FolkWorld #64 11/2017
© Christian Biadacz (28IF MUSIKPROMOTION)

Wichtig ist nur, du bleibst flüchtig ...

Manfred Maurenbrecher hat mit "flüchtig" ein Album über das Unterwegssein geschrieben. Mehrmals beschäftigt er sich dabei auch mit Flucht, der schmerzhaften Reise der Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben werden: »Kein Album, das früh morgens sein Handtuch auf die Liege vor dem All-Inclusive-Pool legt.« Hierzu ein kurzes Interview.

Manfred Maurenbrecher

Artist Video Manfred Maurenbrecher @ FROG

www.maurenbrecher.com

Herr Maurenbrecher, was bedeutet Ihnen das Unterwegssein?

»Aufmerksam werden, Details wahrnehmen, überrascht sein, glücklich zu fahren, und in der Fremde: raten anstatt zu wissen.«

Es geht auf dem Album wirklich um unterschiedlichste Arten des Reisens, auch erzwungene, also: Flucht. Wie sehen Sie die aktuelle Flüchtlingssituation?

»Lange erwartbar und unvermeidlich. Die Teile der Welt, in denen es sich erträglich leben lässt, werden kleiner. Gastfreundlicher werden ist die Lösung für alle, die es noch gut haben. Zumal wir in Deutschland bevölkerungsmäßig am Abnehmen sind. Unsere Freundlichkeit würde außerdem viele, die hierher fliehen, davon überzeugen können, wie gut es tut, so offen zu leben, wie wir es können - wie wir es uns erkämpft haben. Das bösartige Misstrauen in den reichen Ländern, die Kleinlichkeit spornen den Hass doch nur an. Den unsere Einmischungen im Nahen Osten und in Afrika übrigens mit hervorgebracht haben. Wir hätten einiges zurückzugeben - außer ausgerechnet Waffen oder Nestlé.«

Was bewegte Sie als Künstler dazu, Lieder über die sogenannte Flüchtlingskrise zu schreiben?

»Ich spiele mit dem was passiert und bei dem ich spüre, daß es mein Leben unmittelbar beeinflussen wird. 1994 kam ‚Kakerlaken‘, ein Lied über ausgesprochen widerstands- und verwandlungsfähige Lebewesen, das in gewisser Weise vorwegnimmt, was jetzt passiert - ich spiele es seit einer Weile nicht mehr, weil manche es wörtlich nehmen könnten - die Ironie verpuffen würde. Vielleicht kommt es ins neue Programm zurück.«

Im Lied "Zu früh" heißt es: "Red nicht immer, hilf doch lieber mit". Wie sieht Ihr politisches Engagement aus?

Manfred Maurenbrecher: Flüchtig
Wichtig ist nur, 
du bleibst flüchtig; 
einmal angekommen, 
wirst du’s nicht mehr sein.

»Meine Arbeit, meine Kunst ist politisch. Ich spreche die Themen an, die mich bewegen, werfe sie in die Diskussion. Jeder ändert die Welt mit dem, das er in seinem unmittelbaren Umfeld tut. Es folgt immer eine Kettenreaktion, die ihren Ursprung im Kleinen hat.«

Wie könnte der Flüchtlingsstrom Ihrer Ansicht nach beendet werden?

»Gar nicht, kurzfristig. Das Ungleichgewicht ist zu groß. Wenn wir uns mit wirklich großzügiger Kooperation afrikanische Länder zum Freund machen, gelingt es vielleicht, dass dort die Menschen in zehn Jahren so gut leben können, dass sie wieder gerne bleiben oder zurückgehen. In Bosnien nach dem Krieg in den Neunzigern ist das teilweise gelungen - in Sarajewo vor drei Jahren habe ich viele knapp 30jährige getroffen, die als Kinder bei uns waren und sich herzlich gern an Deutschland erinnern, aber auch herzlich gern wieder zuhause sind. Vorausgesetzt: es versinkt dort nicht alles wieder in Korruption und Feindschaft. Was wir uns für hier ja auch wünschen!«

Was kann man jetzt tun, damit es nachher nicht "viel zu spät" ist? Auch ein Zitat aus ihrem Lied.

»Wer heute ‚Viel zu früh‘ sagt, dem ist es morgen ‚viel zu spät’. Im Boxsport gilt: ‚Roll with the punches‘. Völlig sinnlos ist, Europa als Festung aufzubauen. Statt den Aufbrechenden vorzuwerfen, dass sie Tausende für Schlepper zahlen, sollten wir für billige Reisewege und offene Grenzen sorgen, europaweit Milliarden in Ausbildungen und Ansiedlungsflächen investieren, einen Wettbewerb der Gastfreundschaft und Qualifizierung ausrufen. So wie mein Lieblingsdichter Hanns Henny Jahnn in den Zwanzigern (Drama ‚Straßenecke‘) den ‚Mischling‘ (wie er damals schrieb) zur Krönung dieser Schöpfung erklären und endlich zu einer humanen Form des Zusammenlebens finden. Zu einer menschen-gerechten Globalisierung - Na ja, spinnen darf man wohl noch manchmal …«


Photo Credits: (1)-(2) Manfred Maurenbrecher (by Foto: Kristjane Maurenbrecher / kapuzina).


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