FolkWorld Ausgabe 41 03/2010; Buchrezensionen von Walkin' T:-)M


T:-)M's Nachtwache
Shane MacGown & The Pogues, Georg Kreisler, Sea Shanties
Carl Spitzweg ,Der arme Poet'

Da haben wir uns diesmal viel vorgenommen: Das Spektrum zwischen der trunkenen Poesie des Londoner Iren Shane MacGowan und den morbiden Gesängen des Wieners Georg Kreisler abzudecken.

Anno 1976 sieht der 18jährige, in England geborene Ire Shane MacGowan die Sex Pistols. Der Fan der Pistols, als auch von Luke Kelly und den Dubliners (FW#23), kommt auf die Idee, die Energie und den Geist der Punkmusik mit der Musik seiner Ahnen zu verbinden. Sein Freund Spider Stacy erinnert sich: Er schmetterte Poor Paddy Works On The Railway mit voller Kraft, und hat ziemlich schnell gesungen. Das brachte uns auf die Idee, akustische Instrumente mit dieser Art von Punk-Energie zu kombinieren. Im April 1981 spielen The New Republicans irische Rebel-Songs in einem Londoner Pub.

Shane MacGowan

Shane MacGowan @ FolkWorld: FW#22, #30, #41

Icon Movie @ www.youtube.com

www.shanemacgowan.com
www.pogues.com
Britische Soldaten werfen mit Chips, der Club-Besitzer zieht nach sechs Liedern den Stecker: Gute Show, Jungs, kommt nie wieder hierher.

Aber allen ist klar, die Idee ist wert, ausgebaut zu werden. Shane beginnt, eigene Songs zu schreiben (Motto: Pack dir so viel Spaß wie möglich in dein Leben und schimpfe über den Schmerz, der dich als Folge dessen ereilt.)

Inzwischen war er sich über seinen Auftrag im Klaren: Er würde die irische Folk-Musik wiederbeleben und sie durch den Geist, die Spontaneität, die Haltung und die Sprache des Punk einem neuen, modernen Publikum nahebringen. Vor allen aber sollte es eine Musik sein, die Spaß machte, zu der man tanzen und trinken konnte.
Seine Band nennt sich The Pogues. Der Bandname kommt vom gälischen pog mo hoin (L.m.a.A.), erinnert aber auch an Pogo. Im Sommer 1985 erobert das zweite Album "Rum Sodomy & The Lash" (ein Zitat von Churchill über die britische Navy) die Top 20. Die Musikzeitschrift Melody Maker wählt es zum zweitbesten Album des Jahres und Shane wird Chap Of The Year - verliehen für herausragende Leistungen beim Feiern und Schöpfen zitierbarer Aussprüche.

Bandmitglied Jem Finer:

In Irland gab es bestimmte Leute, die meinten, wir wären scheiße und eine Karikatur und würden eine große Tradition zerstören. Wenn Noel Hill [FW#40] und seinesgleichen sich einbilden, sie würden die Musik exakt so spielen wie vor vierhundert Jahren, dann reden sie gequirlte Kacke! Um etwas zeitgenössisch zu machen, muss man es auch mit einer Art von zeitgenössischer Energie spielen. Wir hatten großen Respekt vor dieser Musik. Man kann nicht sagen, das Instrument muss dreihundert Jahre alt sein und ein paar Wurmlöcher am Steg haben. Es ist eine lebendige Sache. Sie wollten es quasi auf einen Sockel stellen. Wir lassen es weiterleben und geben es weiter.

Das nächste Album "If I Should Fall From Grace With God" wird nach dem Einstieg von Terry Woods (FW#15) ein Klassiker, u.a. auch durch den Weihnachts-Hit "Fairytale Of New York" (FW Xmas), den Shane im Duo mit Kirsty MacColl (FW#17) singt. Zum 25jährigen Jubiläum der Dubliners nehmen die Pogues den Shanty "The Irish Rover" auf und die beiden Bands haben prompt eine Top-10-Single.

Es folgt Tour auf Tour, die die Bandmitglieder nur betäubt durch Alk und Koks durchstehen. Auf Seite 438 der Geschichte der Pogues heisst es "Abschied von Shane": I am going any which way the wind is blowing, I am going where streams of whiskey are flowing ...

Carol Clerk, Die Geschichte der Pogues

Carol Clerk, Die Geschichte der Pogues. Bosworth, 2009, ISBN 978-3-86543-306-0, 511 S, €29,95.

Das war 1991. Shane startet eine Solo-Karriere mit The Popes, und der Rest der Geschichte ist ein bißchen wie die Hobbits ohne Gandalf: alles sehr gut gemeint, aber nicht so richtig gelungen. Nach zwei Alben packt die Band ein, um sich seit 2001 gelegentlich mit Shane auf der Bühne wiederzuvereinigen.

Carol Clerk ist ehemalige Redakteurin des Melody Maker. Sie hat keine simple Nacherzählung verfasst, sondern lässt die Pogues selbst zu Wort kommen. Dazu hat sie mit den Bandmitgliedern gesprochen, und unter Schwierigkeiten auch einen (!) Abend mit Shane, dem unberechenbarsten Mann in der Musikwelt, durchgestanden:

Dann stell mir doch mal eine einzige wirklich interessante Frage. Direkt über uns hängt ein Lautsprecher, der dröhnend eine Auslese der exzellenten Boogaloo-eigenen Jukebox zum Besten gibt. Unter diesen Umständen führen MacGowans Eigenart zu nuscheln, Wörter zu verstümmeln, sein undeutlicher Irisch-Londonder Dialekt sowie die Tatsache, dass er nicht einen einzigen Zahn mehr im Mund hat, dazu, dass unsere Unterhaltung gelegentlich zum Erliegen kommt.

Das Buch verfolgt die Karriere bis ins kleinste Detail, enthält somit auch viel überflüssige Informationen. Es gibt ein paar nette Bilder: Bassistin Cait O'Riordan legt sich z.B. am 20. April 1984 im Berliner Loft mit Sieg heil! brüllenden Neonazis an. Shane zusammen mit Johnny Depp, der ein paar Gitarrenparts zu "That Woman's Got Me Drinking" einspielte und beim Video Regie führte.

Die Übersetzung enthält leider einige den Lesefluss störende Schreibfehler, die sicherlich nicht der ursprünglichen Stilistik des Autors geschuldet sind. Dazu kommen Dinge, die vielleicht schon im Original falsch sind: Keith Donald war nicht Saxophonist der Burning Hearts (FW#35), das County heisst auch nicht Claire (FW#40). Nichtsdestotrotz ist "Kiss My Arse - The Story of The Pogues" bislang das einzige auf Deutsch erschienene Buch über das englisch-irische Musikphänomen.

Timme! Rauf auf die Rah'n und zum Besan. Ah, he! Ah, ho und alle Mann. Tiefes Wasser unter'm Kiel, oh-oh. Oh, alle Mann an Deck und an die Brassen ran. Im Original: "Clear the Track and Let the Bulgine Run". Shanties waren die Lieder der Seemänner in der Ära der Segelschiffe, um die harte Arbeit zu erleichtern und die stumpfen, sich wiederholenden Arbeitsvorgänge vergessen zu lassen: Segelsetzen, Pumpen, Ankerholen. Die meisten Lieder und Melodien sind verwurzelt in der irischen und anglo-amerikanischen Musik, eingestreut andere europäische (nordische, deutsche, französische) und karibische Einflüsse. Hartmut Emig hat eine Sammlung bestehend aus 16 amerikanischen und 10 englisch-irischen Shanties herausgegeben. Ein Auswahlkriterium war, dass sie genügend textliche und musikalische Substanz haben sollten, und ein gutes Shanty muss eine richtig gute Story erzählen. Den Originaltexten sind deutsche Übertragungen von Winfried Dulisch, Manfred Maser und Michael Zachcial (FW#32) beigegeben. Aus Shawnee Town (siehe z.B. Aufnahme von -> #32) wird Vater Rhein, aus Mingulay (#27) wird Norderney und aus den Cape Cod Girls werden die Butt-Bucht-Deerns. Ansonsten tanzen die New York Girls die Polka (#8, #32), die "Greenland Whale Fisheries" (#20, #32) und der Music-Hall-Song "Paddy Works On the Railway" vom amerikanischen Eisenbahnbau (#24) sind nicht erst seit den Pogues bekannt. Die Sammlung enthält Klassiker wie "Haul Away, Joe" (#32, #32, #34) und "South Australia" (#32, #32). "Donkey Riding" gehört zum Repertoire meiner eigenen Band (FW#40). Die hier vorgestellten Shanties sind als Chorsätzen für Männerchor gedacht, Haul Away - Ein neues Shantybuch kann aber ohne weiteres auch als Liedersammlung herhalten. Die Notationen enthalten erste und zuweilen zusätzliche Stimmen Alle Titel sind als Einzelausgaben und zwölf ausgewählte Stücke sind als Instrumental-Arrangements für zwei Melodie-Instrumente und Begleitung lieferbar.

Hartmut Emig Haul Away - Ein neues Shantybuch. Eres Edition 3535, 2009, ISBN 978-3-87204-035-0, 67 S, €19,80.

Des Englischen Mächtige können noch auf das knappe "Shane MacGowan: London Irish Punk Life and Music" von Joe Merrick und "A Drink with Shane MacGowan" von Shanes Ex Victoria Clarke zurückgreifen.

Shane MacGowan lebt nach dem Motto des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa: Was kümmere einen die kaputte Leber. Die Leber sei sterblich, die Gedichte würden jedoch auch ohne sie bestehen. Machen wir nun einen großen Sprung zu einem ganz anderen Charakter - auch wenn Shane sicherlich am Taubenvergiften im Park Gefallen gefunden hätte.

Georg Kreisler, Musiker, Komponist, Kabarettist und Schriftsteller, wird 1922 in Wien geboren. Er steht alsbald im Gegensatz zu seinem Vater: Er bewunderte erfolgreiche Künstler, aber nicht deren Kunst. Mein Vater glaubte, dass die Kunst schön sein muss. 1938 muss die jüdische Familie in die USA emigrieren. Nach Kriegsende tritt er als Entertainer mit englischen Liedern in New Yorker Nachtclubs auf. Ganze drei bereits aufgenommene Schallplatten dürfen allerdings nicht erschienen, weil die Plattenfirma die morbiden Lieder für unamerikanisch hält.

Lieder sollten komisch, aber harmlos sein. That's not funny, musste ich mir sagen lassen. Am American Way of Life durfte ich in meinen Liedern nicht rütteln, ohne das Publikum zu verärgern. Natürlich gibt es in Amerika jede Menge Kritiker dieses Glaubens, aber die arbeiten an Universitäten, nicht in Nachtlokalen. Alles muss hübsch seinen Platz haben.
1955 kehrt Kreisler nach Europa zurück. Ich habe mich in Wien nach meiner Rückkehr 1955 sicherer gefühlt als in New York, denn in Wien war ja gerade das Schlimmste vorbei. Seine nun deutsch-sprachigen Chansons lösen auch hier nicht nur Begeisterung aus:

Im Lied vom Taubenvergiften im Park wird von mir das Töten von harmlosen Tieren zu einer heiteren Walzermelodie als nicht nur nützlicher, sondern auch vergnüglicher Zeitvertreib beschrieben. Das Lied löste, 1956, bei manchen Leuten Entsetzen aus, seine Verbreitung durch Rundfunk und Fernsehen wurde verboten. Die Leute, die entsetzt waren, hatten recht, weil es eine Welt beschrieb, in der man nicht leben wollte oder an die man nicht erinnert werden wollte. Heute lacht man kaum noch über das Lied, aber nicht weil es veraltet, sondern weil es wahr geworden ist.
Dennoch hat er Erfolg und wundert sich:

Die Lieder, die ich am Anfang in Wien schrieb, waren eine Fortsetzung meiner New Yorker Lieder, eine mit Konzessionen an den Publikumsgeschmack gespickte Kommerzkunst. Ich kann nur die These aufstellen, dass in der Kunst einer, der Besseres leisten könnte und sich mit Geringerem begnügt, grundsätzlich Zuspruch erhält. Man ist erleichtert, einen Künstler weniger zu haben, der einem vielleicht das Herz schwer machen könnte.
Kreisler spielt vier Jahrzehnte lang Chanson-Abende. Neben einigen hundert Liedern schreibt er Romane, Essays, Kurzgeschichten, Theaterstücke und Opern.

Georg Kreisler, Letzte Lieder

Georg Kreisler, Letzte Lieder - Autobiographie. Arche, 2009, ISBN 978-3-7160-2613-7, 160 S, €19,90.

Seit einigen Jahren tritt er nicht mehr mit seinen Chansons auf und hat das Liederschreiben gänzlich aufgegeben - weil mir keine mehr einfielen.

Es wird mir nicht leidtun, die europäische Kulturszene zu verlassen. Gewiss gibt es hervorragende Künstler, aber sie kommen kaum zu Wort. Zu Wort kommen diejenigen, die nicht Kunst produzieren, sondern ihre persönlichen Karrieren. Diese 'Künstler' bekommen dann auch gute Kritiken, denn vom Dilettantismus verstehen die Kritiker viel.

Fakten wie diese findet man nicht so einfach ausgebreitet in dem als Autobiografie betitelten Büchlein Letzte Lieder. Es ist keine Schilderung eines Lebens, sondern ein Essay, in dem Biographisches nur im Nebensatz fällt, wenn er über Gott und die Welt plaudert. Er sagt: Die Entdeckung, dass die Kunst versucht, uns die Wirklichkeit plausibel zu machen, ist etwas Grandioses. Damit ist mein Leben eigentlich schon erzählt.

Der Außenseiter ist realistisch und unsentimental. Er schreibt intelligent, sodass man aufpassen muss, dass einem nichts entgeht. Es ist eine Abrechnung mit Kulturbürokratie und Kommerzialismus, er konterkariert Gewohntes und Gewöhnliches, er reizt zum Widerspruch und sucht nicht den Beifall des Publikums (Lesers) und des Kritikers. Es ist dennoch eine vergnügliche Lektüre, und ich denke mir, dass sich Kreisler sicherlich darüber freut, eine wohlmeinende - oder besser: denkende - Leserschaft zu finden.

1968 hat Georg Kreisler eine wöchentliche Unterhaltungssendung im Österreichischen Fernsehen, und die Briefzuschriften ergeben ein prächtiges Schlusswort:

T:-)M's Nachtwache FW#40
Englische Titel

  • Danke für Ihren Amoklauf eines Individuums gegen die Ungeheuerlichkeiten unserer geisttötenden Konsumwelt.
  • Im Ton frech, eingebildet, anmaßend und unverschämt. Hören Sie auf und überlassen Sie das Feld den Einheimischen. Sie waren und bleiben überall - außer Israel - immer nur Fremdkörper.
  • Wir möchten Sie ausdrücklich darauf hinweisen, dass wir darauf bestehen müssen, dass die von uns genehmigten Drehbücher eingehalten werden.
  • Whatever happened to Heiße Viertelstunde? Warum ist sie so sang- und klanglos ausgekühlt? Vaterland, magst ruhig sein, dein Zensor wacht. Wir bitten die paar Idioten, denen die Sendung gefallen hat, um Verständnis. Wir bringen dafür noch einige amerikanische Halbstunden-Serien, hübsch umrahmt von prächtigen Senfreklamen. Was brauch ich den Juden im Fernsehen, beim Hitler hat's das net 'geben! Hauptsache, Mainz singt und lacht! Und wenn Sie mal gestorben sind, Herr Kreisler, werden Sie sicher ein großer und bedeutender Österreicher, dessen Andenken das Bundesheer mit der Waffe in der Hand verteidigt.


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    © The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 03/2010

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