FolkWorld #70: Ralf Weihrauch

In der Musik ist beinahe alles möglich. Ausdrucksformen können miteinander kombiniert werden, wenn sie denn harmonieren. Und selbst diese Harmonie darf gebrochen werden, wenn es als Stilmittel dem Ausdruck des entsprechenden Werkes gerecht wird. Der Beispiele gibt es in Pop, Rock, Jazz, Folk und Weltmusik genügend. (Lediglich der Schlager lebt sein Solitarismus aus, wie ein verwöhntes Einzelkind). Fusion heißt der Drang nach Austausch und Vermengung oder Crossover, ganz wie man gerade ein und dasselbe Bildnis ins Licht rücken möchte. Doch obwohl bereits vielerlei Kombinationen und künstlerische Experimente ge- oder misslangen, so überrascht gelegentlich ein Künstler mit einer völlig neuen Herangehensweise.

Ralf Weihrauch: Alles tot im Bauernhimmel

»«So etwas hat es noch nicht gegeben!« Mit alles Alles tot im Bauernhimmel entsteht ein ganz neues Genre:

Sci-Folk!

Interview: »Gruselige und
ungewöhnliche Geschichten«

»Make Volkslied Great Again«
(Der Blog zum neuen Projekt)

Kürzlich veröffentlichte der Musiker und Musikpromoter Ralf Weihrauch ein Album mit einer sehr gewagten Betrachtung des mittelalterlichen Bänkelliedes. »Alles Tod im Bauernhimmel« heißt das Werk. Das Bänkellied war ein Volkslied mit morbiden Charme. Mit eintönigen Rhythmen und stetig leiernden Wiederholungen wurden Lieder über Tod und Gewalt erzählt. Über Liebe und Ausweglosigkeit unter einer göttlichen Macht, der man ausgeliefert war, der man aber nicht über den Weg traute.

In einer von Tod und Gewalt durchzogenen Zeit waren diese Lieder aber bei weitem nicht vergleichbar mit den dramaturgischen Lächerlichkeiten eines aus der Form geratenen Rappers. In den Liedern des Albums »Alles Tod im Bauernhimmel« steht nämlich die Liebe und deren Verlust im Mittelpunkt und die Sehnsucht, aus dem Jammertal zu entkommen. Weihrauch transportiert dieses Dauerthema der Vergeblichkeit allen Seins aus dem Mittelalter in die Gegenwart. Das tut er mit Elektobeats, Reggaerhythmen, Computerprogrammierungen und einem Akkordeon, dessen Bandbreite zwischen Folklore und Shanty dicht am Schifferklavier vorbei schaukelt.

Volkslieder aus dem Mittelalter mit Reggae und Akkordeon? Das Erstaunliche an dieser Mischung ist, dass sie funktioniert. Allerdings weniger musikalisch als im Konzept. Es sind die Geschichten, die Weihrauch ausgegraben hat, die die Aufmerksamkeit des Hörers fesseln sollen und die von der wenig wandlungsfreudigen Musik untermalt wird. Der gleichmäßige Leierrhythmus unterscheidet sich nicht wesentlich vom singenden mittelalterlichen Liederjan und auch nicht vom Hinterhofleierkastenorje der vorletzten Jahrhundertwende.

Ob die Lieder nun technisch zeitgemäß, modern mit Drehleier, Leierkasten oder Elektroorgel vorgetragen werden, ist nebensächlich. Ralf Weihrauch führt nicht einfach eine Tradition fort. Dann wären die Texte gegenwartsbezogen und das ganze Album zumindest musikalisch zum Einschlafen. Ralf Weihrauch benutzt Texte, die bereits in vergangenen Jahrhunderten zum Repertoire der Straßenmusiker gehörten. So ist dieses Album eine Zeitreise geworden, die in die Vergangenheit führt, ohne die Gegenwart loszulassen. Gekonnt vermeidet er damit den nostalgischen Schwindel, den manche Folklorekapelle auslöst, wenn sie in archaischen Lederleibchen oder im Feldmauswollpullunder auf der Bühne »Game of Thrones« nachspielt.

Trotz der musikalischen Eintönigkeit des Albums ist Ralf Weihrauch mit “Alles Tod im Bauernhimmel” ein erzählerisch stimmiges sowie künstlerisch durchtriebenes Gesamtkunstwerk gelungen.

Erzählerisch stimmig, künstlerisch durchtrieben