrupp Soldaten. Zwei Dutzend Kerle im blauen Rock, geführt von Major von Rosenberger. Er war ein jovialer, pausbäckiger Offizier des in Schweidnitz stationierten Grenadierregiments. Trotz seines Ranges war Rosenberger beim Volk bekannt wie ein bunter Hund, nie einem gebrannten Korn, den Karten oder den Würfeln abgeneigt.
    Aber Schnaps ist Schnaps und Dienst ist Dienst. Dobermann hatte seit den Befreiungskriegen gegen Napoleon keinen Mann mit einem so frostigen Gesichtsausdruck gesehen. Eine erstarrte Grimasse, aus der alle Wärme entwichen war. Rosenberger ließ seine Männer in Stellung gehen und die Gewehre in Anschlag bringen. Die Gewehrschlösser klickten, als die Soldaten die Zündnadelgewehre luden und die Hähne spannten. Der Offizier gab sich keine Mühe, die Weber zu warnen oder die Kämpfenden zu trennen.
    »Auf mein Kommando! Aaaachtung! … Legt an! … Feuer … frei!«
    Die Salve knallte und schwarzer Rauch zog über den Platz.
    Der Major bellte seine Befehle.
    »Laden! … Feuer!«
    Die zweite Salve krachte.
    »Laden! … Feuer!«
    Die dritte Salve.
    Die neuen Hinterlader der preußischen Infanterie, die zwanzig Jahre später im preußisch-österreichischen Krieg über Sieg und Niederlage entscheiden sollten, bestanden ihre erste Feuertaufe. [41] Gehirn und Blut spritzten über den Platz. Gellende Schreie gingen im ohrenbetäubenden Donnern der Waffen unter. Die Infanteristen, selber Söhne von kleinen Bauern und Handwerkern, schossen mit der tumben Präzision militärischen Drills.
    Als sich der Pulverdampf verzogen hatte, lagen elf Tote und noch einmal so viele Verwundete auf dem Schlachtfeld. Es roch nach Schwefel und verbranntem Fleisch. Die Stille wurde nur durch das Stöhnen und Röcheln der Sterbenden, die Schmerzensschreie der Verwundeten und das Wimmern der Frauen und Kinder unterbrochen.
    Aus der Schlägerei war ein blutiges Gemetzel geworden. Karl Dober- mann lehnte erschüttert an einer Fachwerkwand. Wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte. Er war unverletzt. Aber er hatte Wilhelm aus den Augen verloren.
    »Wilhelm? Wilhelm! Oh Jesses, was habe ich nur angerichtet?«
    Dierig und seine Männer waren verschwunden. Dann sah er seinen Sohn. Abgesehen von ein paar Blessuren war dieser nicht zu Schaden gekommen, stellte er erleichtert fest. Wilhelm Dobermann stand aufrecht in der Mitte des Platzes. Er löste sich aus der Erstarrung. Seine Hand hob sich. Dann flog ein Stein durch die Luft.
    Major von Rosenberger konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Er wurde von dem faustgroßen Geschoss an der Schläfe gestreift. Die Weber brüllten ein dreifaches ›Hurra!‹ angesichts des Treffers.
    »Weberartillerie, Feuer frei!«
    Pflastersteine vom Chausseebau, Ziegel, Flaschen. Alles, was sich als Wurfgeschoss eignete, prasselte auf die Soldaten herab. Es begann ein wildes Rückzugsgefecht. Die Weber, Wilhelm vorneweg, nahmen heulend die Verfolgung auf und schwangen ihre primitiven Waffen.
    Es war nur ein kurzer Triumph. Mit einem Dutzend langer Kerle konnten es die Weber noch aufnehmen. Aber der Aufstand der Hungernden gegen die Besserverdienenden war in dem Augenblick entschieden, als die Vordersten um die Ecke bogen und von Kavalleriepferden über den Haufen geritten wurden. Die Reiterdegen der Leibkürassiere blitzten auf. Wilhelm und viele andere fielen in den Staub der Straße. Die Hufe der Rösser schlugen aus, Knochen brachen wie morsches Holz. Unmittelbar hinter der Reiterschwadron folgten drei Kompanien Infanterie. Vierhundert Mann, die Bajonette auf den Gewehren aufgepflanzt. Auf der anderen Seite des Dorfes gingen vier Geschütze in Stellung. Die Kanoniere luden Schießpulver und gusseiserne Kugeln in die Sechspfünder. Bereit, pro gloria et patria, die Lunten in Brand zu setzen.
    Den Dümmsten und den Tollkühnsten war klar, dass jeder weitere Widerstand zwecklos war. Die Weber flohen.
    Karl Dobermann saß einfach nur da. Sekunden, Minuten, vielleicht waren es auch Stunden. Er rührte sich nicht, als die Soldaten das ganze Dorf unter Kontrolle brachten. Er rührte sich nicht, als ihn Grenadiere mit Gewehrkolben schlugen und mit schweren Stiefeln in die Niere traten. Er rührte sich nicht auf dem Transport nach Breslau, nicht im Zuchthaus und nicht vor Gericht.

Zwei Dutzend Kerle im blauen Rock. Major von Rosenberger ließ seine Männer in Stellung gehen und die Gewehre in Anschlag bringen. Die Gewehrschlösser klickten, als die Soldaten die Zündnadelgewehre luden und die Hähne spannten. [Friedrich Zelnik, Die Weber, 1927]

Karl Dobermann kam mit einem Dutzend Peitschenhieben davon. Wilhelm Dobermann wurde zu zehnjähriger Schanzarbeit verurteilt. Die Webernot selbst wurde nicht beseitigt.

XVI

Ich fuhr hoch. Ich hatte in der ersten Reihe miterlebt, wie die schlesischen Weber untergegangen waren. Ich hatte geträumt. Ich hatte nur geträumt. Erleichtert ließ ich mich rücklings in das Kissen fallen.
    Ich schloss die Augen. Irgendetwas sagte mir, dass sich in diesem Augenblick schon wieder dunkle Wolken zusammenzogen. Mir war, als ob mir eine Entscheidung abverlangt werde. Und Entscheidungen hasse ich wie der Teufel das Weihwasser. Noch während ich mir darüber den Kopf zerbrach, döste ich wieder ein.
    Ungewohnte Geräusche ließen mich abermals erwachen. Ich lauschte ins Zimmer hinein. Da war das Ticken der Standuhr. Die Aquariumspumpe. Dann hörte ich wie Füße über den Boden tappten.

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Preußischer Soldat mit Zündnadelgewehr, 1866. Fußnoten:
[36] Eventuelle Ähnlichkeiten mit einem bekannten Politiker aus Österreich sind abermals … durchaus beabsichtigt. Die Zitate sind großteils O-Ton, s. ›Hai[d]e[r] und kleine Fische‹.
[37] Z.B.: Hartmut Braun, ›Volksmusik - Eine Einführung‹, Gustav Bosse Verlag 1999 [-> FW#25].
[38] »Doch die Kastraten klagten, / Als ich meine Stimm' erhob; / Sie klagten und sie sagten: / Ich sänge viel zu grob. / Und lieblich erhoben sie alle / Die kleinen Stimmelein, / Die Trillerchen, wie Krystalle, / Sie klangen so fein und rein. / Sie sangen von Liebessehnen, / Von Liebe und Liebeserguß; / Die Damen schwammen in Tränen / Bei solchem Kunstgenuß.« (Heinrich Heine, ›Die Heimkehr‹, 1823-24)
[39] Kamelot ist der Name einer amerikanischen Heavy-Metal-Band (s. www.kamelot.com).
[40] Eine Flasche Drachenblut: So tatsächlich geschehen in Graz. Ich habe bis heute keinen blanken Schimmer, warum uns diese Ehre zuteil geworden ist. So üppig kann das Trinkgeld doch gar nicht gewesen sein.
[41] Die neuen Hinterlader der preußischen Infanterie, die zwanzig Jahre später im preußisch-österreichischen Krieg über Sieg und Niederlage entscheiden sollten (s. Bilder), waren mit Sicherheit 1844 noch nicht in Schlesien im Einsatz. Das preußische Infanteriegewehr Modell 1841 verblieb zunächst in den Zeughäusern und wurde vermutlich nicht vor 1848 an die Truppe ausgegeben. In der Mitte des Jahrhunderts bestand die Bewaffnung fast ausschließlich noch aus Vorderladern. Aber das ist ja auch nur ein Traum.

Das preußische Infanteriegewehr Modell 1841.



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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/2006

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