FolkWorld #76 11/2021
© Thomas Winkler / amnesty international

Lieder zwischen den Welten

Ozan Ata Canani

Der Klang der Integration: Ozan Ata Ca-
nani konnte nie von seiner Musik leben.


Artist Video
www.ozanatacanani.de

Der Saz-Virtuose Ozan Ata Canani hat in den 1970er Jahren als Erster die Erfahrungen der Migrant_innen in Deutschland musikalisch verarbeitet – auf Deutsch. Erst jetzt ist sein Debütalbum erschienen.

Es war einmal, lang ist es her, da schrieb ein junger Mann in Liedern auf, was ihn bewegte in dem Land, in dem er lebte. Er nahm das Instrument, das er aus einem anderen Land mitgebracht hatte, gab sich selbst den Ehren­titel Ozan ("Dichter") und spielte und sang seine Lieder. Die handelten davon, wie es ist, als Fremder in Deutschland zu leben, als einer, der damals "Gastarbeiter" genannt wurde. Sie handelten davon, dass alle Menschen glücklich sein wollen und dass man nicht allein von Brot satt wird. Davon, wie es ist, härter arbeiten zu müssen für weniger Lohn als die deutschen Kol­leg_in­nen, und wie es sich anfühlt, zwischen zwei Welten zu leben. Heute ist Ata Canani 57 Jahre alt und sagt: "Ich bin stolz, dass meine Lieder immer noch so aktuell sind – und ich fürchte, sie werden auch in hundert Jahren noch aktuell sein."

Lebensrealität der Neuankömmlinge

Ozan Ata Canani

Artist Audio Ozan Ata Canani "Warte mein Land, warte", Fun In The Church, 2021

Ata Canani war der erste Migrant, der in den 1970er Jahren die Lebensrealität der Neuankömmlinge in Songs verarbeitete – und das in deutscher Sprache. Ein Novum, das aber kaum wahrgenommen wurde. Es gab zwar ein paar TV-Auftritte, unter anderem bei Alfred Biolek, doch spielte Canani seine Songs vor allem bei türkischen Hochzeiten, bei denen er allerdings eher als Virtuose mit der Saz, der Langhalslaute, gefragt war. "Die Gastarbeiter haben mich nicht verstanden, weil sie der deutschen Sprache nicht mächtig waren, und den Deutschen war meine Musik zu orientalisch", erinnert er sich.

Umso wichtiger, dass diese verloren gegangenen Lieder nun endlich wieder zu hören sind. Alle Stücke auf dem Album "Warte mein Land, warte", die neu geschriebenen sowieso, aber auch die jahrzehntealten, mussten von Canani und seiner Band neu eingespielt werden. Dass die alten Bänder verloren gegangen waren, dass es keine Originalaufnahmen mehr gab, macht deutlich, wie sehr Cananis historische Leistung in Vergessenheit geraten war. Als Bülent Kullukcu und Imran Ayata im Jahr 2013 die Compilation "Songs of Gastarbeiter" herausbrachten und Cananis vergessenen Klassiker "Deutsche Freunde" an den Anfang stellten, bekam er zumindest einen Teil der Anerkennung, die er ­verdient. Trotzdem dauerte es noch einmal acht Jahre, bis nun endlich ein ganzes Album ­erscheint.

Harte, körperliche Arbeit

Leben konnte Canani nie von seiner Musik. Mit elf Jahren kam er nach Deutschland, sein ­Vater wollte das musikalische ­Talent des Sohnes nie fördern, obwohl er die Saz spielen konnte wie kaum ein anderer. Also ging Canani 36 Jahre lang harter ­körperlicher Arbeit nach, ebenso wie die anderen "Drecks- und Müllarbeiter, Stahlbau- und Bahnarbeiter" aus der "Türkei, aus Italien, aus Portugal, Spanien, Griechenland, Jugoslawien", deren Schicksal er in "Deutsche Freunde" besingt. In dieser Zeit ­erlebte er, wie aus Gastarbeiter_innen zumindest offiziell doch noch Migrant_innen wurden, aber auch wie der NSU in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe zündete – Canani lebte ganz in der Nähe.

Vor fünf Jahren hatte er einen Herzinfarkt, seitdem lebt er von Hartz IV, mittlerweile in einer kleinen Wohnung in Lever­kusen. An der Wand des Wohnzimmers hängen alte Bilder und mehrere Exemplare seines Instruments, der Saz. Vor ein paar Jahren hat jemand ein Hakenkreuz auf die Wand des Mietshauses gesprüht, doch das Verfahren wurde eingestellt. "Meine ­Lieder sind ein Teil der Geschichte der Gastarbeiter in Deutschland", sagt Ata Canani. Nun sind sie zum Glück auch ein Teil der Gegenwart des Einwanderungslandes Deutschland.


amnesty international


Thomas Winkler ist freier Journalist. Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung dem Amnesty Journal entnommen (www.amnesty.de/journal/).



Photo Credits: (1)-(2) Ozan Ata Canani (by Frederike Wetzels); (3) amnesty international (unknown/website).


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