FolkWorld Artikel von Michael Moll (Übersetzung Englisch-Deutsch von Gaby Hellmond):

Französischer Folk "kocht langsam"

Gabriel Yacoub: Von Malicorne-Zeiten zu einem akustischen Songwriter-Programm

Gabriel Yacoub; photo by The Mollis Einst führte Gabriel Yacoub die wahrscheinlich wichtigste "Roots Band" an, die es jemals in Frankreich gegeben hat - Malicorne. 30 Jahre später spielt und tourt Gabriel Yacoub immer noch mit Folk-Musik. In seinem letzten Projekt kommt er zurück zu den Wurzeln, begleitet nur von einer Geigerin und einem Bassisten. Ich nahm seine kürzliche Deutschland-Tournee zum Anlaß, mehr über sein neues Projekt zu erfahren, und auch die guten alten Malicorne-Zeiten Revue passieren zu lassen.

Gabriel's letztes Trio ist vielleicht seine beste Band seit Malicorne. Er wird nur von der jungen Geigerin Nathalie Rivière und dem Bassisten Yannick Hardouin begleitet. Dieses akustische Line-up betont Gabriel's beindruckende und gefühlvolle Stimme. Es gibt dem Publikum Zeit und Raum, den Worten der Lieder zu lauschen. Das Geigenspiel ist in hohem Maß erfindungsreich und wird manchmal in den Liedern als eine Art "2. Stimme" eingesetzt. Stilistisch ist die Musik des neuen Gabriel Yacoub Trio irgendwo zwischen französischem und keltischem Folk, französischen Chansons, Klassik und vielleicht auch ein bißchen Pop angesiedelt. Immer noch liegt über allem der einzigartige ausgeprägte Sound von Gabriel Yacoub, den wir seit seinen Malicorne-Zeiten kennen.

Bei seinem Konzert in Wuppertal, im Live-Club Barmen (einst auch Folkclub genannt, aber dies ist lange her. Heute können wir froh sein, wenn es dort überhaupt Folk-Konzerte gibt) hat Gabriel's Programm seine eindeutige Basis in seinem eigenen Songwriting. Immer noch hört das Publikum einige traditionelle Songs sowohl aus Malicorne-Zeiten, als auch aus seiner Solo-Karriere; sogar ein traditioneller französischer à-capella Song war Teil des Programmes.

Ich bat Gabriel zu erzählen, wie er zu diesem neuen, akustischen Trio gekommen ist. "In den letzten paar Jahren habe ich mit verschiedenen Set-ups gespielt, und die letzte Band, die ich hatte, war groß, mehr eine richtige Rock'n'Roll Band, hauptsächlich Baß, Schlagzeug, E-Gitarren und Keyboards. Ich glaube, dass ich dem allen etwas überdrüssig geworden bin, obwohl es sehr gut war. Die Musiker waren sehr gut, und sie sind immer noch wundervolle Musiker und gute Freunde. Aber ich wollte etwas Einfacheres und Direkteres machen. Ich wollte in der Lage sein, sowohl in größeren als auch in kleineren Spielorten aufzutreten. So überlegte ich mir, auf welche Weise es am besten ginge."

Yannick & Nathalie; photo by The MollisEr bat Yannick, den Bassisten und musikalischen Partner seit beinahe 15 Jahren, seinem neuen Trio beizutreten. "Ich dachte, daß wir ein melodisches Instrument benötigten, und ich liebe Geige, ich arbeite seit vielen Jahren mit Geigern. Also dachte ich, daß dies eine gute Kombination sein würde. Wir spielen mit diesem Trio nun seit beinahe 3 Jahren, und es ist das Einzige, was wir tun - keine große Besetzung mehr. Weil die Musik, die wir machen, sehr einfach und ruhig ist, können wir viele gute Dinge hervorbringen; mit den Instrumenten "atmen" und es wirklich genießen, ohne vor dem Schlagzeug zu stehen und dagegen anbrüllen zu müssen."

Gabriel's erstes Interesse für Roots Music kam vom amerikanischen Folk aus den 60ern. Zuerst war es Bob Dylan. Dann tauchte er tiefer in die Musik ein, hörte von Woody Guthrie und der wirklichen traditionellen Musik Amerikas. Er liebte diese Musik, und sie gab ihm eine Menge Inspiration. Nachdem er einige Zeit amerikanische Folksongs gelernt hatte, fühlte er, daß er in eine neue Richtung experimentieren wollte. "Ich hatte das Gefühl, daß ich etwas mit meiner eigenen Kultur machen mußte." Sein Leben als Profi-Musiker begann zusammen mit dem Harfenisten und Sänger Alan Stivell, einem der einflußreichsten bretonischen Musiker in dieser Zeit. Gerade 18 Jahre alt, spielte er in den frühen 70ern eine Zeit lang in Alan Stivell's Band.

"Kurz darauf, um 1973/74, gründete ich Malicorne. Wir hatten die Vorstellung von einer Band, die versuchte, alte Lieder in neuer Form zu spielen." Jetzt, 20 Jahre nach den großen Zeiten von Malicorne, spiegelt sich der Einfluß der Band auf die französische Folk Musik wider. Gabriel sagt: "Ich glaube, Malicorne war eine Art Antrieb für das französische Folk Revival, weil sie eine der wenigen großen und erfolgreicheren Bands war, die auftraten. Und ich glaube auch, daß wir gut darin waren, niemals offensichtliche Sachen zu machen, oder Lieder wie andere Gruppen zu spielen, nicht mit Absicht, sondern weil wir es liebten. Wir liebten seltsame, interessante Vokalharmonien. Wir liebten es, offen für alle Arten von Instrumenten zu sein. Wir haben niemals versucht es genau so zu spielen, wie die alten Leute es in diesem Jahrhundert gepielt haben. Wir waren offen für viele Dinge, die zum Folk passen: mittelalterliche Musik und all das."

Gabriel Yacoub; photo by The Mollis"Ich glaube, daß Malicorne jüngeren Leuten eine offene Tür für diese Art Musik geboten hat. Dies ist nicht begrenzt auf eine bestimmte Art Instrumente oder eine bestimmte Art Singweise oder Arrangements der Lieder. Alles ist möglich. Wir hatten keine Grenzen. Die einzige wirkliche Grenze war unser Geschmack. Weißt Du, wenn wir einen Flügel benutzen wollten, dann taten wir es, oder ein Schlagzeug oder Saxophon, oder irgendwas. Ich glaube, dies öffnete ein wenig die Augen, da es bei jeder Art von Revival Puristen gibt, die sagen, daß es auf diese Art und Weise gemacht werden soll. Nun, ich respektiere diese Leute. Die meisten von ihnen haben wirklich gute Arbeit geleistet. Aber wir waren nicht so. Nein, wir waren jung. Zuerst einmal wollten wir Spaß haben. Während wir uns bemühten, das traditionelle Repertoire voll Respekt zu behandeln, versuchten wir ebenfalls, es ein wenig lebhafter zu machen."

Und auch heute, wenn man den alten Malicorne-Aufnahmen lauscht, würde man niemals das Gefühl bekommen, daß dies altmodische Musik sei. Es klingt keineswegs wie Musik mit dem Staub der frühen 70er. Auch heute noch ist sie sehr innovativ und spannend.

All Dinge müssen ein Ende haben, wie gut sie auch sein mögen. Malicorne löste sich nach etwas weniger als 10 Jahren, diversen CD Aufnahmen und einer Menge Konzerten auf. Anfang der 80er Jahre wollte Gabriel Lieder schreiben. "Ohne die traditionelle Folk Musik aufzugeben, begann ich meine eigenen Songs zu schreiben, und dies tue ich auch heute noch. Ich trage meine eigenen Lieder und auch Folksongs vor, natürlich deshalb, weil ich sie liebe. Durch Folksongs lernte ich eine Menge. Sie sind auch heute noch meine Schule. Durch sie lernte ich zu singen, zu spielen, Arrangements zu schreiben, Aufnahmen zu machen, einfach alles. Ich versuchte, etwas Neues zu machen, was wirklich tief verwurzelt in den Traditionen der Folk-Musik ist."

Hat sich das Publikum auch geändert, während sich der Stil von Gabriel's Musik seit den Tagen von Malicorne bis zu seiner heutigen Solokarriere bedeutend geändert hat, oder basiert es immer noch auf dem alten Malicorne Fankreis? "Tatsächlich ist es eine Kombination. Wir haben immer noch alte Fans, die meine Arbeit seit vielen Jahren verfolgen, und das ist sehr schön. Aber wir haben auch eine Menge anderer Zuschauer. Einige, die heute zu meinen Konzerten kommen, waren zu den Zeiten von Malicorne noch nicht einmal geboren. Wir sehen immer wieder Leute, die meine Musik durch Malicorne kennen, weil sie beim Durchforschen der Schallplattensammlungen ihrer Eltern darauf gestoßen sind. Es ist lustig. Insbesondere in Frankreich, wo wir natürlich eine größere Fangemeinde haben, sehen wir immer wieder Leute, die die Musik selbst für sich entdecken oder durch Freunde ihres Alters, ohne dass es durch die Generation ihrer Eltern gelaufen wäre. Das ist gut. Wir sehen Leute mit 15 oder 16, und oft wissen die überhaupt nichts von Malicorne. Sie haben gerade mal eine Platte entdeckt. Manchmal schreiben sie und versuchen, ihre Empfindungen auszudrücken." Also gibt es sogar einen kleinen Teenager-Fankreis... "Ich glaube, es ist sehr positiv. Ich mag die alten Fans, weißt Du, die großen Männer mit Bärten und so. Aber es ist schön zu sehen, daß das Publikum ein wenig jünger wird."

Gabriel Yacoub; photo by The Mollis Seit fast 30 Jahren ist Gabriel Yacoub ein wichtiger Teil der französischen Szene. Kann er, nachdem er immer ein "waches Auge" und Kontakt zur französischen Folk-Musik Szene gehabt hat, eine Reflektion der Entwicklung der französischen Szene des letzten Viertels dieses Jahrhunderts geben? "Es ging immer sehr langsam. Ich würde sagen, Folk-Musik ist ein generelles Konzept. Diese Musik war immer etwas zweitrangig, hatte niemals große Hits im Radio oder im Fernsehen, also war sie immer etwas "aus der Spur"... Die Dinge laufen sehr langsam."

"Als wir in Frankreich anfingen, gab es nicht viel Folk Musik. Wir mußten alles erfinden. Wir durchforschten alte Bücher nach Liedern. Nun ist es ganz anders. Es gab dieses große Revival in den 70ern, und Folk wurde so etwas wie der offizielle Teil der Kultur der Menschen. Heute kann man all diese Instrumente in Workshops, Sessions, Kursen und Leistungskursen erlernen. Eine Menge Dinge geschehen. Viele junge Leute lernen zu singen und diese alten Instrumente zu spielen. Aber die meisten von ihnen wollen keine großen Stars werden. Sie möchten nur spielen, weil sie die Musik lieben. Die meisten von ihnen sind nicht professionell, sie spielen zu ihrem eigenen Vergnügen. Es gibt eine Menge sehr guter Musiker im ganzen Land, aber es kommen nur wenige Aufnahmen heraus, weil nicht viele von ihnen bereit sind professionell zu werden oder Stars zu sein."

"Also geht alles sehr langsam und sehr - ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber es ist sehr interessant. Es gibt eine Menge Dinge, die sich mit vielen jungen Musikern entwickeln, die sehr gut spielen. Aber es gibt nichts wirklich großes wie... - in Frankreich war Alan Stivell eine Art Held. Er begann die ganze Sache, aber seit damals hat es keinen Musiker und keine Gruppe gegeben, die etwas Neues begonnen hat. Es ist alles wie "Aufkochen", sehr langsames Kochen. Es kann jederzeit geschehen, daß etwas Neues herauskommt. In der Zwischenzeit ist alles zweitklassig."

Also gibt es Chancen für ein neues und großes Folk Revival in Frankreich, sobald ein neuer Alan Stivell kommt, wie es letztlich in Galizien mit Carlos Nunez, in Belgien mit Lais, oder in Schweden mit Garmana geschehen ist. Gabriel Yacoub hat während seiner langen Karriere, seinen Teil für die französische Folk Musik getan, und er weiß immer noch, wie er sein Publikum in seinen Konzerten beeindrucken kann.

Die neue CD des Gabriel Yacoub Trios wird im September erscheinen. Eine Rezension der letzten CD "Babel" aus dem Jahr 1997 ist in der deutschen Ausgabe von Folkworld nachzulesen.

Kontakt für Gabriel Yacoub in Deutschland: Hellmond Music Management. Auf der Homepage finden sich auch die aktuellen Tourdaten des Künstlers.
Vielen Dank auch an Gaby Hellmond für die Übersetzung des Artikels vom Englischen ins Deutsche.


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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 6/2000

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