Die algerische Liedermacherin Souad Massi singt auf ihrem neuen Album von Verrat und Korruption, aber auch von Freiheit, Menschenrechten und Emanzipation
Als im Frühjahr 2019 in ganz Algerien die Menschen auf die Straßen strömten, um gegen den politischen Stillstand in ihrem Land zu protestieren, zeigte sich Souad Massi in Paris solidarisch. Allein in Algier protestierten bis zu eine Million Menschen dagegen, dass sich Langzeit-Präsident Abdelaziz Bouteflika nach 20 Jahren im Amt ein weiteres Mal zur Wahl stellen wollte. Souad Massi organisierte am 3. April ein Benefizkonzert in Paris, um die Demokratiebewegung in ihrem Geburtsland zu unterstützen. Der Termin war glücklich gewählt: Einen Tag zuvor war der greise Bouteflika nach wochenlangen Protesten zurückgetreten.
Auf ihrem neuen Album "Oumniya" handelt ein Song von Bouteflika, Souad Massi schrieb ihn vor seinem Rücktritt. In "Fi Bali" beschreibt sie ihn als Kapitän auf einem langsam sinkenden Schiff. "Oumniya" (auf Deutsch: »Mein Wunsch«) ist das sechste Studioalbum der 47-jährigen Sängerin und Songwriterin und eines ihrer besten. Persönliches mischt sich mit Politischem. "Ich gab dir meine Hand", singt sie im Opener, "und du erstachst mich, obwohl ich gerade einem Krieg entronnen war".
Souad Massi hat Algeriens dunkelste Jahre miterlebt, den Bürgerkrieg in den 1990er Jahren und die Zeit danach. Sie wuchs als Tochter kabylischer Eltern in einem Arbeiterviertel von Algier auf. Mit Hilfe ihres Bruders nahm sie Gitarrenunterricht, während des Studiums schloss sie sich einer Flamenco-Gruppe und später einer Hardrock-Band an. Als sie Ende der 1990er Jahre eine erste Kassette mit volkstümlichen Balladen veröffentlichte, erlangte sie bescheidenen Ruhm: Die Lieder wurden im Radio gespielt, Auftritte waren zu jener Zeit aber viel zu gefährlich.
Eine Einladung zu einem Festival nach Frankreich brachte die Erlösung. Ihre Ausstrahlung und ihr sparsamer Stil – eine nordafrikanische Songschreiberin, die mit warmer Stimme sanfte Folk-Balladen in arabischer Sprache sang – machten Eindruck und bescherten ihr einen Plattenvertrag. 2001 erschien ihr Debütalbum "Raoui", das viel Aufmerksamkeit fand. Seitdem tritt sie nicht nur in Europa und Japan, sondern auch in Kairo oder Amman auf. Ihrem intimen Stil ist Souad Massi treu geblieben, ihr musikalisches Vokabular hat sich erweitert. Ihre Balladen sind zwischen algerischer Chaabi-Musik, den sehnsuchtsvollen Volksliedern der 1930er Jahre, kabylischem Folk und akustischer Flamenco-Gitarre anzusiedeln. Inzwischen gesellen sich arabisch-andalusische Geige, kabylische Mandole, Darbouka- und Latin-Rhythmen dazu.
Auf "Oumniya" singt sie drei Lieder auf Französisch, zwei davon stammen aus fremder Feder. In "Je veux apprendre" ("Ich will lernen") leiht sie jungen Mädchen, deren Wissensdurst durch patriarchale Traditionen gebremst wird, ihre Stimme. Von Magyd Cherfi, dem Ex-Sänger der französischen Polit-Band Zebda, borgte sie dessen Signature-Hymne "Je chante". Und von einem franko-belgischen Autorinnenpaar stammt "Pays Natal" – eine Meditation über das Exil, die Souad Massi wie auf den Leib geschrieben ist. "Um den Geruch von frischem Brot mit Sesam oder Kreuzkümmel zu spüren, musste man in diesem Lande lange in der Schlange stehen", heißt es darin wehmütig. "Es gab nichts zu bedauern, also bin ich von zu Hause fortgegangen. Aber Erinnerungen sind geblieben."
Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung dem Amnesty Journal 02/2020 entnommen
(www.amnesty.de/journal/).
Photo Credits:
Souad Massi:
(1) unknown/website, (2) by Walkin' Tom (Rudolstadt 2013).