Die indische Band The Casteless Collective mischt westlichen Pop mit Gaana, der traditionellen Musik der marginalisierten Dalits. Ihr Ziel: eine kastenfreie Gesellschaft ohne Unterdrückung. Bandleader Tenma über Stolz, Fortschritt und die egalisierende Wirkung von Anzügen.
In Liedern Ihrer Band geht es um den Sozialreformer B. R. Ambedkar, die Quotenregelung für Dalits oder den allgegenwärtigen Sexismus. Versteht sich das Casteless Collective in erster Linie als Musikprojekt oder als Gruppe politischer Aktivist*innen?
Wir sind schon in erster Linie eine Band. Wären wir nicht alle Musiker*innen, hätten wir nicht zusammengefunden. Wir sind Instrumentalist*innen, Komponist*innen, Sänger*innen, Rapper*innen und Schreiber*innen, aber wir sind uns auch dessen bewusst, was um uns herum los ist. Tatsächlich werden wir von der Öffentlichkeit nahezu ausschließlich als politisches Projekt wahrgenommen. In jedem Interview müssen wir uns zu politischen und gesellschaftlichen Themen äußern, niemand stellt uns spaßige Fragen wie: Welche Sneaker-Marke trägst Du am liebsten?
Dann gleich mal eine Frage zu Klamotten: Wenn das Casteless Collective auf die Bühne geht, tragen alle denselben Anzug. Ist auch das eine Botschaft?
Wir haben alle sehr unterschiedliche musikalische Hintergründe, kommen aber auch aus verschiedenen gesellschaftlichen Klassen. Mit den einheitlichen Anzügen, die wie eine Uniform wirken, wollen wir zeigen, dass uns eine Idee vereint. Und wir wollen nicht zuletzt daran erinnern, dass es einen Grund gab, warum Mahatma Gandhi seinen Anzug abgelegt hat – Ambedkar aber bewusst einen getragen hat. Dass wir Anzüge tragen, ist auch eine Verbeugung vor Ambedkar.
B. R. Ambedkar kämpfte als Anwalt für die Rechte der Dalits, von denen er bis heute verehrt wird wie eine Ikone – mehr noch als Gandhi.
Die meisten Musiker*innen des Kollektivs stammen aus genau den marginalisierten und unterdrückten Gruppen, für die Ambedkar gekämpft hat. Indem sie auf der Bühne nicht ihre Alltagskleidung tragen, sondern einen Anzug, legen sie den ihnen zugewiesenen Status ab und sorgen für Irritation im Publikum.
Warum haben Sie Musik gewählt, um gegen das Kastensystem zu kämpfen?
Die Kunst ist seit Menschengedenken das Mittel, mit dem man gesellschaftlichen Fortschritt einleiten kann. Denken Sie an die Renaissance, das war nicht nur Malerei und Architektur, sondern auch eine Rebellion gegen die Kirche, die sozialen Wandel bewirkt hat. Punk oder HipHop haben nicht nur die Popmusik verändert, sondern auch die Gesellschaft – genauso Künstler wie Bob Marley oder Curtis Mayfield. Musik kann das Denken und in der Folge die Gesellschaft verändern.
Bemerken Sie, dass das Casteless Collective etwas bewirkt?
Traditionell sprechen in Indien meist Nichtunterdrückte für die Unterdrückten. Bei uns nehmen die Unterdrückten das Mikrofon in die Hand und sprechen für sich selbst. Damit haben wir schon viel erreicht. Wir waren und sind eine Art Blaupause für andere Bands und Künstler*innen, die heute in Indien widerständige, kritische Musik und Kunst machen.
Liegt die politische Kraft allein in den Texten oder auch in der Musik?
In beidem. Die Texte formulieren die Fragen, die die Musik stellt. Es gibt Gaana schon sehr lange, aber Dalit-Künstler*innen haben nie ein Publikum jenseits ihrer eigenen Community erreicht. Indem wir die lokale Kunstform Gaana mit Rock und HipHop mischen, sie anglifizieren und globalisieren, erreichen wir ein viel breiteres Publikum. Unser Schlagzeuger kommt aus dem Metal, unser Gitarrist aus dem Jazz und Blues, ich komme aus dem Funk – und wenn wir zusammenkommen mit den Gaana-Percussionist*innen und -Sänger*innen, entsteht etwas Einzigartiges und Kraftvolles. Dieses Amalgam unterscheidet das Casteless Collective von anderen politischen Bands in Indien, die meist westliche Pop- und Rockmusik spielen.
Ist das Casteless Collective auch eine Art Mikrokosmos der indischen Gesellschaft, in dem alle Konflikte ausgetragen werden?
Wir sind kein exaktes Abbild der indischen Gesellschaft: Es gibt nur eine Frau, wir haben auch keine Transpersonen in der Band. Aber ja, es gab viele interne Diskussionen, auch Streit. Nicht nur zwischen Dalits und Nicht-Dalits wie mir, sondern auch innerhalb der Dalits, denn auch dort gibt es verschiedene Communities, zwischen denen es einen völlig bescheuerten Wettbewerb gibt, wer besser sei oder weniger unterdrückt. Stolz ist die Wurzel allen Übels, und wir mussten erst einmal diesen Stolz überwinden, um eine Kultur der Solidarität zu etablieren.
Dann bildet das Collective einen geschützten Raum, in dem Kaste und Klasse keine Rolle mehr spielen?
Als wir die Band gründeten, ging es uns auch darum zu zeigen, wie es sein könnte. Das Casteless Collective soll ein Safe Space sein, in dem Unterdrückte und ihre Verbündeten zusammenkommen und sehen, was wir gemeinsam erreichen können.
Haben Sie Angst, dass durch die Herrschaft der hindu-nationalistischen Regierungspartei BJP die vorsichtigen Erfolge, die Sie kulturell mitbewirkt haben, wieder rückgängig gemacht werden?
So wie wir einen Diskurs bewirkt haben, hat auch die politische Rechte einen Diskurs etabliert. Dem zufolge gibt es in der indischen Gesellschaft nur zwei Gruppen: Hindus und Nicht-Hindus. Wir sagen: Es ist komplizierter, und die echten Konflikte verlaufen nicht zwischen Hindus und dem Rest, sondern zwischen den Kasten und Klassen. Wahrscheinlich werde ich keinen BJP-Anhänger von seinen Überzeugungen abbringen können, aber die Musik kann ihn berühren – und aus ihm vielleicht einen emotional intelligenteren Menschen machen.
Das Ziel des Casteless Collective ist in letzter Konsequenz eine kastenlose Gesellschaft. Wann wird dieses Ziel erreicht sein?
(Lacht) Ich fürchte, ich werde das nicht mehr erleben. Aber jeder einzelne kastenlose Mensch ist ein Schritt auf dem Weg und ein großer Erfolg.
Thomas Winkler ist freier Journalist. Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung dem
(Amnesty Journal 2022) entnommen.
Photo Credits:
(1)-(2) The Casteless Collective,
(3) amnesty international
(unknown/website).