FolkWorld #71 03/2020

CD Rezensionen

Andy F. "Morbus Google"
Beste Sonne, 2019

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www.andyf.ch

Millionen von Internetbenutzern leiden unter Morbus Google. Wann immer ihnen eine Körperreaktion verdächtig vorkommt, wird das Internet befragt, unter welcher unheilbar originellen Krankheit man leidet. Wer dann zum Arzt geht, kann diesem gleich die Diagnose und die Heilungschancen soufflieren. Freuen sich die Fachkräfte sehr drüber. Morbus Google ist ein Zeitphänomen, bei dem man sich mit Halbwahrheiten und gesammelten Fehlinterpretierungen ein Leben zurechtschustert, das nur die schlechten Seiten für einen bereithält. Ein Thema, dem sich der Schweizer Liedermacher Andy F. auf seinem zweiten Album widmet. Aber auch den anderen großen zeitgenössischen Themen, die uns alle beschäftigen, widmet sich der Züricher in Mundart. So geht's dem Bachelor im Privatfernsehen ebenso ans Gemächt, wie den Papas, die als Paparazzi Fotos ihrer Kinder im Internet veröffentlichen. Zu all diesen digitalen Befindlichkeiten der Gegenwart poltert seine Band angenehm analog und weckt damit ungewollt oder gewollt so etwas wie Nostalgie.
© Karsten Rube


The Bulgarian Voices - Angelite "Heritage"
Jaro Medien, 2019

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Seit über 30 Jahren faszinieren die Stimmen des bulgarischen Frauenchores - Angelite die Ohren der Welt. Die Polyphonie des Balkanraumes findet in den Gesängen dieser Stimmen ihre wahren Meisterinnen. Das Album "Heritage", das Jaro-Medien 2019 veröffentlichte, bringt viele Lieder aus der langen Tradition des Bulgarischen Liedes wieder zu Gehör. Aber auch neuere Arrangements finden sich auf diesem Album, das unter der neuen Leitung der Dirigentin Katya Barulova entstand.
© Karsten Rube


Earlybird Stringband "...the walls are in your mind"
Voices of Wonder Records, 2019

facebook.com/...

Die von Einwanderern entwickelte Bluegrass- und Countrymusik besitzt eine amerikanische Authentizität, dass man diesen Sound fälschlicherweise als uramerikanisch bezeichnet. Doch es ist nicht der Standort und auch nicht deren Herkunft, die darüber entscheiden, welche Musik man mag, sondern das Herz. Musik ist nichts, was sich regional eingrenzen lassen sollte. Und so hören wir denn ein ganz vorzügliches Bluegrass-Album der Earlybird Stringband aus Norwegen. Passenderweise trägt es den Titel: "...the walls are in your mind". Es ist bereits das vierte Album der Gruppe aus Oslo, seit ihrem Debüt im Jahr 2010. Die Songs werden getragen von gelungenen Harmonien, die der Banjo-Spieler und Gitarrist Hans Martin Austestad arrangiert hat. Meist sind es Eigenkompositionen, die den klassischen Countrymustern folgen. Mit Banjo, Fiddle, Steelguitar und klaren Gesangsstrukturen gewebt, klingen alle Songs wie bekannte und gern gehörte Klassiker. Zu den eigenen Liedern gesellen sich drei Coverversionen, wobei "Amazing" die überraschendste Wahl ist, handelt es sich dabei doch um einen Aerosmithtitel. Was man allerdings auch beim zweiten Hören eher ahnt, als erkennt. "...the walls are in your mind" ist ein kurzes Album mit gut gelaunter Bluegrassmusik, die ansteckend wirkt.
© Karsten Rube


Emmi Kujanpää "Nani"
Nordic Notes, 2019

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www.emmikujanpaa.com

Als die finnische Sängerin und Kantelespielerin Emmi Kujanpää in Bulgarien weilte, nahm in ihr die Idee einer Zusammenarbeit mit dem bulgarischen Frauenchor der Mystère de Voix Bulgares Gestalt an. Sie suchte sich aus dem jüngeren Kader des weltberühmten Ensembles einige Stimmen heraus und produzierte das Album "Nani". Die Naturverbundenheit der reinen Stimmen des Frauenchors und die ebenfalls traditionsverbundenen Gesänge Finnlands passen hervorragend zueinander. Das Album trägt sich mit der weiblichen Sicht der Welt, beleuchtet in stimmlich wandelfreudigen Variation. Den wichtigen Themen verleiht sie musikalisch Ausdruck, wie Freude, Leid und Sehnsucht, sowie der Schönheit der Liebe. Und dann auch der Kehrseite aller Leidenschaft, dem Schmerz, die Einsamkeit und Metoo-Erfahrungen. Musikalisch ein transeuropäisches Glanzstück.
© Karsten Rube


Julia Schüler & Evin Küçükali "Katiju"
Eigenverlag, 2018

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www.katiju.de

Die Gitarristin und Musiklehrerin Julia Schüler verfolgt mehrere weltmusikalische Projekte. So folgt sie einerseits mit dem Ensemble Madeia den brasilianischen Kulturen, widmet sich mit Katiju allerdings mehr der orientalischen Musik. Sie spielt selbst die Klassische Gitarre und überlässt der Sängerin Evin Küçükali weitgehend die türkischen und kurdischen Gesangspassagen. Kontrapunkte setzen die beiden Frauen, wenn sie plötzlich Lieder von Baden Powell und Vinicius de Moraes interpretieren und die orientalische Melancholie mit der brasilianischen Saudade vertauschen. Das Duo, das sich 2016 auf der Dresdener Musikhochschule fand, entführt den Hörer mit leisen Tönen und sentimentalen Liedern in zwei Kulturen, die gegensätzlicher scheinen, als sie es sind.
© Karsten Rube


Kronos Quartet & Masha & Marjan Vahdat "Placeless"
Kirkelig Kulturverksted, 2019

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www.kronosquartet.org

Das Kronos Quartet beschreitet immer wieder gern Wege, die die Klassik mit Formen von Weltmusik und traditionellen Klängen verbindet. Auf dem aktuellen Album "Placeless" haben sich die vier amerikanischen Streicher mit den iranischen Sängerinnen Masha und Marjan Vahdat zusammen getan und persische Lyrik klassisch vertont. Der Dichter Rumi ist die universelle Leitfigur der persischen Dichtung. Immer wieder finden sich Vertonungen seiner Gedichte und Gesänge in den aktuellen Produktionen von Weltmusik und esoterischer Beklangräucherung. Glücklicherweise sind die beiden Sängerinnen und auch das Quartett auf diesem wunderschönen Album weit vom Gedanken entfernt, ein Yogastudio zu beschallen. "Placeless" ist vielmehr eine kammermusikalische Offenbarung, die sich der Grenzenlosigkeit von Musik hingibt, die sich dagegen wehrt, örtlich oder regional vereinnahmt zu werden. Die Liebeslyrik eines Rumi, die Auflehnung gegen die Scheinheiligkeit, wie sie im Text des iranischen Dichters Hafez zum Tragen kommt, das aufrichtige Gedicht der Filmemacherin Forough Farrokhzad und die Texte von Atabak Elyasi sind vielleicht Ausdruck regionaler Momente. In der Interpretation des Kronos Quartets und mit der Ausdrucksstärke von Masha und Marjan Vahdat erreichen sie jedoch das Herz des aufmerksamen Zuhörers.
© Karsten Rube


Lamia Bedioui & Solis Barki "Fin’amor"
Eigenverlag, 2019

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Www.lamiabedioui.com

Lamia Bedioui ist derzeit wohl die interessanteste Stimme des Mittelmeerraumes. Die aus Tunesien stammende Sängerin lebt in Griechenland. Ihre kulturelle Heimat kennt aber keine Grenzen. Die Suche nach dem Ideal der Kunst des mediterranen Raumes steht auch beim aktuellen Album "Fin'amor", dass sie mit Solis Barki aufgenommen hat, ganz im Vordergrund. Die Musik verbindet sephardische Traditionen mit denen aus der Balkanregion. Klänge aus Palästina gehören ebenso zum Programm, wie Kompositionen aus Algerien und Frankreich. Die weltmusikalische Ergänzung gibt es schließlich mit Klangbildern aus Lappland, was zugegeben den mediterranen Einflussbereich etwas überspannt. "Fin'amor" lehnt sich bewusst an die Ausdrucksformen der Troubadoure Occitaniens an, in denen die Suche nach Ideal und Paradies ewig währt.
© Karsten Rube


Massilia Sound System "Mix Tape"
Manivette Records, 2014/2019

www.massilia-soundsystem.com

Marseille ist Frankreichs Stadt mit der vielfältigsten kulturellen Durchmischung. Deutlich macht es die Band, die wie kaum eine andere die nicht immer komplikationsfreie Weltoffenheit der Stadt repräsentiert. Massilla Sound System gießt seit 30 Jahren die Stile ihrer Heimatstadt in einen Trog und lässt diese auf gut geheiztem Feuer garen. "Mix Tape" verkostet nun Songs aus den Jahren 2014 bis 2019. Der für die Band typische Reggae und der Rap, der sich in den letzten Jahren dazugesellte, findet mit dem DJ Kayalik einen Experten für stimmige Abmischungen. Massilla Sound System haben auch nach 30 Jahren noch lange nicht ihre Würze verloren.
© Karsten Rube


Mile Twelve "Onwards"
Dolores Del Taurus Records, 2017

English CD Review

www.miletwelvebluegrass.com

Mile Twelve ist eine junge, sehr agile Bluegrassband aus Boston, die gerade mit ihrer CD "Onwards" für Aufmerksamkeit sorgt. Herausragende Musikalität und eine gehörige Menge Spaß an der Musik hat die fünf Musiker zu einem dieser Geheimtipps gemacht, die man einerseits allen empfehlen, andererseits auch gern für sich behalten möchte. Wenn sie richtig aufs Tempo drücken, kann man den Spielern kaum folgen, weil sie wie ein Tornado übers Land fegen. Aber auch die etwas getrageneren Countrysongs besitzen eine eigene emotionale Stimmung. "Onwards" besteht hauptsächlich aus Eigenkompositionen, die sich eng am Strickmuster des amerikanischen Bluegrass orientieren. Alles mitreißende Songs, sowie ein paar abenteuerliche Instrumentalstücke.
© Karsten Rube


Otava Yo "Любишь ли ты?" (Liebst Du?)
ARC Music, 2019

English CD Review

www.otava-yo.spb.ru

Russisches Brauchtum in Liedgut gegossen, das klingt ein bisschen nach Mütterchen Russland und Vater Don, nach Märchen in der Taiga. Otava Yo, eine Gruppe aus dem quirligen St. Petersburg gehen genau mit diesem Klischee erfolgreich hausieren. Vielstimmige Vokalharmonien russischer Frauen verknüpft mit Dudelsäcken, Zither, Trommeln und Geigen bilden die Grundlage für das neue Album der Band, das übersetzt soviel wie "Liebst Du?", bedeutet. Neun traditionelle Volkslieder, die vom ländlichen Leben erzählen, von Bräuchen und Gepflogenheiten, vom Handwerk und von der Familie, haben die Musiker ausgewählt. So geht es mal fröhlich zu Gange, doch scheint auch die russische Schwermut immer wieder durch die Melodien. Die jungen St. Petersburger Musiker besitzen genau die Mischung aus moderner Lebensfreude und Respekt vor den Traditionen, die das Brauchtum am Leben erhält, ohne altbacken zu wirken. Otava Yo's Musik grüßt mit einem freundlichen "From Russia with Love".
© Karsten Rube


Paula Harris "Speakeasy"
Blu Gruv Music, 2019

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www.paulaharrismusic.com

Frauen im Jazz und im Blues sind genauso unterrepräsentiert, wie in anderen Bereichen der Gesellschaft, so sagt zumindest Eva Klesse, ihrerseits deutschlandweit erste Instrumentalprofessorin für Jazz. Inzwischen rücken sie nach und fallen vielleicht deshalb auf, weil sich, unterrepräsentiert, wie sie nun mal sind, eher Qualität durchsetzt und für Aufmerksamkeit sorgt. Paula Harris fällt da besonders auf. Die Sängerin besitzt eine enorm kräftige aber auch sehr warme Stimme. Ihre Songs auf dem Album "Speakeasy" sind häufig von ihr getextet und behandeln das Thema Nummer eins im weiblichen Jazz: die Gefahr und die Verlockung, die Liebe mit sich bringt und der Schmerz, wenn es mal wieder nur eine Illusion war. Begleitet wird Harris vom meisterhaften Pianisten und Arrangeur Nate Ginsberg, der die meisten Songs auf diesem bluesig, jazzigen Album komponiert hat. Ein paar Klassiker hat Harris auf dem Album auch im Gepäck, wie "Is you or is you ain't my Baby" von Louis Jordan und "I love you more than you'll ever know" von Donny Hathaway. "Speakeasy" ist ein wunderbares Album für die Zeit kurz nach Mitternacht.
© Karsten Rube


Rising Appalachia "Leylines"
Eigenverlag, 2019

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www.risingappalachia.com

Zwar sitzen die Wurzeln der beiden Schwestern Chloe und Lea Smith tief in den Appalachen, jenem Gebirgszug, der den Osten der USA von Süden nach Norden durchzieht und Wanderer, wie Aussteiger gleichermaßen zum Träumen bringt. Das Leben der Einwohner selbst, ist oft aber alles andere als traumhaft. Trotzdem finden Rising Appalachian in den Songs ihres Albums viele freundliche Töne. Sie setzen zunächst auf Folk und Bluegrass, doch weht auch durch ihre Musik der Wind der Ferne. Als erfolgreiche Reisende lassen sie einige frische Töne in ihre gut gelaunte CD einfließen und verwenden neben dem klassischen Countryinstrumentarium, wie Gitarre und Banjo auch Cello und afrikanische Trommeln.
Das Album "Leylines" ist bereits das siebente Studioalbum der Band Rising Appalachian. Den Musikern gelingt es auf ganz harmonische Weise, fremde Kulturen und Heimatverbundenheit innerhalb einer glückseligen knappen Stunde zu verbinden.
© Karsten Rube


Romper "Sifting through the Rubble"
Eigenverlag, 2012

www.romperband.com

"Die Trümmer durchsieben" übersetzt man das Album der amerikanischen Indieband Romper. Paul Freeman als Kopf der Gruppe hat diese CD seiner alternativ agierenden Band bereits 2012 produziert. Doch noch immer geistert diese Neopunkplatte in meinem Kopf herum. Freeman gräbt darin Fundstücke längst vergilbter Musikströmungen aus den Trümmern der Jahrzehnte. Splitter von Grunge, Indie, Elektropop und Metal zieren seine zurückhaltenden Arrangements. Die Songs sind weder frei von politischen Statements, noch von Satire, besitzen aber leider keine schlagkräftigen Aufrufe zur Rebbelion. Stattdessen wirkt die Stimmung des Albums im Gesamteindruck resigniert.
© Karsten Rube


Schmidbauer, Pollina und Kälberer "Süden 2"
Jazzhaus Records, 2019

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www.suedenmusik.de

"Süden 2" ist ein gemeinsames Projekt der Musiker Werner Schmidbauer, Pippo Pollina und Martin Kälberer. Schon vor Jahren hatten die drei Profis mit "Süden" ihre Gemeinsamkeiten erkundet und musikalisch aufgearbeitet. Nun ist mit "Süden 2" ein Neustart dieses Projektes erschienen. Diese anmutige Mischung aus Pop, Folk und Canzone besteht aus sehr persönlichen Momenten, aus Ideen vom Aufbruch in ein neues Leben und von Bestandsaufnahmen des bisherigen. Die Sehnsucht nach der erträumten Leichtigkeit des Seins im Süden klingt dabei stets durch. Die Lieder strahlen eine Melancholie aus, die allerdings von Hoffnung durchzogen ist. Auch wenn sie vom Winter singen, träumen sie doch vom Frühling.
© Karsten Rube


Sonny Axell "Kick Back"
Azur Music Production, 2016

www.sonnyaxell.com

Hört man das Album "Kick Back" des ambitionierten Soulmans Sonny Axell, weiß man sofort, dass das nur aus einer amerikanischen Soulschmiede kommen kann. Spätestens beim Lesen des Booklets muss man sich eines Besseren belehren lassen. Der Musiker stammt aus St. Etienne in Frankreich. Seinen musikalischen Stil nennt er Funky Contemporary Jazz. Seine mitreißenden Arrangements sind funklastig, laut, rhythmisch betont und schäumen vor Energie beinahe über. Satte Bläsersätze und pointierte Gitarrenriffs prallen auf eine gefühlvolle Stimme, die auch mal in eine wunderbar sentimentale Gemütslage gleiten kann, wie er mit dem Song "Empty Faces" beweist. "Kick Back" ist fröhlicher Überschwang mit viel Gefühl.
© Karsten Rube


VocaMe "Cathedrals"
Note1Music, 2018

www.vocame.de

Mit geistlicher Musik aus der Hochgotik verführt uns das Ensemble VocaMe auf ihrem Album "Cathedrals". Die Gesänge der vier Stimmwunder, die sich unter dem Direktorat des Multiinstrumentalisten Michael Popp zusammengefunden hat, bringen dem Hörer das Gefühl nahe, sich in einer der hohen Kathedralenräume wieder zu finden und einer gesungenen Messe beizuwohnen. Die Stimmhöhen beschränken sich im Ensemble ausschließlich auf Sopran und Mezzosopran. Im Klangspektrum der Kathedrale hallen die Lieder durch große offene Räume. Laute, Drehleier und die persische Kastenzither Santur veredeln die harmonischen Gesänge. "Cathedrals" ist eine einstündige Klangreise in die Zeit des Mittelalters.
© Karsten Rube


Melisande "Les Myriades"
Borealis Records, 2019

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www.melisandemusic.com

In Quebec hält man Traditionen ein wenig anders als in Europa am Leben. Die Einwanderungskultur des einzigen frankophonen Bundeslandes Kanadas ist äußerst reichhaltig und selbst im Vergleich zum größten Einwanderungsland der Welt, den U.S.A., einzigartig. So lebt vor allem das keltische Erbe der Einwanderer aus Westeuropa in Quebecs traditioneller Musik fort. Doch gern verbinden die Musiker diese mit modernen Stilmitteln. Melisande, ein kreatives Ehepaar bestehend aus Sängerin Mélisande Gélinas-Fauteux und dem Soundspezialisten Alexandre de Grosbois-Garand, hat sich für ihr musikalisches Experiment bretonische und quebecoise Volkslieder vorgenommen und diese durch den Elektromixer geschreddert. Electrotrad nennen die beiden ihr Ergebnis folgerichtig. Die Mischung der Zutaten ist jedoch ausgewogen genug, Folkfreunden und Dancehouseenthusiasten gleichermaßen Spaß zu bereiten. Melisandes Gesang folgt den Mustern der franko-keltischen Harmonien konsequent, bedient aber ebenso die Attitüden des französischen Pops. Die traditionellen Elemente treten durch Maultrommel und Flöte gut hervor und werden durch den Gastgeiger David Boulanger (De Temps Antan) verfeinert. Ganz harmonisch schwimmt diese Mischung auf einem sauber gesamplten Bett aus Electrobeats und Soundprogrammierungen, die Alexandre "Moulin" de Groibois-Garand als künstlerischer Kopf des Produktes angerichtet hat.
© Karsten Rube


Kaja "Origo"
Kakafon Records, 2019

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www.kajatrio.se

Die schwedische Gruppe Kaja veröffentlicht mit ihrem vierten Album “Origo” ein Werk kammermusikalischer Folklore mit cineastischem Hörgefühl. Eigentlich von Klezmer und osteuropäischer Musik beeinflusst, hat sich das Trio nun vermehrt der Klangästhetik Nordeuropas gewidmet und eine unterschwellig köchelnde Leidenschaft für Jazz und Tango mit in die Melange einfließen lassen. “Origo” schwelgt in langen fließenden Bildern, lässt musikalisch Dynamik mit dramaturgischer Präzision anschwellen, reflektiert im wonnigen Wechsel Leben und Tod, Leidenschaft und Leid mit zügellosem Tango und schwindeligem Walzer. Die atemberaubenden Klanglandschaften werden von der fünfsaitigen Violine Livet Nords, dem Akkordeon von Camilla Aström und dem Bass Daniel Wejdins getragen.
© Karsten Rube


Cristina Branco "Branco"
O-Tone Music (Edel), 2018

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facebook.com/...

Dass Portugal im europäischen Kontext etwas anders tickt, als der Rest des Kontinents, lässt sich an mehreren Eigenheiten erkennen. Die Portugiesen haben sich vollständig vom europäischen Rettungsschirm befreit, der nach den Finanzkrisen das Land lähmte, sie besitzen keine nennenswerte rechtsorientierte politische Strömung, die das Land spaltet und Portugals Musik ist eigenwillig genug, um mit einer emotionalen Schnulze den Eurovisionscontest zu knacken. Portugal besitzt viele hervorragende Musiker und nicht alle machen Fado. Das junge Portugal, das irgendwie das Gefühl vermittelt, im Aufbruch zu sein, wenn auch noch mit unklarer Orientierung, bringt Künstler hervor, die ihre musikalischen Markierungssteine setzen. Cristina Branco gehört bereits seit Jahren zu den Künstlerinnen, die den Fado genauso souverän beherrschen, wie das Chanson. Sie hat sich für das als Trilogie angelegte Projekt mit Liedern portugiesischer Allstars von zahlreichen Künstlern Songs schreiben lassen. Mit "Menina" begann dieses Projekt. "Branco" ist die gelungene Fortführung. Cristina Brancos Interpretationen sind jazzorientiert, finden ihre deutliche Leitlinie jedoch im Neofado. Das Timbre ihrer Stimme schwingt sich in sanfte Höhen hinauf, leicht und verletzlich klingend und stürzt sich ebenso freimütig in auslotbare Tiefen. Melancholische Momente werden auf der Platte gestreift, fröhlichere herausgehoben. Die lusophone Sentimentalität bleibt gewahrt, ohne ins Leiden abzudriften. Die portugiesische Gitarre würzt die Luft mit der hellen, freundlichen Verspieltheit, die ihr so eigen ist. Cristina Branco verzaubert. Erneut.
© Karsten Rube


Nicola Conte & Spiritual Galaxy "Let Your Light Shine On"
MPS/Edel Germany GmbH, 2018

www.nicolaconte.it

Nicola Conte auf ein Genre festzulegen, wäre ein Fehler. Der Musiker aus Bari bedient keine Stile, sondern interagiert mit diesen. Nicht erwartungsgemäß zu klingen treibt sein musikalisches Schaffen an. Hat er sich noch vor einiger Zeit mit den brasilianischen Einflüssen auf die Musik beschäftigt und Easy Listening mit Bossa und Clubsounds kombiniert, sucht er seinen Ansatz auf dem Album "Let your Light shine on" im Afrobeat. Klangmuster aus Funk- und Soul, Bläsersätze aus Afrojazz bestimmen den Sound dieses Meisterwerkes. Percussive und spirituelle Elemente des Afrobeats finden sich in den Songs. Und doch ist es kein Weltmusikalbum. Es ist eher ein verwirrend schönes Dancealbum mit starken Jazzambitionen und einer Basisinspiration durch Melodien des afrikanischen Kontinents. Die Band Spiritual Galaxy lässt mit pointierten und harmonisch arbeitenden Bläsersektionen und treibender Perkussion den Geist von Fela Kuti wach werden. Die Gitarre Contes bleibt zurückhaltend, aber themenbestimmend. Die Stimmen der vier Sängerinnen wirken mal beschwörend, mal betörend. Nicola Conte gelingt es dabei, allen musikalischen Klischees aus dem Weg zu gehen. Er jongliert gekonnt mit den Stilelementen und kreiert damit ein eigenes sehr spirituelles Klanguniversum.
© Karsten Rube


Elvis Costello "Look Now"
Concord Records, 2018

www.elviscostello.com

Für das Album "Look Now" wärmte Elvis Costello seine alte Freundschaft mit der Komponistenlegende Burt Bacharach auf. Beide hatten 1998 für das Album "Painted by Memory" einen Grammy gewonnen. Der Einfluss Bacharachs veranlasst Costello, die Rumpelgitarre stehen zu lassen und etwas mehr Gefühl zu zeigen. Das ist mit "Look Now" hervorragend gelungen. Leicht und doch rockig spielt er sich durch 16 Songs, die nach Britpop der besseren Sorte klingen, manchmal mit der orchestralen Erzählfreude der Beatles zur Hälfte ihrer Glanzzeit. 15 der Songs sind radioleichte Popsongs, einige mit Ohrwurmpotenzial. Nur den Ausflug in die französische Sprache den er auf die Bonus-CD gepresst hat, wirkt holprig und missglückt.
© Karsten Rube


Mayra Andrade "Manga"
Columbia, 2019

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www.mayra-andrade.com

Der Name Mayra Andrade steht heute für die Musik der Kapverden so deutlich, wie einst der Cesaria Evoras. Doch während die Evora die traditionelle Linie der Kapverden bediente und die nostalgische Note der Inseln repräsentiert, war Mayra Andrade von Anfang an eine Erneuerin. Mit ihren weltläufigen Wurzeln, die sie von Kuba, über den Senegal, nach Frankreich und Deutschland schließlich wieder in ihre Heimat führten, bündelt sie breite Strömungen der Musik beidseits des Äquators. "Manga" birgt erneut Überraschungen. Die geläufigen folkloristischen Klänge ihrer Heimatinseln bereichert sie mit brasilianischen Klängen, Andenimpressionen, Elektronik und Reggae. Pop und Persönlichkeit finden ungeniert zusammen, Tradition und Moderne und das alles in der für sie typischen sprachlichen Vielfalt und ihrer unverwechselbaren Stimme aus kreolischem Samt.
© Karsten Rube


Club des Belugas "Strange Things on the Sunny Side"
Chin-Chin Records, 2019

www.club-des-belugas.com

Die Musik des deutschen Dancefloorjazzprojekts Club des Belugas einfach nur als Cool zu bezeichnen, würde der Sache nicht gerecht werden. Auf ihrem nunmehr elftem Album beweisen die Soundtüftler um Maxim Illion und Kitty the Bill, was für ausgezeichnete Musiker und Arrangeure an den Songkreationen beteiligt sind. Der Clubjazz, den man auf "Strange Things on the sunny Side" zu hören bekommt, ist stellenweise impulsiv bis ungezügelt, wie „Quapa“ gleich am Anfang klar zeigt. Der Song "Crazy Lazy Friday Afternoon" wirkt hingegen ziemlich lasziv. Brillante Bläsersätze und eine ausgeflippte Querflöte unterstreichen hier eine gewollt schwüle Atmosphäre. Das Gefühl, glückselig durch die Nacht zu tanzen, vermittelt Iain Mackenzie mit seinem Lied "There's Nothing but you", während der Song, "Running Life" gesungen von Ashley Slater, den aufdringlichen Schmelz eines Brusthaartoupets mit Goldkettchen besitzt. Sehr schön zu hören ist auf dem Album auch, wie sich der Wunsch der Sängerin Maya Fadeeva, sich in den Pool der Clubinterpreten einzupassen, erfüllt hat. Zwei Songs mit der charismatischen Stimme Mayas kann man auf der CD hören. Mit wie wenig Mitteln die Musiker eine zum Hinschmelzen cineastische Stimmung zaubern können, beweist der Schlusssong "La Taillade". Streicher, hintergründige Bläser, eine gleichmäßige Rhythmussektion und eine indische Trommel beschwören vereinnahmende Bilder von einem endlosen Horizont über blauem Wasser herauf. Die Covergestaltung ist erneut eine Augenweide, die Musik eine Ohrenweide. Für mich die bisher reifste CD vom Club des Belugas. Enorm unterhaltsame Brillanz.
© Karsten Rube


Le Vent du Nord "Territoires"
Borealis Records, 2019

Artist Video

www.leventdunord.com

Das Album "Territoires" ist feinster musikalischer Geschichtsunterricht. Le Vent du Nord aus Quebec, die im Moment wetterfestesten Vertreter der frankokanadischen Musikszene reisen in die Vergangenheit ihrer Heimat, singen von Not und Revolution, aber auch von Fabelwesen und allerhand Sehnsüchten. Die aufgekratzte Drehleier von Drehleierteufelchen Nicolas Boulerice, die wilden Fiddeln und das Akkordeon der Brunetbrüder sowie der typische Tapdance, der den Rhythmus der Songs antreibt, reißen den Hörer vom ersten Ton mit.
© Karsten Rube


Chiara Civello "Eclipse"
Kwaidan Records, 2018

www.chiaracivello.com

Tony Bennett bezeichnete die Italienerin Chiara Civello als eine der besten Jazzsängerinnen ihrer Generation. Doch ihre Interpretationen eigener und vor allem klassischer Songs des zwanzigsten Jahrhunderts gehen weit über den Jazz hinaus. "Eclipse" verbindet ein paar der Regionen, zu denen sich Civello hingezogen fühlt. Sie lebte in Paris, den U.S.A., natürlich in Italien und immer wieder arbeitete sie mit brasilianischen Musikern zusammen. Man konnte sie vor zwei Jahren mit Gilberto Gil bei dessen Europastippvisite auf der Bühne erleben. Diese Vielfalt hört sich harmonisch an. Und so singt sie leichten Herzens "Sambarilove" und schweren Herzens "Parole, Parole". Italienischer Schlager klingt in der leicht jazzigen Interpretation von Chiara Civello plötzlich nach wunderbarer Musik, voller Schmelz und Sehnsucht und großen Augenblicken der Liebe und wirken dabei überzeugend frei vom klebrigen Kitsch, der den meisten Liedern der italienischer Gefühlssause mit Hitpotential anhaftet.
© Karsten Rube



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