Kannemann & Miko "Nordfolk"
Rainsong Records, 2013
Es gibt eine Form des norddeutschen Folks, die ist geprägt von gedankenverlorenem Gitarrenspiel, vom Blick auf die See oder auf die Weiten der friesischen Wiesen. Es wird in die Ferne geblickt und geträumt und man ist im Reinen mit sich. Der Hamburger Liedermacher Kannemann singt auch von der Ferne und macht sich Gedanken um die Welt, wie sie ist und wie sie sein könnte. Leider klingt das auf seinem Album „Nordfolk“, das er zusammen mit dem Geiger Miko Mikulicz aufgenommen hat, nicht immer nach freundlicher norddeutscher Ruhe. In „Bilinguale Kita“ versucht er sich in Kritik an durchgeplanter Kindererziehung, klingt dabei aber selten originell. Auch „Muss ich wieder witzig sein“ ist ebenso ein Lied, bei dem er etwas verheult rüberkommt. Und in „Schreib ein Buch“ versucht er sich in der Demütigung vom Volke am Stammtisch längst abgeurteilter Politiker. Musikalisch zeigt er allerdings ganz klar Strukturen, die durch den Geiger auch gut untermalt werden. Die Coverversion des Citysongs „Am Fenster“ halte ich für außerordentlich gelungen. Aber als Liedermacher ist mir Kannemann zu unpoetisch und textlich zu platt.
© Karsten Rube
Götz Rausch Band "Schaurige Märchen"
Rainsong Records, 2013
Wem Element of Crime zu harmonisch ist, wird seine Freude an der Götz Rausch Band finden. Musikalisch auf ähnlichem Terrain wandelnd, wie die Lieblingsband der graumelierten Erstväter des Prenzlauer Berges, ist Götz Rausch in seinen Texten konsequenter, bitterer und damit irgendwie auch glaubwürdiger. Das zweite Album der Götz Rausch Band heißt „Schaurige Märchen“ und erzählt von den kleinen Paniken, von Landromantik, wie sie nur Leute aus der Stadt empfinden können, Entscheidungslosigkeit und Momenten der Lust am Selbstmitleid. Keiner der Songs ist daran interessiert Sorgen auszudrücken und Lösungen zu suchen. Nein. Liedermacher ist der Götz Rausch nicht. Eher ein Mann, der das momentane Empfinden ausdrückt. Das tut er mit stilistischen Mitteln, die von der Polka, über die Ballade bis zum Indiepop alles nutzt, was der Stimmung dient und die neben gängigen Instrumenten, wie Gitarre und Piano auch auf Geräusche, wie Schreibmaschinentastatur und Singende Säge zurückgreift. Die CD »Schaurige Märchen« ist voller berauschender Momente.
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Maegie Koreen "Kleine Bühne im Exil"
Eigenverlag, 2013
Maegie Koreen widmet sich in ihrem Chansonprogramm „Kleine Bühne im Exil“ der Gesangskunst der Dreißiger Jahre. In dieser Hochzeit des Couplets und des Chansons gab es viele Künstler, die vom Alltagsschlager bis zum dadaistischen Durcheinander auf kleinen Varietébühnen agierten. Als dann die Nationalsozialisten die Macht übernahmen und diese Darstellungskunst für nicht systemkonform erklärten, blieb vielen Musikern nur die Flucht ins Exil. Wer diese Möglichkeit nicht wahrnahm, wurde arbeitslos und landete nicht selten im Konzentrationslager. Ganz untergegangen sind die Lieder auch im Exil nicht, auch wenn das Chanson in Deutschland nach dem Krieg nie wieder zu alter Form und Popularität erwacht ist. Maegie Koreen hat in ihrem Projekt „Chansons gegen das Vergessen“ zahllose Lieder gesammelt und auf diesem Album zusammengestellt. Heutige Hörgewohnheiten mögen sich an einigen Stellen an der Interpretation stoßen, doch vielleicht ist das gerade der Ansatz, der den Hörer an den Ohren packen soll, um nachzudenken und erinnert zu werden.
© Karsten Rube
Molwert "Na denn Prosit liebe Seele"
Eigenverlag, 2013
Die südhessische Folkformation Molwert hat sich im Juni 2013 in der St.Margarethen Kirche in Seckmauern zu einer Liveaufnahme eingefunden, in der sie an die Lieder von Carl Michael Bellman erinnert. Dieser schwedische Dichter und Komponist gilt als einer der schwedische Nationaldichter. Bellman hatte das Talent aus dem Stehgreif Verse zu zimmern. Seine Lieblingsorte waren Kneipen. Er war dem Alkohol und der Völlerei verfallen, hatte zahllose Liebesaffairen. Molwert greift einige seiner Dichtungen und Lieder auf und erzählt aus dem Leben des Dichters, nimmt auch den Anspruch des Unterhalters auf, den Bellman besaß. Da die Musiker von Molwert selbst kein schwedisch sprechen, haben sie sich auf Bellman-Versionen gestützt, die von Künstlern interpretiert wurden, die in Deutschland Institutionen der Leiderszene sind. Reinhard Mey, Dieter Süverkrüp, Klaus Hoffmann, Hannes Wader, aber auch Manfred Krug und sogar Harald Juhnke. „Na denn Prosit liebe Seele“ frönt im Gesange dem Alkohol, der Lust und der Liebe am Leben, wie sie Bellman im 18. Jahrhundert wohl empfunden haben muss.
© Karsten Rube
Anonimi "Rembetika - Live"
Raumer Records, 2013
Der griechische Blues - Rembetiko - hat sich aus der griechischen Folklore und verschiedenen weltmusikalischen Einflüssen, vor allem aus dem Orient, dem Balkan und dem Osmanischen Reich gebildet. Rembetika sind die vorherrschenden Melodien in der gegenwärtigen griechischen Volksmusik. Dass diese Form der Musik sich eigentlich aus einer Subkultur von verarmten Kleinkriminellen in den Städten des Landes gebildet hatte, die Arbeit nicht fanden oder nicht suchten und sich stattdessen mit vulgären Texten ein Ventil suchten, hört heute kaum noch ein Sänger des Landes gern. Ein wenig verklärt gilt der Rembetiko heute als Sehnsuchtsmusik - ähnlich dem Fado der Portugiesen. Heute wissen die Lieder, die mit Bouzuki und Baglamas erzählt werden, kaum noch etwas von Gefängnisalltag und Drogenrausch zu berichten, wie in den dreißiger Jahren. Und kritisch ist der Rembetiko heute auch kaum noch. Man müsste lange tief in die Altstädte von Athen und Piräus abtauchen, um authentische Rembetikos zu hören. Anonimi, eine Gruppe von Exilgriechen in Berlin haben sich den alten Rembetika gewidmet, Liedern von Vamvakaris, der in den dreißiger Jahren mit der Bouzuki und seinen Liedern über das Leben im kriminellen Untergrund für anstößige Furore sorgte, von Kostas Karipis, der noch unter den Osmanen seine Lieder schrieb und von Dimitris Gogos, der unter dem Namen Bagiaderas zu den bedeutendsten Stilisten des Rempetiko zählte. Von Armut, von Liebe, von Hoffnung und von Hoffnungslosigkeit singen die Lieder, die Anonimi auf ihrem Live-Album mit bemerkenswerter Klarheit und vereinnahmender, wie wandlungsfähiger Bühnenpräsenz vorstellen. Eindringlich, wie die Bitte um Geduld, wie er in Vassilis Tsitsanis Lied "Kane ligaki ipomoni" gesungen wird. Oder respektlos und draufgängerisch, wie in dem Lied aus der Zeit der deutschen Besatzung, das übersetzt sowas wie "Lastwagendiebe" bedeutet. Die Aufnahmen, die Anonimi im April 2013 live in der Berliner Werkstatt der Kulturen einspielte, sind von einem Gefühl ummantelt, das nach Zeitreise riecht, nach Eintauchen in die Welt der authentischen Kultur Griechenlands - nicht das goldene Helenenreich, nein, das problematische Griechenland, mit seinen kleinen und großen Gaunern und den vielen Menschen, die ihnen zum Opfer fallen. Da landet der authentische Rembetiko zügig im Neo-Rembetiko und die Zeitreise findet schneller ihre Bestimmung in der Gegenwart, als einem lieb ist. Dieses Gefühl vermittelt das Album "Rembetika - Live" über die gesamte Länge der Aufnahme.
© Karsten Rube
Balkansambel "Balkansambel"
Soundline, 2011
Balkanbrass in seiner reinen Form ist in den letzten Monaten rar geworden, denn der Trend zur Allinklusivesuppe hält unvermindert an. Um so erfreulicher, mal wieder auf eine Scheibe zu stoßen, die sich mit großem Enthusiasmus der Balkanmusik verschrieben hat, ohne einen weltmusikalischen Rundumschlag auszuteilen. Balkansambel aus der Slowakei beschränkt sich auf die klassische Schiene. Ihr Album, das nur den Namen der Band trägt, beinhaltet ein paar traditionelle Lieder vom Balkan, greift auf Kompositionen bekannter Künstler der Zunft, wie Goran Bregovíc und Adrian Sical zurück, wartet mit einigen bemerkenswert stimmungsvollen Eigenkompositionen des Bandleaders Marek Pastírik auf und versucht sich ganz erfolgreich an einer balkangerechten Coverversion des lateinamerikanischen Klassikers "Besame Mucho". Die Arrangements sind stimmig auf ein harmonisches Miteinander der Blasinstrumente ausgelegt. Hier übertönt niemand den anderen und das simple Fundament des Schlagzeugs trägt die Melodien. Auch der Gesang der beiden Damen der Kapelle weiß zu überzeugen. Ein rundes Album, das in seiner Schlichtheit fast schon bei den Klassikern des Genres einzuordnen ist.
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Carles Dénia "El Paradís de les paraules"
Mapamundi Musica, 2013
Carles Denia ist ein Flamencokünstler aus Valencia. In seinem Album "El Paradís de les paraules" (Das Paradies der Worte) widmet sich der Sänger den Gedichten Andalusiens aus der Zeit der maurischen Besetzung vom 10. bis 13 Jahrhundert. Dass so viele Lieder und Poeme aus dieser Zeit nicht in Vergessenheit geraten sind, liegt sicher auch an der respektvollen Art, mit der die Mauren und die sephardischen Juden jener Zeit mit ihrer Kultur umgegangen sind. Dies bewahrte sich selbst in den dunklen Jahren der spanischen Inquisition. Carles Deria greift ein paar dieser wundervollen Poeme auf und interpretiert sie mit seinem eigenen Gesang, der zwischen Ballade, Bolero und Flamenco und orientalischer Melodik nahtlos wandelt. Dies alles ist eine gute Stunde wundervoll, melodiöser Kunstgenuss.
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Blassportgruppe "Back in Blech"
Connector Records, 2013
Wenn man beim Albumtitel "Back in Blech" unwillkürlich an das erfolgreiche AC/DC-Album "Back in Black" denkt, liegt man gar nicht so falsch, denn Assoziationen sind hier gefragt. Die Blassportgruppe, die, wie man aus dem Namen herauslesen kann, stark auf Blechbläser setzt, hat sich Liedern angenommen, die in der Rock- und Popszene der letzten Jahrzehnte einiges an Berühmtheit angehäuft hat. Doch covern ist die eine Sache, eigenen Songs aus diesen Vorlagen zu zimmern, ist noch etwas anderes. Blassportgruppe friemeln Songs von Jimi Hendrix, Depeche Mode, Katy Perry und den Red Hot Chilli Peppers zu exzellenten Soulvariationen um. Blasmusik mit Rockambitionen, tanzbar und alles andere als folkloristisch hört man auf diesem enorm unter Druck stehenden Album. Bei einigen Songs muss man eine Weile überlegen, bis man darauf kommt, was das Original sein könnte. Was die textliche, wie die musikalische Überarbeitung und Interpretation der Songs angeht, fühlt man sich häufig an die besseren Momente der Ärzte erinnert. Herausragend ist vor allem "Sowieso" das auf dem Titel "Domino" von Jessi J. basiert und natürlich der Opener "Muttersöhnchen", bei dem man mit einem Lächeln feststellt, dass hier Jimi Hendrix' "Crosstown Traffic" Pate stand. Wer heute immer noch nicht begriffen hat, dass Blasmusik cool und angesagt sein kann, sollte sich unbedingt mit der Blassportgruppe vertraut machen.
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Eastwick "Beyond Reason"
Eigenverlag, 2013
"Ich habe lieber eine Menge Ideen und ein paar Probleme mit der Technik, als eine perfekte Technik und keine Ideen". Mit diesem Satz des berühmten Cellisten Mstislav Rostropovich beendet das zweite Album der schwedischen Band Eastwick die Lyrics ihres Booklet. Man kann dem Album nicht vorwerfen technische Mängel aufzuweisen, trotzdem finden sich eine Menge guter Ideen auf der CD. Die Schweden haben schön öfter bewiesen, dass sie manchmal bessere Americana-Alben produzieren, als manch Amerikaner. Vielleicht liegt es an der Weite und Leere des Landes, dass man sich manchmal in den Nordwesten der USA versetzt fühlt: Wald, Wiesen, blaue Berge, ein paar Elche und weit und breit kein Internet. In dieser Abgeschiedenheit kann man ungestört Musik machen und Eastwick finden auf diesem Album auch in jedem Song den richtigen Ansatz, über das Leben, die Liebe und die weite Welt zu philosophieren. Ihre Instrumentierung verfügt über die üblichen Standards wie Elektro- und Akustikgitarre, Schlagzeug, Geige und wird ergänzt durch das Cello von Katarina Ahlén, die auch hin und wieder zu singen anhebt. Das macht die Musik noch um einiges interessanter. Das Album ist sehr gefällig, lädt zumindest zum Mitwippen ein und beweist einmal mehr, dass die Schweden für freundliche Popmusik ein besseres Gespür besitzen, als manch andere Europäer. Kein Wunder, das die so oft den Eurovisionscontest gewinnen.
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Edler Trio "Edler Trio II"
Steirisches Volksliedwerk, 2012
Da kommen uns die Steiermärker mal ganz traditionell. Die Bewahrung der ländlichen Volksmusik gehört zu den schwierigen Dingen bei der Rettung nationaler Identitäten. Es ist einfacher und moderner einen MP3-Player im Ohr zu haben und sich an die kommerzielle Matrix anzustöpseln, als sich der Mühe hinzugeben ein Instrument zu erlernen und seiner Heimat zuzuhören. Doch bevor sich alle nur noch von Radio Güllepop abfüllen lassen, finden sich immer wieder ein paar Unentwegte - Widerstandskämpfer gegen die Popdiktatur - die sich tief in die Traditionen hineinbeugen und zeigen, auf welchen Fundamenten die Musik der Gegenwart aufgebaut ist. Einer dieser Unentwegten ist der steirische Musikpädagoge Josef Krammer, der sich mit der Volksmusik der Steiermark nicht nur beruflich auseinandersetzt. Zusammen mit Elke Margetich bringt er Notenhefte für Steirische Harmonika heraus und spielt alte Kompositionen für dieses Instrument ein. Das Edler-Trio, dem er zwei dieser CDs gewidmet hat, war in den dreißiger bis fünfziger Jahren in der Steiermark ein stark gefragtes Unterhaltungsensemble, das auf jeder Dorfkirmes, jedem Hochzeitsfest und zu zahllosen anderen Feierlichkeiten aufspielte und schließlich auch bei den damals beliebten Radio-Live-Konzerten bekannt wurde. Bestehend aus Franz Edler, der die Harmonika bezwang, Joseph Haym, der sich mit einer Armeeposaune bewaffnete und Hermann Sommer, der die Klarinette spielte, waren sie die erfolgreichste regionale Volksmusikgruppe jener Zeit. Ihre instrumentale Zusammenstellung, ihre Spielweise und Stimmführung wirkt bis heute als Vorbild für viele Musiker dieses Unterhaltungsstils. Josef Krammer hat auf dieser dritten CD mit steirischer Volksmusik, die auch mit einem Notenbegleitheft zu haben ist, zwölf zum Teil recht bekannte Stücke ausgewählt, die Volksmusikfreunde und selbst ausgewiesene Volksmusikverächter mitpfeifen können dürften.
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Iliria Nueva "Wild East"
Eigenverlag, 2014
Die Musik des Balkans übt einen ganz besonderen Reiz aus. Auch für die Musiker der Gruppe Iliria Nueva, die sich in Süddeutschland gefunden haben. Aus ganz unterschiedlichen Berufs- und Musikorientierungen hat sie ihre Leidenschaft für die Musik des Balkans zusammengeführt. Die Melodik ihrer Musik wird mit dem leicht exotischen Seitenblick zum Orient, der melancholischen Stimmung des Klezmers und der freien Improvisation der Sinti und Roma verbunden. Ein italienisches Akkordeon, eine Klarinette und eine warme Stimme aus Kroatien ergeben eine würzige Mischung feiner Lieder, die von Sehnsucht, Liebe und Trauer berichten. Aber auch der Lust am Tanz wird die Musik von Iliria Nueva gerecht.
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Otis Gibbs "Souveniers of a Misspent Youth"
Wanamaker Records, 2014
"Souveniers einer vergeudeten Jugend" nennt sich das Album von Otis Gibbs. Wenn man seine Musik hört, seinen Liedern folgt und dem Spiel von Banjo und Gitarre, kann man meinen, dass er seine Jugend gut genutzt hat. Der Countrymusiker aus Indiana, der längst nach Nashville geflohen ist, hat dieses Album, wie auch alle davor unabhängig und eigenständig produziert. Man hört seiner Musik eine unkonventionelle und freie Spiellaune an. "Souvenirs of a Misspent Youth" ist ein rundum gelungenes Countryalbum, das in Erinnerungen an seinen Vater schwelgt. Erinnerungen, die nicht immer nur in positiver Verklärung schwimmen. So singt er vom Tag, an dem er das erste Mal mit einer Waffe in der Hand an der Seite seines Vaters in den Wald zur Jagd geht und beschreibt, wie sehr er es gehasst hat. Von Arbeiten, wie dem Lachsfischen und dem Bäumepflanzen singt er, auch Dinge, die er in seiner Jugend gemacht hat. Und im deutlichen Zuhören verbirgt sich die Ironie des Titels, denn es ist zu hören, dass er noch heute von diesen Erfahrungen zerrt. Exzellent ist die Musikführung mit Banjo, Steelguitar und Akustikgitarre, untermalt von Geige und einem bedächtig gezupften Bass. Manchmal denkt man an einen musikalisch gemäßigten Springsteen, an anderer Stelle sind Vergleiche mit Woody Guthrie und Townes van Zandt gefallen. Doch Otis Gibbs ist nicht damit gedient, einer von vielen zu sein. Sein Album "Souveniers of a Misspent Youth" ist bodenständig und eigenwillig zugleich und Wert, dass man dem Künstler endlich die Anerkennung zollt, die er längst verdient hat. Für mich eines der besten Countryalben des Jahres.
© Karsten Rube
Various Artists "Morgenland Festival Osnabrück, Recordings 2010 - 2012"
Eigenverlag, 2012
Das Morgenland Festival findet seit 2005 jedes Jahr in Osnabrück statt. Der Fokus liegt, wie aus dem Namen ersichtlich auf der Musik des Mittleren und Nahen Ostens. Zahlreiche Projekte hat dieses Festival bereits angestoßen, so das Morgenland Chamber Orchestra, das vor Ort gemeinsam mit den teilnehmenden Künstlern ein musikalisches Programm erarbeitet. Einen Eindruck von der Stimmung der Veranstaltung vermittelt die Aufnahme auf dem Album des Morgenland-Festivals Osnabrück von 2012, auf der Künstler zu hören sind, wie Alim Qasimov und Salam Gambarov aus Aserbaidschan, sowie der Meister der armenischen Duduk Djivan Gasparyan. Auch die Stadt Osnabrück, die sich recht vorbildlich um die regelmäßige Ausrichtung des Festivals bemüht, ist auf dem Album mit ihrem Symphony Orchester und dem Jugendchor zu hören. Ein großes Highlight auf dem Album ist sicher die Aufnahme des iranischen Künstlers Salar Aghili mit dem Münchener Radio Orchester. Die fremde Hörwelt der orientalischen Musik ist sicher nicht für jedes Ohr geeignet. Die CD zeigt allerdings klar die kulturelle Vielfalt, die das Morgenland besitzt. Eine Kultur, die immer mehr auch in Mitteleuropa eine feste Bleibe sucht.
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Schlagsaite "Handgepäck"
BonnBoomMusic, 2013
Die am Rhein heimische Gruppe Schlagsaite hat sich in ihrer CD "Handgepäck" auf eine Gratwanderung zwischen Liedermacherszenen und poppigen Folk begeben. Die Lieder diese Albums lassen spüren, dass sie aus der Phase der Wanderjugend entwachsen sind, obwohl nicht jeder Text erwachsen klingt. "Verliebt in Du" mag ja witzig sein und ist zumindest musikalisch ganz ansprechend. Dummerweise ist jeder Versuch falsche Grammatik als lustige Idee in die Welt zu tragen Fahrlässigkeit im Umgang mit der deutschen Sprache. Irgendwann steht das so im Duden, weil sich keiner mehr an das Original erinnert. Soweit der Zeigefinger. Das Album "Handgepäck" ist trotz dieses Fehlgriffs ein sehr angenehmes Stück deutschsprachigen Liedgutes, das sich fröhlich folkig durch die Melodien tanzt und liebenswerte Szenen aus der Gedankenwelt der sechs Jungs wiedergibt. Die meisten Texte und Melodien stammen von Markus Breuer. Gelungen ist aber auch die Vertonung eines Paul Heyse Gedichtes "Hat dich die Liebe berührt" und der Kästner Text "Ansprache einer Bardame", der in der Vertonung von Markus Giesler zum Sintiswing wird. "Handgepäck" ist ein Album, das zeigt, wie schön man mit deutscher Alltagspoesie umgehen kann - abzüglich erwähnten Liedes "Verliebt in Du".
© Karsten Rube
Ernstgemeint "Jetzt wirds Ernst"
Smockman-Sound, 2013
Knackig und nicht immer sauberes Liedermaching von drei Jungs aus Potsdam hören wir auf der CD "Jetzt wirds ernst". Ernstgemeint nennt sich das Trio und Spaß haben sie bei diesem halbimprovisierten Küchenjamboree. Gemeinsamer Gesang ist nicht so ihre Stärke, mit den Gitarren kommen sie besser zurecht, da erinnern sie an klassische Liedermacherstrukturen. Ihre Lieder sind bestimmt von lockeren und manchmal versponnen Alltagsgedanken. Lustig sind vor allem solche Gedankenbilder, wie sie in "Astronaut" und "Sie ist" zu hören sind. Sehr schön ist auch die gelegentliche musikalische Ergänzung durch die Querflöte. Ernstgemeint gehört zu der Art von Musikern, denen man, so sie irgendwo an der Straße oder auf Open Airs spielen eine ganze Weile zuhören könnte, ohne sich zu langweilen.
© Karsten Rube
Sterling Koch "Let it Slide"
Full Force Music, 2013
Sterling Koch ist ein Slidegitarrist aus Pennsylvania, der bereits seit Jahren seinen Stil entwickelt. Sein kräftiges Bluesfeeling kommt auch auf der CD "Let it Slide" zum Tragen. Kräftig röhrt sein Instrument aus den Boxen, sein Tempo ist immer etwas gestreckt, als wolle er den Hörer hinhalten. Das baut eine starke Dynamik auf, der man sich nur schwer entziehen kann. Die dreizehn Songs sind zum Teil aus eigener Produktion, gelegentlich denkt man mal an David Lindley und bei dieser Musik darf auch Elmore James nicht fehlen, den er mit "It hurts me too" zitiert. "Let it slide" ist bodenständiger Blues eines der fingerfertigsten Slidegitarristen der Gegenwart und ein Muss für Musikanlagen, die es laut brauchen.
© Karsten Rube
Gjermund Andresen / Berdon Kirksaeter "Emigration"
Rollerrecords, 2009
Über das Album von Gjermund Andresen und Berdon Kirksaether zu reden gestaltet sich etwas schwierig. Diese norwegischen Musiker harmonieren mit zum Teil rockigen Balladen. Melodiös und künstlerisch einfallsreich sind ihre Songs. Kirksaeter wird als norwegischer Bluesveteran gehandelt und Andresen spielte in den letzten dreißig Jahren in verschiedenen musikalischen Formationen, nahm an verschiedenen Folkprojekten teil und gilt als exzellenter Akkordeonist und Sänger. Das Album ist von verspieltem Erzählreichtum geprägt, dessen Geschichten sich im Kopf selbst bilden müssen, es sei denn, man beherrscht das Norwegische. Aber es sind stimmige erdige Arrangements, die den Tagträumereien nicht im Weg stehen.
© Karsten Rube
Gitarre und Cello "Zwei"
Moon Sound Records, 2015
Manchmal werden aus Liedern Geschichten und manchmal ist es umgekehrt. Die beide Musiker Ania und Matthias Strass haben einen Kollegen bei einer Dichterlesung musikalisch unterstützt, bevor sie feststellten, dass ihre Musik selbst genug Zauber besitzt, um sie zu Geschichten zu formen. Geschichten, die nicht erzählt werden müssen, sondern angehört und selbsterlebt. Wenn nicht real, so doch im Kopf. Die musikalischen Zaubereien, die das Duo auf ihrer zweiten CD "Zwei" anzustiften vermag, sind fantasievoll genug, um für eine dreiviertel Stunde zu träumen, sich im "Zauberwald" zu verirren und auf einem "Fliegenden Teppich" davonzugleiten. Ania Strass spielt das Cello mit der großen Hingabe, die dem Instrument den Status eines Partners zubilligt. Die Umsetzung von Fantasie in Klang ist bei der Künstlerin und ihrem Instrument eins. Nicht weniger versteht ihr Mann Matthias die Kunst des musikalischen Erzählens. In beinahe perfekter Harmonie lässt das Duo klassische Klänge mit Folk agieren, wechseln von verträumten Passagen zu geselligem Tanz. Die Weite des Landes unter "Dunklen Wolken" kann man erahnen, wenn die Gitarre in Westernmanier lange nachhallt. Ähnlich bildgewaltig wirken Titel, wie "Mondnacht" und "Wasserwelt". Die Kunst Geschichten ohne Worte zu erzählen haben sich die beiden Künstler bei verschiedenen Theaterproduktionen erarbeitet. Matthias Strass, der alle Stücke des Albums komponiert hat, arbeitete zudem als Komponist für Film und Hörspiel. Als Duo Gitarre und Cello lassen sie Klangwelten entstehen, die den Hörer mit Schwerelosigkeit infizieren.
© Karsten Rube
Cristina Pato, Davide Salvado, Anxo Pintos, Roberto Comesana "Rústica"
Zouma Records, 2015
Die galizische Musik ist seit Jahren eine große kreative Spielwiese. Verschiedene Musiker fanden sich in unterschiedlichen Formationen zusammen, um das kulturelle Erbe dieses grünen Teils Spaniens mit modernen Einflüssen zu kombinieren. Jüngstes Produkt ist die Idee der Gaitaspielerin Cristina Pato, Strömungen von Folk, mit Einflüssen von Tango und spanischen Liedgut zu verbinden und dabei das alte Erbe ihrer Heimat neu zu beleben. Cristina Pato, einstiger grüner Punk der galizischen Dudelsackszene, ist heute promovierte Doktorin der Kunst und Musik der Rutgers Universität Brunswick und Mitglied des berühmten Silk Road Ensembles. Zu diesem ambitionierten Werk hat sie sich den virtuosen Akkordeonisten Roberto Comesana, den charismatischen Sänger David Salvado und den Zanfoniaspieler und einstigen Bandbegründer der Gruppe Berrogüetto Anxo Pintos eingeladen. Rústica ist geboren aus einer Liebeserklärung Cristina Patos an ihre Heimat, die sie einige Zeit nur aus der Distanz betrachtet hatte. In Galizien entwickelte sich daraus aus zufälligen Begegnungen und bewusstem Wiederaufleben lassen alter Erinnerungen ein Songbook aus Heimatgefühlen. Auf zauberhafte Weise bringen die vier Musiker auf der CD "Rústica" alte Melodien aus dem Vergilben des Vergessens an die Sonne und beleben sie mit frischen Farben.
© Karsten Rube
Friedrich Hlawatsch "Die Niederlieder"
Eigenverlag, 2013
Der Amsterdamer hat sich ein paar holländische Varietéschnulzen gegriffen und ins Deutsche übertragen. Das kann schief gehen. Ja, eigentlich muss es das sogar. Tut es aber nicht. Glücklicherweise. Friedrich Hlawatsch besitzt einen Charme, den man vielleicht mit Amsterdamer Schmäh bezeichnen möchte. Es klingt alles etwas schleimig und trotzdem sind alle diese Lieder ehrlich und sympathisch. Beginnend vom Tea-Room-Tango, in der er eine vermeintliche Geliebte, die jeder schon mal hatte, beleidigt und abserviert, über ein sinnliches Liebesgedicht für die flachen Niederlande und dem Lied über die "Zwei Motten", der ja nun wirklich ein alter Hut ist, alles klingt nach Aufforderung zum Lebendigsein. Fröhlich wirkt die russische "Troika" trotz Schnee und dreißig Grad Minus. Lieder, wie "Die Amsterdamer Graachten" und "Das Dorf" sind zeitlos schön, egal ob auf Holländisch oder Deutsch. "Die Niederlieder" erinnern an die große Zeit des sentimental gesungenen Spaßes im Stile eines Friedrich Holländer.
© Karsten Rube
Quadro Nuevo "Tango"
GLM Music, 2014
Der Tango gehört zum normalen Repertoire der Musiker von Quadro Nuevo. Zuletzt hatten die passionierten Musiker um den Saxofonisten Mulo Francel mit dem NDR-Pops-Orchester auf der CD "End of the Rainbow" unter anderen auch ein paar sehr schöne Tangos eingespielt. Und dann passierte es. Quadro Nuevo besuchten ein Buenos Aires und atmeten die tangogeschwängerte Luft der Metropole am Rio de la Plata ein. Das bleibt bei solchen kreativen Musikern, wie den fünf Künstlern von Quadro Nuevo nicht ohne Folgen. "Tango" ist mehr als eine Hommage an den Tango, es ist eine lebendige Übertragung des argentinischen Volkstanzes für den europäischen Tanzboden. Auch hierzulande schleichen Tausende Paare zu Bandoneon und Piano sinnlich übers Parkett. "Tango" von Quadro Nuevo ist nicht zuletzt wegen seiner ungewöhnlichen Instrumentierung eine Bereicherung für das Genre, denn angesehen vom Bandoneon und dem Piano, sind Instrumente wie Saxofon und Große Konzert Harfe nicht eben typisch im Tango. Wie alles, was Quadro Nuevo anfassen, bekommt auch der Tango bei ihnen eine sehr persönliche Note. Die Arrangements leben von Einfallsreichtum und Überraschung. Das Saxofon von Mulo Francel wird als Leitinstrument eingesetzt, das Bandoneon folgt ihm auf dem Fuße und die Harfe setzt Akzente, die man nicht erwartet. Bass und Piano liefern präzise Einsätze als musikalische Brückenbauer. Neben Kompositionen von Astor Piazzolla und Carlos Gardel sind es vor allem die Stücke vom Pianisten Chris Gall und und die vom Bandoneonspieler Andreas Hinterseer, die die Leidenschaft dieses Tanzes mit großer Energie zum Ausdruck bringen. Dieses Album sollte die Tanzsäle der Tangogemeinde in Europa nicht nur bereichern, sondern musikalisch um einiges aufwerten.
© Karsten Rube
Various Artists "Tango – Café de los Maestros & Friends" [DVD Video]
Accentus Music/Arte, 2014
Der Tango belebt und zerstört seit über einem Jahrhundert die Gemüter der Menschen. Die Leidenschaften, die er entfacht sind niemals halb. Sie stürzen in Wonne und in Verzweiflung, sind Licht und Schatten, sind Liebe und Wut. Nicht umsonst werden im Tango die Farben Schwarz, Weiß und Rot bevorzugt. Vielleicht erzielt der Tango ja wegen dieser Kontraste nicht nur akustisch, sondern auch optisch solche reizvolle Wirkung. Der Kultursender Arte hat mit dem deutschen Klassik-Label Accentus eine Dokumentation produziert, bei der sie in einem Café in Buenos Aires eine Art Tango-Revue beobachten und den Mastermind des Abends Gistavo Mozzi in kurzen Interviews zur Geschichte des Tangos befragen. Der Abend ist so einfach gestaltet, wie die die Geschichte des Tangos selbst. Zuerst treten Musiker auf, die die erste Generation des Tangos darstellen sollen. Der Sänger Juan Carlos Godoy, mittlerweile 93 Jahre alt singt er noch immer, wie in seinen Glanzzeiten. Zwar muss man auch ihn allmählich in Heesters-Manier ans Klavier binden, doch die Bühne ist wohl auch für ihn der Ort, auf dem er bis zum letzten Atemzug seine Lieder mit Eleganz singen wird. Ein gereiftes Pärchen tanzt dazu auf dem Parkett. Über eine weitere Stationen, in der der Bandoneonspieler Rodolfo Mederos die goldnene Zeit der Milongas auf seinem Bandoneon wiedererweckt, gelangen wir natürlich zu Astor Piazzolla, ohne den in der Tangogeschichte gar nichts geht. Er hat den Tango einer intensiven Reinigung unterzogen und ihm vom Tanzbodenschleicher, zu dem er in den Sechziger und Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts verkam zum Ausdruck purer Verzückung gemacht und ihn rundumerneuert. Nie ist der Tango mit solchem Feuer in die Welt getragen worden. Teresa Parodi tritt hier für Piazzolla auf und singt mit großer Hingabe. Doch die Entwicklung des Tangos bleibt nicht stehen. Die jungen Wilden auf den Dancefloors wollen den Tango modern und trotzdem traditionell. Hierfür steht auf der Bühne des "El Palacio" in Buenos Aires" die Band Otros Aires. Neben Bajofondo, Narcotango und dem Gotan Project, zählt Otros Aires zu den Vertretern des Electrotangos. Zu handgespielten Klängen mit Gitarre und Bandoneon stricken die führenden Köpfe der Bands elektonische Grooves aus ihren Laptops und Loops in die Melodien ein. Tangotanzend tritt ein Pärchen auf das Parkett und ein einzelner Mann. Während Otros Aires ihren modernen Sound mit etwas Rap veredelt, tanzt das Pärchen komplizierte Bewegungen und der einzelne Tänzer versucht sich in einer am Tango angelegten Breakdancevariante. Und hier geschieht die eigentliche Transformation. Beide Tanzformen ähneln sich. Die Harmonie zwischen der Eleganz der Vergangenheit und der Coolness der Gegenwart ist hergestellt. Der Tango ist in jeder Hinsicht modern. Diese Botschaft kann man als Schlussfolgerung dieser Musikproduktion verstehen. Ein bemerkenswerter Abend, der uns auf dieser DVD bezaubert.
© Karsten Rube
Die Grenzgänger "und weil der Mensch ein Mensch ist"
Müller-Lüdenscheidt-Verlag, 2015
Es ist des Menschen größtes Manko, dass er so leicht vergisst. Siebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und Hundert Jahre nach Ausbruch des Ersten verstummen die Zeitzeugen. Für die nachgewachsenen Generationen sind die dunklen Jahre heut kaum mehr als Gruselgeschichten mit historischem Fundament, kaum spannender und genauso weit weg, wie die Französische Revolution. Wahrheiten verklären zu Mythen und Lehren der Geschichte werden zu Ratschlägen. Ein Weg, der neuen Rattenfängern ein üppig wucherndes Feld bereitet. Erinnern muss man deshalb immer wieder. Und wenn man sich glücklicherweise schon nicht mehr selbst erinnern kann, muss man die Erinnerung anderer wachhalten. Die Folkgruppe Die Grenzgänger hat nun ein Album herausgebracht, auf dem sie genau das versuchen. Es trägt als Titel das Brecht-Zitat "und weil der Mensch ein Mensch ist". Lieder aus den Konzentrationslagern, aus dem Widerstand und aus der Gefangenschaft haben sie zusammengetragen. "Moorsoldaten", "Im Walde von Sachsenhausen", "Buchenwaldlied" und einige mehr der bekannten und unbekannten Lieder, die in den Lagern leise und geheim unter den Insassen verbreitet wurden. Interpretiert werden sie von den Grenzgängern nicht mit patriotischem Pathos, nicht mit Wut oder Trauer, selten mit Energie, sondern mit einer rhythmisch aufgeweckten, meist leider falschen Hoffnung. Aus den Lagerliedern, die Trost und Mut machen sollten, werden bei den Grenzgängern Folksongs von musikalischer Besänftigung. Manche Arrangements werden den Texten gerecht, wie in "O Bittere Zeit", und "Schließ Aug und Ohr für eine Weile". Den Gräuel des Faschismus, die die Texte vermitteln, verpassen die Grenzgänger aber zu häufig einen Hang zur politisch engagierten Folkfestschunkelei. An die Verbrechen der Nazis zu erinnern fällt immer auf den nahrhaften Boden derjenigen, die ohnehin politisch zu denken pflegen und eigentlich auch darüber Bescheid wissen. Schafft man es nun mit diesen häufig gemäßigten Erinnerungsshanties des Albums, wie dem kaum erträglich coupléthaft gestalteten "Auschwitzlied" und dem auf Spaßrock getrimmten Lied "Den Spaten geschultert", Menschen gegen das Vergessen zu erwecken, die für die Vergangenheit kaum großes Interesse zeigen, oder finden die Interpretation der Lagerlieder wieder nur in die bereits politisch denkenden Köpfe, die auch kopfnickend Applaus auf qualitativ bemängelbare Beiträge geben, solange nur die politische Richtung korrekt ist? Ein sehr informatives Booklet begleitet die CD. Ein bebildertes Büchlein, das wesentlich mehr Kenntnis über die Lagerlieder und zum Leben und Tod in den Konzentrationslagern beiträgt, als die meisten der Lieder, die von den Grenzgängern interpretiert werden. Die Texte sind ergreifend, wenn man sie liest. Die Not ist hier nachvollziehbar, die Hoffnung ein sanftes Schwingen und die Dunkelheit der Zeit beängstigend. Hört man die Texte in den vorliegenden Interpretationen, werden viele davon von musikalischer Belanglosigkeit überzuckert. Am Ende ist diese Produktion genau von der Langeweile erfüllt, die Menschen eben nicht dazu bringt, sich je nach familiärem Hintergrund mit der tragischen oder mit der schmutzigen Vergangenheit ihrer Vorfahren auseinanderzusetzen oder sich wenigstens für diese grausame Zeit der eigenen Geschichte zu interessieren. Die Grenzgänger haben mit ihrer CD "und weil der Mensch ein Mensch ist" ein wichtiges Thema, mit gelungenem Ansatz sehr engagiert in den Sand gesetzt.
© Karsten Rube
Otava Yo "Schto za Pessni"
Отава Ё "Что за песни"
Eigenverlag, 2013
Der Russian Way of Live ist in den Liedern der flinken Band Otava Yo aus St. Petersburg deutlich zu spüren. Doch nicht die traurige Seele von Mütterchen Russland, sondern eher die fröhliche Variante der festfrohen Überlebenskünstler. Alte Folktunes benutzen die etwas wild aussehenden Waldschrate als Grundlage, um ihre Lieder über Matrosen, postsowjetische Landwirtschaftsidylle und der berüchtigten slawischen Kochkunst mit wildem russischen Revolverbeat zu paaren. "Что за песни" - "Was für Lieder" heißt ihre CD aus dem Jahr 2013 und ist ein sehr lebensfrohes Folkalbum, das zum Mitschunkeln einlädt. Hier wird nicht das russische Klischee vom Donkosaken hochgehalten, sondern sich auf witzige Weise zum Tanz versammelt. Das schrammelt manchmal ganz putzig, ist aber häufig von originellen Arrangements durchsetzt. Drollig ist der "irisch-lettisch-russische" Folksong "I tell me ma", bei dem aus einem leichten Walzer, eine von Elektrogitarren und Bläsern gepeitschte Rummelplatzpolka wird. Die selbstverständliche Verbindung von Folkinstrumenten, verzerrten E-Gitarren und Schlagzeug, die dreisten Sprünge zwischen den Musikstilen und der Hang der Band, es gelegentlich mit der Lautstärke zu übertreiben, macht Otava Yo mittlerweile zum Garanten für stimmungsvolle Tests der Bausubstanz verschiedener Konzertlocations.
© Karsten Rube
Söllner "Zuastand"
Trikont, 2013
Da grantelt er wieder aufs spitzfindigste, der bayrische Mundartjongleur. Nein, nett ist er nicht, wenn er über das garstige und schnöde Zusammensein mit anderen Menschen singt. Soziales Miteinander ist eben immer wieder anstrengend. Söllner lacht drüber und motzt. Und das mit so viel hintersinnigem Biss, dass es sich lohnt, einen Bayrischkurs an der Volkshochschule zu belegen. Das fängt schon im ersten Song an, wenn er in Danzermanier ans Aufstehen gemahnt, sobald einem der Zustand der Welt nicht passt. Doch bei Söllner ist es keine Mahnung, sondern ein Tritt in den Hintern. Der "Blues" ist eine schräge bayrische Variante eines Tubablues' mit Steeldrum. Und der Text dazu ist ziemlich dreckig und ziemlich feucht. Nazis, ob im Umfeld oder in der Politik bekommen ebenfalls ihre Ohrfeigen. Politisches Bewusstsein auf bissige Art zieht sich durch die ganze CD, aber glücklicherweise will sich dabei kein Kabarettgefühl aufbauen. Man muss keine Sekunde gähnen. Die musikalische Umsetzung bewegt sich von bayrisch-volkstümlich bis hin zur Latinmusic. Zither, Holzlöffel, Cello, Fahrradglocke, Akkordeon und Kuhglocke gehören zum Instrumentenpool, um nur ein paar der Möglichkeiten zu erwähnen, mit denen Söllner spielt. Seine Backgroundelfen tun ein Übriges für die Unterhaltung. Wenn bei Söllner sogar Gerhard Polt anerkennend eine Augenbraue hochzieht, braucht man keinen Versuch unternehmen, den Künstler mit irgendeinem anderem zu vergleichen.
© Karsten Rube
Attwenger "Spot"
Trikont, 2015
Das Duo Attwenger aus Linz hat mit dem Album "Spot" ihr dreizehntes Werk vorgelegt. »Spot« ist Programm. Die Namen der Stücke sind nicht nur relativ kurz, auch die Hälfte aller Lieder sind nicht länger als eine Minute. Dabei beleuchten Attwenger wieder einmal die kurzen Momente, die man eher aus dem Augenwinkel wahrnimmt, etwa, wie in dem Lied, in dem ein Japaner über ein Geländer fällt. "aber getan hat er sich nichts ...". Vom Ländler bis zur Hip-Hop-Mugge verstehen es Attwenger einen großen Bogen zu spannen, der das Duo als Universalmusiker auszeichnet. Weltmusik aus Österreich mit Heimatverbundenheit und einer ungehörigen Menge Globalisierungssatire.
© Karsten Rube
Paul Brady "The Vicar St. Sessions Vol.1"
Proper Records, 2015
Es ist bereits eine ganze Weile her, dass sich Paul Brady in der Dubliner Vicar Street für einen Monat einmietete und eine längere Livesession veranstaltete. Im Oktober 2001 fand dieser legendäre Konzertmarathon statt. Im April 2015 erschien auf Proper Records ein erster Eindruck unter dem Namen "The Vicar St. Sessions Vol. 1". Brady hatte über die vier Wochen immer wieder Gäste eingeladen. Auf der CD sind Ikonen des irischen und britischen Folk und Rock zusammen mit dem irischen Songwriter zu hören, die zum Teil Lieder von Brady spielen, aber auch ihre eigenen Songs in einer Bradybearbeitung vortragen. Das sind meist beeindruckende Liveeinspielung, wie "Believe in me", den Brady für Carol King geschrieben hat. Mark Knopfler ist mit dabei, Sinéad O‘Connor; Gavin Friday und der große Van Morrison, der mit Brady "Irish Heartbeat zum Besten gibt. Den Bob Dylan Song "Forever Young" hören wir auf der CD mit den Backgroundstimmen von Mary Black, Moya Brennan und Maura O'Connell. Erstaunlich, was Brady für Künstler dafür begeistern konnte, mit ihm aufzutreten. So muss der Oktober 2001 in Dublin ein Festival des guten Musikgeschmacks gewesen sein, an dem wir mit dieser CD nun auch teilhaben können.
© Karsten Rube
Guadi Galego "Lúas de Outubro e Agosto"
Folmusica, 2015
Lange Jahre war Guadi Galego die Stimme der galizischen Band Berrogüetto. Irgendwann trennten sich die Wege von Sängerin und Band. Während Berrogüetto nach der Trennung noch ein mäßiges Album hervorbrachte und dann endgültig zerbrach, ging Guadi Galego eigene Wege, in der sie besonders in der Rolle der emanzipierten Feministin aufging. Ihr zweites Soloalbum "Lúas de Outubro e Agosto" widmet sich den Müttern, dem Matriarchat und dem Kampf gegen den auch in ihrer Heimat noch immer vorherrschenden Machismo. Künstlerisch hat sich ihr Schwerpunkt von der traditionellen Musik Galiziens etwas in Richtung Pop verschoben. Die Songs sind deutlich mehr dem Mainstream hingewandt, ihr Gesang klar, sensibel und etwas zu kantenlos. Das unterscheidet die CD von der Zeit als Berrogüettofrontfrau, in der sie für mein Empfinden wesentlich mehr stimmliche Power besaß. Ein durchaus gelungenes Album, allerdings ohne die frühere gesangliche Ausstrahlungskraft.
© Karsten Rube
Kiran Ahluwalia "Sanata - Stillness"
ARC Music, 2015
Kiran Ahluwalia ist ein Kind der Flucht. Aus den Unruhen zwischen Pakistan und Indien floh sie nach Toronto. In der neuen Welt verließ sie jedoch nie die Liebe zur Kultur ihrer Heimat. Die traditionelle Musik Indiens und Pakistans und die weltoffene Kultur Torontos bestimmten bald ihr künstlerisches Wirken, was ihr 2009 einen Juno Award, den kanadischen Grammy in der Kategorie bester Newcomer einbrachte. "Sanata" heißt das aktuelle Album von Kiran Ahluwalia. Die musikalische Bandbreite dieses Albums lässt sich mit Modern Global Roots bezeichnen. Indische Rhythmik ist die Grundlage ihrer Musik. Die Tabla, das klassische Instrument der nordindischen Musik dominiert weite Teile des Album. Das Harmonium, das die Musik der Sufis präsentiert, steht für den pakistanischen Teil der Klangfülle. Rez Abbasi, Ehemann und langjähriger künstlerischer Begleiter mischt mit elektrischen und akustischen Gitarren gekonnt Saharablues im Tuaregstil in die Lieder. Auch der Jazz der westlichen Welt findet Einklang in den Sound des Albums. Alles beherrschend ist jedoch die Stimme Kiran Ahluwalias, die die Ghazals Pakistans und die Poeme der indischen Dichtung mit markanter Stimme vorträgt. Eine Stimme, die eine für die indische Musik erfrischend selbstbewusste Weiblichkeit ausstrahlt. "Sanata" ist ein hochwertiges Album einer großen Künstlerin der indischen Weltmusik.
© Karsten Rube
Milagro Saints "Mighty Road Songs"
TRO-Ludlow Music, 2013
Die beiden Musiker S.D. Ineson und Lee Kirby sind sich eher zufällig über den Weg gelaufen. Ein paar Vorlieben, die sie gemeinsam hatten, ließen sie die Idee in die Tat umsetzen, eine Band zu gründen. Daraus wurde Milagro Saints. Nach einem Woody Guthrie Festival in Okemah/Oklahoma begannen sie ein paar Guthrie Songs zu covern. Die EP "Mighty Road Songs" ist das Ergebnis diese Coverns. Sechs Lieder des amerikanischen Folkidols haben sie sich zur Brust genommen und mit eingängigen Americana-Arrangements ein wenig umgewidmet. Die Schlichtheit der Guthriekompositionen ist noch deutlich zu hören, doch Milagro Saints gehören nicht zur Generation, die mit der Armut der großen Depression umgehen müssen. Deshalb wirken die Lieder im neuen Gewand frisch und sorgenlos und leider auch belanglos, also deutlich anders, als sie mal gemeint waren. So nett hört es sich an, wenn aus Protestliedern Popkultur wird.
© Karsten Rube
Waduh! "Sueño"
Soulfire, 2015
Einen globalen Rundumschlag veranstaltet die Band Waduh! aus Köln. Die Musiker, die von so ziemlich jedem Kontinent stammen, den man auf dem Planeten findet, stricken auf ihrer CD "Sueño" eine ziemlich bunte Wollmütze zusammen. Darunter haben vom Rap bis zu lateinamerikanischer Ausgelassenheit eine Menge Stimmungen Platz. Die acht Musiker machten ihre unterschiedlichen musikalischen Erfahrungen an den verschiedensten Orten, in London, New York, Köln und Madrid und bringen diese bunte Weltvielfalt nun in einem hemmungslosen Soundmix unter. Erfreulicherweise wird kein Eintopf von undefinierbarer Farbe daraus. Die verschiedenen Kulturen lassen sich mühelos erkennen, ergänzen sich, interagieren miteinander. Gesungen wird auf Deutsch, Spanisch und einer indonesischen Sprache. Waduh!, das sind Global Grooves in ihrer besten Form.
© Karsten Rube