FolkWorld #78 07/2022
© Rudolstadt Festival

Rudolstadt 2019 Heinepark by Michael Pohl

Der Sommer kann kommen

Rudolstadt Festival 2022 Vom 07.-10.07.2022 findet in Rudolstadt zum 30. Mal das größte Roots Festival statt. Das Folk Galore Magazin präsentiert auf dieser Doppel CD 32 Künstlerinnen und Künstler mit je einem Song.

Mit dabei: Hotel Palindrone / Pauanne / Rüüt / Dobrila & Dorian Duo / Tim McMillan & Rachel Snow / Ivarh / Tamara Obrovac / Fara / Misagh Joolaee / Kajsa Balto / Chalgia Sound System / Light in Babylon / Cardo-Roxo / Wernyhora / Zarbugans / Lakha Khan / Trad.Attack! / Turfu / ADG7 (Ak Dan Gwang Chil) / Rambo Amadeus / Božo Vrećo / Albin Paulus / Groupe RTD / La Fanfarria del Capitán / Mànran/ Wild String Trio / Viik / Gruberich / Kurbasy / Braća Teofilović / Merima Ključo & Jelena Milušić / Andreas Rebers

Es wird wieder ein spannendes Festival werden.

V/A Rudolstadt Festival 2022, CPL Music, 2022

www.folkgalore.de

Here it is, das packende Programm. Konzerte, Straßenmusik, Tanz, Workshops, Talk – alles wieder dabei.

Zwei Jahre ohne Festival - was würde besser passen, als nun im kommenden Sommer in die Vollen zu gehen? Unseren Länderschwerpunkt widmen wir nicht einem, sondern gleich sieben Ländern: Titos Erben. Eine Klangreise durch die Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens, also Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Kroatien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Slowenien. Wir sind sehr gespannt, was wir dort alles entdecken!

Rudolstadt 2022
Rudolstadt @ FROG

www.rudolstadt-festival.de

„Die Sevdalinka ist ein Bekenntnis der Seele“, sagt Božo Vrećo über die Musik, der er sich verschrieben hat. Gesungene Liebeslyrik aus Bosnien-Herzegowina. Vertonte Schwermut, an der seit osmanischen Zeiten alle Völker der Region mitgeschrieben haben. Es gibt inzwischen immer mehr bemerkenswerte zeitgenössische Stimmen des Sevdah, doch keine wie diese. Božo Vrećo ist Mann und Frau und sieht sich auch mit allen Facetten dazwischen. Die Musik bedeutet für Božo die Befreiung von den Normen und Regeln einer konservativen Gesellschaft. Dabei scheint gerade die queere Interpretation dieser traditionellen Lieder das innerste Wesen des Sevdah zu offenbaren, und das unglaublich einfühlsam, erhaben und seelenvoll.

Was wäre ein Schwerpunkt zu Ex-Jugoslawien ohne die Ikone des Balkan-Booms? Die Goran Bregović Wedding and Funeral Band übersetzt das musikalische Erbe des Balkans zeitgemäß, versieht traditionelle Harmonien mit aktuellem Twist, hebt ethnische Vorbehalte, Genregrenzen und emotionale Gegensätze auf und bringt sie in einen gemeinsamen Fluss. Mit Seele, Temperament und Können verbindet Goran Bregović dabei Gypsie-Bläser-Sound, bulgarische Polyphonie, erdige Percussion, Rock/Pop/Weltmusik-Klänge. Die Erfolgsstory dieses bosnischen Kosmopoliten begann 1990 mit dem genialen Soundtrack zu „Time Of The Gypsies“ und sie ist noch nicht zu Ende…

Konzerte

In einem seiner derzeitigen Programme (Rumpelkinder - Schmuddelstilzchen) nimmt sich der vielfach ausgezeichnete Kabarettist Andreas Rebers einer Ikone deutschen Liedermachens an, Franz Josef Degenhardt: „Am Heiligen Abend 1969 lag unter unserem Christbaum ein, in Geschenkpapier verpacktes, quadratisches Päckchen, für das sich scheinbar niemand interessierte: Portrait: Franz Josef Degenhardt. Ich durfte die Platten erst nach dem Weihnachtsfest in unserer Musiktruhe abspielen, tröstete mich aber mit den Zeichnungen auf dem Cover, die eine gewisse Gertrude Degenhardt gezeichnet hatte. Stundenlang starrte ich auf die grotesken Gesichter und malte mir aus, was sie mir vorsingen würden. Dann erlaubte mir Mama, die Langspielplatten aufzulegen. Und das tat ich. Und zwar ununterbrochen. Anstatt Peter Alexander, Will Glahé oder Willy Schneider tönte nun die Stimme von Väterchen Franz durch den ‚kleinen Kaukasus‘, wie ich die Heimat meiner Kindheit nannte. Innerhalb einer Woche konnte ich jedes Chanson auswendig und ich sang das Lied vom Weintrinker und von den Wölfen im Mai. Das war vor fünfzig Jahren, und es wird Zeit, sich dieser Lieder wieder anzunehmen. Bevor es zu spät ist.“

Die Superstars des Balkan Brass - In Serbien ist die Roma-Familie Marković ein traditionsreicher Musikerclan. Und Boban ohne Zweifel das berühmteste Mitglied. Und sein Orchester seit Menschengedenken das beste weit und breit. Außerhalb Serbiens wurde das Boban Marković Orkestar hauptsächlich durch seine Auftritte im Film Underground von Emir Kusturica bekannt: Wer den Film einmal gesehen hat, weiß, dass dieser ohne die Unterstützung der Roma-Musiker nicht einmal halb so spannend wäre. Oder durch die Brotherhood of Brass mit dem New Yorker Frank London (TFF 2004). Zu der Zeit gab Boban schon so langsam das Zepter weiter an seinen Sohn (Jahrgang 1988), dessen Lehrjahre und der Wunsch, auch mal beim großen Festival in Guča aufzutreten, im gleichnamigen Film nachgezeichnet werden. Heute leiten Vater und Sohn ihre eigenen Ensembles, das Boban Marković Orkestar und die Marko Marković Brass Band. Bei besonderen Gelegenheiten treten sie aber auch zusammen auf – so wie zur Eröffnung des Rudolstadt-Festivals 2022 mit seinem Schwerpunkt auf den Ländern Jugoslawiens.

Duncan Chisholm

Artist Video Duncan Chisholm
@ FROG


www.duncanchisholm.com

Cardo-Roxo ist das 2012 von Antony Fernandes und Carmina Repas Gonçalves gegründete Konzert-Fenster der Organisation Projecto Cardo, einer Kulturorganisation in Gaia am südlichen Rand von Porto. Deren Ziel ist es, traditionelle portugiesische Musik zu fördern, durch eine Schule, durch Konzerte, durch intensiven Austausch mit städtischen wie ländlichen Communities. Die Anzahl der konzertierenden Musiker wechselt je nach Anlass; in Rudolstadt wird ein Trio musizieren. Aber egal, wie viele Musiker auf der Bühne stehen: Sie alle nutzen ausschließlich akustische Instrumente. Sie spüren lange deren natürlichem Klang nach, schätzen durchaus auch die Stille und die Fähigkeit, einander zuzuhören. Dafür suchen sie sorgfältig alte Melodien aus, für die sie Arrangements entwerfen, die die emotionale Essenz der Quellen respektieren. Ziel dieses Bemühens ist es, das Publikum in ein intimes Konzert einzubinden, das eine neue Sicht auf die Schönheit der portugiesischen Musiktradition ermöglicht.

1961 kamen die ersten türkischen Arbeitsmigranten nach Westdeutschland - seit dem runden Jubiläum im vergangenen Jahr hat sich dieses Datum bei vielen eingeprägt. Weithin unbekannt geblieben ist ein Stück deutscher Musik- und Kulturgeschichte, das diese Einwanderergeneration und auch ihre Kinder geprägt haben: Sie schrieben zahllose Lieder von Sehnsucht und vom Ankommen, vom Leben in der Fremde und von Heimweh, von Liebe, von Kämpfen und harter Arbeit, von Ausländerfeindlichkeit und wachsendem Selbstbewusstsein, von Feiern und neuen Freundschaften. Deutschlandlieder - Almanya Türküleri erzählt von den Gefühlen dieser Menschen, die da nach Deutschland kamen: von Metin Türköz, dem Sänger der ersten deutsch-türkischen Streiklieder bei den Kölner Ford-Werken, zu seinem „Nachfolger“ in den 70-er Jahren, Ata Canani, und von der Jazzsängerin Özay Fecht bis zu Rapper Eko Fresh. Sie sind umgeben von einer Live-Band aus elf MusikerInnen mit Eltern aus 15 Ländern, ohne die Deutschland und seine Kultur heute nicht mehr denkbar ist. Konzipiert hat das alles Musiker und Filmemacher Nedim Hazar, der auch gleich noch ein Buch zum Thema vorgelegt hat. Er verspricht: „Hier wird Geschichte gerockt: vital, mitreißend, groovy! Dieses Konzert ist ein Fest des Lebens, das Vorfreude weckt auf die nächsten 60 Jahre!“

Wenn heute von einem Geiger aus Schottlang die Rede ist, wird an erster Stelle der Name Duncan Chisholm genannt. Und es fallen Vokabeln wie Stil oder Eleganz. Das liegt an den klassischen Texturen, die der Musiker und Komponist seinen Werken gibt, es liegt an der leichten Bogenführung, dem klaren Ton, an einer Zartheit, die dennoch Leidenschaft nicht verschleiert. Der Klang mag überliefert sein, jedoch ist dies traditionelle Musik des 21. Jahrhunderts, anspruchsvoll, anregend und zum Dahinschmelzen schön. „Mit freudig anschwellenden Melodien, die in den transzendenten Wundern der Natur baden, beschwört Chisholm eine inspirierende Vision von etwas, das größer ist als wir selbst. Dies ist spirituelle Musik, die sich tief einfühlt in die fortdauernde Suche des Menschen nach transzendentaler Schönheit und dauerhafter Wahrheit.“ (froots)

Ezé Wendtoin

Artist Video Ezé Wendtoin
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www.eze-music.com

In diesem Konzert vermählen der Nyckelharpa-Spieler Erik Rydvall und die mehrfach ausgezeichnete Flötistin Kristine West schwedische Tradition mit deutschem Barock; hinzu fügen sie neue Kompositionen, die auf den gleichen Ursprüngen beruhen. Seit einigen Jahren gehört Erik Rydvall zu den leuchtenden Sternen am schwedischen Volksmusikfirmament. Ausgebildet am Royal College of Music in Stockholm, spielte er mit einem norwegischen Hardanger-Geiger, einer Flamenco-Kompanie, einem dänischen Frauenchor und einem schwedischen Symphonieorchester sowie dem Erfinder schwedischer Weltmusik, Ale Möller, um nur einige zu nennen, bevor er sich der Idee zuwandte, Bachs Solo-Partitas für Geige und Cello auf die Nyckelharpa zu übertragen. Verrückt? Vielleicht. Andererseits stammt das Instrument aus dem Mittelalter – rein theoretisch hätte Bach es kennen können. 2012 erwarb Kristine West am Stockholmer Royal College of Music ihren Master in Alter Musik. Als Flötistin bevorzugt sie Barockmusik, sie kehrt aber auch immer wieder zu ihren Volksmusikwurzeln in der Provinz Hälsingland zurück. Sie spielt bei zahlreichen Orchestern, als Ensemblemitglied ebenso wie als Solistin, und bläst auf einer Reihe von Instrumenten, von der Block- über die Querflöte bis zu zahlreichen anderen Vertretern der Familie.

„Es tut gut, diesen jungen Mann aus Burkina Faso zu sehen, der einen Master in Germanistik macht, Musiker ist und mit Immigranten in Deutschland arbeitet. Der über seine Musik diese besondere Atmosphäre schafft, der so viele verschiedene Pfade geht. Das lässt die Menschen anders über die Welt denken und zeigt, was möglich ist.“ Sagte ein Dozent an der Ohio-Universität in den USA. Ezé Wendtoin wurde in Burkina Faso geboren und kam zum Studium nach Deutschland. Er ist Musiker, Liedermacher und Schauspieler; er dichtet, komponiert und singt auf Deutsch, Französisch und in seiner Muttersprache Mooré. In seiner Arbeit, insbesondere durch seine Workshops, setzt er sich für Demokratie, Solidarität und gegen Rassismus und Diskriminierung ein. Als Musiker war Ezé Wendtoin Mitglied der RUTH-prämierten Banda Internationale aus Dresden. Heute tritt er meist als Solist auf; im Sommer 2022 bringt er seine Heimatband nach Deutschland. „Es ist die Art, wie Ezé Melodie, Rhythmus und Silben verbindet, die ihn zu neuen Lösungen führt, die einem Muttersprachler so nicht möglich wären. Bei Ezé wird zum Sound, was Einwanderung für Deutschland bedeutet: die Erweiterung des kulturellen Bewusstseins.” (Süddeutsche Zeitung)

Fara wurde 2014 von vier Schulfreundinnen von den Orkneys, die jedoch schon seit langem ihre temporären Zelte in Glasgow aufgeschlagen hatten. Vor kurzem hat Pianistin Jennifer Austin das Quartett verlassen und wurde, Sakrileg 1: durch einen Mann und Sakrileg 2: von jemandem aus den Highlands ersetzt. Aber wie heißt es so schön am Ende von Manche mögen‘s heiß: Niemand ist perfekt. Gegründet wurde Fara mit dem Ziel, die traditionelle Musik der Orkney-Inseln zu feiern. Drei Geigen, ein Piano, feiner vierstimmiger Harmoniegesang – das Quartett überzeugte von Anfang an Publikum wie Kritiker, wurde allseits ob seiner großartigen Tunes, mitreißenden Lieder und vor allem des außergewöhnlichen musikalischen Könnens gelobt. Nach einer CD mit Liedern von Dichtern von Orkney wendet sich das neue Album Energy Island aktuellen Themen zu: Es geht um erneuerbare Energien auf Orkney und im Nordwesten der Highlands, also der Heimat der Künstler. Der Namen Fara steht übrigens nicht nur für eine Insel, sondern bedeutet auch so viel wie „wunderschön“. Und das kann man über die Musik des Quartetts wahrlich sagen.



Artist Video Erik Rydvall
@ FROG


www.erikrydvall.se

Seit über 20 Jahren spielen vier österreichische Musiker meisterhaft staubschichtfreie Volksmusik-Traditionen auf mehr Instrumenten, als die meisten Leute ohne viel Nachdenken aufzählen könnten. Mit dieser Virtuosität verbinden Hotel Palindrone unbeschwert verschiedenste europäische Folktraditionen mit Einflüssen aus Jazz und Klassik. Noch immer sehen die Musiker alpine Musik einfach als eine der Traditionen inmitten der großen europäischen Vielfalt, treffen bei ihnen wunderbar melodische und ironisch-witzige Eigenkompositionen auf den Blue-Yodeler Jimmie Rodgers oder wagen ein Tänzchen mit Michael Praetorius. Und noch immer spielt das Quartett (mindestens) genauso gerne zum Tanz: „Zum Tanz aufzuspielen ist keine selbstauferlegte Pflicht, sondern echte Begeisterung.“ Und so spielen sie nicht nur im Ballsaal Palindrone in Wien, sondern auch bei uns Tanzmusik quer durch die Jahrhunderte und durch die unterschiedlichsten Kulturen Europas –Bourrees, Mazurkas, Cercles, Walzer, Scottishes, Polkas, AnDros, Kolos und Reels.
In seinem Solo-Konzert „pur“ ergründet Albin Paulus auf Eigenkreationen wie Wobblephone oder Paulus-Vocator, aber auch ‚gängigen‘ Instrumenten (Maultrommel, Dudelsack, Stimme) den Ursprung des musikalischen Klangs zwischen Jodlern und Weltmusik, Alter Musik und Acoustic Techno.

Ivarh ist eine neue Gruppe aus der Bretagne. Sie trägt einen Hauch zeitgenössischer Kunst, wo mächtige elektrische Texturen auf den Gesang der Melodien aus der unteren Bretagne treffen. Das Zeitgenössische ist vor allem das Saxofon, aber natürlich kommen Trad.-Fans auch auf ihre Kosten, denn der Dudelsack Biniou und die Bombarde sind auch zu hören. Also Entwarnung – es gibt keine musikalische Revolution in der Bretagne, aber ein sanftes Reförmchen. Und das ist durchaus hörenswert.

Lwiw, das uralte Zentrum der Karpaten, beherbergt das kulturelle Herz der Ukraine. Von dort aus spürt die Band Kurbasy zeitgenössischen Verbindungen zu einer archaischen Vergangenheit nach. Mariia Oneshchak und Nataliia Rybka-Parkhomenko, zwei Schauspielerinnen des Theaters Les Kurbas, haben vor neun Jahren die Gruppe Kurbasy (mit)gegründet. Ziel war es, neue Wege zu finden, das Lied als lebenden Organismus zu betrachten und damit die Essenz des eigenen Lebens zu dramatisieren. Konkret heißt das: zu versuchen, tief in die Atmosphäre, Geschichte und Bedeutung jedes Liedes einzutauchen und dabei gleichermaßen mit dem Klangraum selbst, der improvisatorischen Stimme und den Klangdimensionen der Musikinstrumente zu experimentieren. Herausgekommen ist eine Folk-basierte Multimedia-Performance in engen Gesangsharmonien, resonanten Texten, kulturell einzigartigen Instrumenten und phantasmagorischen Bildern. Die beiden Künstlerinnen beschwören in akustisch-theatralischen Erkundungen über den reichen Fundus an Kalenderliedzyklen, Schlafliedern und Legenden der Ukraine die natürliche Welt, Überzeugungen und Rituale herauf. Das aktuelle Programm Waldlieder entstand im pandemischen Jahr 2020. Begleitet von den Klängen indischer Musikinstrumente werden verschiedene Balladen, Liebes- und Frühlingslieder aus Polesia, Bukowina, Poltawa, Podolia und der Zentralukraine in einer besonderen Atmosphäre aufgeführt. Eine minimalistische Multimedia-Blume wird im Konzert Leben, Liebe und Gnade symbolisieren.

Mariana Sadovska

Artist Video Mariana Sadovska
@ FROG


www.marianasadovska.com

2005 wurde aus Capitán Tifus La Fanfarria del Capitán, und als seine Fanfare tourt das Kollektiv seitdem unermüdlich rund um die Welt mit ihrer so genannten „Fanfarria Latina‘“, einer explosiven Mischung aus lateinamerikanischen Rhythmen, Balkan-Beat, Cumbia, Rock, Reggae, Ska und vielem mehr. Dabei steht der Begriff nicht nur für die Art von Musik, sondern auch für ein ganz spezielles Lebensgefühl voller Tanzwut und Lebenslust, welches die Band auf der Bühne mit jeder Menge Spaß und Energie zelebriert. Und nicht nur auf der Bühne: Wer nicht mittanzt, ist ihr Feind. Den greifen sie sich zielsicher aus dem Publikum, mischen sich auch unter dieses, damit jede, aber auch wirklich jeder in Bewegung gerät: „Was auch immer die Band aus ihrer Schatztruhe herauskramt, es ist Tanzmusik zum Abhopsen”. (BBHEUTE.DE)

Seit 2010 gibt es die Gruppe Mànran, deren Name soviel wie „Melodie“ bedeutet. In dieser guten Dekade haben sie sich einen ausgezeichneten Ruf als eine der aufregendsten schottischen Bands erspielt. Markenzeichen der Band ist vor allem das Zusammenspiel eines schottischen Dudelsacks mit irischen Uillean Pipes, was dem Septett ein Alleinstellungsmerkmal verleiht und es zu einem Powerhouse macht. Dazu kommt die Stimme von Kim Carnie, soeben als Gaelic Singer of the Year ausgezeichnet, die die Lieder auf Gälisch und gelegentlich auch Englisch singt. Instrumentell ist es eh Musik vom Feinsten, nicht umsonst wurde die Band mehrfach zwischen Schottland und Australien als Künstler des Jahres ausgezeichnet. „Wenn Ihr eine Party wollt, ruft Mànran an!“

Als wir Mariana Sadovska, in Lwiw geborene Sängerin, Musikerin, Komponistin und Schauspielerin, die schon in Köln lebte, als sie 2013 die RUTH erhielt, ansprachen, ob sie sich ein großes Konzert für ihr Heimatland vorstellen könne, war sie sofort Feuer und Flamme: „Lass uns ein großes Konzert machen mit all den wunderbaren Musikern aus der Ukraine, die gerade in Deutschland Unmögliches leisten, Solidaritätskonzerte spielen, Hilfe sammeln, demonstrieren … Ich hoffe sehr, dass dieser Konzert ein Fest wird - ein Sieg von Licht über Dunkelheit, freie Welt über Diktatur, unsere ukrainische Elfen über russische Orks.“ Im Laufe der Planung schälte sich eine Besetzung mit acht ukrainischen Solisten heraus, aus Odessa, Kyiv, Lwiw und anderen Landesteilen, mehrere auch mit jüdischem Hintergrund, einige von ihnen schon länger in Deutschland (wie bspw. Rotfront/Russendisko-Yuriy Gurzhy), andere erst im März gekommen; das musikalische Gerüst bilden Musiker, die seit langem bei regulären wie Solidaritätskonzerten die Ukrainer unterstützen. Das Resultat wird in jeder Hinsicht ein Unikat.

Mélissa Laveaux ist eine kanadische Musikerin mit haitianischen Wurzeln. Während ihres Studiums der Sozialwissenschaft in Ottawa besucht sie abends die Clubs und Musikkneipen der Stadt, wo sie den Perkussionisten Rob Reid trifft und alsbald mit ihm auftritt. Schnell werden Talentscouts und Kollegen auf sie aufmerksam; zu ungewöhnlich ist ihre soulige Stimme, vor allem aber ihr eigenwilliger perkussiver Stil auf der Gitarre. „Mal lasziv und verführerisch, mal sensibel und tiefgründig, mal trotzig, stolz und ungehorsam spielt Laveaux mit ihrem stimmlichen Ausdruck.“ (Laut) Er hat ihr Einladungen zu Jazz-, Blues- und Weltmusikfestivals eingebracht – und die Erkenntnis: Mélissa Laveaux ist eine eigenwillige, afro-feministische Sängerin und in keine Schublade zu stecken.



Artist Video Sofia Rei
@ FROG


www.sofiamusic.com

Pauanne ist der finnische Thor, der Donnergott in der alten Mythologie. Mit der Wahl dieses Namens machen die Violonistin Kukka Lehto und der Keyboarder Tero Pennanen gleich deutlich, worauf ihre Musik beruht: auf den alten schamanistischen und prächristlichen Traditionen ihrer Heimat, in denen viel archaische Lebensanschauung und animistische Weltsicht mitschwingt. Pauanne interpretieren das Material - deftige Flüche und lange vergessene Hirtenlieder, aber auch Kritisches zur Kirche, die logisch not amused ist - ebenso charmant wie schnoddrig – und mit einem wohltuenden Augenzwinkern. „Man sollte eigentlich davon ausgehen, dass die moderne Wissenschaft und der freie Zugang zu Informationen diesen alten Glaubenssätzen endgültig den Garaus gemacht haben. Dem ist aber keineswegs so. Denn wenn wir heute Magazine mit ihren Horoskopen und Berichten über alternative Therapien lesen, dann ist der alte Aberglaube noch lange nicht ausgestorben.“

2012 waren fünf russische Frauen weltweit in aller Munde: Mit einem „Punk-Gebet“ protestierten sie in einer Russisch-Orthodoxen Kathedrale in Moskau gegen die unheilige Allianz von Kirche und Staat. Der Aktion folgten Verurteilung, Hungerstreiks, Straflager, aber auch die Gründung einer durchaus einflussreichen Internet-Plattform für Menschenrechte (Mediazona). Pussy Riot wurden zum bekanntesten Gesicht des Protests in Russland; rund um den Globus vertraten sie ihre Vision eines freien Russlands: Feminismus (Pussy Riot heißt soviel wie „Muschi-Revolte“), LGBTQ-Rechte, später auch die Bedingungen in den Haftanstalten – und immer Radikalopposition gegen Wladimir Putin. Die Geschichte der Bewegung hielt Maria Aljochina in einem Buch fest, Riot Days, das Ende 2016 von ihr gemeinsam mit dem Musikproduzenten Alexander Cheparukhin mit Live-Musik, Videos sowie theatralischen Elementen auf die Konzertbühne gebracht wurde. Die Lieder werden seitdem weiter aktualisiert, zuletzt bspw. mit Texten gegen den Einmarsch in die Ukraine. 2021 wurde Maria Aljochina erneut verurteilt, diesmal wegen unterstützender Mails für den Regimekritiker Alexander Nawalny; im Mai dieses Jahres entwich sie spektakulär aus dem Hausarrest nach Berlin, um dort einen Tag später Pussy Riots Europa-Tournee zu starten.

Sofia Rei wurde als Sofia Eugenia Koutsovitis in Buenos Aires geboren, lebt aber seit 2005 in New York. Sie nahm früh Musikunterricht, fing an, Schlagzeug zu spielen, studierte Operngesang und lebte fortan ein Doppelleben, klassische Musik am Tag und alles andere abends und nachts. Mit 19 stieß sie auf Jazz. 2001 zog sie in die USA, zunächst für weitere Studien nach Boston, wo sie 2003 einen Abschluss in Jazz und Improvisationen ablegte. Bald zeigten sich aber auch Einflüsse lateinamerikanischer Volksmusik in ihrem Repertoire. Sofia Rei ist ob ihrer Ausdruckkraft und Sinnlichkeit vielfach gerühmt worden. Ihr aktuelles Programm Umbral (Schwelle) wurde inspiriert durch eine Reise in die Berge von Chile. Hier experimentiert die Sound-Akrobatin mit Stimme, Loops, Samples und Synthesizer und lädt uns ein, zwischen Jazz, Hip-Hop, Anden-Vibes und Latino-Grooves neue Gefilde zu entdecken.

Selten war ein Name so sehr Programm wie bei diesem Trio: Brachial attackieren die drei Musiker die traditionelle Musik ihres Heimatlandes und interpretieren sie in einer ultra-modernen Weise. Dazu sampeln sie oft sogar historische Aufnahmen und legen darüber ihre Sounds aus Rock, Pop und Elektronik, verzerrte Gitarren, fette Beats und satte Effekte inklusive. Das Ziel: In Stadien mit Hilfe moderner Technik so laut wie möglich spielen zu können - und die gleichen Songs auch in intimen Klubs. Das ist ihnen gelungen! Ihre Songs wirken technisch ausgefeilt und doch archaisch. Die Schlagzeug-Attacken, der wilde Ritt auf dem Dudelsack, der rockige Gesang – hier nimmt ein ungewöhnliches Trio estnische Musiktraditionen auseinander und würdigt sie zugleich in stürmischer Umarmung. Wir erleben die Zukunft der estnischen Volksmusik und ihr Name ist Trad.Attack!

VÍÍK ist ein junges Sextett aus Dänemark mit vier Dänen, einem Schweden und einer norwegischen Sängerin. Just zu Pandemiebeginn gegründet, reichte es immerhin noch bzw. schon zur Nominierung als Live-Act des Jahres bei den Danish Music Awards 2020 in der Kategorie Roots und zu einigen überaus begeisterten Konzertkritiken. VÍÍK agieren in einem Dreieck aus der hypnotischen Liedtradition des europäischen Nordens, progressivem Jazz und Alternative-Rock. Damit geben sie der nordeuropäischen Folkmusik eine neue Stimme, und das buchstäblich, denn im Vordergrund steht Sängerin Elisabeth Vik, die das Publikum in ein bezauberndes Universum aus geheimnisvollen mittelalterlichen Balladen und Märchen hineinzieht: Scheinbar mühelos verbindet sie Volkslied- mit Kehlkopfgesang und Herdenrufen. Das Musikmagazin GAFFA war jedenfalls beeindruckt: „VÍÍKs expressionistische erzählerische Explosivität war Ehrfurcht einflößend und zutiefst faszinierend!”



RUTH 2022

Da war’s nur noch eine. Und einer. Eine RUTH und ein Auslober. Nachdem jahrelang das Festival gemeinsam mit den Rundfunkanstalten der ARD sowie dem Preis creole – Weltmusik in Deutschland die RUTH betreut hat, standen wir 2019 plötzlich vor einer gähnenden Leere: creole war als bundesweit und pyramidal aufgebauter Wettbewerb sanft entschlummert und findet derzeit nur noch als nicht miteinander verbundene Landes-Initiativen in Berlin und Nordrhein-Westfalen statt (wenn überhaupt wieder nach der Pandemie-Pause). Und aus dem ARD-Kreis kamen auch zunehmend weniger Vorschläge, wie der damalige MDR-Redakteur Peter Eichler, der für das Einsammeln der Kandidaten zuständig war, ernüchtert feststellen musste. Was zur Folge hat, dass das Festival die Idee eines Weltmusikpreises erst einmal auf Sparflamme weiter köcheln lässt. Keine weiteren Auslober. Nur noch ein Preis und keine vier.

Humba

Artist Video "Weltoffen und heimatbesoffen"

www.humba.de

Diese Konzentration bedeutet kein Einengen des Spektrums: Musiker können den Preis ebenso gewinnen wie verdiente Einzelpersonen oder Initiativen, Menschen für ihr Lebenswerk ebenso wie spannende aktuelle Projekte. Was die beiden Preisträger beweisen, die in diesem Jahr die RUTH erhalten: der Humba Efau aus Köln, den wir für 2020 ausgeguckt haben – Anlass wäre der damalige 25. Geburtstag gewesen – und der jetzt endlich die Porzellanfigur von Kerstin Kreller sowie das Preisgeld entgegennehmen darf. Und Christoph Dieckmann, Fan von John Renbourn, den Allman Brothers und einige anderen Musikern, der die Trophäe für dieses Jahr erhält.

Makatumbe

Artist Video Makatumbe @ FROG

www.makatumbe.com

Straßenmusik

Das Ungemach: Das Sextett erweckt durch eigene Vertonungen Gedichte von Morgenstern, Heine, Jandl oder Rilke zu neuem Leben. Dabei wird in abwechslungsreichen klanglichen Gewändern von Folk bis Rock – egal ob Mensch oder Fabelwesen - gelebt, geliebt und gestorben.

DUOhandinhand: Swingende Melodien mit zumeist augenzwinkernden Texten in deutscher Sprache. Gegroovt wird abwechselnd am Fender Rhodes und am Schlagzeug.

Folk Fiddle Family: 9 Jahre alt war Felix, das jüngste Mitglied der fiedelnden Leipziger Familienband, als sie das erste Mal in Rudolstadt dabei waren. Jetzt ist er 28 und auch die Musik der Fiddle Folker ist reifer und bunter, aber nicht weniger mitreißend geworden. Und es ist immer noch ein Mix aus Irish Music und deutschen Folksongs.

Halber Hahn aus Hildesheim röcheln ein fragiles Spagatdings zwischen folky Liedermacher und punkig dancigem Rotzcore. Mit seelenvoller Textlast verbeugt sich das Unza-Duzz-Duzz-Duo ohne jede Seifenblase vor der Großen Korrosion. Unbedingt hingehen: Rott, rumpelig, mit Arsch, aber trotzdem irgendwie ganz süß.

Like Mint: Für Susi Wittig aus dem Erzgebirge, die heute in Berlin lebt, ist Melancholie nicht tieftraurig, sondern irgendwie erfrischend. So wie Minze. Und deshalb auch der Name. In Englisch, weil sie ihre Lieder auch darin singt. Lieder zwischen offenherzigem Gefühl und bezaubernder Verschwiegenheit.

Makatumbe: Als „einzigartige Mischung aus World und Future Pop“ bezeichnen die vier Musiker aus Hannover ihren Stilmix: Vokalakrobatik und Klarinette breiten sich mit Beatbox, Raggamuffin, Stimmimmitation und Obertongesang auf einer melodischen Akkordeon-Klangwelle aus, die auf einem massiven Groovegerüst aus Bass und Schlagzeug rollt.

Tangoyim: Die beiden Musiker nehmen die Zuhörer mit auf eine musikalische Reise von Osteuropa und der versunkenen Welt des jüdischen Shtetl bis hin ins Amerika der 1920er Jahre.

u.v.m.



Photo Credits: (1)-(3) Rudolstadt Festival, (5) Ezé Wendtoin, (6) Erik Rydvall, (7) Mariana Sadovska, (8) Sofia Rei, (9) Pauanne , (10) Ivarh, (12) Albin Paulus, (13) Humba Efau, (14) Makatumbe (unknown/website); (4) Duncan Chisholm, (11) Trad.Attack! (by Walkin' Tom).


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