FolkWorld Artikel von Michael & Christian Moll:

Dieser Artikel war in Ausgabe 3 auch schon in englischer Sprache veröffentlicht - aus aktuellem Anlaß hier die deutsche Übersetzung.

Französische Traditionen aus Kanada

Barachois, eine der abgedrehtesten Bands der Szene, auf Deutschlandtour


2 Barachois, Louise and Albert Arsenault; photo by The Mollis Es fing alles an am Samstag Morgen, bei dem ‚The Canadians Are Coming' Presseempfang von Ronnie Simpsons Iona Label auf dem Tønder Festival. Wir saßen zusammen mit einigen Kanadiern an einem Tisch, und es dauerte ziemlich lange, bis wir herausgefunden hatten, daß sie die Band waren, auf die wir am meisten gespannt waren: Barachois. Als wir ins Gespräch kamen, bekamen wir mehr und mehr Interesse an den Traditionen dieser außergewöhnlichen franko-kanadischen Band. Es sollte ein ziemlich fröhlicher (aber auch interessanter!) Morgen werden, wo doch Barachois eine der lustigsten Bands der Szene sind und außerdem die kanadische Botschaft 600 Dosen Bier für die vielleicht 30 Journalisten und Musiker gesponsort hatte...

In Kanada sind noch einige europäisch basierte Traditionen zu finden, die im jeweiligen europäischen Mutterland schon lange ausgestorben sind. Wenn nun eine kanadische Band mit ihrer Musik in das europäisches Mutterland geht, dürfte es für die Leute spannend sein, ihre eigenen Traditionen zu entdecken, die sie überhaupt nicht kennen.

Als Barachois in Frankreich in der Region ihrer Vorfahren spielten, waren die Reaktionen hervorragend. "Sie waren sehr interessiert an der Tatsache," erzählt Hélène, "daß wir Traditionen weitergeführt haben, während sie sie verloren haben, daß traditionelle Musik dort sicher war, bei einer solchen Minderheit in Kanada, in einem fremden Lande soweit entfernt vom Mutterland." In Frankreich gibt es noch in der Bretagne, der Normandie und in Teilen Südfrankreichs lebende Musiktraditionen und traditionelle Tänze und Trachten, aber in dem Teil Frankreichs, aus dem die Arcadier und auch Barachois kommen, der Maritime Region an der Atlantikküste, sagen die Leute, daß sie ihre traditionelle Musik verloren haben. "Sie erkennen die Lieder nicht mehr wieder, die wir singen. Wobei – einmal kam nach einem Konzert eine alte Frau auf uns zu und meinte, sie würde eines der Lieder kennen, sie hätte es schon einmal vorher gehört."

Dabei ist es nicht so, daß Musik und Lied in der ursprünglichen Form konserviert sind; viele verschiedene Einflüsse sind in die Tradition eingegangen, seit die Arcadier nach Kanada kamen – vor allem Fiddle-Musik. "Wo wir heute leben (Prince Edward Island an der Ostküste Kanadas), sind starke schottische und irische Einflüsse in der Musik; der Fiddle Style ist schottisch, und wenn wir das mit dem Gesang vermischen, entsteht sozusagen ein neuer Stil."

3 Barachois, Louise, Albert and Chuck Arsenault; photo by The Mollis IBarachois sind als Band nunmehr drei Jahre zusammen. Ihre Live Performance ist schon etwas, was seines gleichen sucht; sie machen mit ihrer hochqualitativen Musik eine wahre Comedy Show, bei der kein Auge trocken bleibt, bei der in einem Lied mal ein Baumstamm auf der Bühne zersägt wird, bei einem anderen einem auserwählten Teil des Publikums auf den Köpfen herumgeschlagen wird – ohne Zweifel einer der besten Live Acts, den die Folkszene überhaupt zu bieten hat.

"Wir haben schon immer Musik gespielt, da wir (außer Chuck) in musikalischen Familien aufgewachsen sind. Unsere Väter spielten Fiddle, und wir haben Fiddlemusik unser ganzes Leben schon gehört; wir haben auch sehr früh angefangen zu tanzen.", erinnert sich Hélène. Die Lieder, die sie singen, sind traditionell; die meisten von ihnen kommen aus Frankreich und sind sehr alte Lieder. Sie wurden von Generation zu Generation weitergereicht, meistens von Mutter zu Tochter, während die Frauen arbeiteten. Die verschiedenen Generationen arbeiteten zusammen, und sie sangen bei der Arbeit, um das Tempo anzutreiben. "Alle diese Lieder wurden überliefert; sie sind alle gesammelt und in einem Archiv an einer Universität gelagert worden. Wenn wir also Material suchen, gehen wir und schauen in diese Sammlung. Es gibt auch Aufnahmen, unkommerzielle Aufnahmen, die bei den alten Frauen, die die Lieder noch kannten, zuhause aufgenommen wurden. Viele von den Frauen machen mit ihren Füßen so etwas (beginnt mit Sitting Step, Fußperkussion im Sitzen), sie singen und klopfen mit den Füßen." Barachois nehmen ihre Lieder aus diesen Archiven, fügen Musik hinzu und arrangieren sie. Und, wie Albert betont, wurden die meisten dieser Lieder noch nie zuvor aufgenommen.

Während die Lieder über die Frauen weitergegeben wurden, wurden die Tänze eher von den Männern überliefert. Viele Leute waren Tänzer, Step Tänzer. Und viele Männer waren Fiddler, und viele Frauen spielten Pump Organ. "Aber das gilt nur im allgemeinen, es gab auch Männer, die Pump Organ spielten, und Frauen, die Fiddle spielten."

Bei Barachois kümmern sich die Männer Albert Arsenault und Chuck Arsenault (keine verwandtschaftliche Beziehung) vor allem um den Gesang, und spielen Gitarren, Brassinstrumente, Percussion und verschiedenste andere seltsame (selbstgebaute) Instrumente, während die Frauen Hélène Bergeron (Alberts Schwester) und Louise Arsenault (keine verwandtschaftlichen Beziehungen zu Albert, Hélène und Chuck) Keyboards und Fiddle spielen. Alle vier machen öfters mal Sitting Step und ‚normalen' Steptanz.

Bei einem Blick auf die gesamte franko-kanadische Szene gibt es viele kleine französische Gemeinden in Ostkanada, einige von ihnen auch mit ein wenig französischer Musik. "In Québec gibt es eine sehr große französische Szene, sie ist allerdings sehr abgetrennt von unserer. Es ist ein anderer Stil, und auch eine andere Sprache. Sie haben Probleme unser Französisch zu verstehen, weil unser Französisch – weißt Du, unsere Grammatik ist vom Englischen beeinflußt. In unserem Französisch steckt ein sehr alter Dialekt, und den verstehen die meisten Leute in Québec nicht. Es ist also eine ziemlich andere Kultur." Eine der Gründe hierfür ist auch, daß die Arcadier aus einer anderen Region Frankreichs kommen als die Leute, die sich in Québec niedergelassen hatten. Und auch in Frankreich gab und gibt es unterschiedliche Dialekte – insbesondere vor 200 Jahren, als die Dialekte noch unterschiedlicher waren, weil es weniger Kontakt untereinander gab. "Und wir sind nun schon seit 200 Jahren in Kanada und haben so auch noch ganz unterschiedliche Richtungen genommen."

Viele unterschiedliche Kulturen haben die Tradition der Arcadier geprägt. Und so hat jede kleine arcadische Region ihren ganz eigenen Akzent, eigene Ausdrücke, eine eigene Sprache.

Im Moment gibt es ein großartiges Folk Revival in Kanada; jeder nimmt im Moment Alben auf, und viele aus den jungen Generationen fangen an zu spielen, weil es äußerst in und cool ist, traditionelle Musik zu spielen. "Aber die Musik war schon immer da gewesen, sie wird jetzt nur wieder neu entdeckt", erinnert Hélène. "Es bekommt nun alles eine größere Aufmerksamkeit, mehr Leute wollen auch so etwas machen. Es nimmt sein ganz eigenes Momentum, etwa wie im Schneeballsystem."

Die Französisch-Kanadische und die Britisch-Kanadische Szene sind in Kanada ziemlich genau dieselben Szenen; oft gibt es Konzerte mit sowohl französischen als auch britischen Kanadiern, mit genau denselben Reaktionen im Publikum. "Es scheint, daß es einfach nur die Tatsache ist, daß es traditionelle Musik ist. Die Festivals in den kanadisch-maritimen Provinzen versuchen auch, Repräsentanten von den verschiedenen Kulturgruppen zu buchen, québecanische, irische, arcadische, schottische. Alle scheinen die Unterschiede zu genießen – und das ist gut zu hören. "

2 Barachois, Louise and Albert Arsenault; photo by The Mollis Plant Barachois denn nun, öfter mal nach Europa zu kommen?
Helène: Wir hätten es unheimlich gerne, aber wir müssen eingeladen werden!
Albert: Jaaa, jaaa; nächstes Reiseziel: Deutschland!
Helène: Ihr müßt uns allerdings einladen.
Albert: Jaaa, jaaa, Ihr müßt dafür vieeel Geld haben.
Helène: Geld und Bier.
Albert: Ja, das ist, was wir alle hier getrunken haben...
Glücklicherweise bleibt das mit dem Geld und Bier nicht an uns hängen, und Barachois kommen trotzdem. Im August sind sie Gast auf dem WDR Weltmusikfestival, und im Oktober/November dann endlich auf großer Deutschlandtour im Rahmen von Petr Pandulas Celtic Halloween Tour, die in diesem Jahre eine der besten Folktouren in Deutschland seit Jahren werden dürfte, denn neben Barachois werden auch Kantarach aus Schottland (mit Ross Kennedy, dem jungen Star-Piper Chris Armstrong, Capercaillies Marc Duff, Ex-Iron Horse Percussionist Stevie Lawrence etc.) und voraussichtlich Steve Cooney & Seamus Begley an der Tour teilnehmen.

Barachois' Debut-CD ist auf dem schottischen Iona Label erschienen, und war das Sommerhit-Album des letzten Jahres.


Photo Credit: The Mollis


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