Auch im 23. Jahr seines Bestehens bietet das Internationale Akkordeon Festival (19. 2. – 20. 3. 2022) einen Monat lang in zahlreichen renommierten Wiener Spielstätten genussfreudigen FreundInnen von Musik und Kultur Gelegenheit sich mit dem Instrument Akkordeon und dessen zahlreichen künstlerischen Facetten auseinanderzusetzen.
So wie geplant fand das Akkordeonfestival Wien zuletzt 2019 zur Gänze statt. Seither fiel es, obwohl sorgfältig wie eh und je durchstrukturiert und geplant, wie so viele Bereiche unseres gewohnten Lebens, der Pandemie zum Opfer. Es spricht für das unermüdliche Engagement von Friedl Preisl und Franziska Hatz, die die programmatischen Fäden des Festivals in Händen halten, dass sie unbeirrt für 2022 in die Planung gingen, dabei so weit als möglich vereinbarte Konzerte aus 2021 übernahmen. Nicht zuletzt, um den verpflichteten Künstler_innen in dieser fordernden Zeit Perspektiven und Sicherheit zu bieten.
So ist es gewiss mehr als legitim, den großen Astor Piazzolla auch ein Jahr nach seinem 100. Geburtstag künstlerisch hochleben zu lassen, unverändert schließlich seine Wichtigkeit für Akkordeonmusik und kompositorische Akkordeon-Literatur. Wovon uns Klaus Paier (Eröffnungsgala 2, 20.2., im Duo mit Florian Dohrmann und im Trio mit Asja Valcic und Gerald Preinfalk, Lorely Saal), Christian Bakanic (mit seinem Trio Infernal und der Sängerin Paula Barembuem, 22.2., Porgy & Bess) oder das Groovin´ Tango Quintett (24.2., Ehrbar Saal) als Teil der Programmschiene 100 + 1 Jahr Piazzolla spielend erzählen werden.
Letztere aus Tirol anreisende Tango-Enthusiasten stehen dabei ebenso für die Schiene Schwerpunkt Österreich. Im Laufe des Festivals 2022 gibt es Akkordeonmusik aus allen 9 Bundesländern zu hören. Was zum einen die inländische Verbreitung und künstlerische Vielfalt des Instruments im Herzen des Festivals sicht- und hörbar macht, zum anderen dem Umstand Rechnung trägt, dass tourende Künstler_innen schwer planungssicher nach Wien zu bekommen sind. Zudem ist die Kunst der beim Akkordeonfestival auftretenden Künstler-innen ohnehin herkunfts- und lebensortunabhängig weltoffen und welthältig …
Dazu dürfen wir dann doch aus Irland Uaine und Airboxes aus Belgien begrüßen (14.3., Schutzhaus Zukunft, 22nd Guiness Celtic Spring Tour 2022), Jean-Louis Martinier und Kevin Seddiki aus Frankreich (17.3., Sargfabrik). Die dritte Abschlussgala am 20.3. im Metropol nicht zu vergessen, die ganz im Zeichen italienischer Musik steht, mit dem wunderbaren Riccardo Tesi und Banditaliana.
Attwenger, Großmütterchen Hatz, Otto Lechner, Paul Schuberth, Tini Trampler & Playbackdolls, Troi, die Wiener Tschuschenkapelle und viele mehr machen das 23. Internationales Akkordeonfestival Wien zu einem durchgehend hochklassigen Vergnügen. Die Stummfilm-Matinee, mit Live-Vertonungen ausgesuchter Stummfilme jeweils sonntags im Filmcasino und diverse Workshops als Rahmenprogramm rundet das reiche Angebot des Festivals ab.
VON DEN WURZELN ÜBER DEN TELLERRAND: ANIADA A NOAR & MARIA GSTÄTTNER & STEFAN HECKEL (Steiermark)
1981 gegründet gehen Aniada A Noar aus der Steiermark seit 40 Jahren ihren eigenwilligen und unverwechselbaren Weg, heimischer Volksmusik neue Perspektiven zu eröffnen. Im künstlerischen Blick hat die Formation dabei sowohl die Wurzeln als auch die Möglichkeiten, die sich jenseits des Tellerrands bieten. Mit Witz – Noarn! – Tiefgründigkeit und Melancholie. Zahlreiche Tonträger begleiten diesen Weg, mit so schönen Titeln wie „Gwoxn“ (1993), „Tanzl“ (2002), oder „Khult“ (2013). Ende 2020 erschien das 21. Werk (!), „Live“, das in 3 Kategorien für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominiert wurde. Darauf zu hören sind Aniada A Noar unter anderem mit der virtuos improvisierenden Faggotistin und Komponistin Maria Gstättner und dem Klangmaler Stefan Heckel. Im Konzert geht, was diese vier Herzblutmusizierenden gemeinsam auf die Bühne bringen, vom Ohrenschmaus zur Seelennahrung – und wieder zurück!
Nachruf! In liebevoller Würdigung von Bertl Pfundner, der im September 2021 verstorben ist. Eines der Instrumente, das er bei Aniada A Noar jahrzehntelang zum Klingen brachte - die Ziehharmonika ...
STILISTISCHE GRENZÜBERSCHREITUNGEN: VIVIANE CHASSOT (CH) & FRANZISKA FLEISCHANDERL (AT)
Die in Zürich geborene Viviane Chassot ist eine Akkordeonistin von Weltruf. Ihre Sichtweise ihres Instruments: „Das Akkordeon hat etwas unglaublich Verbindendes, Brücken-Bauendes. Es bringt Gegensätze zusammen, von denen man es nicht für möglich gehalten hätte.“ So überschreitet Viviane Chassot bewusst stilistische Grenzen: mutig und innovativ verbindet sie Klassik, Jazz, neue Musik und Improvisation. Im heutigen Programm finden sich dabei als Solistin interpretierte Kompositionen von Bach, Chopin, Haydn oder Mozart ebenso wie ein Stück von Piazzolla, dazu zentral die erstmalige künstlerische Begegnung mit Franziska Fleischanderl, ihrerseits eine Meisterin auf der Salterio, einer Kastenzither aus dem 18. Jahrhundert, sowohl zu zupfen, als auch wie ein Hackbrett zu spielen. Fleischanderl „zaubert“ auf diesem Instrument ebenso wie Chassot auf dem Akkordeon, der entstehende musikalische Dialog darf mit Spannung erwartet werden!
EINE NEUE MUSIKALISCHE MÖGLICHKEIT: DOBREK QUARTETT (IR/PL/AT)
Nicht zum ersten mal versammelt Krzysztof Dobrek – „ich bin auf die Welt gekommen, um Musik zu machen“, soll er schon ganz jung zu seiner Großmutter gesagt haben – hochkarätige Musiker, um einen offenen künstlerischen Diskurs zu inspirieren. Bei dem sie als Quartett einen Klang finden, der ihrem Instrumentarium und ihren persönlichen Geschichten, ihren Erfahrungen und ihren Prägungen als Musiker entspricht und diese reflektiert. Diesen dann, sozusagen, ihren neuen gemeinsamen „Dialekt“ hinzufügt, in der Begegnung mit dem Publikum ins tatsächliche Klingen und in die Resonanz kommend. Der schöpft aus einem reichen Vokabular von world music, Weltmusik, Jazz und Klassik, und von der genretranszendieren Lust an der Improvisation und kollektiver künstlerischer Disziplin zugleich. So wie dieses Dobrek Quartett klingt nur dieses Dobrek Quartett!
TOM WAITS RE-IMAGINED: VICKI KRISTINA BARCELONA (USA)
Drei erfahrene Musikerinnen, allesamt selbst Songwriterinnen und Multi-Instrumentalistinnen, gönnen sich und ihrem Publikum ein großes künstlerisches Abenteuer. Als Vicki Kristina Barcelona tauchen sie ein in den endlos ergiebigen Song-Katalog des großen Tom Waits. Würdigen dessen lyrisches Talent und interpretieren das tiefgehende (!) „Way Down In A Hole“ ebenso gültig wie das subversive „I Don´t Wanna Grow Up“, finden nicht nur durch ihren dreistimmigen Gesang definierte eigene Lesearten dieser so lebens-prallen, wirklichkeits-besoffenen, oft tragisch-komischen Songs. Schließen wir die Augen und schon sehen wir dieses Trio als Hobos aus der Ära der Großen Depression vor uns, unterwegs auf der ewigen road to nowhere durch eine globale USA, immer wieder kurz Halt machend, um auf Hochzeiten und Begräbnissen zu spielen …
RICCARDO TESI & BANDITALIANA (IT)
Riccardo Tesi ist gern gesehener und gehörter künstlerischer Stammgast des Akkordeonfestivals. Er überzeugte schon als Solokünstler, mit Bella Ciao und deren bewegendem Repertoire aus italienischen Arbeiter- und Partisanenliedern, als Teil des Akkordeonkollektivs Samurai Accordion, oder eben mit Banditaliana, diesem wunderbaren Quartett hochklassiger Instrumentalisten. 2018 feierte Banditaliana das 25jährige Bestehen und veröffentlichte zu diesem Anlass das vielbeachtete Album – ihr sechstes – „Argento“. Ein, wie nicht anders zu erwarten, überaus gelungenes Werk, das weiter im Zentrum ihrer Konzerte steht. Die perfekte Balance von Instrumentalstücken und Liedern, eine Musik bei der Tradition und Innovation wie selbstverständlich zusammenfließen. Oder wie es ihre Agentur formuliert: „Seit mehr als 25 Jahren verzaubern Banditaliana durch eine Musik ohne Grenzen, frisch und sonnig, innovativ und gleichzeitig eng mit ihren Wurzeln verbunden; durch eine breite Synthese aus Formen und Riten der toskanischen Tradition, mediterranen Klängen, Jazzimprovisationen und Canzoni d’autore.“
A TRIBUTE TO THE ACCORDION TRIBE: OTTO LECHNER & DIE WIENER ZIEHHARMONIKER (SI/AT)
1996 gründeten Bratko Bibič, der 2008 verstorbene Lars Holmer, Maria Kalaniemi, Guy Klucevsek und Otto Lechner den multinationalen Accordion Tribe. Die Musiker_innen tourten und spielten drei Alben ein, in denen regionale und nationale Akkordeon-„Dialekte“ ebenso einflossen wie die ursächliche Qualität von Musik, solche „Herkunftsfragen“ zu transzendieren. Ein Jahr nach dem 25-jährigen Jubiläum der Gründung des nicht zuletzt für den Ansatz und Geist dieses Festivals so wichtigen Accordion Tribe, lassen zwei seiner Tribemembers im Verband mit vielen anderen hochkarätigen Akkordeonist_innen dessen Musik hochleben. (Am 15.3. steht ein weiterer Festival-Abend im Zeichen des Accordion Tribe, dabei ist auch der gleichnamige Dokumentarfilm zu sehen).
Nach einer ersten künstlerischen Würdigung des trans- und multinationalen Accordion Tribe zum Beginn des Festivals, werden zwei von dessen Musikern die Vorführung des gleichnamigen Films über diese einmalige und für die Akkordeon-Musik so wichtige Formation einleiten. Otto Lechner und Bratko Bibic haben dabei in ihrer Arbeit vor und nach dem Accordion Tribe immer wieder Aspekte und Elemente, die auch bei diesem zum Ausdruck kamen und eine Rolle spielten, künstlerisch bearbeitet, anders und weiter ausgeformt. Entsprechend launig und gehaltvoll zugleich wird dieser Auftakt zu einem besonderen Abend im Zeichen der „Music Travels“ von fünf substantiellen Instrumentaist_innen ausfallen.
Dieser deutschsprachige Film über den 1996 gegründeten Accordion Tribe mit fünf Akkordeonistinnen aus Finnland, Österreich, Schweden, Slowenien und den USA, wurde 2004 uraufgeführt, ein Jahr darauf gewann er den Schweizer Filmpreis als bester Dokumentarfilm. Wir erleben den Band-Alltag auf Tour, aber auch die Musikerinnen in ihren jeweiligen Umfeldern, ein bis heute vitales Zeit- und Kulturdokument.
100 & 1 JAHR ASTOR PIAZZOLLA - EIN KREATIVER TANZ MIT DEM TANGO: TRIO INFERNAL feat. PAULA BAREMBUEM (AR/AT)
Das Trio Infernal entstand aus der Rhythmusgruppe von Beefólk, deklariertes künstlerisches Ziel der „Working Band“ virtuoser Instrumentalisten: als kreative Brückenbauer zwischen verschiedenen (Klang-)Welten neue Wege zu beschreiten. Was hervorragend mit dem Selbstverständnis der in Buenos Aires geborenen Wahlwiener Sängerin und Komponistin Paula Barembuem korrespondiert: „happy to build bridges between styles that seem to have little in common.“ Wenn sich diese Musiker_innen dem Werk von Astor Piazzolla – und anderer klassischer Tango Literatur – annehmen, dann ist das ergiebig. Hier die Vertrautheit Barembuems mit Tango als musikalischer Alltags-Kultur, dort die Rolle Piazzollas in der Biographie Christian Bakanics. Ihm begannen sich über die Auseinandersetzung mit diesem, als schon profundem Kenner und Könner der Volkmusik, die Welten von Klassik und Jazz zu erschließen – und natürlich der Tango! Bakanic umreißt den Titanen, dessen Musik, als „harmonisch breit und mit so viel Substanz.“ Was dem Trio Infernal einen ebenso breiten, forschenden wie spielerischen Zugang zu dessen Werk ermöglicht. Dazu reflektieren Piazzollas Kompositionen dessen fundamentale Berührtheit durch Bach und Mozart. Ein Wegweiser in die „große musikalische Welt“, die Trio Infernal und Barembuem heute mit dem Focus Tango und eben Piazzolla zum Klingen bringen, dabei mit dem Groove als Schlüssel zu den traditionelleren Kompositionen, diese oft hermetischer in ihrer Form als die Arbeiten des Jubilars Piazzolla.
100 & 1 JAHR ASTOR PIAZZOLLA - SCHWERPUNKT ÖSTERREICH: MOMENTO ENERGÉTICO GROOVIN´ TANGO QUINTETT (Tirol)
2015 beschlossen diese 5 Musiker_innen, die sich aus dem Innsbrucker Musikgymnasium und vom Tiroler Landeskonservatorium her kannten, gemeinsam ihre künstlerische Leidenschaft für die Musik Astor Piazzollas zu pflegen. Zu Klassikern aus dessen Werk erweiterte das Groovin´ Tango Quintett sein Repertoire bald um Eigenkompositionen, stets zelebrieren sie ihre Musik voller Leidenschaft und Emotion. Dies wusste beim Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker 2016 ebenso zu beeindrucken wie durch den Beitrag der fünf Tiroler_innen zum Pausenfilm des Neujahrskozertes 2017. 2019 legte das Groovin´ Tango Quintett sein erstes Album vor. „Momento Energético“ besticht durch grundsätzliche stilistische Offenheit, der Ansatz der Musiker_innen: „Was noch kein Tango ist, wird bald einer sein!“
100 & 1 JAHR ASTOR PIAZZOLLA - EIN RARES DUETT: DESUSTU (AT)
Obwohl Klavier und Akkordeon wunderbar harmonieren, findet sich diese Kombination selten auf den Konzertbühnen dieser Welt. Wie klingt ein Hit der Eurythmics im barocken Stil? War Jazz nicht die wahre Passion des Johann Sebastian Bach? Und findet Michael Jackson neben Astor Piazzolla Platz? Mit dem Programm „Suite Dreams“ geht Desustu solchen Fragen nach, ihre Antwort sind traumhaft schöne Stücke. Von wegen Piazzolla – zu diesem vor 101 Jahren geborenen Titanen assoziiert Alexander Christof, auch in der Band Granada aktiv: „Melancholie in der Musik als großes Stichwort. Piazzolla selbst sagte sinngemäß „Melancholie oder Traurigkeit zum Tanzen“ – die treffendste Beschreibung seiner Musik. Für mich ein großes Vorbild, ein Meister in jeder Hinsicht: Bandoneon, Komposition, er hat den Tango neu erfunden (Tango Nuevo), und ungewöhnlich besetzt (Quintett mit E-Gitarre!), die Instrumente immer perfekt genützt.“
100 & 1 JAHR ASTOR PIAZZOLLA - UNBEKANNTE FARBTÖNE: NIKOLA DJORIC & ENSEMBLE (RS/SI/AT)
Ein schreibender Kollege bezeichnete den in Wien lebenden und arbeitenden Nikola Djoric als „Poet am Akkordeon“. Mit großem künstlerischen Sinn sucht dieser seit jeher unbekannte Farbtöne in den Werken großer Komponisten wie Bach, Beethoven oder Mozart aufzuspüren. Zu seinen hochklassigen Veröffentlichungen zählt die CD „Pictures“ mit Djoric’ Interpretationen von Mussorgsky und Tchaikovsky. Im Februar 2021 wurde die Cd „Bach & Piazzolla“ veröffentlicht, da passt es nur zu gut, dass sich der Akkordeonist heute mit seinen Mitmusiker_innen ganz speziell der Tango Nuevo Größe Piazzolla annimmt und dazu noch der Musik Haydns. Wenn ein Klavierkonzert von Joseph Haydn – arrangiert für Akkordeon und ein Kammermusikensemble – auf argentinischen Tango trifft, dann erwartet die Besucher_innen ein wahres musikalisches Feuerwerk. Als zusätzliche Ebene wird dieses von zwei Tänzer_innen begleitet und mit ihrer Kunst reflektiert, Manaho Shimkowana und Raúl Macias sind dabei ihrerseits vielfältige Künstler_innen, deren Arbeit in anderen Bereichen ihren Tanz umso reicher macht.
Photo Credits:
(1) Akkordeon Festival Logo (by Internationales Akkordeon Festival Wien);
(2) Stefan Heckel,
(3) Viviane Chassot,
(4) Aniada a Noar,
(5) Vicki Kristina Barcelona,
(6) Krzysztof Dobrek,
(7) Otto Lechner,
(8) Riccardo Tesi & Banditaliana,
(9) Desustu,
(10) Astor Piazzola,
(11) Stefan Sterzinger,
(12) Wiener Brut,
(13) Wiener Tschuschenkapelle,
(14) Diknu Schneeberger,
(15) Walther Soyka,
(16) Attwenger,
(17) Franziska Hatz,
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