FolkWorld Ausgabe 32 12/2006; Live-Bericht von Karsten Rube


Nackter Fado
Telmo Pires, Quasimodo Berlin, Januar 2006

Es gibt Momente, da erinnere ich mich an die warme, würzige Luft in den Straßen Lissabons. Die riecht nicht immer gut, aber sie ist erfüllt von Leben, von Sehnsucht und von Liebe - erfüllter und unglücklicher. Ein Gefühl von Fremde und Vertrautheit weckt sie in mir und den Gedanken im frostverhangenen Januar Berlins am falschen Ort zu sein. Aber was soll ich tun, außer CDs zu hören, mit Musik die eine Sehnsucht wachruft, wie es nur der Fado vermag. Einer der das ganz außergewöhnlich gut kann, ist der in Berlin lebende Kosmopolit Telmo Pires. Ein Wanderer, der besser Deutsch spricht, als mancher Berliner, sich in Paris und Lissabon genauso zu Hause fühlt, wie in Berlin.

An einem dieser tristen Januarabende tritt er im Berliner Quasimodo auf. Begleitet von seiner Band, die mit Klavier, Gitarre, Bass und Percussion nicht unbedingt fadotypisch instrumentiert ist. Das typische Gesicht des klassischen Fados ist Pires ohnehin nicht. Telmo Pires, www.telmo-pires.de Mit Mitte dreißig gehört er zu der neuen Generation von Fadokünstlern, die diese urbane Liedform verändern und trotzdem mit großem Respekt behandeln. "Fado nu" - "Nackter Fado", so der Titel seines Programms. Er mag es nicht, dass der Fado in seiner Heimat in prächtige neue goldenen Gewänder gehüllt wird, sondern ahnt dass er "lieber in den alten Schuhen und dem schwarzen Hemd, das er seit einhundertfünfzig Jahre trägt, am Strand stehen möchte und aufs Meer schauen". Ein schönes Bild, das er da zeichnet. Trotzdem ist Telmo Pires’ Fado ein moderner. Nur sein Blick ist immer noch aufs Meer gerichtet.

Wie alle Diven des Fados, anders kann ich ihn nicht bezeichnen, ist auch Telmo Pires der unumstrittene Mittelpunkt des Abends. Barfuß, enge dunkle Anzughose, ein weißes knappes Hemd, dass seinen Waschbrettbauch und sein hervorquellendes Haar wirkungsvoll betont, ganz der smarte Portugiese, steht er auf der Bühne und seine klaren Augen stechen ins Publikum. Aber sie fixieren niemanden. Während er singt, befindet er sich in inniger Umarmung mit dem Lied, das er interpretiert. Und erst im Applaus taucht er wieder auf, langsam, wie aus einem leidenschaftlichen Kuss.

Dem Publikum geht es ähnlich. Es ist voll im Quasimodo, wenige Portugiesen, viele Fadoliebhaber, noch mehr Liebhaber. Pärchenbetrieb, Jungs mit Jungs, Mädchen mit Mädchen und in Minderheit klassisch gemischt. Die Kellnerin braucht Kraft um die Getränke durch die dicht stehenden Zuhörer zu drängeln. Vom Geschnatter einiger im hinteren Eck mit Kuchen und Luftballon Geburtstag feiernder Besucher lässt sich Pires nicht irritieren. Er zelebriert sich in nicht gerade meisterhaft choreografierten Bewegungen, doch alles Schaukeln und mit den Händen fuchteln ist ganz Reflex auf die Musik, die ihn durchströmt, wie eine Welle aus Lust und Schmerz - ganz Fado.

Einige der Songs sind bekannt. Die berühmten Fadostars haben sie gesungen, wie Amalia Rodriguez und Mariza. "Senhor Vino" singt er, anders als Mariza, aber ebenso überzeugend und auch Musik die ich von Dulce Pontes kenne findet sich in seinem Programm, sowie einige Lieder, die ich nicht kenne und die seiner aktuellen CD "Passos" entstammen.

Das Publikum, unter ihnen auch zahlreiche Fans, entlassen ihn nur unwillig in den Feierabend. Es sieht nicht danach aus, als habe sich an diesem Abend auch nur einer im Quasimodo gelangweilt, selbst wenn die Texte nur von einem Bruchteil verstanden wurden. Am Ende ist auch Telmo Pires ergriffen. Seinem leuchtenden Blick sieht man an, dass dies auch für ihn kein beliebiger Abend war. Weit nach Mitternacht entlässt er den Zuhörer wieder in die kalte Nacht, die nun aber chancenlos an einem durchgewärmten Gemüt vorbeifriert.

Telmo Pires Lieder treiben in einem Ozean, den man lieblos mit Weltmusik betitelt. Hier findet sich das Treibholz, aus dem Rettungsboote gebaut werden. Rettungsboote, die die Musik von einem Ufer zum nächsten gelangen lassen, ohne in der Belanglosigkeit unterzugehen. Telmo Pires findet spannende Jazzelemente, besonders im Bass. Die Gitarre die ihn begleitet ist nicht die typische plinkernde portugiesische. Das Klavier verklimpert sich schon mal in lateinamerikanischen Rhythmen und die Percussion klingt leicht und verspielt. Manchmal weht eine Prise Grand Prix-Schlager durch. Die Portugiesen waren beim Contest immer chancenlos. Vermutlich hatten sie die besseren Lieder, die unaufdringlichste Choreografie und keine Masken auf dem Gesicht. Die Musik von Telmo Pires ist eine Gratwanderung zwischen portugiesischer Tristesa und schwebender Träumerei. Schwermütig und schwerelos zu gleich.

Website: www.telmo-pires.de

Photo Credit: Telmo Pires (taken from website).


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/2006

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