Das Lied vom Vreneli ab em Guggisberg, kurz Guggisberglied, auch Guggisbergerlied oder Altes Guggisbergerlied genannt, ist wohl das älteste noch bekannte Schweizer Volkslied. Es wurde erstmals 1741 erwähnt, die älteste erhaltene Textvariante stammt von 1764.
Das Lied handelt von einem «Vreneli» (schweizerdeutsch für «Verena») aus Guggisberg, das sich nach seinem Auserwählten «Simes Hans-Joggeli» (Simons Hans-Jakob) sehnt und im Bild des sich unablässig drehenden Mühlrads Trost für seine ausharrende Liebe findet.
Aufgrund der lange nur mündlichen Überlieferung gibt es verschiedene Textvarianten. Hier zitiert wird jene, die Otto von Greyerz 1912 in einem Aufsatz über das Lied im Schweizerischen Archiv für Volkskunde veröffentlicht hat. Von Greyerz vertritt darin, wie schon Ludwig Tobler vor ihm, die Ansicht, dass die beiden «nicht in das Reimsystem passenden Strophen», die er als 2a und 10a nummeriert, «nicht ursprünglich» seien; auch den Kehrreim hält von Greyerz für jünger.
Die schlicht-feierliche Mollweise hat ihren Ursprung in den evangelischen Chorälen des 16. Jahrhunderts. Sie findet sich erstmals gedruckt 1818 in der Sammlung Schweizerischer Kuhreihen von Gottlieb Jakob Kuhn; eine ebenfalls in Moll gehaltene Variante findet sich auf einer handschriftlichen Niederschrift von 1803 aus Habkern im Berner Oberland. Das Guggisberglied ist eines der sehr seltenen Schweizer Volkslieder in Moll; am nächsten verwandt ist seiner Melodie diejenige des Emmentaler Hochzeittanzliedes Bin alben e wärti Tächter gsy. Im 19. Jahrhundert wurde auch eine Dur-Melodie nach Hans Nydegger gebräuchlich (Männerchorsatz von Karl Munzinger 1890).
Strophen 1 und 2, 3 und 4, 5 und 6, 7 und 8 sowie 9 und 10 machen je zusammen eine vierzeilige, durch Reim- oder Assonanzpaare verbundene Strophe aus, weshalb von Ludwig Tobler und Otto von Greyerz vorgeschlagen wurde, dass Strophen 2a («U stirben-i vor Chummer») und 10a («Das Mühlirad isch broche») und, nach von Greyerz, überdies der Kehrreim späteren Datums seien. Die Strophen 3–6 und 9–10 sind Gemeingut der deutschen Volkspoesie und finden sich als Wanderstrophen in vielen alten Volksliedern. Nach Untersuchungen von John Meier soll der Kehrreim des Guggisberglieds von einem Spottlied auf die Guggisberger stammen, das sich mit einem Liebeslied aus Wanderstrophen vermischt habe.
Erstmals erwähnt wird das Alte Gugisberger Lied im Jahre 1741. In der 13. Strophe eines Einladungsgedichtes des Franz Ludwig Steiger, Landvogt zu Wimmis, an Schultheiss Frisching in Thun (Reime über das Käsmahl zu Wimmis A° 1741) heisst es: «Nun hört, jetzt geht die Music an, / der Dorfmagister lobesan / will selbsten eins vorsingen. / Das Vreneli ab dem Guggisberg / und Simes Hans Jogeli änet dem Berg / vortrefflich tun erklingen.» Und 1756 weist im Basler Helvetischen Patriot die Liebesgeschichte Die schöne Alpmeyerin oder das Verenichen ab dem Guggisberge darauf hin, dass das Lied damals auch in Basel und Umgebung allgemein bekannt gewesen sein muss. Das Schweizerische Volksliedarchiv in Basel verwahrt einen Sammelband von Flugblättern aus Sissach, etwa 1750–1780, welcher eine frühe hochdeutsche Fassung der ersten beiden Strophen enthält. Publiziert wurde das Guggisberglied dann in etwas verstümmelten Formen von den Deutschen Karl Spazier 1790 in seinen Wanderungen durch die Schweiz und von Achim von Arnim in seiner Sammlung Des Knaben Wunderhorn (1805–1808) und anschliessend in sprachrichtiger Form von Gottlieb Jakob Kuhn in seinen Kühreihen (1812; handschriftlich notiert schon 1802), von K. Ruckstuhl in der Zeitschrift Alpenrosen (1823, mit abweichender Schlusszeile) und wenig später auch von Johann Rudolf Wyss (1826).
Inhalt und Melodie des Liedes sind sehr emotional. Verschiedenen Quellen zufolge soll in alten Zeiten bei Schweizer-Regimentern in fremden Kriegsdiensten die Todesstrafe auf das Absingen des Liedes gestanden haben, da es das Heimweh, früher auch «Schweizerkrankheit» genannt, förderte.
Der Simeliberg hat kaum etwas mit dem Berg gleichen Namens im Märchen der Brüder Grimm zu tun (der mit verschiedenen Namenvarianten auch in anderen Märchen auftritt), sondern dürfte eine Ableitung vom Personennamen Simon sein. Einen Hof namens s Simelis ‚(das Gut) des Simeli, des Simon‘ gibt es in Guggisberg bis heute, und der Simeliberg dürfte der in der Nähe des Hofes liegende nördliche Ausläufer der von Südwest nach Nordost verlaufenden Hügelkette sein.
Das Motiv von den Muschgate (Muskatblüten) und Nägeli (Nelken) findet sich schon im Bergreihen Bei meines Buhlen Haupte, der erstmals 1536 bezeugt ist und fast wortwörtlich mit den betreffenden Strophen im Guggisberglied übereinstimmt. Ebenfalls fast wortgleich tritt die Stelle im Lied Es ist ein Schnee gefallen auf, das in mundartlicher Form aus dem bündnerischen Davos-Sertig bekannt ist und bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen soll. Der Genuss von Muskatblüte und Nelke soll auf die Stimmung einwirken; so kommen im Macis halluzinogene Stoffe vor (siehe den Artikel Muskatnussbaum), und sowohl Muskat als auch Nelken sollen aphrodisierende Eigenschaften haben und zum Liebestrank gehören.
Auch die Strophen vom Mühlrad, das zerbricht, ist schon im Bergreihen Bei meines Buhlen Haupte von 1536 enthalten, ebenso – fast wortgleich wie im Guggisberglied – im Lied Mei Schatz, wei Chrieseli gwünne aus dem Luzerner Hinterland. Das sich unablässig drehende Mühlrad steht für die treu ausharrende Liebe der jungen Frau.
Der 15-jährige Felix Mendelssohn Bartholdy verarbeitete das Guggisbergerlied in seiner Streichersinfonie Nr. 11 in F-Dur. Es erklingt im zweiten Satz als «Schweizerlied» mit Variationen.
Es gibt verschiedene moderne Interpretationen, die sogar regelmässig in den Charts auftauchen, so solche von Stephan Eicher, Christine Lauterburg (Trilogie: Jimmy-Flitz e Reis dür d Schwyz), der Geschwister Pfister («The Voice of Snowwhite»), Angelheart (im Sommer 2001, unter dem Titel If ever eines der im Radio meistgespielten Lieder), Steff la Cheffe und von vielen Volkschören. Übersetzungen und Neuinterpretationen soll es auch in Englisch, Russisch oder Türkisch geben. Nach dieser Quelle soll auch Franz Liszt die Melodie bearbeitet haben. Für Blasmusikformationen in Brass Band- und Harmonie-Besetzung existiert ein Arrangement (geschrieben 1998) von Thomas Rüedi.
In der zeitgenössischen «E-Musik» hat das Lied in den letzten Jahren mehrfach Eingang in die Werke von Schweizer Komponisten gefunden:
Text is available under the Creative Commons Attribution-ShareAlike License.
Date: July 2021.
Photo Credits:
(1) Vreneli-Brunnen, Guggisberg,
(3) Christine Lauterburg,
(4) Doppelbock
(unknown/website);
(2) "Das alte Guggisbergerlied" (Edition von Otto von Greyerz, 1912)
(Schweizerisches Archiv für Volkskunde 16 (1912)).