FolkWorld #48 07/2012

CD & DVD Reviews

Hoquets "Belgotronic"
Crammed, 2011

www.hoquets.net

Eine Mischung aus Belgiern, Franzosen und Amerikanern, kann das gut gehen? Und dann noch die Instrumente? Selbstgebaute Klangkörper aus Blechdosen, Brettern und was man sonst noch so an Müll finden konnte. Was dabei raus kommt? Ausgeschlafener Indie-Rock mit schrillen Punkattitüden. Die drei Leute leben offenbar gern in Belgien, was bedeuten muss, dass sie eine ungewöhnliche Liebe für Verschrobenheiten aller Art besitzen müssen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass sich ihre Musik mit schrägem Krach Themen widmet, wie der Schlacht bei Waterloo, einer Klosterbrauerei, kulinarischen Aspekten Belgiens und einem seltsam anmutenden Tanz, dem Chaud Boulet", den sie in beiliegendem Booklet mit seiner Bewegungsfolge zum Nachmachen abgebildet haben. "Belgotronic" ist ein seltsames, aber putziges Klangprodukt. Hoquets spricht man o.k. aus. Und das ist die CD auch. O.K.
© Karsten Rube


Heidenspass "Bluomenrot"
Eigenverlag, 2012

www.heidenspass.org

Die fröhlichen Spielleute der Gruppe Heidenspass tragen ihr Hauptanliegen im Namen. Ein Heidenspass ist es, den sechs Leuten aus dem Süden des Landes zuzuhören. Mit Witz, eleganter Melodieführung und einem tiefen Griff in die Spielkiste des Mittelaltertheaters präsentiert Heidenspass ihre nun bereits dritte Studioproduktion. Es ist ja keine neue Weisheit, das Leute die kontinuierlich an ihrer Form arbeiten und offen sind für Ideen, reifen. Heidenspass haben an ihrer "Spielmannskunst", wie sie es selbst bezeichnen, in den vergangenen Jahren Verfeinerungen vorgenommen. Ihre Stilistik ist an ihrer Spielfreude gewachsen. Das Ergebnis kann sich in jedem Fall hören lassen. "Bluomenrot" ist nicht nur ein Fest der Spielfreude und des Tanzes, es ist auch ein interessanter Blick in die Spielmannsmusik Europas. So wandert Heidenspass musikalisch bis in die Bretagne, wo sie allerhand Sagengestalten gefunden haben wollen und hinunter in den Languedoc, wo sie den Troubaduren nachlauschen, die den wiederkehrenden Frühling besingen. Wunderschön ist das Lied "Ich will trûren faren lân", das aus einer melancholischen Melodie heraus sehr schwungvoll wird. Dass es offensichtlich im Mittelalter nicht nur Minnesänger gab, die holden Frauen nachjodelten, sondern auch Frauen, die zu gegebener Zeit ein Lied an den Mann richteten, beweisen Heidenspass mit dem Lied "Mich Dunket". In diesem sentimentalen Lied besingt eine Frau ihre Einsamkeit angesichts des ausbleibenden Gatten. Heidenspass können jedoch nicht nur die ruhigen Seiten des Mittelalters aufzeigen, sondern bringen mit der "Hirtenhochzeit" ein bisschen Speedfolk ins Spiel. Zum Abschluss der CD wandeln sie auf den Spuren der Finnlandschweden und singen einen Kanon, in dem es um einen Mosspflücker geht. "Bluomenrot" ist ein in jeder Hinsicht farbenfrohes Album, das Lust darauf macht, diese frohe Stimmung verbreitende Kapelle einmal in Aktion zu sehen.
© Karsten Rube


The Imagined Village "Bending the Dark"
ECC Records, 2012

www.imaginedvillage.com

Simon Emmerson ist seit Jahren für seine außerordentliche Produktivität und Kreativität bekannt. In Bands wie Working Week gab er den Ton an, als Gründer des Afro-Celt Soundsystems veränderte er maßgeblich den weltmusikalisch geprägten Dancefloor und mit Babaa Maal produzierte er einen der bekanntesten Musiker des afrikanischen Kontinents. The Imagined Village ist ein weiteres Projekt, das er 2004 ins Leben rief. Die Grundidee war es, die kulturelle Vielfalt des Vereinigten Königreiches auf der Bühne zu präsentieren. Er suchte sich die Creme der Musikszene seiner Heimat zusammen und stellte eine Band zusammen, bei der man schon befürchten musste, dass die einzelnen Künstler zu gut sind, um zu harmonieren. Billy Bragg, Eliza Carthy, Chris Wood, Sheila Chandra, Paul Weller, Johnny Kalsi von der Dhol Foundation, die Sitarvirtuosin Sheema Mukherjee von Trans Global Underground, sie alle und noch ein paar weitere Künstler von Rang und Namen gehörten zur Gründungsformation. Die Idee einte die zum Teil sehr eigenwilligen Musiker zu einem ganz vorzüglichen Ensemble. Mit dem aktuellen Album "Bending the Dark" veröffentlicht The Imagined Village nun eine CD, die diese Qualitäten deutlich herausstreicht. Es ist eine der bemerkenswertesten und ausgereiftesten Musikproduktionen, die ich in den letzten Monaten hören durfte. Das Album vereint keltische Folkmusik, mit den elektronischen Spielformen, die Simon Emmerson für das Afro Celt Soundsystem entwickelt hat, lässt die indische Komponente Großbritanniens immer wieder aufleuchten, wenn beispielsweise die Sitar und die Dhol zum Einsatz kommen. Die brillanten Arrangements sorgen für einen Abwechslungsreichtum, der jeden Song eigenständig, das Album jedoch homogen wirken lässt. Die Stimme Eliza Carthys zu hören ist ohnehin ein Genuss. Die Supergroup des britischen Folk schafft es auch mit der dritten Produktion bestens zu harmonieren und eine Musik zu schaffen, die in dieser Form wohl kaum nachzuahmen ist. Perfekt.
© Karsten Rube


Gary Hunn and the Wayward Angels "Dust and Gin"
True Faith Pty Ltd., 2011

www.garyhunn.com

Eine weitgehend blutarme Countryplatte aus dem fernen Australien erreichte mich mit Gary Hunns schmaler Produktion "Dust and Gin". Was man sonst an den Australiern schätzt: ihre offensive und lockere Art, ist bei Gary Hunn nicht zu spüren. Seine Countrysongs strotzen vor humorloser Ergebenheit gegenüber der amerikanischen Countryschnulze, dass man Kenny Rodgers dagegen für einen ausgeschlafenen Countrypoeten halten möchte. Eine einfachere Art 35 Minuten lang wegzudämmern, kann man kaum finden.
© Karsten Rube


Joe Cassady "Whats your sign?"
Avenue A Records, 2006

www.joecassady.com

Schon etwas älter, aber gerade erst von mir entdeckt, ist die etwas psychodelisch beginnende CD "What's your sign" von Joe Cassady and the West End Sound. Der Liedermacher und Rockmusiker Cassady hat seine Band in Manhattan gegründet, tourte, probierte seine Songs am lebenden Objekt - dem Publikum in Clubs und auf Festivals in den ganzen USA aus und produzierte dann die hier vorliegende CD. Blues und Folk, ein paar Countryeinlagen und vor allem ein paar wunderbar ordinäre Rocknummern machen das Debütalbum von Joe Cassady zu einer Hymne auf Jack Keroucs "On the Road". Cassady bezieht sich im letzten Song selbst auf diesen Kultautoren. Er beschränkt sich dabei nicht auf die Instrumente von Rock und Country, sondern beschreitet bei "Parrots and Napoleon" weltmusikalische Pfade. Mandoline, Oud, Cello gehören für ihn so selbstverständlich dazu, wie die Gitarre und das Schlagzeug. "What's your sign" lässt keinen Moment Langeweile aufkommen.
© Karsten Rube


Raul Mannola "Inner Visions of Flamenco"
Sonidos Negros, 2011

www.raulmannola.com

Wenn man Flamenco hört, denkt man gewöhnlich nicht an Finnland. Der spanische Flamencogitarrist Raul Mannola setzte sich jedoch über solche Gedanken hinweg und traf in Helsinki mit einem Namensvetter zusammen. Raoul Björkenheim ist ein skandinavischer Gitarrist, der besonders auf der E-Gitarre den Jazz erkundet. Gemeinsam mit den Musikern des Raul Mannola Sextetts macht sich die Platte auf den Weg, tief in die Empfindungswelt des Flamencos einzudringen. Mannola entfernt sich vom traditionellen Flamenco Stück für Stück. Rock- und Jazzeinflüsse werden im Laufe der CD immer deutlicher. Der Musiker, der in Argentinien geboren wurde, verbrachte eine längere Zeit seines Lebens in Finnland, wo er auch heute noch häufig auftritt. Beeinflusst von John McLaughlin und Paco de Lucia ist sein Verhältnis zum klassischen Flamenco eher gemäßigt, seine Hingabe zum experimentellen Jazz jedoch ausgeprägt. "Inner Visions of Flamenco" ist sicher kein Album für Freunde der spanischen Flamencomusik. Wer sich aber zu verspielten Klangvisonen hingezogen fühlt, könnte an diesem Album seine Freude haben.
© Karsten Rube


The Klezmatics "Live at Town Hall" [Do-CD]
Frea Records, 2011

English CD Review

www.klezmatics.com

Zum 25. Geburtstag der Klezmer-Superband Klezmatics, ließen es sich die sechs Musiker nicht nehmen, sich selbst ein bisschen zu feiern. Das "Live at Town Hall" Konzert wurde zwar schon im März 2006 zum 20. Geburtstag aufgenommen, aber für einen 25. Bandgeburtstag kann man dieses Livekonzert auch endlich mal als CD vermarkten. Die Doppel-CD der New Yorker Band besitzt alles, was ein Klezmerkonzert braucht, wildes stimmungsvolles Tanzdurcheinander und getragene melancholische Melodien. Die Klezmatics nehmen es nicht immer so ganz genau mit der traditionellen jüdischen Musik. Einige ihrer Songs sind Bearbeitungen von Woody Guthrie Kompositionen, wie "Holy Ground" und "Hanuka Gelt". Doch auch die bekannten Problembewältigungssongs der jüdischen Musik werden von den Klezmatics Live gern gespielt, wie z.Bsp. "Shnirele, perele", das sich mit den antijüdischen Progromen im zaristischen Russland beschäftigt. "Live at the Town Hall" ist wie viele Konzertmitschnitte beim Hören von der CD etwas langatmig und sicher nicht so mitreißend, wie The Klezmatics, wenn man sie tatsächlich live erleben kann. Dieses Manko tragen leider viele Live-CDs. Ein gutes Abbild der Stimmung in der Town Hall ist die CD allerdings trotzdem.
© Karsten Rube


Jazzkantine "spielt Volkslieder"
Monofon GmbH, 2012

www.jazzkantine.de

Wie kommt der junge Mensch des 21. Jahrhunderts an die das allgemeine Kulturgut seines Volkes heran? Oder besser gefragt: Wer bringt dem jungen hippen deutschen Menschen von heute Volklieder nahe. Der Kindergarten? Möglich. Die Schule? Fehlanzeige. Coolness sieht anders aus. Die Großeltern? Wer heute 50 ist, pubertierte mit New Wave und gehörte damit auch schon zur Generation Verdrängung. Dass ausgerechnet eine Band, bei der Coolness schon auf den Mützenschirmen steht, sich des deutschen Volksgutes annimmt, ist nicht nur unerhört, sondern zudem ein unerhörter Glücksfall. Jazzkantine leistet gern Pionierarbeit, besonders wenn es um die Integration deutschsprachigen Raps in den Jazz geht. Zahlreiche Alben zeigen ihren eleganten Umgang mit den Stilen. Nun also suchen sie das deutsche Volkslied in die groovigen Klänge tanzbarer Clubmusik zu packen. Ich muss zugeben, dass ich mich ein wenig schwer tat beim Hören der CD, denn neben Spaß stand auch ganz dick „Botschaft“ in den Texten. Das Lied oder besser der Ansagetext "Fragebogen" listet ausführlich auf, welche Probleme wir Deutschen mit dem Volksgut und unserem Selbstverständnis als Deutsche haben, wobei das Stilmittel des Fragebogens bereits eins der Probleme darstellt. Doch beim mehrmaligen Hören harmonieren einige der Volksweisen sehr gut mit dem Jazz. "Hoch auf dem gelben Wagen", gesungen von Sam Leigh-Brown ist eine wunderbar groovige Nummer. "Wenn ich ein Vöglein wär" gehört zu den romantischsten Volksweisen der Deutschen überhaupt. Peter Schanz und die hervorragende Pat Appelton machen daraus ein kleines Streitgespräch, das von einem Saxofonsolo unterbrochen wird. Und dass die Hymne der Gedankenfreiheit einen prächtigen Reggae abgibt, passt erstaunlich gut ins Verständnis dieses Textes. Der "Butzemann" funktioniert musikalisch ganz ordentlich, textlich war er mir aber selbst im Kindergarten schon zu abgedreht. Ich wusste nie, was der Kerl im Schilde führte und habe mich vorsichtshalber immer gefürchtet, wenn von ihm die Rede war. Sehr gelungen finde ich "Am Brunnen vor dem Tore", auch wenn hier der Jazz in den Hintergrund tritt und die Melodie recht traditionell wiedergegeben wird. Volkslieder sind Lieder eines Volkes. Wer hier aufgewachsen ist, versucht sich immer auf irgend eine Weise mit seiner Heimat zu identifizieren. Sei es durch eine besondere Naturverbundenheit oder durch das Grölen einer gemeinsamen Hymne beim Fußball. Deshalb passt das Gedicht "Mutter Türkei", das von der Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen spricht ganz vorzüglich ins deutsche Kulturgut der Gegenwart. Doch wem das alles zu viel Botschaft ist, der begnüge sich mit "Im Frühtau zu Berge". Das ist VolksHipHopJazz mit allerhöchstem Spaßfaktor.
© Karsten Rube


Hussy Hicks "A Million Different Truths"
Valleyarm, 2011

www.hussyhicks.com

Von der australischen Musikszene weiß man in Europa so viel, wie von Australien selbst. OK, da gibt es putzig, hüpfende Tierchen - in Australien - und auch viele andere Dinge, wie Surfer, Ureinwohner und die giftigsten Tiere des Planeten. Das Detailwissen verliert sich allerdings an dieser Stelle häufig. Man kennt Mel Gibson, Nicole Kidman, manche sogar Hugh Jackman, doch dann wird es eng mit der Kultur. Wer aus der Musikszene Bands wie Men at Work oder Midnight Oil kennt, gilt schon als Insider. Und dass der Midnight Oil Sänger Peter Garrett Minister für Umwelt war und nun für die Bildung verantwortlich ist, kann man schon als 32.000 Euro Frage bei „Wer wird Millionär“ anbringen. Mal abgesehen von Kylie Minoge oder AC/DC, dürfte von der australischen Musikszene in Europa kaum jemand wirklich viel gehört haben. Aber in Down Under wird auch Musik gemacht und das weder schlecht noch wenig. In letzter Zeit flattern mir immer wieder mal CDs von australischen Musikern auf den Schreibtisch. Besonders beeinflusst fühlt sich das Land von der Country & Americana Musik. Hussy Hicks beispielsweise haben einen angenehmen Stil entwickelt, der australische Rootsmusic, mit Country, Folk und Blues vermengt. "A Million different Truths", ihr aktuelles Album, wartet mit 12 ziemlich interessanten Songs auf, die mal nach melancholischer Lagerfeuermusik klingen, mal nach Loungemusik mit Bluescharakter, wie in "Confusion" zu hören ist. Dominiert von der Folkgitarre sind die Songs von einer hintergründigen Explosivität geprägt, die sich gelegentlich in der Stimme der Sängerin Leesa Genz Bahn bricht. Schöne Momente, wie in "Millisecond", in denen eine treibende Stimmung nach dem Hörer greift, tauchen immer wieder auf. Trotzdem Australiens Menschen heute fast zu 90 Prozent aus Einwanderern und deren Nachfahren bestehen und sich viele Kulturen der Welt dort gefunden und vermischt haben, schaffen es Hussy Hicks mit ihrem Album "A Million Different Truths" nicht zu klingen, wie amerikanische Songwriter oder europäische Weltmusikexperimentalisten. Sie klingen nach roter Erde, nach ehrlichem australischen Schweiß und eigenständiger musikalischer Identität.
© Karsten Rube


Las Sombras "Casino Tango Noir"
GLM Musik GmbH, 2012

www.las-sombras.de

Wir kennen ja alle aus dem alltäglichen Leben die Situation, in der man am Roulettetisch eines Casinos sitzt und zusieht, wie mit der Kugel auch das Gehalt der letzten zwei Monate dahintorkelt. Dieses Leben am Spieltisch mit seinen Menschen, die je nachdem, wie die Kugel rollt, das Blatt verteilt wird, der Einarmige Bandit die Bilder stoppt, das Gefühl von Triumph oder dem letzten Schritt zum Selbstmord auskosten in Musik zu fassen, ist eine Herausforderung, der sich die Künstler der Gruppe Las Sombras gestellt haben. Es ist ein ansprechendes Album geworden, das nur ein Manko aufweist. Es bringt mir die Welt des Casinos stimmungsmäßig nicht näher. Dazu ist es mir eine Spur zu freundlich. Aber lassen wir die Welt des Casinos beiseite, so kann man mit der der CD "Casino Tango Noir" hervorragend in ein Nachtleben abtauchen, das den Hörer in Tanzclubs von gehobenem Niveau begleitet und das Gefühl von viel zu hohen Schuhen auf nächtlichem Straßenpflaster weckt. Ballsaalatmosphäre erwacht, wann immer Las Sombras mit Salsarhythmen und Tangonuancen spielen. Der krasse Gegensatz zwischen weicher weiblicher Querflöte und machohaft knurrendem Saxofon spiegelt den ewigen Magnetismus zwischen Mann und Frau wider. Verbunden wird dieser Widerstreit von der Romantik eines Akkordeons und eines Klaviers. Die "Blue Milonga" von Berhard Sinz ist dafür eines der besten Beispiele. Neben den gelungenen eigenen Kompositionen greift Las Sombras auch auf bewährte Klassiker des Films und der modernen Klassik zurück, wie auf Henry Mancinis "Village Inn" aus dem Film "Der Rosarote Panther" oder Hector Villa Lobos "Modinha". Las Sombras haben ihr Thema Casino und Nachtmusik mit der Covergestaltung sehr treffend umgesetzt. Musikalisch ist "Casino, Tango Noir" vielleicht eher der Soundtrack zu einem stark romantisierten Traum eines Casinobesuchs und den Geschehnissen an dessen Rande, als ein Blick in die Welt des Spielbetriebes. Auf jedem Fall aber ist "Casino Tango Noir" ein Album voller Esprit und Spielwitz, Romantik und Leidenschaft.
© Karsten Rube


CJ Taylor "Nichts so wie Früher"
Seven Days Music, 2011

www.cj-taylor.de

Soulmusic Made in Germany ist ja keine Seltenheit mehr. Rapper und HipHop Musiker bedienen sich dieser Stilrichtung ganz gern und Coverversionen berühmter Soulnummern gelingen auch auf Deutsch immer wieder gut. CJ Taylor - ehemals Sänger bei Rapsoul - hat nun sein eigenes Projekt auf die Beine gestellt und beweist, dass er ein Soulsänger durch und durch ist. Die zwölf eigenen Songs auf seinem Debütalbum "Nichts so wie früher" sind sämtlich stimmige Songs mit Herz und Seele. CJ Taylor ist ein Kind der neuen deutschen Besinnlichkeit. Handgemachter deutscher Kuschelpop mit moralischem Anspruch, wie er von Hamburg bis Mannheim entsteht. Vielleicht klingt er ja deshalb ein bisschen wie Xavier Naidoo. Aber das ist auch das einzige Manko der CD.
© Karsten Rube


Miquel Gil "Marcianes"
Temps Records, 2011

www.miquelgil.com

Wenn man von der Stimme des katalanischen Sängers und Komponisten Miquel Gil redet, so stuft man sie entweder als phänomenal oder als nicht vorhanden ein. Was er damit anstellt, ist jedoch in beiden Fällen außergewöhnlich. Das Reibeisen seiner Stimmbänder quält sich auch auf seiner neuen CD "Marcianes" durch prächtige Klanggemälde aus Folksongs und Flamencos, die ausnahmslos von ihm selbst komponiert wurden. Er experimentiert, wie so häufig, mit traditionellen Melodien, die verschollen, waren oder kaum noch einer spielte. Doch ist es seit Jahren seine Sache nicht, vergessene Lieder nur zu bergen. Er beginnt damit zu spielen und zu variieren, bis etwas Eigenes, für Gil Typisches herauskommt. Das kann sogar recht poppig werden, wie das Lied "La Cileta", das er zusammen mit der spanischen Sängerin Bikimel darbringt. "Somriures" wiederum gestaltet er als Rembetiko. In einigen seiner Songs tritt der Jazztrompeter David Pastor auf, der wie Gil aus Valencia stammt und der Miquel Gils Hang zur Verbindung von traditioneller Musik und Jazz teilt. Wie häufig bei Miquel Gil erschließt sich die CD nicht beim ersten Hören, macht aber bei wiederholten Abspielen um so größere Freude.
© Karsten Rube


Carmen Souza feat. Theo Pascal "London Acoustic Set"
Galileo Music, 2011

www.carmensouza.com

Carmen Souza und Theo Pascal arbeiten seit zehn Jahren zusammen. Alben wie "Protegid" und "Verdade" auf denen Carmen Souza sich als meisterhafte Interpretin jazzorientierter Weltmusik präsentierte, entstanden in dieser fruchtbaren Zusammenarbeit. Bei Galileo Music erschien nun eine Liveaufnahme der beiden Künstler, die zum Teil im Londoner Green Note Club aufgezeichnet wurde, zum anderen bei den Liverpooler Philharmonikern. Die außergewöhnliche Stimme der Souza, ihre dezente Gitarrenbegleitung und der Bassteppich von Theo Pascal sind die wenigen, aber völlig ausreichenden Zutaten, mit denen sie die Lieder spielen, die Carmen Souza in den letzten Jahren bekannt machte. Live erscheinen Lieder, wie "Magia ca tem" und "Mar na Coraçon" noch einmal reduzierter, als in der Fassung der Studioaufnahmen, wirken ursprünglich und rein. Wunderbar ist auch ihre Interpretation von Edith Piafs "Sous le ciel de Paris". Carmen Souzas Stil ist un- und außergewöhnlich und sicher nichts für Hörer, die auf ausgeglichene Harmonien schwören. Doch wer sich von starken Stimmen begeistern lassen kann, wird sich der kapverdischen Künstlerin weder beim Hören ihrer Studio-CD noch bei einer Liveaufnahme entziehen können.
© Karsten Rube


Tokyo Rosenthal "Who was that man"
Rock & Socks Records, 2011

www.tokyorosenthal.com

Tokyo Rosenthal gehört zu den Musikern, der zwischen tanzbaren Countrytunes und Mariachibläsern eigenwillige Geschichten einwebt. "Who was that man" ist eine CD, die voll ist von schönen Liedern, die mal zum Hüftenschwingen einlädt und mal zum Zuhören gemacht sind. Der Musiker zieht schon seit fast 30 Jahren durch die Americanaszene, doch erst 2007 wurde er allmählich etwas bekannter, als die amerikanische Musikkritik ihn mit Leuten, wie Jackson Browne und Kris Kristofferson auf eine Stufe stellte. Tokyo Rosenthal macht Americanamusik mit Biss. Er ersinnt gelungene Melodien mit satten Gitarren und stimmigen Arrangements und schreibt Texte mit hintergründigem Witz. So erzählt er die angeblich wahre Geschichte des Bibliothekars, der im Alter von 87 Jahren unfreiwillig zum Pornostar wird. Sein Liebeslied an seine alte 18 Jahre zählende Katze ist wunderbar unsentimental und trotzdem rührend. Gleiches gilt für das Lied "The 3rd Score", das er seiner Frau widmet. Recht rasant erzählt er die Geschichte von der Boxerin, die nach einem Autounfall zurückkehrt ins Leben, um noch einmal einen Kampf zu gewinnen. All diese Geschichten sind stark erzählt und musikalisch hervorragend umgesetzt. "Who was that man" ist eine CD, wie man sie in dieser Qualität auch in der Americanamusik nicht oft findet.
© Karsten Rube


Trailerpark Idlers "The Rumble & the Roar"
Somethings Wicked, 2011

www.trailerparkidlers.se

Countrymusik muss nicht immer an traditionellen Klangmustern gemessen werden, nach Cowboys und Cowgirls klingen oder wie ein Pferd riechen. Aber manchmal, da tut es ganz gut. Trailerpark Idlers machen Countrymusik, so rein und unverfälscht, als würde er als Erbauung für Viehtreiber, Farmer, durchziehende Gesetzlose und ansässige Falschspieler an einem schwülen Abend im einzigen Saloon des Countys gespielt werden. Die Hüte fliegen, der Whisky fließt und vor Freude wird schon mal ein Loch durch die Salondecke geschossen. Trailerpark Idlers spielen lupenreine amerikanische Countrymusik. Die Gruppe stammt aus Schweden. "The Rumble and the Roar" ist das zehnte Album der Band, die aus drei Herren und einer Dame besteht. Miss Lisa Lee singt so schön und klar, wie Dolly Parton schon lange nicht mehr und begleitet sich dabei mit der Gitarre. Die Herren setzen auf klassisches Countryinstrumentarium, also auf Banjo, Gitarre, Bass und ergänzen es dezent mit Mandoline und Akkordeon. Die Band macht nicht auf Drama und Themenalbum, sondern legt all sein Engagement auf Spaß an der Countrymusik. Ohne Mühe kann man an diesem Spaß teilhaben. "The Rumble & the Roar" ist kurzweiliges und bestes musikalisches Handwerk.
© Karsten Rube


Erik Beisswenger "Frühling"
Bluebird Cafe Records, 2011

www.erikbeisswenger.de

Liedermacher sind bekannt für ihre Sprache, die gewitzt, beißend und meist von poetischem Bildreichtum erfüllt ist. Dafür findet man unter ihnen nur selten Musiker mit besonderer Arrangierfreudigkeit. Die wenigen Liedermacher, die die Bezeichnung "brillanter Musiker" verdienen, tragen dafür häufig ein textmalerisches Defizit auf ihren Lippen. Erik Beisswenger als brillanten Musiker zu bezeichnen, wäre vermessen, aber seine Art zu spielen, kann sich hören lassen. Auch der Titel "Frühling", den seine CD trägt, verspricht poetische Blicke auf die Jahreszeit, die die größten Hoffnungen in die Zukunft weckt. Doch kann man sich in seine Lieder hinein hören und mitfühlen? Sicher. Sofern man Freude an einer Enzyklopädie der Platitüden hat, geht das. "Früh am Morgen", "Nach Irland fahren" und "Musik auf der Straße", sowie "Schuld sind immer die Anderen" sammelt oft gehörte Belanglosigkeiten zusammen, als habe er mit einer Kehrschaufel den Abstellraum für Klischees gefegt. Seine lyrischen Elemente bemühen sich verzweifelt originelle Reime zu vermeiden. Doch auch das geht häufig daneben und so wirkt die Metrik seiner Texte holperig. Am besten gelungen ist das nostalgische und freundliche Lied "Leg doch mal ne LP auf" und natürlich "Abschied", denn dieses letzte Lied der CD ist instrumental.
© Karsten Rube


Dotschy Reinhardt "Pani Sindhu"
Galileo Music, 2011

www.dotschy.com

Dotschy Reinhardt weiß, wie man mit Musikstilen umgeht. Mit "Pani Sindhu" ist ihr eine Symbiose gelungen, die in dieser Form wohl einmalig ist. Sie kennt sich bestens im Jazz aus, lebt die traditionelle Musik der Sinti und taucht tief in die indische Kultur ein. Als Sinti weiß sie nur zu gut, wie es ist rastlos zu sein, ständig weiter zu ziehen. "Was bedeutet Heimat, wenn sie ständig an einem anderen Ort ist", singt sie im Titelsong und legt damit auch gleich die Thematik der CD fest. Sie vergleicht das Leben mit der ständigen Bewegung des Indus, der einerseits Heimat, andererseits rastloser Fluss ist. So rastlos, wie das Thema, so wechselhaft ist die musikalische Umsetzung. Sie beginnt mit treibenden Jazzsongs, in die sich immer mehr Elemente der Musik von Sinti und Roma einweben, die wiederum immer deutlicher mit indischen Einflüssen versehen werden. So trifft das Wurlitzer Piano häufig auf Tabla und Santoor, um sich schließlich mit der Sitar zu vereinigen. Doch Dotschy Reinhardt bleibt dem Jazz, wie dem Thema Rastlosigkeit auf dem Album im breiter Linie treu. Es endet mit dem Song "Walkabout", den John Barry für den gleichnamigen Film schrieb. "Walkabout" ist der Begriff für die Wanderung der australischen Aborigines. Dies ist der einzige Song, den sie auf Englisch singt, während sie das Album in der Sprache der Roma aufgenommen hat. Eine Sprache, die sich, wie ich finde, sehr gut für Jazzmusik eignet und die in der Stimme von Dotschy Reinhardt einen Träger findet, der die Sprache stark und poetisch zugleich klingen lässt.
© Karsten Rube


Cobario "A Vagabond's Tale"
austromechana, 2011

www.cobario.at

Das Akustikprojekt Cobario begann vor einigen Jahren als einfache Straßenmusik in Barcelona. Die Welt der herumziehenden Vagabunden ist auch Thema der CD "A Vagabonds Tale" der Gruppe Cobario. Zwei Gitarren und eine Geige geben die Emotionen der fahrenden Musikanten wieder. Geschichten von einem Todestango, von Zigeunern, von der Beerdigung eines Clowns und vom Heimkehren, worin auch immer der fahrende Musiker seine Heimstadt erkennen mag, erzählen die drei Musiker bildreich ohne ein einziges Wort zu singen. Die Energie und der Erzählreichtum ihrer Melodien genügen, um eine Explosion von Bildern im Kopf zu erzeugen, um Emotionen zu wecken und schlechte Stimmungen zu vertreiben. Die drei Musiker harmonieren aufs Prächtigste, lassen kleine Klangperlen von ihren Saiten gleiten, die hin und her springen, wie ein gut geführtes Jojo. Viel könnte man über Cobario und deren Musik schreiben, analysieren, reden und verbreiten, aber eigentlich genügt: die CD "A Vagabond's Tale" ist herzerwärmend schön.
© Karsten Rube


Steve Gerard & The National Debonaires "Voodoo Workin"
Blue Edge Records, 2011

www.nationaldebonaires.com

Wenn es alte Männer noch mal krachen lassen, dann kann man sich darauf gefasst machen, dass sie sich nichts beweisen wollen, sondern einfach noch mal Spaß haben wollen. Der gestandene Bluesgitarrist Steve Gerard und James "Rock" Gray, ein mittlerweile 72-jähriger Bluessänger aus Mississippi, vereinen sich zu einer kurzen, aber konsequent gut gelaunten Session, die unter dem Namen "Voodoo Workin'" erscheint. Die Band, The National Debonaires veröffentlicht damit bereits ihre dritte CD, doch davon kann man hierzulande kaum etwas hören. Schade eigentlich, denn so abgehangenen groovigen Sound, zwischen Blues und Soul findet man nur selten in europäischen CD-Sammlungen. Vom Radio will ich gar nicht erst anfangen. Beim Hören der CD kann man so ziemlich alles machen, was mit dieser Art Musik zu tun hat. Eine Tätigkeit davon ist sicherlich am Tresen sitzen und cool tun. Passt wunderbar und wird nicht langweilig.
© Karsten Rube


Rudi Zapf und Zapf'nstreich "Unterwegs"
Pantaleon Records, 2011

www.zapf-musik.de

Das Pedalhackbrett mag auf dem ersten Blick ein Instrument sein, das kaum weniger typisch für die deutsche Kultur ist, wie das Bier, doch bei genauer Betrachtung finden sich Hackbretter, Dulcimers und Cymbals in ganz Europa und auch im Nahen Osten. Deshalb ist es ganz legitim, das Hackbrett im Gepäck auf Reisen zu gehen und mit diesem Gerät der Musik anderer Kulturen nachzuspüren. Mit dem Hackbrett Tangos, Milongas, griechische Musik und Musik vom Balkan zu spielen mag ungewöhnlich erscheinen, doch harmoniert diese Musik mit dem Instrument erstaunlich gut. Rudi Zapf & Zapf'nstreich verbinden dabei die sanften Klänge dieses Instruments, mit den kantigeren des Saxofons und erzeugen eine Art meditative Weltmusik, ohne dabei ins esoterische abzugleiten. "Unterwegs" ist eine sanfte, stressfreie musikalische Reise durch ein klangvolles Europa.
© Karsten Rube


Pedro Soler & Gaspar Claus "Barlande"
InFiné , 2011

www.myspace.com/pedrosolerflamenco

Nach Jahren, in denen jeder seiner Leidenschaft folgte, der eine der der Flamencogitarre, der andere der des Cellospiels, fanden sich Vater Pedro und Sohn Gaspar zusammen, um in einer musikalischen Familienzusammenführung neu miteinander zu harmonieren. "Barlande" ist eine innere Reise zweier meisterlicher Virtuosen zu den Wurzeln des Flamencos und den Wurzeln ihrer gemeinsamen Leidenschaft. Man hört diesem Album an, wie sie sich langsam annähern, spielerisch ihr Können ausloten und schließlich zu einer gemeinsamen Linie finden. Diese Linie ist der Flamenco Solers, dem das Cello seines Sohnes eigene zum Teil sehr temperamentvolle Facetten hinzufügt. Die Melancholie, wie sie gerade die beiden Instrumente Cello und Flamencogitarre auszudrücken verstehen, schwebt in allen Stücken mit. "Barlande" ist ein sehr eigenwilliges Album, das zeigt, dass Flamenco auch immer eine Form der Improvisation ist, die in der spontanen Begegnung lebendig wird.
© Karsten Rube


Giulia Y los Tellerini "L'Arrabbiata"
Maik Maier, 2012

www.giuliaylostellarini.com

Das Wichtige bei einer Soße Arrabbiata ist deren Schärfe. Wenn sie einem nicht die Zunge durchlöchert, ist sie einfach schlecht. Das haben sich die Musiker der Gruppe Giulia Y los Tellerini aus Barcelona wohl auch gesagt, als sie ihr zweites Album nach dieser italienischen Exportwaffe benannten. Eine wilde Mischung mit explosivem Charakter erwartet den Hörer. Nachdem die Band bereits von Woody Allen adoptiert wurde („Vicky, Cristina, Barcelona“), ist ihre Popularität nicht nur in Barcelona gewachsen. Ihr zweites Album spaziert deshalb auch aus dem spanischen Umfeld heraus und bedient sich einer weltmusikalischen Melange, die von Latinorhythmen, Bossa Nova, Bolero, Salsa und Flamenco geprägt ist und in diversen Sprachen daherkommt. Die Musiker beherrschen jeden der Stile vorzüglich. "Cariacias" ist eine süße Bossa Nova, "Warzawa" klingt nach der Musik zu einem Kleinkunstmusical im Weillschen Sinne. Und mit dem Song "Parfum" wechseln sie in den Swing. „L'Arrabiata" ist insgesamt ein recht verrücktes Album, aber von hohem Unterhaltungswert und hervorragender Musikalität.
© Karsten Rube


Ivan Mazuze "Ndzuti"
Etnisk Musikklubb, 2012

www.imazuzemusic.com

Auf dem norwegischen Label des Etnisk Musikklubb erschienen in der Vergangenheit immer wieder interessante CDs von Musikern aus Afrika. Jüngstes Produkt ist die CD "Ndzuti" des mozambikanischen Saxofonisten Ivan Mazuze. Der Musiker hat sein Debütalbum 2009 in Südafrika aufgenommen, bevor er 2011 in Norwegen zu arbeiten begann. Sein Stil ist multikulturell und genreübergreifend. Afrikanische Wurzeln sind ebenso wegweisend, wie sein Hang zum Pop-Jazz. Sein Umgang mit dem Sopransaxofon erinnert an den von Brandford Marsalis. Doch während Marsalis dem experimentellen Jazz zugeneigt ist, bleibt bei Mazuze Afropop deutlich im Vordergrund. Für Jazzpuristen sicher kein Highlight, für Liebhaber von Jazz und Weltmusik aber ein Leckerbissen der besonderen Art. Mit Omar Sosa und Manou Gallo holt er sich überdies ein paar Spitzenkräfte der internationalen Jazzszene ins Boot. Doch auch ohne deren Hilfe ist dieses Album ein sehr freundlicher Blick auf das moderne Afrika und auf den afrikanischen Jazz.
© Karsten Rube


Els Berros de la Cort "Los nòstres vices e pecats"
Nu Folk, 2012

www.elsberrosdelacort.cat

Seit zum Ende des 20. Jahrhunderts die Mittelaltermärkte begannen, sich einer größeren Beliebtheit zu erfreuen und das Publikum zahlreicher wurde, haben sich auf diesen Märkten neue musikalische Formationen gefunden, um dieses Publikum gewinnträchtig zu erfreuen. Wo großer Spaß herrscht, sitzt der Taler lockerer. Das weiß man nicht nur auf den Märkten in Deutschland, sondern auch in Südeuropa. In Katalonien hält die mittelalterliche Straßenmusik auch außerhalb organisierter Märkte gelegentlich Hof. Els Berros de la Cort sorgen mit einfallsreichem Spiel und originell arangierter Musik für Stimmung auf den Straßen von Tarragona, Lerida und Perpignan. Jetzt haben sich die sechs Mittelalterpunks ins Studio gewagt und ihr Treiben auf eine CD gepresst, die lediglich ihren Namen trägt. Die musikalische Umsetzung ist gut gelungen und schafft es mühelos von der improvisierten Straßenmusik zur durchdachten Studioproduktion zu wechseln. Die Covergestaltung sieht ebenfalls durchdacht und professionell aus, stößt aber durch die eigenwillig verschrobene Darstellung von Nacktheit vor den Kopf. Insgesamt ist Els Berros de la Cort ein gutes CD-Debüt innerhalb der Mittelaltermusik gelungen.
© Karsten Rube


Zita Swoon Group "Wait for me"
Crammed Discs, 2012

www.zitaswoongroup.be

Der Belgier Stef Kamil Carlens hat mit seinem neuesten Projekt unter dem Namen Zita Swoon Group versucht europäische und afrikanische Ansichten unter einen Hut zu bringen. Mit den aus Burkina Faso stammenden Musikern Awa Démé & Mamadou Diabaté Kibié zündet er ein multikulturelles Feuerwerk, das die ernsten Probleme afrikanischer Bauern anspricht, aber musikalisch keine Betroffenheitsstimmung aufkommen lässt. Die Farben Afrikas kommen zum Vorschein, selbst in der Armut. Es wird kein künstliches Bild von verstaubter Hoffnungslosigkeit gezeigt, wie es die Tageschau mit runtergedrehten Farbtönen gern zelebriert. Zita Swoon zeigt die ganze Farbpalette von feuerroter Wut, leuchtend grüner Hoffnung und dem unendlich großen blauen Himmel über Afrika. Diese Farben leuchten in jedem Lied auf. Rasant, poetisch, stimmungsvoll klingen die Songs. Man möchte mitpfeifen, mittanzen und mitsingen, was dank der häufig aus dem Diouladialekt ins Englische wechselnden Sprache sogar möglich ist. Gut pointiert starten die Bläser immer wieder durch, während Mamadou Diabaté Kibié das Balafon mit Inbrunst bearbeitet. Die Mischung aus politischer Botschaft und afrikanischer Tanzmusik erinnert, ähnlich wie die Stimme Stef Kamil Carlens an die Musik des Südafrikaners Johnny Clegg. Doch auch ohne diese Ähnlichkeit ist "Wait for me" ein starkes Album, dem man eine größere Aufmerksamkeit wünscht. Es ist tanzbarer Afropop jenseits der Belanglosigkeit.
© Karsten Rube


Potir "Gothic City"
Sketis Music, 2012

www.potir.ru

Willkommen im Mittelalter. Potir heißt die russische Gruppe, die sich ganz der Musik der Gotik verschrieben hat. Einen Tag in einer Stadt des Zeitalters der Gotik verbringt man mit ihrem atmosphärischen Konzeptalbum. Vom morgendlichen Treiben, dem Marktleben, exotischen Einwanderern aus dem Nahen Osten, bis zum abendlichen Treiben in der Taverne erzählt die Musik der russischen Mittelalterexperten. Alle Geräusche, die solch ein Stadttreiben beinhaltet, Marktgeschrei, Glockenschlagen ect, sind im Hintergrund zu hören. Dabei legt sich die Gruppe allerdings nicht auf eine bestimmte Stadt fest, sondern integriert Musik aus England des 13. Jahrhunderts, ebenso, wie Klänge aus Andalusien, italienische Musik des 14. Jahrhunderts und französische des 15. Jahrhunderts. Die Klänge sind archaisch, zeitidentisch und aufreibend authentisch. Ein Hörbuch, das ohne Worte auskommt.
© Karsten Rube


Coriandre "Itinerança"
L'autre distribution, 2011

www.coriandre.info

Im Languedoc-Roussillon, im heißen Süden Frankreichs behauptet sich immer noch eine Sprache, die schon die Minnesänger und Barden des Mittelalters beherrschten, das Okzitanisch. Von den Ausläufern der Pyrenäen bis zu den Alpen in der Lombardei finden sich die okzitanischen Spuren und die Reste einer sehr poetischen Sprachkultur. Coriandre gehört zu den nicht eben zahlreichen Gruppen, die sich der Pflege dieser Sprachkultur und der musikalischen Tradition der Region widmen. Dabei konservieren sie nicht altes Musikgut, sondern finden sehr geschickt Wege, diese mit modernen Stilmitteln zu beleben. Der Neofolk der Gruppe Coriandre, besitzt manchmal etwas Schräges, so als wäre eine Jahrmarktskapelle außer Kontrolle geraten. Das wirkt aber selten aufgesetzt, dafür nach viel Enthusiasmus und Liveerfahrung. Häufig vermag man dem Album orientalische Einflüsse abzugewinnen, italienische Renaissancemusik schwingt mit, doch Saxofon und Perkussion verscheuchen dabei allzu antiquiert wirkende Passagen. So kann man sich hin und her gerissen fühlen zwischen mediterranem Marktplatzgetümmel und Dancefloor mit Schnabelschuhen.
© Karsten Rube


Mariachi El Bronx "Mariachi El Bronx (II)"
Wichita Recordings, 2011

www.mariachielbronx.com

Eigentlich ist The Bronx als Hardcore-Punkband bekannt, doch irgendwann im Laufe ihrer wilden Karriere gefiel ihnen die Idee, mal etwas völlig Neues auszuprobieren. So schauten sie sich in ihrer Heimatstadt Los Angeles ein wenig um und bemerkten, dass die Musik in L.A. vollgestopft ist mit Latino- und Tex-Mex-Akkorden. Also ran an die Heimatklänge, die E-Gitarren gegen kräftige Bläsersätze getauscht, das Grölen mit dem Satzgesang ersetzt und schon heißt das neue Produkt Mariachi El Bronx. Was sich die Musiker dabei ausgeknobelt haben, kann sich hören lassen. Kein satirisches folklorisieren, wie es hiesige Punkbands gern versuchen, bei denen musikalisch längst tote Hose herrscht, sondern stilistisch einwandfreie Popmusik die eine Stimmung erzeugt, bei der man unwillkürlich an „Die Glorreichen Sieben“ denkt. Bei den Mariachi el Bronx klingt die Musik nicht nach dem traurigen, staubigen Wind der Vergeblichkeit, wie er durch die Songs von Calexico weht. Nein die Jungs lassen es richtig zünftig krachen, dass einem nur noch das fröhliche Jodeln von Linda Ronstadt fehlt. Aber die wird gut ersetzt durch die Mariachi Reyna De Los Angeles - eine der ersten rein weiblichen Mariachigruppen Südkaliforniens. Die CD ist die akustische Entsprechung eines fröhlichen Stadtfestes im südlichen Kalifornien oder im Norden Mexikos, das musikalische Pendant zu Chilli con Carne. Denn egal was Nachrichten und preisgekrönte Gegenwartliteratur erzählen - die Menschen dort sind nicht nur damit beschäftigt, keine Arbeit zu haben, Drogen zu verkloppen und die amerikanische Grenze zu stürmen. Auch dort lebt es sich zuweilen fröhlich. Mariachi el Bronx wissen davon einige Lieder zu singen.
© Karsten Rube


Downtown Ramblers "On the Other Side of the City"
Dtr Music Production, 2011

www.downtownramblers.com

Die schwedische Musikszene ist ja gelegentlich für Überraschungen gut, wie kürzlich die Gewinnerin des Eurovison Song Contests, der Europameisterschaft im Singen zeigte. Ein hierzulande kaum beachteter, aber sehr aktiver musikalischer Mikrokosmos findet sich in der schwedischen Countryszene. Die Downtown Ramblers gehören zu den Gruppen, die bereits den Sprung bis nach Nashville wagen konnten. Ausgezeichneter Bluegrass und angenehm warme Countryballaden haben sie auf ihrer CD "On the other Side of the City" aufgenommen. Die Band, die zahlreiche Musikwettbewerbe in ihrer Heimat gewannen, haben mit dieser CD gezeigt, dass sie sich weg von der Countrycoverband bewegen und mit eigenen Kompositionen durchaus überzeugen können. Neben den schönen harmonischen Wechselspielen zwischen Geige und Banjo, ist vor allem die Stimme der Sängerin Emilie Junsten hervorzuheben. "On the other Side of the City" ist wieder einmal ein schöner Beweis, dass gut gemachte amerikanische Musik nicht zwangsläufig aus Amerika kommen muss.
© Karsten Rube


Big Pete "Choice Cuts"
Delta Groove Music Inc., 2011

www.myspace.com/bigpete1977

Man will gar nicht glauben, dass man mit dem Musiker Big Pete einen Holländer vor sich hat. Zu erdig, zu schnörkellos, zu authentisch ist der Blues, den er spielt. Die vorliegende CD "Coice Cuts" hat der Sänger und Mundharmonikavirtuose in den USA aufgenommen und sich der Mitarbeit einer Reihe gestandener Gäste aus der Bluesszene rund um Memphis versichern können. Namen, wie Al Blake, Shawn Pittman und der des Pianisten Rob Rio, des "Boss of the Boogie Woggie" tauchen auf. Alle tragen dazu bei, dass die CD "Choice Cuts" zu einer wahren Blues-Messe wird. Pieter van der Pluijm ist Bluesmusiker ohne Kompromiss. Deshalb passt der Name Big Pete auch besser zu ihm. Die knappe Stunde Blues, die "Choice Cuts" beinhaltet hält sich nicht mit irgendwelchen Verschnaufpausen balladesker Natur auf, sondern heizt von Anfang bis Ende durch. "Choice Cuts" ist ein starkes Stück Blues.
© Karsten Rube


Katja Maria Werker "Mitten im Sturm"
stockfish-records, 2011

www.katjamariawerker.de

Sich selbst zu finden, ist eine Herausforderung, die für den einen ein Tagesmarsch, für die anderen eine Lebenswanderung darstellt. Manche machen nur die Tür auf und wundern sich darüber, dass sie schon da sind, andere suchen und suchen und wissen nicht, wonach. Kreativen Menschen hilft die Kunst, im Falle von Katja Maria Werker, die Musik. Seit langer Zeit mit Liedern und Gitarre bewaffnet, versucht sie ihre musikalische Identität zu finden und hat ein Teil davon auf ihrem Album "Mitten im Sturm" entdecken können. In sentimentalen, poetisch einfach geformten Liedern singt sie von den Fragen und Antworten, denen sie sich stellen musste, von den Begegnungen auf den Wegen, die sie bis hierher gegangen ist. Sie nutzt nicht nur die Songs, die sie selbst geschrieben hat, sondern greift auch auf passende Coverversionen zurück und auf Zitate, wie "Verdammt lang her" als Einleitung zum Titelsong der CD, sowie auf Peter Gabriels "Here comes the Flood". Minimal instrumentiert und häufig mehr gehaucht, als gesungen präsentiert sie ihr Album "Mitten im Sturm" auf dem Stockfish-Label und scheint, ihrer Dankeshymne im Booklet vertrauend, sehr glücklich zu sein mit ihrem Werk. Es ist ihrer Musik anzuhören.
© Karsten Rube


Grupo Sal "Horizontes"
Way Out Records, 2011

www.grupo-sal.de

Ein überaus ambitioniertes musikalisches Projekt mit lateinamerikanischer Musik kommt dieser Tage ausgerechnet aus Tübingen. Warum ausgerechnet? Nun, man wundert sich manchmal schon, dass sich weltmusikalische Projekte ausgerechnet in Deutschland so gut entwickeln. Ob es mit der Tatsache zu tun hat, dass sich in Deutschland bessere Möglichkeiten finden lassen, Musik zu produzieren oder deutsche Musiker immer wieder gern auf fremde Quellen zurück greifen, weil sie die heimatliche Kultur auf Dauer zu sehr einengt, sei mal dahin gestellt. Fakt ist, dass die kulturübergreifenden kreativen Verbindungen heute keine Grenzen mehr kennen. Letztlich kann man an jedem Ende der Welt die Musik hören und produzieren, die einem gefällt. Afropop in Berlin, Polka in Andaluzien, Countrymusik in Budweis, lateinamerikanische Folklore in Tübingen. Grupo Sal hat 12 Titel zusammengetragen, die in Lateinamerika sehr populär sind und in einzelnen Ländern zur dortigen Volksmusik gehören. Thematisch brechen sie von Lissabon übers Meer auf, um neue Horizonte zu ergründen. "Luna" aus Venezuela ist zu hören, einer der schmalzigsten Songs der lateinamerikanischen Folklore, sowie "Alacran" aus Kuba. Hier wird es allerdings etwas schmerzlich, da der Sänger dieses Titels sich an seinen durchaus beeindruckenden stimmlichen Möglichkeiten verhebt. Es klingt, als versuche sich Konstantin Wecker als Experte für Gesang - was ja auch regelmäßig schief geht. Glücklicherweise beruhigt sich der Sänger danach wieder, überlässt das Feld den anderen Stimmen oder ordnet sich den gut instrumentierten Arrangements, die zu einem großen Teil vom Bassisten Kurt Holzkämpfer stammen unter. Einen großen Anteil an den bis auf erwähnte Ausnahme sehr harmonischen Titeln hat meiner Meinung nach, der Einsatz der Querflöte, der wie ein roter Faden das musikalische Geschehen der CD verbindet. "Horizontes" ist ein weitgehend gelungener Einblick in die lateinamerikanische Musik und weltmusikalischer Brückenschlag mit Niveau.
© Karsten Rube



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