FolkWorld #62 03/2017
© Luise Rube

Article in Swedish

Selbstgeschmiedet

Garmarna

Artist Video Garmarna @ FolkWorld:
FW#10, #16, #19,
#19, #22, #26, #26

www.garmarna2015.com

Garmarna ist zurück. Nach 15 Jahren Schneewittchenschlaf, einer Zeit in der sich sowohl die Populärmusik als auch der Klangstil unserer Lieblings-Mittelalter-Folkrock-Band entwickelt hat, entließen die 5 schwedischen Musiker im April 2016 ihre sechste und damit auch ihre erste sehr selbstgeschmiedete Scheibe "6" an die Öffentlichkeit. Selbstgeschmiedet deshalb, weil bis auf die Titel "Timmarna" und "Ett dold begär", in denen traditionelles Material verwendet wurde, sämtliche Musik und Texte aus den Köpfen der Künstler stammen. Diesmal sind auch zwei Gäste dabei: Maxida Märak (Över Gränser) und Thådström (Öppet Hav). Zu beiden Stücken gibt es je ein Musikvideo, das man sich auf Facebook oder YouTube angucken kann.

Artist Video
Artist Video

Wenn man die CD unvorbereitet das erste Mal hört und nicht im Hinterkopf hat, dass 15 Jahre musikalische Stilentwicklung zwischen den letzten Ausgaben und der neuen liegen, mag dem mittelalter-gewohnten Garmarna-Ohr auffallen, dass wir jetzt mehr poppige Beats und elektrische Klänge hören. Wem das nicht gefällt, dem rate ich sich das Werk noch ein paar Mal mit offenen Ohren anzuhören. Denn in dieser Entwicklung ist absolut nichts Eigenartiges zu hören. Garmarna wollten sich schon seit Beginn ihrer Musik einen mehr elektrischen und modernen Klang geben. Die Mittel dazu kamen allerdings erst mit der Zeit. Zwischen den Erscheinungen von Garmarna, Vittrad, Guds Spelemän, Vedergällningen und Hildegard von Bingen ist nicht so viel Zeit vergangen, als das wir, die wir nicht unbedingt offene Ohren für Populärmusik haben, nicht mit Garmarna eine sukzessive und damit schonende Entwicklung eben jener miterlebt hätten. Dadurch dass wir den Entwicklungsprozess der Band in den letzten 15 Jahren nicht miterlebt haben, kommt der neue Sound etwas überraschend. Wenn man darüber hinweg ist, merkt man, dass sich die Musiker durchaus treu geblieben sind.

Zukunft meets trad. Mit der Verschmelzung von traditionellen Instrumenten, Themen, Melodien und Textphrasen auf der einen Seite und elektrischen Verzerrungen und Untermalungen selbiger, poppigen Beats und einem mehr modern anmutenden Liedaufbau werden Vergangenheit und Zukunft, Traditionen und Moderne gekonnt miteinander verwebt. Wir hören noch immer Drehleier, Geige und akustische Gitarre und im Titel Timmarna klingt die Gitarre wie eine Kantele. Diese traditionellen Instrumente werden elektrisch gezerrt, angepasst, verdoppelt. Hinzu kommen Klänge, die am Computer erstellt wurden. Über Allem schwebt Emma Härdelins klare Stimme, die in all den Jahren kein bisschen gealtert doch aber gereift ist. In ihr finden wir traditionelle Stilmittel des schwedischen Folkgesangs. Auch sie wird teilweise elektrisch dem Stil angepasst. Doch, anders als bei den meisten Popsternchen, bei denen solche musikalischen Anpassungen meiner Meinung nach recht daneben gehen, gibt das in diesem Fall der Musik einen gewissen gewinnenden Charme. Mit diesem Stilmittel haben die Musiker auch schon in früheren Produktionen gearbeitet und sie wissen damit umzugehen. Emmas Stimme wird nicht bis in die Unkenntlichkeit verzerrt, stattdessen wirken diese Anpassungen hier mehr wie die Preiselbeeren auf der Sahnetorte. Also wie das Saure, das dem Süßen erst die richtige Würze gibt. Das mittelalterliche wird durch die traditionellen Instrumente und Emmas einzigartigen Gesang beibehalten. Auch wenn die Texte neu sind, bleiben sie dem folkloristischen Stil treu sowohl in Wortwahl als auch melodischen Eigenschaften, wie bestimmten Phrasen, die spezifisch für die schwedische Folkmusik sind.

Garmarna: 6

Garmana "6", West-
park Music
, 2016

Diese unaufdringliche Elektrifizierung und Eigenheit in Emmas Stimme als auch in den Instrumenten gibt der Musik einen leicht psychedelischen Charakter. Auch die Texte hinterlassen diesen Eindruck. Statt blutigen Balladen hören wir nun Texte zwischen Verzweiflung und Hoffnung, ganz ohne Blut dafür aber mit inneren Kämpfen des jeweiligen lyrischen Ich's.

Garmana 2000; photo by The Mollis

Mit dem Titel "Över Gränsen" hören wir zum ersten Mal auch einen Titel mit politischem Inhalt, der sich gegen die immer rechter und ignoranter werdende Weltpolitik wendet, dazu auffordert diesem Strom von Gewalt und Hass, Verfolgung und dem Schaffen von Fluchtursachen nicht zu folgen, sondern dem entgegenzuwirken. Maxida Märak, eine samische Rapperin und eine Ikone im Kampf für die Rechte der schwedischen eingeborenen Sami, ist ein passender Gastartist und Lautsprecher für die politische Botschaft des Titels.

Wer möchte, kann diese Botschaft in die gesamte CD hinein interpretieren. Verzweiflung trifft Hoffnung. Flüchtlinge sterben zuhauf im Mittelmeer auf dem Weg in eine, wie sie hoffen bessere Zukunft. Einige wenige schaffen es auch. Zumindest sind sie aus den Kriegsgebieten weg, doch nur wenige schaffen es sich ein neues Leben aufzubauen und aus einem unendlich wirkenden schwarzen Tunnel wieder an's Tageslicht zu gelangen. Emmas Gesang dringt klar wie die Hoffnung durch die rauen und dunkel anmutenden Klänge, die durch Stefan Brisland-Ferner (Geige, Drehleier, Synt, Programmierung, Gitarre), Gotte Ringqvist (akustische Gitarren), Rickard Westman (Gitarre und Bass) und Jens Höglin (akustische und elektrische Trommeln) geschaffen werden. Diese Dunkelheit und das Licht am Ende des Tunnels erkennt man auch im Cover der CD wieder. In erster Linie ist alles schwarz, nur ein kleiner Bereich in der rechten unteren Ecke der Vorderseite ist etwas heller und zeigt zwei im Sonnenunter- oder -aufgang stehende Häuser. Die Schrift ist weiß, bis auf die Titel der Lieder im Textheft sowie der Schriftzug GARMARNA, die in rot dargestellt wurden. Die CD selbst strahlt in Rot, hier mit den schwarzen Schriftzügen Garmarna und dem Titel der CD "6". Wenn man der Interpretation um Verzweiflung und Hoffnung folgt, kann die rote Farbe als Symbol für das Blut aller derer stehen, die in Kriegen ihr Leben lassen mussten.

Garmarnas sechste Scheibe "6" regt zum Denken an. Wir hören eine klare politische Botschaft. Die Musik geht mit der Zeit und die Musiker sind fähiger denn je. Dieses Werk ist ein typisches Beispiel für CD's, die mit jedem mal hören besser werden.


Photo Credits: Garmarna: (1)-(2) 2016 (unknown/website); (3) 2000 (by The Mollis).


FolkWorld Homepage German Content English Content Editorial & Commentary News & Gossip Letters to the Editors CD & DVD Reviews Book Reviews Folk for Kidz Folk & Roots Online Guide - Archives & External Links Search FolkWorld Info & Contact


FolkWorld - Home of European Music
FolkWorld Homepage
Layout & Idea of FolkWorld © The Mollis - Editors of FolkWorld