FolkWorld #76 11/2021
© Absolut Promotion

Article in English

Politische Gefangene wegen Dudelsack-Spielen

Free Irdorath

»Sie können singen, aber man
hat ihnen die Stimme gestohlen«


»#StandWithBelarus«

Sie spielten als erste belarussische Band auf dem Wacken Open Air, sie bereisten in den letzten 5 Jahren ganz Europa - und sie spielten im Sommer 2020 in ihrer Heimatstadt Minsk mit Dudelsäcken, Gitarren und Trommeln den Protestsong der Demokratiebewegung "Peremen" von Viktor Zoi und seiner Band "Kino". Das wurde den jungen Musikern der Band Irdorath aus Belarus nun zum Verhängnis.

Irdorath
Seit ihrer Gründung im Jahr 2011 hat sich Irdorath vom Straßenmusikprojekt zum Headliner internationaler Folk-Festivals entwickelt. Die Bandleader Uladsimir und Nadseja trafen sich als Studenten. Im Jahr 2011 beendeten sie ihre beruflichen Karrieren, um sich ganz der Musik widmen zu können. Sie zogen in die belarussische Hauptstadt Minsk, mit dem Ziel, ein Album zu produzieren. Ohne Geld, Unterstützung und nützliche Kontakte lebten sie von 2011 bis 2012 in einem stillgelegten Sanatorium in der Nähe von Minsk, das zu einem Veranstaltungszentrum für historische Events ausgebaut werden sollte – manchmal ohne Strom und Wasser. Anton Schnip (Saiteninstrumentalist und Schlagzeuger) trat dem Projekt als gleichgesinnter Mitstreiter bei. Dieses Trio veranstaltete Mittelalter-, Gothic- und post-apokalyptische Partys, spielte Konzerte und führte ein Musical auf. Im Winter 2011/2012 baute die Gruppe ein großes Zelt über der Veranstaltungsbühne des Hauses, um bei strengem Frost das Album Ad Astra aufzunehmen – „Zu den Sternen“. Ein paar Monate später fand die Albumpräsentation in einem der größten Clubs in Minsk mit Erfolg statt: 700 Zuschauer erschienen, mehr als bei jedem vorherigen Solokonzert einer belarussischen Gruppe. Von 2012 bis 2013 tourte die Band durch Belarus, die Ukraine, Russland, Polen und Litauen, häufig mit Akteuren anderer Genres wie Feuershows, Neon-Shows oder Tänzerinnen. Im Jahr 2014 traten Pjotr „Pedro“ Martschanka (Saiteninstrumente), Nastassja Filipenka und Aljaksandra Aljaksjuk (Violoncello) der Band bei. Das Instrumentenrepertoire erweiterte sich um Drehleier, Didgeridoo, Keyboard und Perkussion. Die Band entfernte sich von den rein mittelalterlichen Themen und legte ihren Fokus mehr auf Weltmusik und eigene Kompositionen. Im gleichen Jahr trat Irdorath auf einem der größten Mittelalterfeste auf: dem Festival-Mediaval in Selb (Deutschland). Im Jahr 2015 veröffentlichte Irdorath das zweite Album Dreamcatcher, eine professionelle Studioproduktion. Die Band feierte die Veröffentlichung des Albums Dreamcatcher mit einem großen Solokonzert unter Mitwirkung von mehr als 20 Musikern und Darstellern. Das Konzert diente als Grundlage für die aktuellen Live-Videos der Band. Darüber hinaus produzierte Irdorath das erste offizielle Musikvideo zu As Bas. Es wurde sofort der populärste belarussische Clip im Folkbereich. Aktuell engagiert sich Irdorath verstärkt auf dem deutschen Musikmarkt. Für das 25. Wave-Gotik-Treffen Leipzig ist Irdorath mit zwei Konzerten gebucht, ebenso für ein Konzert am Hörnerfest 2016. Seit März 2016 ist die Band mit dem Album Dreamcatcher unter Vertrag bei Screaming Banshee im Vertrieb der Alive AG.

Irdorath beschreibt ihren Musikstil als „Fantasie-Folk“, was eine grenzenlose und offene Verwendung verschiedener kultureller Einflüsse in den Eigenkompositionen deutlich machen soll: Geografisch von der Mongolei über den Balkan bis nach Europa, zeitlich aus Epochen der letzten 1000 Jahre. Die sechsköpfige Band um Uladsimir und Nadseja setzt dabei ausschließlich akustische Instrumente ein – von Mittelalter bis Neuzeit und aus verschiedenen Kulturkreisen (zum Beispiel Dudelsack, Drehleier, Maultrommel, Didgeridoo). Uladsimir beherrscht darüber hinaus den tuwinischen Kehlkopfgesang. Irdoraths Sound liefert neben filigranen Klängen klassischer Instrumente wie Cello, Geige und Klavier auch progressive Parts, deren Drive und Power vom pulsierenden Bass und zwei kraftvollen Schlagzeugen herrührt. Jedes Bandmitglied spielt mehrere Instrumente. Die englischen, russischen, belarussischen und makedonischen Texte entstammen der Welt der Legenden und Mythen.

Irdorath
Die Mitglieder der Band waren Mitte August 2020 in Minsk bei Demonstrationen gegen den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenka mitgelaufen und hatten dort unter anderem mit Dudelsäcken den berühmten Protestsong „Peremen!“ der russischen Band Kino gespielt. Bei einer Geburtstagsfeier der Sängerin Nadseja Kalach nahm daraufhin ein Spezialkommando am 2. August 2021 16 Personen aus dem Umfeld der Band fest. Die belarussischen Sicherheitsbehörden begründeten die Festnahme damit, dass die Band „die Demonstranten zu unrechtmäßigem Verhalten gegenüber der Polizei angestachelt“ hätte. Zunächst wurden zehn Tagen Untersuchungshaft verhängt, die Haft wurde dann bis zum Beginn der Verhandlung verlängert. Bisher wurde noch kein Verhandlungstermin bekannt. Im August 2021 wurde gegen die Musiker Anton Schnip, Nadseja Kalach (aka Nadseja Irdorath), Uladsimir Kalach (aka Uladsimir Irdorath), Pjotr und Julija Martschanka sowie Dsmitryj Sсhymanski Anklage nach Artikel 342 des Strafgesetzbuches (Organisation oder aktive Teilnahme an Gruppenklagen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen) erhoben. Durch gemeinsame Erklärungen von Menschenrechtsorganisationen, darunter Wjasna, der Belarussische Journalistenverband, das Belarussische Helsinki-Komitee wurden sie alle als politische Gefangenen anerkannt. Die Verhaftung und Anklage von Irdorath sorgte auch international für Aufsehen. Andere Mittelalter-Musiker engagierten sich für die Freilassung der Band. In Berlin kam es zu einer Demonstration vor der belarussischen Botschaft unter Leitung von Corvus Corax.

© https://de.wikipedia.org/wiki/Irdorath

Artist Audio Artist Video
Irdorath @ FROG       www.irdorath.by

Am 02.08.2021 wurden die Musiker und die Crew der Band Irdorath sowie Freunde und Kollegen, insgesamt 16 Personen, während der Geburtstagsfeier der Sängerin Nadezhda Kalach brutal festgenommen und vorläufig festgenommen. Erste Anhörungen am 03.08.2021 ergaben 10 Tage Haft bis zum morgigen Tage. Die offizielle Begründung war Widerstand gegen die Staatsgewalt bei der Festnahme. Weiter wurde der Band und ihren Kollegen und Freunden vorgeworfen, bei unerlaubten Demonstrationen teilgenommen und durch Musikinstrumente die Masse zu Demonstrationen und rechtswidrigem Verhalten aufgerufen zu haben. Bei den heutigen Anhörungen zum weiteren Umgang wurde die Haft für einen Großteil der Beteiligten bis zur Verhandlung der weiteren Vorwürfe verlängert. Einen Termin für die Verhandlung gibt es nicht. Es bleibt anzunehmen, dass die Verhandlungen erst in einigen Monaten stattfinden wird. Dabei ist mit mindestens 4 Jahren Haft für die Beschuldigte zu rechnen.

Mittlerweile wurden Irdorath und ihre Freunde und Kollegen von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen (u.a. Viasna) offiziell als politische Gefangene deklariert.

Da diplomatische und politische Wege für Inhaftierte in der aktuellen Situation keine Möglichkeit auf Freilassung darstellen, starteten die deutschen Partner und Freunde (u.a. Laetitium, absolut promotion, Foxy Records) sowie befreundeten Künstler in Kooperation mit dem belarussischen Council for Culture (Widerstandsbewegung von belarussischen Künstler aus Minsk und aus dem Exil) eine Fundraising Aktion, um die Familien bei den anfallenden Kosten für Anwälte und Versorgung zu unterstützen.

Zur Beschreibung der Spendenaktion über das Council for Culture: https://byculture.org/en/irdorath. Der Direktlink zu getdonate: https://getdonate.org/en/campaign/335 Parallel wurde eine Kooperation mit der Menschenrechtsorganisation Libereco gestartet, um die Sicherheit im Gefängnis durch politische Patenschaften bestmöglich zu realisieren. Weitere folgenden Supportmöglichkeiten, geplante Demonstrationen und Unterstützungen sowie Solidaritätsbekundungen werden durch unterschiedliche Social Media Aktionen unter dem Hashtag #freeirdorath kommuniziert. Ein Video der Festnahme, das im belarussischen Staatsfernsehen gezeigt wurde, mit englischen Untertiteln, die das Council for Culture realisierte: https://www.youtube.com/watch?v=8oFgQv7XY-U.

Um darauf aufmerksam zu machen, waren Corvus Corax letzten Montag vor der Botschaft der Republik Belarus. Ziel ist es, auf diese Vorgänge im Netz viel Aufmerksamkeit zu bekommen und Spenden zu sammeln, damit die Anwälte finanziert werden können. Die Aktion haben wir auf dem Handy mitgefilmt: https://www.youtube.com/watch?v=ak5v1ZCByJU. Der Dunkle Parabelritter hat heute auf seinem YouTube Kanal einen sehr ausführlichen Bericht mit excellenter Recherche über die Zustände in Belarus und die Verhaftung der Band veröffentlicht, diesen Link möchte ich hiermit zur Weiterverbreitung herzlich empfehlen: https://www.youtube.com/watch?v=y4tJdX6qaUQ.


Hallo liebe Kollegen, Klienten, Künstler und Freunde, wie einige vielleicht schon mitbekommen haben, steht bei mir seit einigen Tagen die Welt Kopf, da meine belarusischen Klienten von Irdorath am 02.08.2021 während der Geburtstagsfeier von Bandleaderin Nadia gemeinsam mit insgesamt 16 Freunden und Kollegen brutal festgenommen und inhaftiert wurden. Vorerst wurde eine Haftstrafe für 10 Tage gegen alle verhangen wg. Widerstand gegen die Staatsgewalt (ihnen wird vorgeworfen, ein nicht funktionables Gartentor, das nicht mehr schließt, nicht geöffnet zu haben). Darüber hinaus sind 5 Bandmitglieder wegen Aufhetzung der Bevölkerung und Anstiftung zu Straftaten angeklagt, da sie auf den Massendemonstrationen letztes Jahr mit Dudelsäcken, Gitarren und Trommeln den Song der Widerstandsbewegung gespielt haben. Hier droht ihnen eine Haftstrafe von 4 Jahren höchstwahrscheinlich, die Höchststrafe wären 15 Jahre. Hier ein Video, das im offiziellen Staatsfernsehen in Belarus lief, von der Festnahme, das von Council for Culture mit englischen Untertiteln versehen wurde: https://youtu.be/8oFgQv7XY-U.

Die politische Situation in Belarus ist in den vergangenen Wochen ja groß durch die Medien gegangen, deswegen führe ich die Absurdität dieser Anklagen gar nicht weiter aus. Meine Klienten sind lediglich der angekündigten „Säuberung“ (ja, er hat wirklich dieses Wort genutzt) zum Opfer gefallen. Wir haben seit 10 Monaten nun für Visa und Möglichkeiten, die Band dauerhaft aus dem Land zu bekommen, gekämpft – teilweise auch mit großartiger Unterstützung eurerseits. Leider waren bis zur Festnahme lediglich Visa für 3 Monate für Deutschland und auch nur für 2 Bandmitglieder ausgestellt worden, so dass es uns leider nicht weitergeholfen hat. Das dramatische: Diese zwei Bandmitglieder hatten von Moskau aus Flüge nach Deutschland für den 08.08.2021, da sie aus Angst nun endgültig gehen wollten – egal was nach 3 Monaten passiert. Das war leider 6 Tage zu spät. Seit eben diesen 10 Monaten stehen wir in engem Kontakt mit hochrangigen deutschen Politikern, dem Auswärtigen Amt, der Botschaft und seit vergangener Woche zusätzlich mit der Hohen Kommissarin der United Nations sowie 3 NGOs sowie mittlerweile 5 Familien der 16 Inhaftierten, um strategisch gemeinsam das Vorgehen zu beraten.

Da heute weitere Anhörungen stattfinden, mussten wir bis zum heutigen Tage alle mediale Aufmerksamkeit aus strategischen Gründen dämpfen. Diese Situation verändert sich ab dem morgigen Tag – und die ersten Entscheidungen sind bereits am Vormittag gefallen (die Bandleader Nadia und Vladimir bleiben definitiv inhaftiert), dass definitiv nicht alle Inhaftierten in den Hausarrest oder in Freiheit entlassen werden, sondern bis zu weiteren Verhandlungen (Datum unbekannt) inhaftiert bleiben. Die Verhandlung der Inhaftierten Oppositionsführerin begann erst 10 Monate nach ihrer Inhaftierung …

Aufgrund der Tatsache, dass diplomatische Gespräche selbst auf Ebene der Außenminister direkt auch bei einer doppelten Staatsbürgerschaft nicht glücken, gehen wir davon aus, dass alle Inhaftierten, die heute nicht entlassen werden, bis auf Weiteres im Gefängnis bleiben müssen. Wen dies insgesamt betrifft, klärt sich im weiteren Verlauf des Tages. Deswegen starten wir nun heute Abend / morgen die bereits vorbereiteten Supportaktionen sowie die mediale Aufmerksamkeit in Presse & Social Media und bitten um Unterstützung und Verbreitung der Informationen sowie Hilfe bei unseren Aktionen, wenn es eure Zeit, eure Kraft und eure Möglichkeiten zulassen. Für alle Social Media Aktivitäten nutzt bitte den Hashtag #freeirdorath.

Da in Belarus eine irrsinnige Inflation tobt, die Inhaftierten nur mit Anwälten persönlich sprechen dürfen und die Anwaltskosten natürlich immens sein werden, haben wir in Kooperation mit der belarusischen Widerstandsbewegug „Council for Culture“ ein Spendenkonto eingerichtet, da sowohl der Geldtransfer in dieses Land sowie die Sicherstellung eines geheimen Transferweges an die Familien gewährleistet sein muss. Diese Organisation, die Künstler selbst aufgebaut haben, hat damit die meiste Erfahrung und Kontaktmänner in Minsk, die vor Ort direkt agieren können. Hier bereits für euch die Beschreibung der Spendenaktion über das Council for Culture: https://byculture.org/en/irdorath. Der Direktlink zu getdonate: https://getdonate.org/en/campaign/335.

Diese Links dürfen gerne geteilt und verbreitet werden. Und da wirklich jeder Euro hilft, freuen wir uns über jede kleine Spende. Das Geld wird ausschließlich zur Bezahlung der Prozesskosten und Aufwandskosten für die 16 Inhaftierten verwendet. Sollte Geld übrig bleiben, wovon derzeit nicht ausgegangen werden kann, wird es anschließend den Musikern und Künstlern, die inhaftiert wurden, für ihre weiteren Projekte zur Verfügung gestellt.

Parallel organisieren wir gerade Politiker, die in Kooperation mit der NGO Libereco direkten Patenschaften für die Inhaftierten übernehmen, um durch Briefkontakt direkt die Sicherheit im Gefängnis bestmöglich zu gewährleisten. Solltet ihr Kontakte zu Politikern haben, die auf Bundesebene nach der Wahl aktiv sein werden, die sich bereit erklären, eine solche Patenschaft für Inhaftierte politische Gefangene in Belarus zu übernehmen, meldet euch gerne bei mir. Ich habe alle Informationen zu dem Prozedere vorliegen und vernetze gerne direkt mit Libereco.

Unabhängig davon startet morgen eine erste größere Social Media Aktion, zu der alle Musiker weltweit eingeladen sind, teilzunehmen, um die Band zu supporten. Initiiert von holländischen Musikern rund um Rob van Barschot: Der Song der Widerstandsbewegung, den Irdorath auf den Protesten spielten, wird von Musikern auf der ganzen Welt gespielt und im Internet zum Klingen gebracht. Wir haben die Informationen dazu direkt aufbereitet und stellen alles notwendige Material unter den untenstehenden Links bereit, so dass jeder Musiker / jede Band, die helfen und ihre Unterstützung öffentlich ausdrücken möchte, direkt selbst agieren kann. Rob dazu: “We would like to make a lot of different videos of the same song. We use #freeirdorath to make the hashtag go viral. In the package are seperate instruments you can use, so you can take for example the drums and the guitar part, and play your own hurdy gurdy part over it. then you upload your video playing your instrument (in my example video you see me playing drums). Of course if you are a DJ or so, you can also make a remix. More info is in a word file in the package.” We Transfer Link: https://we.tl/t-CnB7YBcxaD. Lyrics – if someone wants to sing: https://lyrics-on.net/en/1005629-peremen-peremen-lyrics.html.

Leitet diese Informationen gerne auch an alle Musiker weiter, mit denen ihr arbeitet / in Kontakt steht und von denen ihr glaubt, sie könnten interessiert sein, sich mit einzubringen. Ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit, für jede kleine Hilfe, Support, Unterstützung, die ihr realisieren könnt. Beste Grüße, Jeany Leinweber, M.A., Laetitium - Künstler- und Kulturmanagement, Foxy Records & Absolut Promotion





Photo Credits: (1)-(3) Irdorath (unknown/website).


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