FolkWorld Ausgabe 36 07/2008; Artikel von Karsten Rube


Radio Days - Vom Verblassen des Regenbogens
Oder: Warum wohl Radio MultiKulti abgeschaltet wird

Verluste sind für den Menschen immer schmerzliche Erfahrungen. Verliert er sein Leben, sind die meisten seiner Probleme wahrscheinlich für ihn gelöst, verliert er seine Heimat, fangen die Probleme allerdings an ziemlich massiv zu werden. Der Rundfunk Berlin Brandenburg bläst zum 31. Dezember 2008 seinem jahrelang gepflegten Senderkind “Radio Multikulti” im Alter von dann 14 Jahren das Lebenslicht aus.

Der Sender glaubt, damit einen Teil seiner Probleme zu lösen. Für die vielen Hörer, die ohnehin schon aus anderen Kulturen kommen, deren Heimat also weit weg ist, bedeutet die Abschaltung eines Senders, der sich ihrer speziellen Probleme annimmt, dass sie um ein weiteres mal heimatlos gemacht werden.
Radio Skala

www.multikulti.de
Und für die vielen einheimischen Freunde des Senders, denen es dank Radio Multikulti gelang, auf einer einzigen Welle um die ganze Welt zu surfen, die in fremde Länder eingeladen waren, der Musik ganz unterschiedlicher Hörgewohnheiten lauschen lernten, für die wird es sein, als sei ihnen die mediale Reisefreiheit genommen. Es ist eine Art Mauerbau im Äther.

Radio Multikulti wurde vor 1994 Jahren mit dem Anspruch gegründet, den vielen fremden Kulturen in Berlin eine Welle zu geben, die ihren Ansprüchen gerecht werden sollte. Multikulti sollte integrationsfördernd sein und Brücken schlagen zwischen Menschen und Kulturen. Radio Multikulti wurde mehr als ein Brückenbauer. Multikulti ist zum Begriff für tolerantes Leben in einer Stadt geworden, deren Kulturenvielfalt zu der weltweit buntesten gehört. Und das entgegen den nimmermüden Trends von Kurier und BZ und anderen konservativen Tröötorganen, die Unvereinbarkeit von Fremd und Eingeboren zu propagieren.

Radio Multikulti praktizierte interkulturelles Händeschütteln. Nicht auf Grund von trockenen und halbherzigen Abgeordnetenbeschlüssen, sondern mit der ganzen Saftigkeit einer lebensfrohen Party. Das Für und Wider, die positiven und negativen Seiten von Migration und Integration spielten für den Sender eine Rolle, das Zielpublikum fühlte sich immer gefragt und immer vertreten. Es wurde diskutiert und gelacht und Musik gespielt, die sich nie auf die Beliebigkeit eines Best-of-Pop-Senders reduzieren ließ. Einer der wesentlichen Punkte des verloren gegangenen Versorgungsauftrages der öffentlichen Medien fand auf Multikulti statt: “Setz dem Hörer etwas vor, das interessant für ihn ist! Bringe Neues, lass ihn hören, lass ihn lernen! Wiederhole dich nicht und langweile den Hörer niemals!”

Sender, die die Intelligenz und den Geschmack ihrer Hörer unterschätzen, bieten ihm immer wieder denselben drögen Doseneintopf an. Doch wenn der Hörer keine Alternative findet, wird er diesen Eintopf irgendwann für köstlich halten. Abstumpfung durch Hörfunk praktizieren in diesem Land Hunderte von Radiosendern. Qualität ist Mangelware. Die meisten Sendungen besitzen die Qualität einer Dose aufgewärmter Graupen.

Der RBB hält sich zu Gute, qualitativ hochwertige Programme zu produzieren. Sieben Radiosender unterhält er, mit unterschiedlichen Hörerinteressen. Darunter ist das Radio für die Reiferen, das genauso ernst genommen wird, wie das für den Jungspund. Ein Infosender, ein Programm für die ganze Region und ein verspieltes Radio nur für Erwachsene, sowie ein Kulturradio für das Bildungsbürgertum und einen Infokanal. Dazu das Integrationsradio für Eingewanderte und Hiergeborene. Die Suppe, die der RBB da bisher kochte, war so voller Zutaten, dass man hoch genug schwamm,
Yungchen Lhamo; photo by Michele Turriani
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dass man den Tellerrand, über den man gucken wollte, gar nicht mehr wahrnahm. Das ist nun vorbei. Ein weiterer Schritt in Richtung Verdummung, Geschmacksarmut und Desinformation.

Radio Multikulti nannte eine seiner zahlreichen Sendungen “Most - Die Brücke”. Die Brücke ist ein Synonym für das Aufeinanderzugehen, das Überwinden von Trennungslinien. Es gehört bedauerlicherweise zu den erfolgreichsten Methoden der Kriegsführung aller Zeiten, Brücken zu zerstören. Die Anstaltsleitung des RBB hat sich dazu herabgelassen, sich als Täter in einem Krieg benutzen zu lassen, in dem es um Interessensicherung und Einfluss geht. Einfluss auf Konsumenten.

Geführt wird dieser Krieg mit Gebührengeldern, mit deren gesteuerter Verteilung oder deren gezielter Zurückhaltung. Wo Geld zu verteilen ist, ist Einfluss zu gewinnen. Journalismus hat die Pflicht, politisch unabhängig und unbeeinflussbar zu sein. Aber was für den Journalisten gilt, gilt das auch für den Sendekonzern, der den Journalisten anstellt? Intendanten und Direktoren haben andere Entscheidungen zu treffen, als Journalisten Und anderen Einflüssen standzuhalten.

Einflussreich ist ein Sender. Meinungsbildend ist ein Sender. Was soll ein Mensch glauben, wenn nicht das, was er hört und sieht und liest? Im Zusammenhang mit seinem eigenen Erleben wird er sich ein Bild machen. Und was ist politisch weniger gewünscht als ein mündiger Bürger mit dem schadhaften Drang, selbst zu denken? Einflüsse von Politikern und Lobbyisten auf Informationsübermittler sind nicht nur unvermeidlich, sondern seit Beginn der Informationsübermittlung an der Tagesordnung. Ein Medienkonzern (auch der RBB ist als Teil der ARD ein Betrieb in einem konzernähnlichen Gebilde) ist immer nur so unabhängig, wie es die Politik zulässt. Die Einflüsse von Politik und Wirtschaftsinteressen auf die Medien sind bei aller Freiheit, der sich das öffentliche Medium rühmt, groß genug, um die Verteilung der für die Ausübung dieser Freiheit notwendigen Finanzen zu steuern.

“Der RBB ist unverschuldet in Not geraten”, sagte Dr. Ulrike Liedtke, Vorsitzende des RBB-Rundfunkrates. Schuld daran sei allein die Ungerechtigkeit bei der Gebührenverteilung. Tatsächlich bekommt der RBB wesentlich weniger Gebühren zugeteilt, als sein objektiver Finanzbedarf benötigt. Im Gegenzug dazu ist bekannt, dass einige andere Anstalten aus der Gebührenerhebung mehr schöpfen können, als für die Deckung ihres tatsächlichen objektiven Finanzbedarfes nötig wäre. Der oft erwähnte Finanzausgleich zwischen den ARD-Anstalten, wie ihn der Rundfunkgebühren-Staatsvertrag regelt, findet in der Realität nicht statt. Und das trotz der regelmäßigen Prüfungen des objektiven Finanzbedarfes der einzelnen Sendeanstalten durch die unabhängige Kommission (KEF) und deren Empfehlungen.

Im Radio-Multikulti-Interview wenige Stunden nach der Pressemitteilung über die bevorstehende Hinrichtung des Senders, sagte der RBB-Hörfunkdirektor Christoph Singlnstein auf die Frage des Moderators Christian Stahl, was denn wäre, wenn jemand das Geld für den Sendeerhalt von Radio Multikulti aufbringen würde, dass das Radio dann trotzdem abgeschaltet werden würde. Die Finanzregelung von Gebührengeldern ließe nichts anderes zu. Das mag stimmen, wenn ein großzügiger saudischer Multimillionär käme und das Geld spenden würde. Ein öffentlicher Sender unterliegt der Öffentlichen Finanzierung und nicht der gesponserten.
Telmo Pires, www.telmo-pires.de
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Das Geld für den Erhalt des Senders muss aus den öffentlichen Mitteln wie den Gebühren stammen. Dass man einzelnen kleineren und finanziell minderversorgten Sendern die objektiv benötigten Gelder bewusst vorenthält, ist Vorteilsnahme und Druckmittel zugleich.

Das widerspricht dem Rundfunkgebühren-Staatsvertrag und dem Auftrag, dem sich die ARD und deren Anstalten laut Rundfunk-Staatsvertrag verpflichten:

Multikulti ist demnach die einzige denkbare Streichvariante auf Grund der Finanzierungsungerechtigkeit? Wo ich als den stetigen Gebührenerhebungen folgender Gebührenzahler immer glaubte, dass meine Rundfunkgebühren bei allem Schrott, der damit produziert wird, wenigstens auch dafür genutzt würden, um Sender wie Arte oder Radio Multikulti möglich zu machen, besitzt der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Frechheit mit meinen Gebührengeldern zu entscheiden, was ich sehen und hören darf und was nicht?

“Radio Multikulti zu erhalten, hieße Abstriche an der Qualität der anderen sechs Sender hinnehmen zu müssen.” Hört man diese Verlautbarungen der Verantwortlichen vom RBB, wie Hörfunkdirektor Singlnstein und Intendantin Reim, so erscheinen doch angesichts der oben zitierten Paragrafen ein paar Ungereimtheiten. “Wir übernehmen mit Radio Europa ein ähnliches Programm aus Köln.” So die Ausflüchte. Bei allem Respekt für das wirklich respektable Programm des WDR - wie ist es mit dem “umfassenden Überblick über das regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen”? Die wesentlichen Lebensbereiche spielen sich neben Marzahn und Charlottenburg, Potsdam und Berlin-Mitte nun auch mal im Wedding und in Kreuzberg und in Neukölln ab. Und sie sind musikalisch wie sprachlich weder mit Radio Eins, noch mit Fritz, noch mit Kulturradio zufrieden zustellen - und auch nicht mit den regionalen Problemen vom Rhein.

Singelnstein muss wieder einmal an die Front eines Krieges, den er so nie wollte. Von dieser Seite aus betrachtet, ist die Abschaltung von Radio Multikulti keine Sparmaßnahme, denn es löst das Problem nicht, sondern besitzt eher den Charakter eines Präventivschlages gegen die gesamte ARD. Es müssen erst schwerste Schäden an der gesamten Konstruktion entstehen, bevor sich irgendjemand der Idee des Umdenkens nähert. Ein Präventivschlag mit der Zukunftsgläubigkeit eines Selbstmordattentäters. Dieses Gemetzel wird in kultureller Armut enden.

Dem Bürger der Region entzieht man einen weiteren Teil seiner Mündigkeit. Musste Singelnstein einst den aufgeweckten und mündigen, aber leider vergangenheits-belasteten Frühstücksdirektor Lutz Bertram wegen dessen Stasiverwicklungen medial exekutieren, so war dahinter noch eine Form schmerzlicher Aufarbeitung zu sehen, auch wenn, was die journalistische Schlagkraft angeht, damit ein Loch gerissen wurde, das bis heute klafft. Das nächste Loch wurde mit der Abschaffung des Slogans “Was glauben Sie denn ist Kultur” gerissen. Radio Brandenburg - Kulturwelle für alle aufgeweckten und mündigen Bürger der Region mit dem Interesse für Tellerrandüberwindung - wurde eingestellt.
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Wieder ein Fronteinsatz für den neuen Hörfunkdirektor des nun zusammengepappten Sendeverbundes Berlin-Brandenburg. Irgendwie wurde aus SFB und ORB schließlich RBB. Und die feierten gerade ihren fünften Geburtstag mit der Ankündigung der Einstellung des Sendebetriebes des multikulturellen Sonderkindes.

Ein gut gezielter Volltreffer auf die verbindende Brücke zwischen den Kulturen. Ein Selbstmordanschlag mit verheerender Wirkung. Radio Multikulti machte immer wieder Dinge möglich, die sich zahlreiche Politiker mehrerer Fraktionen nicht wünschten: Freundliches Miteinander. Versöhnung. Projekte, die kultur- und religionsübergreifend sind. Ohne Radio Multikulti wäre der Karneval der Kulturen neben dem Berlin-Marathon heute nicht das bedeutendste Straßen-Event in der Stadt.

Die Entscheidung des RBB, eine finanzielle Notlage zu nutzen, um eine politische Entscheidung zu rechtfertigen, verdeutlicht, an welchen Plätzen in der Gesellschaft sich die Bereitschaft zur Ausgrenzung inzwischen befindet und von welchen steuerbaren Institutionen sie ausgeführt wird. Die Abschaltung des Integrationssenders zeigt, wie nötig die Gesellschaft den Erhalt solcher Sender hat. Der Grünenpolitiker Cem Özdemir reagierte recht deutlich auf die Ankündigung der Senderabschaltung. “Weil sich die paar Kanaken, die das betrifft wohl nicht wehren können”, sagte er. Der RBB reagierte getroffen und bellte.

Sieben Farben hat der Regenbogen des RBB. Die Mitarbeiter können sich wohl ausrechnen, was passiert, nachdem die erste Farbe ausradiert wurde. Die Finanzkrise ist mit der Einsparung des ersten Senders nicht gelöst. Qualitätsabstriche werden auch die restlichen Senderfarben erfahren und in nicht allzuferner Zukunft ist das Hören des RBB-Radios nicht mehr vom Aufschlagen des Berliner Kuriers zu unterscheiden. Dort würde die Schlagzeile vom Sendeschluss Multikultis wohl sinngemäß lauten: “RA(B)BEN-ELTERN TÖTEN ERSTES VON SIEBEN KINDERN”. Wie resigniert muss jemand sein, der sich zu solch einem Schritt veranlasst sieht?

Mein muselmanischer Freund Ahmed, den ich auch nur dank Radio Multikulti entdeckte, pflegte zu sagen: “Heimatgefühl zu entwickeln ist das wichtigste Kulturgut des Menschen und Kultur ist immer dort, wo die Bereitschaft vorhanden ist zuzuhören!” Wo dem Menschen die Möglichkeit genommen wird, zu erzählen, wird ihm die Möglichkeit genommen zuzuhören. Man nimmt ihm die Kultur. Man nimmt ihm die Heimat. Man nimmt ihm sein Zuhause.

Oder um frei Heines Gedankengang auf die Gegenwart zu interpolieren: “Wo man Kultur abschaltet, schaltet man irgendwann auch das Denken ab.”

Photo Credits: (1) Radioskala (by Karsten Rube); (2) Yungchen Lhamo (by Michele Turriani); (3) Telmo Pires (from website); (4) Bollywood Brass Band (by The Mollis).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 07/2008

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