Das Zebrano-Theater in Friedrichshain steckt in Schwierigkeiten: Dass das Berliner Zebrano-Theater seit mehr als einem Jahr im Prinzip keine Einnahmen mehr hat, liegt angesichts der weltweiten Pandemie auf der Hand. Aber dass der gemeinnützige Verein, der hinter dem Zebrano-Theater steht, mitten in der Corona-Krise einen neuen Mietvertrag mit (mehr als) verdoppelter Miete unterzeichnet hat, um das kleine (aber: feine!) Kleinkunst-Theater am Ostkreuz in Berlin-Friedrichshain zu erhalten, dürfte dem einen oder anderen doch neu sein. Natürlich kann man dem Verein mit Spenden helfen, die monatliche Lücke von rund 1000 Euro zu stopfen, aber nun gibt es sogar einen tollen Anreiz für eine solche Spende: Sebastian Krämer konnte zahlreiche Künstler für eine CD gewinnen, deren Erlös dem Erhalt des Zebrano-Theaters zufließt. Die CD erschien am 01.05.2021 und kann auf der Website http://www.zebrano-theater.de/benefiz_verkauf.html für 10 Euro (und gerne auch für mehr) bestellt werden. Am 02.05. fand eine Release-Party als Live-Übertragung aus dem Zebrano-Theater statt. Unter anderem mit Dota Kehr und Matthias Binner.
Eine Einführung in die Titel des Albums von Sebastian Krämer:
Kann man sich sicher sein, daß das eigene Echo im Spreetunnel auf einen gewartet hat, wenn man nach ein paar Jahren des Aufenthalts in der Ferne zu ihm zurückkehrt und in den Tunnel ruft? Diese Frage erörtert Uta Köbernick, untermalt vom Picking ihrer elektrisch abgenommenen Gitarre, und kehrt damit zwar nicht physisch aus der Schweiz an die Spree zurück, gesellt sich aber auf der hier vorliegenden CD zu uns anderen – verbliebenen und versprengten – Logenbrüdern und -schwestern. Sie war in den Nuller Jahren eine der ersten, die dem Club – damals noch Förderverein – Genie und Wahnsinn feierlich beitraten.
Und siehe da: Utas ganz persönliches, glockenhelles Echo ist nun sogar für uns alle verfügbar. Wir können es anschmeißen, wenn wir uns dazu entschließen: es steht auf Abruf bereit. Wieder und wieder. Wir haben es zu diesem Zweck tausendfach reproduziert.
Denn Spreetunnel ist einer von 24 Titeln, die dem Zebrano-Theater e.V. unentgeltlich für eine Veröffentlichung zur Verfügung gestellt wurden, dies sowohl zum Zwecke einer Auffüllung der gebeutelten Vereinskasse, als auch um ein wenig Club-Athmosphäre in eure Hausarreste zu tragen. Dabei haben wir auf eine imposante Aufmachung, Booklet und dergleichen, sehr bewußt verzichtet. Der runde 80-Minüter lagert in einer schlichten Papptasche. So kann jeder Cent des Verkaufspreises an den Verein weitergegeben werden, der sich derzeit nicht nur durch das Ausbleiben jeglicher Ticketverkäufe, sondern auch eine saftige Mieterhöhung herausgefordert sieht.
Clubmitgliedschaft verpflichtet. Mit Tim Fischer ist das wohl glamouröseste und mit dem Metropolis-Orchester Berlin unter der Leitung von Burkhard Götze das Mitglied mit den meisten Köpfen in der Zusammenstellung vertreten. Originalaufnahmen von eben jenen Brettern, um die es geht, gesellen sich zu perfekt gemixtem Studio-Material und natürlich allerlei Bastelarbeiten aus den diversen Wohnzimmer-Manufakturen ...
Die spezielle Lage, in der wir uns nun schon seit über einem Jahr zurechtzufinden haben, wird dabei selten (aber dafür umso eindringlicher in Matthias Binners Amazing Grace gesungen) direkt zum Thema gemacht; das Zebrano selbst und seine vage Zukunft hat niemand direkt in den Blick genommen – zwischen den Zeilen jedoch klingt das alles auf Schritt und Tritt an.
Mit C. Heiland etwa verbindet uns die Sehnsucht nach Kuscheln; und Melvin Haacks Sag morgens nie „... dass du abends kein Bier trinkst“, ein waschechtes Sauflied, verhallt am Ende der Platte als sehnsuchtsvolle Apotheose entrückter Tage. Arno Rittgen nimmt uns mit auf die rege besuchte Beerdigung von Paul. Vom Tod eines Freundes, Samuel D., singt Uli Zehfuß, vom Tod der Mutter eines Flüchtlingskindes, Aluna, Nadine-Maria Schmidt. „Da wir es fühlten, daß wir sterben müssen“ heißt es in dem nachgelassenen Gedicht Karl-Otto-Mühls, der 2020 verstarb und mich leider erst genau damit (will sagen durch einen Nachruf) auf sein Schaffen und eben diese Verse aufmerksam machte …
Eine andere prächtige Schmuckschatulle mit Hang zum Untergang, Venedig nämlich, steigt aus den Versen des großen Christof Stählin vor uns auf. Unser ist die Ehre, das vermächtnishafte Dokument einer Demoaufnahme für ein Album, das er nicht mehr produzieren konnte, erstmalig auf einen Tonträger bannen zu dürfen. Aber Stählin, dessen weitreichender Einfluß nicht nur in den Beiträgen seiner vielen hier vertretenen Schüler bemerkbar ist, war außerdem Schmied eines magischen Schüttelreims, der nun auch in goldenen Lettern über dem Zebrano-Portal prangen könnte: „Daß unsre kleine heile Welt noch eine kleine Weile hält“ – Charlotte & Elisabeth, unsere neuesten Club-Mitglieder, greifen statt der Vihuela des Meisters zur Ukulele und hauchen der kleinen heilen Welt neues Leben ein.
„Wenn nur einer so wär’ wie sie alle bloß tun“ ... so einem möchte Danny Dziuk sein Silber überreichen und überreicht es dann Johann Sebastian Bach – bzw. tut so, als wäre er so einer wie der, indem er eine ehrfurchtgebietende Fuge hinlegt. Auch dieser musikalische Höhenflug und die pianistische Phantasie Andreas Gundlachs über mein Club-Genie-und-Wahnsinn-Thema sind typisch für die Blüten, die man am Ostkreuz bislang mit Applaus begießen durfte. Den wahren Grund jedoch, warum es uns immer wieder ins Zebrano zieht, bringt mehr als alles andere ein Text Bernhard Lassahns auf den Punkt: Weil es winzig ist, zart in Töne gesetzt von Annett Kuhr und von dieser im Wechselgesang mit Sue Sheehan zum Vortrag gebracht.
So ziehen sich Kooperationen und Zitate, Verschränkungen und Ehrerbietungen durch die Tracklist – dem gegenüber stehen einsame Singer-Songwriter wie Nils Heinrich, den es ins trübe Hameln verschlagen hat und Michael Krebs, der, sonst eher für derbe Komik bekannt, mit einer innigen Ballade über das trostlose Schicksal alter Landhäuser berührt.
Barbara Thalheim berichtet frei nach Franz Schubert, wie sie sich Vorm Brandenburger Tore „wendete“, und Herrchens Frauchen aalen sich mit drei kleinen Worten in der letzten Genugtuung, die Alt-Linken heute bleibt: die aus solidarischer Bestätigung gewonnene Gewißheit, noch immer recht zu haben. Bezeichnend für die Meta-Bewegtheit unserer Tage, jenen schrägen Sarkasmus, dem sich politisches Engagement jeglicher Couleur mittlerweile überantwortet findet, sind auch die wohl feministischsten und meiner ersten Putzfrau gewidmeten Zeilen aus meiner eigenen Feder: „Es ist das alte Spiel zwischen Mann und Frau, […] die eine muß schuften, der andre macht blau!“, derer sich Tim Fischer angenommen hat, sowie Holger Saarmanns Wenn ich mal groß bin, „… glaub’ ich auch an irgendwas“ und Lennart Schilgens Entschlossenheitslied. Denn anders als der Titel vermuten läßt, ruft es in kämpferischem Tone dazu auf, ausgerechnet GEGEN die Entschlossenheit die Faust zu erheben: „Wahrer Mut ist Wankelmut!“
Mut also macht uns da gar keiner? Nun ja, immerhin erfahren wir auch: Die Welt muß doch noch nicht untergehen, denn Dota hat Schwangere Frauen im Baumarkt gesehen. Auch Marco Tschirpke freut sich in Es regnet, es regnet – über Aquaplaning und die Folgen für den Autoverkehr. Und dann wäre da noch Horst Blues arbeitslose Nachbarin Biggi, die nach einem kurzen Coaching des Strahlemanns ihren eigenen erfolgreichen Astro-Kanal an den Start bringt. Okay, das mag ein Märchen sein. Aber Märchen werden eben wahr, wenn Horst sie uns verkündet: Wann, Biggi wann „ … kommt Harmonie, kommt Energy, kommt ein Mirakel, kommt das Glück wie nie?“
Ein bißchen davon kommt ganz bestimmt mit dem Album „Sebastian Krämers Club Genie und Wahnsinn“, wenn ihr es jetzt für nur 10 Euro plus Versandkosten bestellt. Nicht virtuell, nur physisch, im klassischen CD-Format, legen wir unseren kleinen Querschnitt durch die Welt des Songwritings vor, wie es sich zur Zeit in Berlin zusammenfindet (oder zusammenfände, wenn man es ließe). Auf Wortbeiträge und Moderationen wurde für dieses Mal verzichtet. Aber die CD trägt den Vermerk: „Vol. I“. Wenn das nicht Hoffnung macht ...
Various Artists »Sebastian Krämers Club Genie und Wahnsinn Vol. I«
(Reptiphon/broken silence, 01.05.2021) |
Eine Produktion zugunsten des Zebrano-Theater e.V.
Photo Credits:
(1) Sebastian Krämer,
(3) Annett Kuhr & Sue Sheehan,
(4) Dota Kehr,
(5) Barbara Thalheim,
(6) Ulrich Zehfuß,
(7) Nadine Maria Schmidt
(unknown/website);
(2) Danny Dziuk,
(by Walkin' Tom).