FolkWorld #75 07/2021
© Nordic Notes

Drei singende Musiker

Willkommen zurück, ihr wilden, unberechenbaren Spurensammler! Mit „Villoi Varsa“ legt das finnische Trio Celenka in diesem Sommer sein zweites Album vor. Emmi Kujanpää, Eero Grundström und Jarkko Niemelä stellen ihren neuen Longplayer in ihrer Heimat am 1. Juli 2021 auf dem legendären Haapavesi Folk Music Festival vor.

Celenka

Eero Grundström - Harmonium & Gesang, Emmi Kujanpää - Gesang & Kantele, Jarkko Niemelä - Trompete & Gesang

Artist Video Celenka @ FROG

www.emmikujanpaa.com

Auf „Villoi Varsa“ blicken Celenka mit offenen Augen zurück und rücken eine im modernen Finnland fast schon in Vergessenheit geratene musikalische Tradition in den Mittelpunkt: Sie erinnern an den wichtigen Beitrag der karelischen Sängerinnen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu bereit waren, ihren Erfahrungsschatz und ihre Lieder mit Volksmusikkundlern zu teilen und somit für die Nachwelt zu bewahren. Die Sängerinnen trugen ihre Lieder vor, so wie sie diese traditionell in ihren Familien und Dorfgemeinschaften sangen. Das Album enthält Songs von Olga Kottina, Matro Tikano, M.F. Makarova ja, P. Ivanova und sogar Texte einer unbekannten Musikerin, die unter dem Pseudonym „eine Frau“ aufgenommen wurden. Die Volkslieder werden in der karelischen, wepsischen, finnischen und russischen Sprache gesungen und erinnern an eine Zeit vor den beiden Weltkriegen, als noch ein mehrsprachiges und multikulturelles Karelien existierte. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges gehört ein großer Teil dieser traditionellen finnischen Landschaft zu Russland. Übrigens: Die wepsische Sprache ist der ostseefinnische Zweig der finno-ugrischen Sprachen und wurde im Jahr 2010 nur noch von rund 1.500 Menschen östlich von Sankt Petersburg und am Ladogasee gesprochen.

Viele der auf „Villoi Varsa“ enthaltenen Lieder sind direkt aus Theaterstücken des berühmten russischen Dramatikers Anton Tschechow entnommen: In „Vanusha“ suchen die Protagonisten ein besseres Leben in Moskau, in „Brihat Hebot“ treffen sich die Liebenden in einem Kirschgarten und das Titelstück „Villoi Varsa“ zieht uns mit seinem Liebeswerben in den Bann. „Obwohl die Welt, die in den Liedern dargestellt wird, offensichtlich patriarchalisch ist und jede Frau, jeder Mann und jedes Pferd seine festgeschriebene Rolle zu spielen hat, berühren uns die Geschichten und zeitlosen Melodien auch heute noch. Auch im Jahr 2021 träumen wir noch von besseren Tagen“, schreiben Celenka.

Die Band hat den Großteil des Materials für „Villoi Varsa“ in den Jahren 2016 bis 2020 aus den Archiven zusammengetragen und die Songs so arrangiert, dass die Stimmen der drei Musiker bestens mit dem Harmonium, der Kantele sowie der wilden Trompete von Jarkko Niemelä harmonieren. Das Album enthält auch einige Lieder, die von den Musikern selbst komponiert wurden, wie Eero Grundströms Balkan-inspiriertes „Työväenlaulu“ („Lied der Arbeiterklasse“), in dem sowohl die russisch-karelische sozialistische Vergangenheit als auch die Notlage und prekäre Position von Künstlern und Künstlerinnen in der heutigen Gesellschaft anklingen.

Celenka

Celenka "Villoi Varsa", Nordic Notes, 2021

Das Album verwebt zudem persönliche und politische Geschichte: Als der Leiter der Musikabteilung des finnischen Rundfunks in Petrosawodsk, Ahti Sonninen, während des finnischen Fortsetzungskrieges Lieder der wepsischen Sängerin Olga Kottina sammelte, diente ein junger 19-jähriger Soldat in Petrosawodsk. Er handelte sich um keinen anderen als Emmi Kujanpääs Großvater Veikko Kemiläinen. Er sprach später nie über das Erlebte. Aber er beklagte den Verlust seiner geliebten Mandoline. Als Emmi als 19-jährige junge Volksmusikerin 1999 zu einer Konzertreise nach Petrosawodsk aufbrechen wollte, fragte ihr Großvater, ob sie ihm seine Mandoline zurückbringen könnte, falls sie sie zufällig finden würde. Die Mandoline war zwar nirgends aufzutreiben, aber Emmi entdeckte dort das Lied „Ljotal Golub“ („Die Taube flog“), als es von einem lokalen Gruppe, Myllärit, aufgeführt wurde.

Celenka wurden im Jahr 2013 gegründet und lassen sich von karelischen, slawischen und südosteuropäischen Musiktraditionen inspirieren. Celenka sehen sich selbst als „drei singende Musiker“, die eine Leidenschaft für mitreißende Melodien und flinke Tanzrhythmen teilen. Ihre Musik basiert auf alten Archivfunden und selbst komponierten Songs. Celenka sind bereits mehrfach in Finnland und in Russland aufgetreten.

Die Musiker sind in der Weltmusikszene ihrer Heimat wahrlich keine Unbekannten: Emmi Kujanpää erlangte mit ihrem finnisch-bulgarischen Soloalbum „Nani“ und der Zusammenarbeit mit der Le Mystère des Voix Bulgares Vocal Academy im Jahr 2020 internationale Aufmerksamkeit. Trompeter Jarkko Niemelä ist als langjähriges Mitglied der Brass-Avantgardisten Alamaailman Vasarat wahrlich kein Unbekannter und dazu noch festes Mitglied bei Jaakko Laitinen & Väärä Raha. Von Eero Grundström ganz zu schweigen, der normalerweise bei den finnischen Mundharmonika-Piraten Sväng mitmischt, mit der bekannten Akkordeonistin Maria Kalaniemi zusammenarbeitet und auch bei Suistamon Sähko mitmischt, den wilden Grenzgängern zwischen Folk, elektronischen Klängen und Hip Hop.




Photo Credits: (1)-(2) Celenka, (3) Jaakko Laitinen & Väärä Raha, (4) Sväng, (5) Alamaailman Vasarat (unknown/website).


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