Gabria "Gesungene Geschichten"
Edel/Record JET, 2022
Ich muss zugeben dass dieses Album viel besser ist als ich von dem eher kitschigen Design des Covers erwartet hätte - die Illustrationen und Fotos gaben mir den Eindruck einer Mittelaltermarkt-Minnesängerin, doch das Album bietet qualitative Folkballaden. Gabria, alias Christine Rauscher, hat eine angenehme Stimme, die sich gut eignet für die ausgewählten, deutschen und englischsprachigen, Balladen. Viele der Lieder sind, im traditionell keltischem Stil, von Gabria komponiert. Ja, manchmal - so bei „Red is the Rose“ - geht es schon ins schmalzige, aber insgesamt ist dies eine angenehme und warme Einspielung, die schön zu hören ist. Gabria begleitet sich meist mit Gitarre und manchmal low whistle, und es gibt auch einige Gastmusiker zu hören.
© Michael Moll
Hannes Wader "Noch hier - was ich noch singen wollte"
Stockfisch Records, 2022
Im englischen Sprachraum würde man Hannes Wader als „national treasure“ bezeichnen - der Sänger, Liedermacher und Poet Hannes Wader ist nicht wegzudenken im letzen Jahrhundert der deutschen Musikszene. In diesem Jahr feiert Hannes Wader seinen 80. Geburtstag - und warum sollte er das nicht als Anlass nehmen, sein 38. Album aufzunehmen – eben um das aufzunenehmen, was er noch singen wollte. Auch wenn er schon 2017 seine grosse Abschiedstournee unternommen hat, ist er dennoch künstlerisch aktiv gewesen - nach dem 2020 Livealbum „Poetenweg“, ist dies nun schon das zweite Album seit seinem „Abschied". Hannes‘ Stimme ist natürlich gereift, aber seine Personalität und die Auswahl seiner Lieder ist immer noch ganz wie immer.
Eine Mischung aus neuen eigenen Liedern Liedern von anderen Autoren und Volksliedern, feinfühlig eingespielt. Dabei sind reflektive Lieder, natürlich auch Appelle an die Menschlichkeit - so wie in „Um eine bessere Welt zu schaffen“, es geht auch sarkastisch-humorvoll (wie bei „Vorm Bahnhof“) und ein paar deutsche Volkslieder müssen auch dabei sein (so z.B. „Es dunkelt schon in der Heide“). Gekonnt und sanft begleitet wird Hannes von u.a. Jens Kommnick an der Bouzouki, Ulla van Daelen an der Konzertharfe, Lydia Auvray am Akkordion und Martin Bärenz am Cello.
Und auf dem französischen „Les Temps des Cerises“ kommt dann auch noch ein Duettsänger hinzu - Weggefährte der selben Generation, Reinhard May.
Wie passend, das Album mit „Noch hier“ zu enden - einem Gedicht, das ihm einst sein Freund Manfred Hausen zum Geburtstag schenkte. Doch ganz zu Ende ist es dann doch noch nicht mit „Noch Hier“ - denn kommt am Ende noch das Hölderlin’s Gedicht „An die Parzen“. Hoffen wir, dass es in kommenden Jahren noch mehr Gelegenheiten geben wird, zu hören, was Hannes sonst noch so singen wollte.
© Michael Moll
Sirocco "El Faro"
Sirocco Music, 2022
Sirocco, eine Band aus Schweden verbindet jüdische Musik mit
andalusischen und arabischen Elementen. Ihr Album "El Faro" ist eine
Reise durch die Kulturen. Liedern auf Jiddisch, Ladino, Hebräisch und
Arabisch können wir auf diesem zauberhaften Album hören. Schwermut und
tiefe Emotionalität, aus mehreren Jahrhunderten jüdischer Geschichte
treffen auf die immer wieder mutmachende Lebensfreude, die jüdische
Musik aussenden kann. "El Faro" spielt mit Arrangements der
sephardischen Juden aus Andalusien aus der Zeit der muslimischen
Besetzung, gibt aber auch immer wieder neueren Kompositionen Raum und
setzt bewegende lyrische Akzente. So wird aus einer Klezmerkomposition
auch mal eine Milonga. Die verzaubernde Stimme Sofia Berg-Böhms wird
dabei von schwerelosen Arrangements getragen. Patrik Bonnet trägt dazu
mit Flamencogitarre und Oud bei.
© Karsten Rube
Björn Gardner "Tre Sultna Magar"
Galdr, 2022
Der schwedische Folkmusiker Björn Gardner setzt seine musikalischen
Akzente zwischen Seventiesfolk, progressivem Rock und klassischen
Songwriterarrangements. "Tre Sultna Magar" heißt sein Album. Die Songs,
die in mittelschwere Melancholie getaucht sind, werden von Gardner
ausschließlich auf Schwedisch interpretiert. Die musikalischen
Arrangements sind verspielt, bleiben aber stilistisch abwechslungsarm.
Neben dem Gesang und dem Gitarrenspiel Gardners, hören wir drei
Sängerinnen im Background sowie Keyboards, Bass, Viola und ein
konservativ eingesetztes Schlagzeug.
© Karsten Rube
Marjo Smolander "Cosmologies"
Eigenverlag, 2021
Finnische Folklore erkennt man nicht nur an der Sprache. Der
Wechselgesang weiblicher Chöre zählt ebenso dazu, wie das
Nationalinstrument Kantele, eine griffbrettlose Kastenzither. Marjo
Smolander benutzt dieses Instrument auf ihrem Debütalbum "Cosmologes" um
finnische Folklore in eine aufregende Wechselbeziehung zu Pop- und
Weltmusik zu führen. In die meist melancholische, leise Seite der
finnischen Seele lässt die Musikerin aufgebrachten Rap ein. Dem kühlen
Ambiente skandinavischer Zurückhaltung versetzt sie Schwung durch heißen
Turaegblues. Dass musikalische Entwicklungen in unterschiedlichen
Kulturen verwandte Eigenschaften hervorbringen, lässt sich besonders
deutlich im Song "Toivo Hope" erkennen. Hier fließen die perlenden
Klänge der Kora Dawda Jobareths aus Gambia mit der Konzertkantele aus
Finnland zusammen. "Cosmologies" schwebt zwischen den Kulturen, wie
windbewegter Nebel. In mystischer Versenkung agieren die Musiker und
nehmen den Hörer mit in eine rätselhafte, verzaubernde Klangwelt.
© Karsten Rube
Britt Pernille Frøholm "Årringar"
Kviven Records, 2021
Die Jahreszeiten in Skandinavien sind emotionsgeladene Kracher, keine
gemächlichen, langsam an- und abschwellende Gemütsschwankungen, wie in
Mitteleuropa. Der Herbst, aufbrausend und stürmisch, der Winter rau und
dunkel, der Frühling verheißungsvoll, der Sommer kurz und voller Zauber.
Vier feurige Jahreszeiten, die Britt Pernille Frøholm auf ihrer
Hardanger-Geige musikalisch aufleben lässt. Der Kreislauf des Lebens ist
das Grundthema ihres Albums "Årringar", auf dem sie traditionelle Weisen
experimentell aufarbeitet. Das Echo der Vergangenheit und die unklaren
Vorausahnungen für die Zukunft fängt sie auf eine nahezu magische Weise
ein. Reduziert auf Geige und Kontrabass lotet sie die Grenzen zwischen
Tradition und Moderne aus und führt den Hörer dabei sicher durch die
wechselnden Jahreszeiten im Nordwesten Norwegens.
© Karsten Rube
Hazelius Hedin "Jordland"
Gammalthea, 2018
Die beiden schwedischen Folkmusiker Johan Hedin und Esbjörn Hazelius
sind Instrumentalisten von höchster Virtuosität. Hedin gehört zu den
besten Musikern auf dem schwedischen Nationalinstrument, der
Nyckelharpa. Hazelius ist bekannt als Folksänger mit warmer
Baritonstimme und verspielter Gitarrenkunstfertigkeit. Das Album
"Jordland" bereichert das vielfältige traditionelle Musikrepertoire
Schwedens um einige neue Kompositionen, setzt aber auch auf die
Interpretation alter Weisen. Das harmonische Zusammenspiel der beiden
Musiker und die sorgfältig arrangierten Kompositionen machen dieses
Album zu einem Hörgenuss.
© Karsten Rube
Marie Løvås "Natta Ser Det Som Ingen Ser"
Kirkelig Kulturverksted, 2020
Marie Løvås Album "Natta Ser Det Som Ingen Ser" erschien im Februar
unter der Produktion der Kirkelig Kulturverksted. Die Norwegerin legte
ein Debütalbum hin, das bereits nach kurzem Hören ein Verlangen nach
mehr förderte. Die Songs, die sie auf Norwegisch vorträgt, sind von
einem treibenden Rhythmus beseelt, der Pop und Countryelemente ebenso
benutzt, wie die erzählerische Kraft des Songwritergenres. Dabei spielt
sie wunderbar mit Stilen, die zwischen hoffnungsvoller Fröhlichkeit und
gedankenschwerer Melancholie wechseln. Ihre helle Stimme verzaubert. Die
klaren Arrangements lassen einen nicht los. Ein Debütalbum einer jungen,
musikalisch aber bereits recht reif wirkenden Frau, von der ich hoffe,
bald mehr hören zu dürfen.
© Karsten Rube
Uusikuu "Flamingo"
Nordic Notes, 2019
Die Lust, sich in die Schwermut des Tangos fallen zu lassen, ist in
Finnland besonders ausgeprägt. Darüber woran das liegt, kann man nur
spekulieren. Sind es die langen Nächte im Winter oder die vielen Mücken
im Sommer? Man weiß es nicht. Was aber bekannt ist: finnische Musik
lässt den Hörer nicht kalt. Das Tangoorchester Uusikuu, das eigentlich
nur zwei Finnen, die Sängerin Laura Ryhänen und den Violinsten Mikko
Kuisma als Muttersprachler aufweisen kann und sich sonst eher in
Deutschland angesiedelt hat, schwelgt auf dem 2019 erschienenen Album
"Flamingo" in bester Vintagestimmung. Damals, vor Corona, als man noch
eng tanzen durfte, haben sich die fünf Musiker die Tanzmusik der 1930
bis 1960 Jahre vorgenommen. Schöne alte Tangos, Foxtrotts, Swingnummern,
die eigentlich schon mächtig Staub angesetzt hatten, sind auf diesem
Album zu hören. Diese finnischen Tanzperlen erscheinen nach einer
gründlichen Politur nun frisch, aber mit dem Charme einer interessanten
Vergangenheit auf dem Parkett, das die rührigen Musiker von Uusikuu
ihnen bieten. "Flamingo" ist ein Album, das angenehm berührt, manchmal
ein wenig rührselig und nostalgisch wirkt, mich zumindest aber nicht
kalt gelassen hat.
© Karsten Rube
Anti Paalanen "Rujo"
Westpark, 2019
Elektronischer Zeitgeist, tanzbarer Pop und der Geist der finnischen
Akkordeonfolklore schwebt durch die innovativen Sounds des Musikers Anti
Paalanen. Diese elementare Energie der aktuellen Musik Finnlands, diese
Mischung aus Rohheit und Melancholie zieht sich durch das ganze Album
"Rujo", die Anti Paalanen 2019 produziert hat. Sein Gesang kippt dabei
immer wieder in dieses kehlige Brummen um, das aus der Musik der
Mongolei und Tuva bekannt ist. Auch hier drängt sich das Archaische in
die Musik Paalanens. Die Folkmusik des Künstlers kokettiert mit
zahlreichen populären Stilen. Ein höchst wirksames Mittel, ein breiteres
Publikum anzusprechen.
© Karsten Rube
Melchi Vepouyoum "Femju"
Ndaluu Music, 2022
Der aus Kamerun stammende Gitarrist und Sänger Melchi Vepouyoum lebt
seit Jahren in Bonn. Hier verarbeitet er musikalisch seinen Wechsel vom
afrikanischen Dorf in die Großstadt, singt mit warmer Stimme vom Leben
seiner Eltern und von der Bedeutung von Solidarität und Liebe. Dies
alles im belebenden Takt seiner organischen Arrangements tanzbarer
afrikanischer Rhythmen.
© Karsten Rube
Ballaké Sissoko "Djourou"
No Format/Indigo, 2021
Einer der hervorragendsten Koraspieler Afrikas, ist der in Mali
beheimatete Ballaké Sissoko. Auf seinem 2021 erschienen Album "Djourou"
umgibt sich der Meister der afrikanischen Lautenharfe mit zahlreichen
Künstlern der Weltmusik. Die Sängerin Sona Jobarteh, selbst bekannt für
ihr meisterhaftes Koraspiel ist darunter, der Weltmusikstar Salif Keita,
der Cellist Vincent Segal, die französische Sängerin Camille, sowie der
anglo-italiensiche Folkmusiker Piers Faccini und der Rapper Oxmo
Puccino. Sie alle haben unterschiedliche musikalische Hintergründe.
Sissoko verbindet diese, spannt ein Band zwischen den Welten und bindet
eine musikalische Schleife darum. Sissokos Koraspiel steht zweifellos im
Vordergrund dieses Albums. Die einzelnen Künstler bringen jedoch
unterschiedliche Einflüsse zum Tragen. Camille haucht dem perlenden
Koraspiel ein rauchiges Jazz-Club-Empfinden hinzu. Mit Piers Faccini
zelebriert er ein zartes Volkslied, in dem neben dem Gesang, Kora und
Gitarre miteinander agieren. Wie zwei Welten sich verbinden, wird im
Song "Frotter Les Mains" deutlich, in dem Oxmo Puccino rappend den
malischen Musiker ergänzt. Die Verbindungen, die Sissoko und seine Gäste
knüpfen, lassen Tradition und Moderne verschmelzen. "Djourou" ist ein
Album, das in seiner Schönheit atemberaubend ist.
© Karsten Rube
Ibrahima Cissokho & Mandingue Foly "Liberté Mom Sa Bop"
NarRator/Broken Silence, 2020
Dass die Kora, jene magische Harfe aus Westafrika nicht nur zarte,
verzaubernde Klangperlen zu bieten hat, sondern zu Weilen auch
ordentlich grooven kann, hört man auf dem Album "Liberté Mom Sa Bop" des
senegalesischen Künstlers Ibrahima Cissoko. Eingespielt hat er es mit
seiner Band Mandigue Foly. Das Album findet einen äußerst tanzbaren Weg,
die traditionelle Griotmusik Westafrikas mit den Elementen des Afropops
und der Funkmusik zu kombinieren.
© Karsten Rube
Maija Kauhanen "Menneet"
Nordic Notes, 2022
Die finnische Sängerin und Kantelespielerin geht neue Wege. Ihre Kantele hat sie in Zusammenarbeit mit ihrem Vater so verändert, dass die Basssaiten nach unten gebogen sind und mit einem Cellobogen gespielt werden können, statt gezupft zu werden. Absolut eine klangliche Bereicherung. Und sie führt auch weitere Änderungen ein, entfernt sich von der finnischen Tradition, fordert Gehörgewohnheiten heraus, bringt samische Einflüsse in ihren Gesangsstil. Eigentlich ist jedes Stück auf der CD eine Überraschung – wir hören Kuhglocken im Hintergrund, und es müsste alpin klingen, aber Gehörgewohnheiten werden ja herausgefordert, und deshalb klingt es chinesisch. Es gibt eine Art Sprechgesang, nicht ganz Rap, aber die Richtung ist klar, und dann wird es ganz sanft, vielleicht, weil es oft um Erinnerungen geht, oder um die Sehnsucht nach einem Ort, wo wir uns sicher fühlen können. Finnischkenntnisse sind übrigens für den Genuss dieses außergewöhnlichen Albums nicht zwingend nötig (wenngleich sie den Genuss sicher noch steigern).
© Gabriele Haefs
Susan Cattaneo "All is quiet"
Continental Record Services, 2022
Susan Cattaneo, Songschreiberin aus den USA, ist hierzulande noch nicht so bekannt, wie sie es zweifellos verdient hätte. Zur Orientierung: Fans der frühen Suzanne Vega werden Susan Cattaneo lieben. Zurückhaltend, unaufdringlich, solche Adjektive fallen beim ersten Hören ein, dann entdeckt die Hörerin zu ihrer freudigen Überraschung, dass die Lieder im Kopf bleiben und dass einzelne Zeilen und Melodiefolgen immer wieder durch die Gedanken ziehen. Ein Genuss ist das Lesen der Infos, die der CD beiliegen, die Beschreibungen erinnern an eine Weinkarte, so viele schöne Adjektive werden da angebracht: Delikate, rhythmische Senkung, (über das Titelstück), pulsierend in mittlerem Tempo, ruhige, sanfte Stimmung, nach oben strebende Harmonien, intim und verträumt, ach, wer gerät da nicht ins Träumen. Und die Texte? Die behandeln den Alltag, mahnen uns, den kleinen Glücksmoment auszukosten, zeigen, wie wir kleine Fehler aus unserer Vergangenheit mit uns herumtragen, während sie wachsen und immer neues Unheil anrichten.
© Gabriele Haefs
Méabh "Mise le meas/Yours sincerely"
Eigenverlag, 2021
Méabh, in der alten Schreibweise Medb, war eine kühne kriegerische Königin aus den irischen Sagas des Mittelalters, übersetzt bedeutet der Name: die Berauschende. Einen besseren Namen hätte es für die irische Sängerin Méabh Ní Bheaglaoich also gar nicht geben können, ihre Musik macht süchtig! Méabh stammt aus Corca Dhuibhne in Kerry, wo Irisch Alltagssprache ist. Da sie aber weit in der Welt herumgekommen ist, greift sie auch manchmal zum viel weniger klangvollen Englisch – doch selbst das klingt poetisch und bezaubernd, so, wie sie es singt. Sie spielt dazu Konzertina, und sie hat eine geniale Hand bei der Auswahl ihrer Studiogäste. Auf dieser CD singt sie eigene Lieder und Traditionals, dazu auch ein von ihr selbst vertontes Gedicht des irischen Nobelpreisträgers William Butler Yeats. Instrumental- und Gesangsstücke wechseln einander ab, und einige Melodien haften sofort im Ohr der hingerissenen Rezensentin, z.B. die Liebeserklärung an die Stadt Galway, und das choralartige „Amhrán na nGael“ („Lied der IrInnen“).
© Gabriele Haefs
Annbjørg Lien "Janus"
Grappa, 2022
Annbjørg Lien, Hardingfelevirtuosin aus Norwegen, benennt ihre neue CD nach dem römischen Gott Janus. Selbiger hatte bekanntlich zwei Gesichter an einem Kopf und konnte damit in verschiedene Richtungen schauen. Der Titel ist zweifellos symbolisch für die Musik auf diesem Album – einerseits der norwegischen Tradition verhaftet, andererseits poppig und international und als ob die Künstlerin eine Karriere als Hotelbarsängerin anstrebt. Weshalb sie nun auch auf Englisch singt, zu selbstgedichteten Texten wie „The clock is ticking“. Auch die Melodien hat sie selbst verfasst, bleibt hier jedoch der Musik ihrer Heimat verbunden und kann ihre ganze Virtuosität zeigen. Bei den Instrumentalstücken mixt sie auch gern die Stile, geht fast bruchlos von einer typischen Hardangerweise zu einem poppigen Stück über, Barmusik eben. Wunderschön ist „A silver spoon“, bei dem sie sich auf das Repertoire des Landfahrers Peter Strømsing bezieht und sich das Leben von Norwegens bitterarmer nichtsesshafter Bevölkerung in früheren Zeiten vorstellt.
© Gabriele Haefs
Millpond Moon "Sweeter than wine"
Eigenverlag, 2022
Der Blick auf die Website des norwegischen Duos macht Angst: Das grauenhafte Englisch („they have created they’re own sound“) wird doch nicht auf die Musik übergreifen? Keine Sorge, tut es nicht. Kjersti Misje und Rune Hauge und ihre zahlreichen Studiogäste liefern country-geprägte Musik. Alle Lieder stammen von Rune Hauge. Beide spielen Gitarre und singen gern im Duett, die Älteren unter uns werden sich an Tammy Wynette und George Jones erinnert fühlen, und das ist nun wirklich kein schlechter Vergleich. Das Singen im Duett lädt natürlich zu romantischen Momenten ein, entsprechend sind die Melodien zumeist langsam und einschmeichelnd, zwischendurch fetzen sie aber auch ganz schön los, wie es sich gehört auf einem teilweise in Nashville aufgenommenem Album. Andere Aufnahmeorte sind Bergen und Oslo in Norwegen und Andalusien, ohne nähere Ortsangabe, aber sie haben in der Musik keine Spuren hinterlassen.
© Gabriele Haefs
Jennifer Cutting’s Ocean Orchestra "The Turning Year"
Eigenverlag, 2021
Jennifer Cutting aus den USA (mit englischen und irischen, musikalisch aktiven Großvätern) ist bei A. L. Lloyd in die Lehre gegangen, und das hört man – und doch hat sie ihren eigenen Stil entwickelt, der sich eng an englische Traditionen anlehnt. Sie hat einen Hang zu hymnenhaften Gesängen, gern mehrstimmig vorgetragen. Solche Lieder machen den Hauptteil dieser verdammt noch mal viel zu kurzen CD (unter 30 Minuten!) aus. Dazu kommen ein Lied, das zur Melodie von „Tramps and Hawkers“ die Wahrheit über Robin Hood erzählt, und eine bretonische Ballade, leider hier in französischer Übersetzung (der Sänger Steve Winick fühlt sich mit dieser Sprache hörbar unwohl, da hätte er doch gleich das klangvollere Bretonisch nehmen können!). Darin geht es um die prachtvolle Stadt Ys, die alle anderen Städte in den Schatten stellte, worauf die neidischen Franzosen versuchten, auch so eine schöne Stadt zu bauen, und sie Par-Ys nannten, „wie Ys“. Als Krönung des Hörgenusses gibt es noch zwei Carolan-Planxtys, angereichert mit einem Text des romantischen irischen Dichters Thomas Moore.
© Gabriele Haefs
Graeme James "Seasons"
Nettwerk, 2022
Graeme James kommt aus Neuseeland, und die Schreibweise seines Namens erinnert natürlich sofort an seinen großen Landsmann Graeme Allwright. Die Assoziation scheint zu stimmen, wenn das erste Stück mit einem Banjo-Intro losgeht, das wir auch bei Graeme A. finden können. Dann aber trennen sich die musikalischen Wege der beiden – Graeme James liebt die hohen Töne, sein Gesang klingt also ganz anders, oft viel zarter und melancholischer. Er schreibt seine Lieber selbst, und er begleitet sich dabei auf einer Vielzahl von Instrumenten, Banjo eben, Gitarre, Mandoline. Bass, Ukulele, Akkordeon, und als ob das noch nicht reichte, hat er sich für dieses Album Freunde ins Studio kommen lassen, die Klavier, Schlagzeug und Flügelhorn spielen. Wunderbare musikalische Vielfalt also. Seine Lieder handeln vom Alltag, sind nicht immer besonders folkig – vor allem „Everlasting love“ könnte bei jedem Schlagermove mitmachen. Aber er orientiert sich durchaus an klassischen Vorbildern, z.B. bei der Schiffbruchsballade „The Voyage of the James Caird“.
© Gabriele Haefs
Deidre McCalla "Endless Grace"
Eigenverlag, 2022
Deidre McCalla, der Name klingt fast irisch, und immerhin, das zweite Lied („Shoulder to the wheel“) ist schönes Country & Irish, Ansonsten präsentiert sich die Liedermacherin aus den USA – Beschreibung aus den Presseinfos: „Eine Schwarze Frau, Mutter, Lesbe, Feministin und Liedermacherin seit fast fünfzig Jahren“ – mit einer Vielzahl von Stilen. Die Lieder sind alle selbstverfasst, Deidre McCalla spielt Gitarre und hat allerlei Studiogäste dazugeholt, z.B. den Meistergeiger Billy Contreras. Viele Liedertitel klingen wie Choräle: „I do not walk this path alone“ oder: „That’s how we pray“, aber man braucht nicht fromm zu sein, um sich über die stimmliche Kraft der Sängerin und ihre Botschaft von Solidarität und gegenseitiger Hilfe zu freuen.
Warum diese wunderbare Sängerin hierzulande noch so wenig wahrgenommen wird, bleibt ein Rätsel; dieses Album erweckt Erinnerungen an die goldenen Zeiten, in denen im Gefolge von Alix Dobkin immer neue liederschreibende Lesben aus den USA herüberkamen, vielleicht bricht ja eine neue goldene Zeit an.
© Gabriele Haefs
Hans Fredrik Jacobsen "Svadilja"
Grappa, 2022
Der norwegische Instrumentalvirtuose (er brilliert u. a. auf Akkordeon, Sackpfeife und Oud) stellt hier auf ein Instrument vor, das ihm besonders am Herzen liegt: die Weidenflöte. Sieben verschiedene Flöten spielt er auf diesem Album, allesamt hat er selbst geschnitzt. „Eine gute Flöte zu schnitzen, ist das pure Glück. Manchmal denke ich in solchen Momenten, alle sollten das machen, wenn der Wald grün und voller Leben ist. Es gibt jede Menge Weiden und es kostet nichts.“ Um das Genrebild perfekt zu machen, wurde die CD im Waldgebiet Krokskogen aufgenommen, das Vogelgezwitscher im Hintergrund stammt also nicht aus der Konserve, die Vögel waren live dabei. Die meisten Melodien hat er selbst komponiert, einmal singt er sogar, andere stammen vom Kollegen Eivind Groven und von Wolfgang Amadeus Mozart („Grüß Gott, du schöner Maien“). Dass Jacobsen gerade bei Mozart einige Male einen schrägen Ton bläst, trägt wunderbar zur Freiluftatmosphäre bei!
© Gabriele Haefs
Roving Crows "Awaken"
Eigenverlag, 2022
Die Roving Crows sind eine englisch-irische Band, die ihre musikalischen Inspirationen aus der englischen und der irischen Tradition gleichermaßen bezieht, das steht in ihren Presseinfos. Die irischen Inspirationen kommen vor allem in den wirklich umwerfenden Instrumentalstücken zum Ausdruck, bei denen die Geigerin Caitlín Barrett ihre Virtuosität so richtig zeigen kann. Die Instrumentals sind traditionell, die Lieder haben die Bandmitglieder Caitlín Barrett und Paul O’Neill selbst geschrieben. Gleich das erste zeigt, wo es lang geht: „Awaken now!“, und das wird betont durch das Intro, das auf Electric-Folk-Zeiten zurückweist, es klingt wirklich wie Five Hand Reel zu ihren besten Zeiten. Wacht auf, rufen die Krähen trotzig, die Zustände sind unerträglich und wir müssen etwas daran ändern. Wobei sie auch vor großen Worten nicht zurückschrecken: „The conscience of your country is down to you!“ Allerdings, auch wenn es vom Musikalischen her wild und trotzig weitergeht, auch die Liebe kommt zu ihrem Recht. Wunderbar ist „Stanhope Street“ über ein Rendezvous an der Pommesbude!
© Gabriele Haefs
Buster Sledge "Call Home"
Grappa, 2022
Das norwegisch-amerikanische Trio Buster Sledge orientiert sich an Country & Bluesgrassvorbildern, vor allem Flatt und Scruggs. Kein Wunder, sie haben in ihren Reihen den einzigen examinierten Diplom-Banjospieler Norwegens, Mikael Jonasson aus Bodø im Norden Norwegens. Aus dem Norden Kaliforniens stammt Michael Barrett Donovan, der auch die meisten Texte auf diesem Album geschrieben hat. Zudem singt er, und er bevorzugt leise Töne, ein bisschen einschmeichelnd, manchmal melancholisch, selbst bei fetzigen Melodien. Und fetzen können sie, richtig wunderbar, Herr Donovan ist ein wahrer Teufelsgeiger. Der dritte im Bunde ist Jakob Folke Ossum, der vom Jazz herkommt und mit seiner Gitarre der Musik seine eigenen Impulse beisteuert. Die drei lieben lange Intros, immer wieder denkt man, jetzt kommt ein Instrumental, aber dann setzt der Gesang ein. In jeder Hinsicht also eine CD voller interessanter Überraschungen.
© Gabriele Haefs
Umbra "Bjargrúnir"
Nordic Notes, 2022
Felsrunen, klar, wenn eine CD so heißt, erwartet man schon etwas, das irgendwie schicksalhaft klingt, als ob irgendwie die Götter ihren Finger an den Saiten haben. Die auf Isländisch und Englisch im Beiheft abgedruckten Texte klären auf. Das mit den längst vergessenen Gottheiten stimmt nur bedingt, ein Lied, das „Ásukvæđi“ heißt, könnte als „Asenlied“ übersetzt werden, ist aber die Geschichte der schönen Ása und ihrer tragischen Liebe zu einem Leibeigenen. Karl der Große als romantischer Balladenheld ist eine Überraschung, dass es in Sagen und Liedern nördlich der Alpen überall von Schwänen wimmelt, die Menschengestalt annehmen können, dagegen nicht. Die ersten Lieder klingen wirklich fast sakral, wie aus einer Götterbeschwörungszeremonie entnommen, aber es geht auch temperamentvoll und fröhlich zu. Die Texte geben allesamt die Sicht von Frauen auf Liebe, Kampf, Verrat, Arbeit und Sippe wieder. Sie stammen aus der Sammlung des Pastors Bjarni Þorsteinsson, aber auch epische Dichtungen aus dem Mittelter (und in früheren Sprachformen des Isländischen) und die allerersten Tonaufnahmen alter Sängerinnen vom Anfang des 20. Jahrhundert waren wichtige Inspirationen. Das Resultat – eine wahre Göttergabe von CD!
© Gabriele Haefs
Sina Theil "Live!"
Eigenverlag, 2021
Sina Theil stammt aus Deutschland, lebt in Irland und ist dort ungeheuer populär, und zwar in der Szene, die Country&Irish liebt, das verrät die Presseinfo, und die Musik überzeugt total, in jeder Hinsicht. Sina Theil hat eine wunderbare Stimme, die in den besten Augenblicken an die von Dolores Keane erinnert, sie spielt Gitarre und hat ein kluges Händchen für schmissige Arrangements. Die Auswahl auf diesem Album hat etwas von Greatest Hits, wir hören altbekannte Lieblinge wie „Caledonia“, „Red is the Rose“, „Grace“, „Leaving Nancy“, „Green fields of France“ (wo der Originaltext ein bisschen verändert ist, warum „dead heroes“ für das irische Publikum aktzeptabler sein sollen als die „glorious fallen“ von Eric Bogle bleibt das Geheimnis der Sängerin). Da wir es mit Country & Irish zu tun haben, ist alles im Dreivierteltakt arrangiert, das Schlagzeug im Hintergrund sorgt für den Showband-Effekt, und das ist eine schöne Erinnerung in einer Zeit, in der die legendären irischen Showbands endgültig der Vergangenheit angehören zu scheinen.
© Gabriele Haefs