FolkWorld #81 11/2023
© Thomas Winkler / amnesty international

Botschaft der Hoffnung

Die malische Musikerin Fatoumata Diawara ist längst ein Weltstar. Trotzdem singt sie in ihrer Muttersprache Bambara – für Versöhnung und gegen weibliche Genitalverstümmelung.

Fatoumata Diawara

Artist Video Fatoumata Diawara
@ FROG


www.fatoumatadiawara.com

Fatoumata Diawara ist noch ein wenig krank. Man hört es ihrer Stimme an, die müde aus dem Telefon kommt. Die Sängerin und Musikerin ist aber überzeugt von der heilenden Kraft ihrer Profession: "Ich kann krank sein, aber wenn ich auf die Bühne gehe, ist alles verflogen. Musik heilt, zumindest die Seelen der Menschen." Musik, glaubt Diawara, hat eine Macht, die keine andere Kunstform hat, erst recht nicht die Politik. Musik bringt Menschen zusammen, hebt ihre Stimmung, sie kann der kleinste gemeinsame Nenner sein – und sogar Feinde zusammenbringen und einen Krieg beenden.

Fatoumata Diawara muss es wissen, es ist ihr schließlich 2013 beinahe gelungen, einen Krieg zu beenden. Der scheinbar ewig währende Bürgerkrieg in ihrer Heimat hatte neue grausame Höhen erreicht, es gab einen Aufstand der Tuareg, einen Putsch des Militärs, und Islamisten besetzten Teile des Nordens. Die Musikerin hatte schon einen gewissen Bekanntheitsgrad – über Mali und ihre damalige Wahlheimat Frankreich hinaus – als sie das Projekt "United Voices of Mali" startete. 40 der bekanntesten Musiker*innen aus verschiedenen Landesteilen und unterschiedlicher ethnischer Herkunft fanden zusammen. Mit dem Song "Mali-ko" warben sie für Frieden und bewiesen, dass ethnische, religiöse und lokale Differenzen überwunden werden können. Mali sei zwar bis heute ein zerrissenes Land, doch sei dieses Lied noch heute jeden Tag zu hören, sagt Diawara voller Stolz: "Es ist fast so etwas wie eine Nationalhymne ­geworden. Seitdem weiß ich, dass man mit Musik etwas erreichen kann."

Nun scheint sie sich ein ungleich größeres Projekt vorgenommen zu haben. Eine Utopie: Der Videoclip zu "Nsera", der ersten Single aus ihrem neuen Album "London Ko", beginnt mit dem Bild eines Kindersoldaten, der von seinem viel zu großen Helm erdrückt zu werden scheint. Aber schnell wechselt die Stimmung: Man sieht Menschen selbstbewusst in die Kamera blicken, sie tragen traditionelle und moderne Kleidung, tanzen klassisches Ballett und im HipHop-Club, gehen auf die Jagd und fahren mit dem Motorrad durch die Stadt. Mit seinem ansteckenden Rhythmus und einem Refrain, der sich im Ohr festsetzt, präsentiert "Nsera" ein Afrika, das bunt, divers, tra­ditionell und zugleich modern, aber vor allem friedlich ist. Am Ende wirft der Kindersoldat Helm und Maschinengewehr in einen Sumpf. Der dreieinhalb Minuten lange Film ist ein Fest aus Farben und ­Eindrücken, ein Traum davon, was Mali sein könnte.

FATOUMATA DIAWARA & AHMED AG KAEDY

Nein, antwortet Diawara, das Mali aus "Nsera" entspreche nicht der Wirklichkeit, aber nur eine Fantasie sei es eben auch nicht: "Afrika kann sehr farbenfroh sein, aber die politische Realität ist oft dunkel. Es gibt immer Hoffnung, aber das Leben ist hart, es gibt Krieg, es herrscht Armut, Kinder gründen Gangs und bringen sich gegenseitig um. Aber mir geht es auch darum, dass es nicht so wirkt, als würde der ganze Kontinent in Selbstmitleid versinken, denn es gibt auch Länder wie Ghana oder Nigeria, die auf einem guten Weg sind. Wenn es Missstände in einem Land gibt, muss man sie aber benennen."

Das tut Diawara, vor allem die Situation der Frauen thematisiert sie immer wieder. "Sete" ist der zweite Song in ihrer Karriere, in dem sie die weibliche Beschneidung verurteilt. Die Genitalverstümmlung, so heißt es in dem Lied, gefährde das Leben der kleinen Mädchen, dabei seien sie die Zukunft des Landes.

Die Sängerin hat selbst Unterdrückung erfahren. 1982 als eins von 21 Kindern ihres Vaters in der Elfenbeinküste geboren, wuchs sie unter schwierigen Bedingungen in Mali auf. Mit 18 Jahren wurde sie für die Bühne entdeckt und spielte in Paris bei einer "Antigone"-Inszenierung mit. Zurück in Bamako bekam sie ein Angebot einer renommierten Schauspieltruppe, aber ihre Eltern verboten ihr die Schauspielerei und wollten sie stattdessen verheiraten. Sie floh vor der Zwangsehe und tourte die nächsten sechs Jahre als Schauspielerin, Tänzerin und Sängerin durch die Welt. "Als ich weg­gerannt bin, habe ich alles aufgegeben, ich hatte nicht mal einen Euro in der Tasche", erinnert sie sich. "Aber ich hatte ein Ziel, ich wollte Künstlerin werden und von meiner Kunst leben können."

Fatoumata Diawara

Artist Audio Fatoumata Diawara "London Ko", 3ème Bureau / Wagram Music, 2022

Das ist ihr längst gelungen. Den endgültigen Durchbruch schaffte sie 2007 mit der Hauptrolle im Musical "Kirikou", später sang sie Background für Jazz- und Soul-Legenden wie Herbie Hancock, Dee Dee Bridgewater und Bobby Womack, trat in Glastonbury auf, dem wichtigsten Festival Großbritanniens, gewann beim Africa Festival Würzburg den Africa Festival Award und arbeitete mehrfach mit der Indie-Pop-Band Gorillaz zusammen. Deren Mastermind Damon Albarn, einst Chef der Britpop-Ikonen Blur, sei mittlerweile "mehr als ein Freund", sagt sie. "Er ist ein Bruder." Sechs der 14 Songs auf "London Ko" hat Diawara gemeinsam mit Albarn geschrieben: "Er hat zu mir gesagt: Du bist die Brücke, die Mali mit dem Rest der Welt verbindet."

Die Verbindung zu dieser Welt hat die Sängerin, die zwischen Italien und Mali lebt, zweifellos aufgenommen. Sie feiert internationale Erfolge – und singt weiterhin ausschließlich in ihrer Muttersprache Bambara. Warum nicht auf Englisch? "Ich mache das für die Menschen in Mali", sagt sie. "Mir geht es darum, die Mentalität der neuen Generation zu verändern. Wenn ich vor einem westlichen Publikum spiele, weiß ich, dass die Menschen in einer Gesellschaft leben, in der sie zu viel Arbeit und keine Zeit zum Genießen haben – meine Aufgabe ist es, diesen Menschen Freude zu bereiten. Sie sollen sich aufgehoben fühlen in meiner Musik, geborgen wie ein Baby."

Dass diese "Babys" die Nachfahr*innen jener Kolonisator*innen sind, die einst ihre Heimat ausgebeutet haben und der Grund für viele Probleme sind, die Mali bis heute plagen, ist Diawara bewusst. Fragt man sie, ob sie Hoffnung hat für Afrika, ob ihre Utopie für Mali eines Tages doch Wirklichkeit werden könne, dann wird die müde Stimme am anderen Ende der Telefonleitung plötzlich kräftiger, kämpferischer: "Ich glaube fest an mein Land, meinen Kontinent. Die Afrikaner müssen lernen, ihre eigene Geschichte zu schreiben. Wenn wir immer nach Papa rufen, werden wir nicht erwachsen. Aber es muss auch endlich Schluss sein mit dem Paternalismus. Den Kolonisatoren sage ich: Wir kündigen die alten Verträge auf! Wir brauchen keinen Papa und keine Mami, wir können auf eigenen Füßen stehen."




amnesty international


Thomas Winkler ist freier Journalist. Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung dem (Amnesty Journal 2023) entnommen.


Photo Credits: (1)-(3) Fatoumata Diawara, (4) amnesty international (unknown/website).


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