Ausgabe 12 12/99
FolkWorld CD-Besprechungen
Berrogüetto "Reise durch
Urticaria"
Label: endirecto;CD ECD 003; 1999;
Spielzeit: 48.35 min
Inzwischen auch in Deutschland veröffentlicht ist die zweite CD der
galizischen Gruppe Berrogüetto, die 1997 mit ihrem Debütalbum
"Navicularia" und einigen Festivalauftritten, u.a. in Rudolstadt,
einen äußerst positiven Eindruck hinterließen. Endirecto
hat die wie immer aufwendige und schöne Verpackung der Do Fol-Veröffentlichung
lobenswerterweise beibehalten, aber den Titel übersetzt und dem Booklet
deutsche Texte beigefügt.
Berrogüetto sind eine große Gruppe (derzeit sieben Mitglieder)
und dementsprechend vielschichtig und durcharrangiert ist ihre Musik.
Gesang, Gaita (galizischer Dudelsack), Flöte, Geige, Gitarre, Bouzouki,
Akkordion, Drehleier, Harfe, Keyboard und Perkussion werden zu einem
beeindruckendem Klanggebilde verwoben, das sofort ins Ohr geht. Dabei ist
sich die Gruppe erfreulicherweise bewußt, daß weniger manchmal
mehr sein kann, und begeht nicht den Fehler, ständig sämtliche
verfügbaren Instrumente gleichzeitig einzusetzen. Die Melodien sind
eingängig und schön, und die vor kurzem dazugekommene
Sängerin Guadi Galego sorgt mit ihrer angenehmen Stimme für noch
mehr Abwechslung im Klangbild.
Eine CD, die man mit gutem Gewissen jedem zu Weihnachten (oder auch sonst)
schenken kann und die man auch selbst gern immer wieder anhört. Jetzt,
wo dank Fernsehwerbung für Hevias aktuelle CD fast jeder mitbekommen
haben müßte, dass in Galizien hervorragende Musik gemacht wird,
sollte "Reise durch Urticaria" eigentlich die Beachtung finden,
die sie zweifellos verdient.
endirecto
Anja Beinroth
Manu Chao
"Clandestino"
Label:
Virgin; 7243 8457832 9; 1998; Spielzeit: 45.49 min
"Clandestino" bedeutet wohl soviel wie "klammheimlich",
und obwohl das keine sehr treffende Beschreibung der Musik ist, trifft der
Titel doch irgendwie zu, wenn man bedenkt, wie diese CD sich ihren Weg durch
Europa bahnt: Erst gab es sie nur in Frankreich (wo sie reißenden
Absatz fand), dann - nach einigen Monaten als Import-Geheimtip und Erfolg in
Spanien und der Schweiz - auch in England, und schließlich merkte auch
Virgin Deutschland, daß da ein Produkt von ihnen erstaunlich oft im
Radio lief (meist dank DJ Francis Gay), obwohl es die CD hier gar nicht zu
kaufen gab. Das hat sich dann zum Glück geändert, und prompt ist
sie nicht mehr auf die Weltmusikradio-Nischen beschränkt, sondern
taucht sogar bei trendigen Jugendsendern wie WDR EinsLive im Programm auf.
Womit die Massentauglichkeit dieser Musik bewiesen wäre.
Manu Chao, auch in Deutschland durch seine Gruppe Mano Negra kein
Unbekannter, verarbeitet auf dieser CD alle möglichen Facetten
traditioneller Musik aus verschiedenen Ländern, die er in den letzten
Jahren bereist hat, auf individuelle und kreative Weise. Die Musik ist so
bunt wie das Booklet, und verarbeitet vor allem lateinamerikanische und
karibische Einflüsse. Dementsprechend singt er überwiegend
spanisch; außerdem noch französisch, brasilianisch und englisch.
Die Texte sind oft witzig und auch die Musik klingt meist äußerst
lebensfroh - Musik, wie sie nur in sonnigen Ländern entstehen kann.
Zudem ist sie absolut tanzbar und somit bestens partytauglich.
Sollte man sich unbedingt mal anhören und spätestens für die
nächste eigene Party dann auch kaufen.
Mehr
über Manu Chao (französisch)
Anja Beinroth
Fiddler's Green
"Stagebox"
Label: Ultrax / EastWest; UTX 5001-2;
1999; Spielzeit: 62.39 min (CD 1), 62.41 min (CD 2)
"Stagebox" ist eine Live-CD, und mit Live-CDs ist das bekanntlich
so eine Sache. Meist klingen Sie im Wohnzimmer halt doch nicht halb so gut
wie in der Konzerthalle. Das trifft auch auf diese zu, obwohl - oder
vielleicht gerade weil - sie im Klang dem Konzertsound ziemlich nah kommt.
Somit ist sie wohl vor allem für diejenigen interessant, die mit einem
Fiddler's Green-Konzert eigene Erinnerungen verbinden. Bei den etwa
hundert Konzerten im Jahr, die die Fiddlers geben, sind das natürlich
nicht wenige.
Die CD liefert, was man von Fiddler's Green erwartet: irisch
beeinflußte Songs und Tunes in sehr rockigen Arrangements, mit
Gitarre, Baß und Schlagzeug neben Geige und Akkordion. Erfreulich ist,
daß einige Eigenkompositionen unter den Stücken sind - neben den
unvermeidlichen Coverversionen der "Klassiker" wie "Rocky
Road to Dublin", "Follow Me Up To Carlow", "As I Roved
Out", "Mary Mack" und - wie könnte es anders sein -
"Fiddler's Green". Was mir ein bißchen fehlt, ist die
Abwechslung, aber für nuancierte Arrangements läßt die
"riesige, nicht mehr enden wollende Party ... die brodelnde
Konzertatmosphäre" (Bandinfo) wohl zu wenig Raum. Wer einfach nur
abrocken will, ist aber mit dieser Doppel-CD sicher gut bedient.
Schnellentschlossene können jetzt vielleicht sogar noch ein Exemplar
der Erstauflage mit drei Bonustracks und einer zusätzlichen
Überraschungs-CD ergattern.
Fiddler's Green
Homepage, Offizielle Fan
Homepage
Anja Beinroth
Giora Feidman "Journey"
Label: Pläne; 88828; 1999; Spielzeit: 52.33 min
Giora Feidman ist einer der wichtigsten und bekanntesten Klarinettisten des Klezmers unserer Zeit. Giora, der 1936 in Buoenos Aires als Sohn jüdischer Emiganten gebohren wurde, setzt in der vierten Generation die Tradition des Klezmermusikers fort. Im Vorwort zur CD schreibt Giora über seine Auffassung von Musik, die er als Teil seiner Klezmerausbildung von seinem Vater gelernt hat: "Wenn wir uns dagegen wehren - und sei es auch nur für einen kurzen Moment - uns vom Namen des Komponisten, dem Titel der Komposition oder dem Stil oder der Art des Stückes beeinflussen zu lassen (sei es Klassik, Jazz, Folk, etc.), sind wir frei für die spirituelle Stimmung der Musik."
Die Klarinette steht bei dem Album - natürlich - im Vordergrund, doch ist sie meist nicht solo zu hören. So wird Giora von den Mitgliedern seines Trios (Freddie Bryant - Gitarre und Antony Falanga - double bass) begleitet, weitere 19 Gastmusiker bereichern die Klankvielfalt auf u.a. Saxophon, Violine, Cello, Akordeon und Perkussion.
Die Musik wird frisch und oft auch mitreißend dargebracht. Man merkt bei Giora Feidman sofort - sei es bei einem Konzert oder auf CD - dieser Vollblutmusiker spielt nicht mit dem Kopf sondern mit dem Herzen. Die Musik strahlt dadurch eine äußerst starke Faszination aus, die oft Musikern, die zwar technisch perfekt sind, aber nicht mit dem Herzen spielen, fehlt.
Wer das Erlebnis Giora Feidman noch nicht selbst hatte, sollte ein Konzert von ihm zu besuchen - und als Einstimmung kann man sich ja schonmal "Journey" in den CD-Spieler legen...
Pläne
Christian Moll
Lunasa "otherworld"
Label: Green Linnet Records; GLCD 1200; 1999; Spielzeit: 42.24 min
Lunasa ist eine neue junge irische Band, deren Sound stark auf Flöte/Whistle basiert. Die Musik ist mitreißend und energiegeladen.
Die Band besitzt einige der jungen Talente Irlands: Kevin Crawford (Flöte, Whistle, Bodhran - Moving Cloud), einer der herrausragenden Flötisten der grünen Insel, der Bassist Trevor Hutchinson (ex Waterboys, Sharon Shannon Band), der Gitarrist Donogh Hennessy (Sharon Shannon Band) und Sean Smith (Fiddle, Whistles, Viola - ex Coolfin). Als Gäste kommen noch das ehemalige Bandmitglied Michael McGoldrick (Uilleann Pipes, Flöte, Low Whistle - Capercaillie), Coolfin's John McSherry (Uilleann Pipes, Low Whistle) und Stephen McDonald auf dem Flügelhorn hinzu.
Die Band interpretiert die Musik meist spritzig und schnell, doch ist auch mal Zeit für beispielsweise das wunderschöne ruhige Low Whistle Solo zu Beginn von Phil Cunningham's "January Snows".
Lunasa ist mit Sicherheit ein Name, den man in Zukunft in der irischen Musikszene noch öfter hören wird.
Green Linnet Records
Christian Moll
Doña Oxford "Rowena Said"
Label: Fontainbleu; 70070-21006-2; 1999; Spielzeit: 37:25 min
Mit ihrem ersten Soloalbum "Rowena Said" beweist
Doña Oxford, daß sie durchaus das Zeug dazu hat, in die
Liga der Blues-Legenden aufzusteigen. Das Multitalent, das schon
in vielen Bluesprojekten mitgearbeitet hat, überzeugt nicht
nur durch ihre kraftvolle, bluesige Stimme, sondern auch durch ihr
virtuoses Spiel an Keyboard und Organ. Zudem stammen 8 der 10
klassisch-schwermütigen bis flotten Bluesstücke
aus ihrer Feder. Begleitet die Blueslady dabei von
Arthur Neilson (Electric und Steelguitars), Charles Torres (Bass) und
Dan Hickley (Drums). Bluesfans sollten sich übrigens nicht
durch das doch etwas seltsam gestaltete Cover abschrecken lassen:
die Platte ist sehr viel besser, als sie auf den ersten Blick aussieht.
Fontainbleu Entertainment, Richmond Hill, NY
Thomas Kamphans
Diverse "Balkan Blues"
Label: Network, Vertrieb: Zweitausendeins; Nr. 33 858; Playing Time: 73:18 und 73:08
Diese Doppel-CD hat eine These. Auf dem Balkan gebe es keine nationalen
Musiktraditionen, sondern lediglich Mischformen mit einer Vielfalt ethnischer
Querverbindungen. Begründet wird dies mit der Politik des Osmanischen Reichs, zu
dem bis vor rund 150 Jahren fast die ganze Balkanhalbinsel gehörte. Die
türkische Herrschaft faßte in den Verwaltungsbezirken jeweils Menschen
unterschiedlicher Kulturen zusammen und förderte deren Austausch. Diese
orientalische Spielart des "Teile und Herrsche"-Prinzips führte dazu, daß in
allen Teilen des Reiches vielfältige musikalische Einflüsse nebeneinander
bestanden und sich vermischen konnten. Belegt wird die These an 34
abwechslungsreichen Titeln aus Griechenland, Rumänien, Bulgarien, Albanien,
Serbien und Mazedonien. Wenig konsequent ist dabei der Versuch, die Balkan
Vielfalt unter einem einheitlichen Oberbegriff wie dem "Blues" zusammenzufassen.
Leider scheint die traditionelle Multi-Kulti-Musik des Balkans dort zur Zeit
auch nur wenig friedensfördernde Wirkung zu entfalten.
Network, Merianplatz 10, 60316 Frankfurt/M
Christian Rath
Gabriel Yacoub "tri"
Label: Boucherie; Vertrieb: Town; BP 3187; Playing Time: 70:51
Das französische Folk-Revival der 70er-Jahre hat - außerhalb der Bretagne - nur
eine international bekannte Gruppe hervorgebracht: Malicorne. Und selbst Gabriel
Yacoub, der Kopf von Malicorne, hat zuerst in der Band des großen Bretonen Alan
Stivell gespielt und wohl auch gelernt. Seit Malicorne 1986 aufgelöst wurde,
profilierte sich Yacoub als Solokünstler. Vom Folksänger wurde er dabei immer
stärker zum Chansonier - vielleicht um sicheren französischen Boden unter den
Füßen zu haben. Man könnte ihn heute auch als Folkchansonier bezeichnen, als
einen Liedermacher, der immer wieder Folkelemente in seine Melodien integriert.
Wiedererkennbar ist Yacoub aber nicht zuletzt an seiner unvergleichlich
angenehmen Stimme, einer Stimme, die immer jung, entschieden und doch sensibel
wirkt. Für alle, die Yacoub schon immer oder gerade jetzt kennenlernen wollen,
bietet sich ein Sampler an, der Perlen seiner bisher fünf Solo-CDs präsentiert.
Und weil es sogar in Yacoubs Spätwerk einige Stücke mit mehrstimmigen
Vokal-Arrangements gibt, können auch alte Malicorne-Fans mit
déja-écouté-Effekten rechnen.
Town Music, Führstr. 2-4, 56814 Ernst an der Mosel
Christian Rath
MÍSIA "Paixões Diagonais"
Label: Erato, Vertrieb: eastwest; 3984-28184-2; Playing-Time: 46:12
In der Altstadt von Lissabon und der portugiesischen Universitätsstadt Coinbra
hat sich der Fado als eine Art städtische Folklore erhalten. Traurige Lieder
über unerfüllte Liebe, das Scheitern im Leben und über die bessere
Vergangenheit. Mísia ist eine Innovatorin des Fado, der traditionell nur mit
Gitarre begleitet wird, Dagegen finden sich auf Mísias neuester (vierter) CD
auch Bläser und ein Streichorchester. Die Grundstimmung ist aber melancholisch -
wie es sich im Fado gehört: "Wo mag mein Liebster sein? Zurück blieb mir ein
bitterer Geschmack, eine leichtere Form des Wahns, nur deshalb singe ich den
Fado..." - manche nennen den Fado auch den portugiesischen Blues. Mísias
elegante Lieder klingen aber weniger nach Hafenspekulunke, als vielmehr nach
5-Sterne Restaurant. Die in Spanien lebende Mísia gilt heute als die beste
Stimme des Fado und sie steigert ihre Vielseitigkeit von CD zu CD. Während sie
die stilistisch engen Vorgaben des Fado hinter sich läßt, nähert sie sich - für
unsere Ohren - immer mehr der großen französischen Chanson-Kultur. Eine
Innovatorin, die nicht aktuelle Moden verarbeitet, sondern zeitlos
beeindruckende Musik hervorbringt.
Erato
Christian Rath
Various:
"Session from the Hearth"
Label: Pinorrekk Records; PRCD: 3405030; Spielzeit: 62:51 min
Die CD zur Tour, mit der Benny O'Carroll und
seine jungen Musiker die Zuschauer nicht nur in Irland, sondern jüngst
auch in Deutschland begeisterten. In der Show wird versucht, die
spontane, wilde Atmosphäre einer echten Session nachzuempfinden,
was natürlich nur eingeschränkt gelingen kann auf einer CD oder
bei einer Show. Die CD ist eine Live Aufnahme der ersten Shows in
Irland und vereinigt eine junge Bande irischer Ausnahme-Musiker
wie Eamon de Barra, flute, der in Deutschland im Frühjahr mit
Gerladine MacGowan unterwegs war, Malachy Burke, fiddle, Enda
Scahill, Banjo, von dessen unglaublicher Spielfreude ich mich vor
drei Jahren schon bei einer Session in Tubbercurry überzeugen
konnte, Fergal O'Murchu und Timmy McCarthy mit dem Button
Akkordion. Die Rhythmussection bilden der excellente
Bodhranspieler Neil Lyons aus Dublin sowie Jon Sanders, Bouzouki,
und eben Benny O'Carroll, Gitarre. Das Melodiespiel und das
Backing sind hervorragend, wild, schnell, aber nicht unpräzise,
die stürmische Art der Show kommt auf der CD gut herüber. Die
Jungs legen gut los mit eienm wilden Reelset, und setzen so den
Maßstab für die gesamte CD. Die Tanzmelodien werden lediglich
unterbrochen von einigen wenigen Songs (Deirdre Scanlon, Sean
Garvey) die leider nicht ganz das Format der Jigs und Reels
erreichen können. Herausragend: Jon Sanders Interpretation eines
bulgarischen Tanzstückes auf der Bouzouki, welche von Eamon de
Barra und Neil Lyons in einen ausgelassenen Reel übergeleitet
wird - alle Musiker auf dieser CD beherschen ihre Instrumente mit
einer beängstigenden Präzision. Das deutsche Label Pinorrekk
Records bringt nun diese CD mit einem ausführlichen deutschen
Booklet heraus. Leider erzählt der Text nur die Entstehung der
CD und die Geschichte der Show, läßt uns aber über die
gespielten Tunes im unklaren. Zwar haben die Sets alle
irgendwelchen Namen, die darin enthaltenen Tunes werden leider in
keiner Weise erwähnt, was für eine CD dieser Kategorie schon
fast unglaublich ist. Dies ist aber, neben dem etwas muffigen,
unklaren Live-Sound, der aber durch die Atmosphere wieder
aufgewogen wird, der einzige Kritikpunkt. Wie sagte ein
befreundeter Musiker: Eine heftige CD !
Pinnorekk Records, Hallerstraße 72, 20146
Hamburg. Fax: +49 40 44 35 97
Rolf Wagels
Zur ersten CD-Seite
Zum Inhalt der FolkWorld CD Besprechungen
Zum Inhalt des FolkWorld online magazins Nr. 12
© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 12/99
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