FolkWorld Artikel von Michael & Christian Moll:
Cool Fiddle; photo by The Mollis

"Die Fiddle - ein cooles Instrument"

Die europäisch-kanadische Folkszene


Die Teviotbühne auf dem Edinburgh Folk Festival 1997. Ein Mädchen, das anfängt Piano-Keyboards zu spielen, ein junger Mann Gitarre. Plötzlich springt eine vollkommen schwarz gekleidete Gestalt auf die Bühne, fängt flugs an, einen fetzigen Tune aus seiner Fiddle zu zaubern. Rennt dabei auf der Bühne hin und her, stampft kräftig mit den Füßen im Takt. Die Pianospielerin hüpft beim Spielen ebenfalls auf und ab. Das Publikum ist sofort mitgerissen von dieser außergewöhnlichen Performance. Die Begeisterung steigt noch, als später der junge Fiddler beim Fiddlespielen auch noch Step tanzt - auch wenn sich das mit seinen Docs etwas schwierig gestaltet...

Kanada - sehr viel weiß man bei uns hier in Deutschland noch nicht über die Folkmusik aus diesem Lande. Namen wie Spirit of the West, Loreena McKennit, Leonard Cohen kennt man vielleicht; welch Reichtum an hervorragender Folkmusik verschiedenster, oft europäischer Traditionen in Kanada vorzufinden ist, ist dagegen eher unbekannt. Im folgenden wollen wir Einblicke in einige kanadische Folktraditionen und Folkmusiker geben. Anlaß dafür sind verschiedene erfreulichen Gegebenheiten: Europa wird zur Zeit immer mehr von Kanadiern besucht und fast jedes wichtige Festival hier bietet zumindest eine kanadische Band. Außerdem haben sich immer mehr in europäische Label zur Aufgabe gemacht, kanadische Folk-CDs für Europa (oder exklusiv) zu lizensieren, und dem heimischen Fan die Chance gegeben, sie auch hier zu erhalten. Von den Labeln sind vor allem die schottischen Label Iona/Lismor, Lochshore/KRL und Greentrax sowie das deutsche Magnetic Music Label zu nennen. Richard Wood; photo by The Mollis

Kommen wir zurück zu oben beschriebenen Fiddler; es ist der 20-jährige Richard Wood von der Prince Edward Island. Er ist zu seinem Instrument über seine Liebe zum Steptanzen gekommen - nicht zu unüblich in Kanada. Seine Auftritte erinnern von der Performance her zum Teil eher an ein Rock- als ein Folkkonzert; Richard beschreibt seine Musik als "Folkmusik mehr oder weniger am Rande des Folks, vor allem die Energie in der Live-Show".

Bei Kanadas Jugend ist es in den letzten Jahren ziemlich cool geworden, Fiddle zu spielen. "Vor einiger Zeit, da hätten dich Deine Freunde ausgelacht, wenn Du Fiddle gespielt hättest. Es war mehr oder weniger ein Alte-Leute-Instrument. Aber das hat sich geändert: Viele, viele junge Leute kommen im Moment neu in die Szene: Fiddler, Pianospieler, Steptänzer." Auch bei den Zuschauern wird die Musik immer populärer, vor allem bei denen im 'Nachtclub Alter', zwischen 19 und 30 Jahren, erzählt uns Richard.

Wie cool Fiddle spielen sein kann, zeigt auch Ashley MacIsaac. Der junge Fiddler und Steptänzer aus Cape Breton tritt normalerweise mit einer Hardrock-Backingband auf; seine Auftritte sind vollkommen verrückt und abgedreht. In Kanada ist seine Musik auch in die 'normale' Bevölkerung vorgedrungen.

Cool Fiddle; photo by The Mollis Cape Breton Island und Nova Scotia insgesamt ist berühmt für seinen Reichtum an schottischer Fiddletradition in Reinform. Diese Traditionen haben hauptsächlich im 18. Jahrhundert Immigranten aus Schottland mitgebracht; einige von ihnen kamen aus Abenteuergeist, einige, um reich zu werden, viele Tausende kamen durch erzwungene Emigration aus den schottischen Highlands, mit nichts als einigen Haushaltsgütern, ihrer gälischen Sprache, ihren Liedern und ihrer Musik.

Fiddler gibt es in Nova Scotia wie Sand am Meer. Am bekanntesten ist neben Ashley MacIsaac wohl Natalie MacMaster, die wie viele andere Nova Scotia Fiddler auch Steptanzen kann, während sie Fiddle spielt. Weitere exzellente Fiddler der Szene sind Jennifer Roland, Jerry Holland, Wendy MacIsaac, Brenda Stubbert - diese Auflistung ließe sich noch um einiges fortsetzen...

Neben dem Fiddle Spiel sind in Nova Scotia auch noch andere schottisch-gälische Traditionen zu finden. Mary-Jane Lamond z.B. ist eine exzellente gälische Sängerin. Mary-Jane, die selbst in Upper Canada aufgewachsen ist, deren Eltern aber aus Nova Scotia stammen, kam zuerst mit dem Gälischen in Kontakt, als sie den Vater ihres Vaters seine Gebete in gälisch sprechen hörte. " Ich habe schon immer Musik und Gesang geliebt, und als ich zum ersten Mal traditionelle gälische Lieder gehört habe, wußte ich, daß dies die Lieder waren, die ich singen wollte." 'Bho Thìr Nan Craobh', der Name ihres Debutalbum, bedeutet übrigens "aus dem Land der Bäume"; viele gälische Barden sangen über die dichten Wälder des Landes, als sie zuerst in Kanada ankamen. Viele von ihnen kamen von den baumlosen Hebriden-Inseln; die Wälder Kanadas waren ein sehr starker erster Eindruck auf sie.

Cool Fiddle; photo by The Mollis Daneben gibt es in Nova Scotia etliche Bands, die ihre Musik eher rockig/poppig verpacken, wie z.B. die in Kanada populären Barra MacNeils, die hervorragende Musiker sind, aber ihre Lieder oft in ein Contemporary Gewand packen. Ähnliches gilt auch für die Rankin Family. In einem rockigeren Outfit präsentieren sich Rawlins Cross.

Neben den Traditionen mit schottisch-gälischem Hintergrund aus Nova Scotia sind auch die franko-kanadischen Gruppen wichtiger Bestandteil der Kanadischen Szene. Die Briten eroberten Quebec von den Franzosen in 1759; der Vertrag von Paris 1763 gab den Briten die Herrschaft über ganz Kanada. Die französische Abspaltung von Kanada wurde 1995 nur knapp abgelehnt in dem kanadischen Referendum, der franko-kanadischen Tradition hat das aber nichts geschadet - eher im Gegenteil.

Die nicht nur in Kanada wohl bekannteste franko-kanadische Band ist La Bottine Souriante, die es schon seit über 20 Jahren gibt, und die zu den Wegbereitern des franko-kanadischen Folkrevival zählen. La Bottine sind ein wahres Erlebnis, eine wahnsinnig gute Performance legen die 9 Musiker vor , die schon in ganz Europa zu Standing Ovations führte. Französischer Gesang, Fußperkussion, Akkordeon, seit einigen Jahren zusätzlich noch eine vierköpfige Brass Section mit Trompete, Saxophon und Trombonen - ein einzigartiger, lebendiger Klang - das ist es, was La Bottine ausmacht. Prägend sind in der Band vor allem Gründungsmitglied Yves Lambert, der Hauptsänger und Akkordeonist ist, sowie Fußpercussinist/Sitting Stepper Michel Bordeleau, der während seiner Fuß-Tätigkeit gleichzeitig auch noch Fiddle bzw. Mandoline spielen kann! Hinzu kommen schließlich (neben der Brass Section) Piano, Violine/Gitarre und Bass.

3 Barachois, Louise, Albert and Chuck Arsenault; photo by The Mollis Franko-kanadische Traditionen findet man aber auch auf der Prince Edward Island; noch heute finden sich dort starke ursprüngliche französische Traditionen. Die Insel-'Arcadians' sind Überbleibsel der ersten europäischen Siedler in Kanada. Mitte des 17. Jh. wurden die Arcadier grauenvoll von den britischen Eroberern vertrieben; einige der Arcadier jedoch wollten oder konnten nicht fort. Sie versteckten sich in den Wäldern der Insel, überwinterten mit Hilfe ihrer Nachbarn, der Miq Maq Indianer. Es blieben also kleine Gemeinden französischer Siedler zurück, die Barachois genannt wurden; ruhig und friedlich waren sie, voll von Leben und Freuden und einer einzigartigen Kultur, die bis heute überlebt hat. Barachois heißt auch eine hervorragende franko-kanadische Band der Prince Edward Island, die die Traditionen dieser Siedler eindrucksvoll aufleben läßt und feiert.

Und interessant wird es dann auch sehr, wenn nun eine kanadische Band mit ihrer Musik in das europäisches Mutterland geht. Für die Bevölkerung ist es dann oft spannend, ihre eigenen Traditionen zu entdecken, die sie überhaupt nicht kennen. Als Barachois in Frankreich in der Region ihrer Vorfahren spielten, waren die Reaktionen hervorragend. "Sie waren sehr interessiert an der Tatsache," erzählt Hélène Bergeron (Musikerin von Barachois), "daß wir Traditionen weitergeführt haben, während sie sie verloren haben, daß traditionelle Musik dort sicher war, bei einer solchen Minderheit in Kanada, in einem fremden Lande soweit entfernt vom Mutterland."
2 Barachois, Louise and Albert Arsenault; photo by The Mollis In Frankreich gibt es noch in der Bretagne, der Normandie und in Teilen Südfrankreichs lebende Musiktraditionen und traditionelle Tänze und Trachten, aber in dem Teil Frankreichs, aus dem die Arcadier und auch Barachois kommen, der Maritime Region an der Atlantikküste, sagen die Leute, daß sie ihre traditionelle Musik verloren haben. "Sie erkennen die Lieder nicht mehr wieder, die wir singen. Wobei – einmal kam nach einem Konzert eine alte Frau auf uns zu und meinte, sie würde eines der Lieder kennen, sie hätte es schon einmal vorher gehört."

Dabei ist es nicht so, daß Musik und Lied in der ursprünglichen Form konserviert sind; viele verschiedene Einflüsse sind in die Tradition eingegangen, seit die Arcadier nach Kanada kamen – vor allem Fiddle-Musik. "Wo wir heute leben (Prince Edward Island an der Ostküste Kanadas), sind starke schottische und irische Einflüsse in der Musik; der Fiddle Style ist schottisch, und wenn wir das mit dem Gesang vermischen, entsteht sozusagen ein neuer Stil."

Kanadische Folkmusik mit europäischen Wurzeln ist oft für den Europäer ein Erlebnis. Typisch ist eine ausgeflippte, sehr modern wirkende Performance, aber auch traditionelle Musik in Reinform. Piano-Begleitung, Fußpercussion, die Fiddle und Steptanz. Einflüsse aus aller Herren Länder. In diesem Artikel haben wir uns vor allem mit der keltischen/französischen Tradition in Kanada auseinandergesetzt, es gibt natürlich auch noch viel mehr.

Im Moment gibt es ein großartiges Folk Revival in Kanada; jeder nimmt im Moment Alben auf, und viele aus den jungen Generationen fangen an zu spielen, weil es äußerst in und cool ist, traditionelle Musik zu spielen. "Aber die Musik war schon immer da gewesen, sie wird jetzt nur wieder neu entdeckt", erinnert Hélène Bergeron (von Barachois). "Es bekommt nun alles eine größere Aufmerksamkeit, mehr Leute wollen auch so etwas machen. Es nimmt sein ganz eigenes Momentum, etwa wie im Schneeballsystem."

Und wollen wir doch hoffen, daß solche Schneebälle in Zukunft auch immer wieder mal Deutschland treffen...


Photo Credit: The Mollis
(1) Richard Wood; (2) & (3) Barachois; plus several cool fiddles...


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© The Mollis - Herausgeber von FolkWorld; Published 2/99

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