FolkWorld Ausgabe 41 03/2010; Live-Bericht
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Bluegrass ist eine äußerst mitreißende, virtuose amerikanische Folkmusik, die auf besten und meist wertvollen akustischen Instrumenten gespielt und überwiegend mehrstimmig gesungen wird. In Europa steigt die Zahl der Fans stetig an. Zeit also, auch in Europa mit einer regelmäßigen "Werkschau" in Form der jährlichen Festival-Tournee Bluegrass Jamboree! zu beginnen und Bluegrass und seine Wurzeln vorzustellen.
Im Bluegrass finden sich Elemente traditioneller Folkmusik europäischer Auswanderer, z.B. aus Irland und England, Klänge der Sklaven und weiße und schwarze Kirchenmusik, die sich in den ländlich geprägten südöstlichen Staaten der USA zu einer besonderen Form vereint haben. Bill Monroe mit seiner legendären Band The Bluegrass Boys (benannt nach ihrem Herkunftsstaat Kentucky, wo das Gras eine besondere bläuliche Farbe hat) erfand in den 40er Jahren diese Mischung.
Instrumente sind Geige (Fiddle), fünfsaitiges Banjo, Mandoline, Gitarre, Kontrabass und die waagerecht gespielte Hawaiigitarre, genannt Dobro. Guter Bluegrass ist zwar technisch mindestens so anspruchsvoll und komplex wie Jazz (manche bezeichnen ihn auch als "Jazz from the Hills"), dennoch spielt der Gesang (als dominierendes Element) die Hauptrolle. Intensive Solostimmen sowie zwei- bis vierstimmige Vokalsätze in den Refrains begeistern selbst das anspruchsvollste Publikum. Die Themen der Songs decken wie in jeder Volksmusik die gesamte Bandbreite der Lebenserfahrungen und -philosophien ab und handeln, entgegen vieler Vorurteile, nur selten von Pferden, Trucks oder Cowboys, sondern spiegeln vielmehr das Phänomen des "White Man's Blues" wieder: Love, Life and Death, Places…
The Toy Hearts @ FolkWorld: FW#41 @ www.myspace.com/thetoyhearts |
Ein bluegrass-verrückter Vater mit seinen zwei jungen Töchtern bildet den Kern einer der wohl außergewöhnlichsten Bands des Genres in Europa. Mittlerweile sorgt das Quartett im Stammland der Bluegrass Musik für enormes Aufsehen, ihr nächstes Album wird sogar in Nashville produziert werden. Vater Stewart bezeichnet sich selbst als "süchtig nach Saiteninstrumenten", seit er vor über 45 Jahren damit begann, die Clubszene Birminghams zu erobern. Die Liste seiner Bands ist schier endlos, vor allem Country, Bluegrass und Rockabilly sowie Rock der frühen Zeit sind seine Vorlieben bis heute. Seine Hauptinstrumente sind das 5-string Banjo und die Resonatorgitarre. Er war in unzähligen TV-Shows, Theatern und Musicals überall in ganz England zu sehen und gilt als Urgestein der englischen Bluegrass Szene.
Vater Stewarts Enthusiasmus übertrug sich bald auf seine Töchter, saßen sie doch oft genug am Bühnenrand, Backstage oder im Bandbus. Sophia Johnson ist heute eine der ganz wenigen Frauen, die sich der im Bluegrass elementaren Flatpick-Solo-Gitarre widmen und in internationalen Magazinen gepriesen wird. Sie durfte mit 8 Jahren dann endlich Unterricht nehmen, entdeckte irgendwann den Rock'n'Roll und die Beatles, fühlte sich aber erst mit der Entdeckung von Flamenco und Django Reinhardt zur akustischen Gitarre hingezogen. Nicht viel später fand sie den Weg zum Wegbereiter der Flatpick-Gitarre Clarence White (Byrds) und pendelt seitdem zwischen ihren musikalischen Vorlieben.
Schwester Hanna ist die Songwriterin und Stimme der Band. Sie sang schon sehr früh die wunderbaren (aber für sie damals unverständlichen) Songs von Hank Williams nach und betrachtet Singen und Songwriting als ihre große Gabe. In ihren Liedern setzt sie auf einfache Sprache, Themen aus dem Leben und bewegende Musik, die den Bluegrass wieder nach England zurück holt - nicht ohne Ausflüge über mehr oder weniger verwandte Stilrichtungen wie Swing, englischer Pop und Folk. Mit Schwester Hannah zaubert sie zweistimmige Duette auf die Bühne, bei denen das Attribut Gänsehaut einmal wirklich angebracht ist. Bassist Bradley Blackwell hält das ganze mit seinem exzellenten Spiel im Griff, dabei ist er eigentlich auch Experte auf Gitarre und Drums. Er eroberte mit englischen Chart-Künstlern Wohnzimmer ebenso wie die Wembley-Arena.
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Was wäre Bluegrass ohne Oldtime Music, ohne die Fiddle Tunes und Balladen, die oft noch so nah an den Klängen der irisch-schottisch-englischen Auswanderer liegen? Beverly Smith & Carl Jones sind würdige Vertreter dieser Richtung, Seit vielen Jahren ist dieses besondere Duo von den wichtigsten Festivals nicht mehr wegzudenken. Sie zelebrieren die Kunst des Duetts - sei es mit Banjo und Geige, Gitarre und Mandoline, instrumental oder als virtuoses und berührendes Gesangspaar.
Hier kann man hören, woraus Folk-Königin Gillian Welch einen großen Teil ihrer Inspiration holt. Blues, Balladen, Walzer, Tanzmusik, alte und neue Songs von der Carter Family und Jimmie Rodgers, über Gospel bis hin zu den ganz besonderen Eigenkompositionen, die ganz in der Tradition stehen und dennoch zeitgemäß und neu sind. Beverly Smith war schon 1993 mit der Neo-Oldtime-Girl-Kultband "The Heartbeats" auf Europatournee, später dann wieder mit dem Grammy-nominierten Bruce Molsky in dessen Oldtime-Projekt "Big Hoedown". Beverly Smith gilt als eine der besten Rhythmusgitarristinnen der USA, spielt aber auch außergewöhnlich gut Geige und ist als Tanzmeisterin beliebt.
Carl Jones, auch der humorvolle Moderator des Duos, spielte u.a. in Norman Blakes "Rising Fawn String Ensemble" und hat als gefragter Workshop-Leiter unzählige Musiker mit der Essenz der Oldtime-Musik in Berührung gebracht. Er begann in den frühen 70er Jahren an Fiddle Conventions teilzunehmen und ist seitdem diesem Stil verfallen. Seine Songs werden von bekannten Bands und Solisten wie der Nashville Bluegrass Band und Ricky Simpkins interpretiert.
Steep Canyon Rangers @ FolkWorld: FW#41 @ www.myspace.com/thesteepcanyonrangers |
Nicht oft bekommt man in Europa die wirklichen Spitzenbands des Bluegrass zu sehen, dazu ist das Genre in USA viel zu erfolgreich. Aber für die neue Konzerttournee „Bluegrass Jamboree! - Festival of Bluegrass and Americana Music“ machten die Steep Canyon Rangers, die kürzlich bei Talk-Guru David Letterman gastierten, eine Ausnahme. Das Quintett um Leadsänger Woody Platt aus North Carolina ist eine Ausnahmeerscheinung in der Bluegrass Szene, denn seit über 10 Jahren spielen sie in derselben Besetzung und gehören zur Speerspitze der "New Generation". Die ersten Sessions fanden an der Uni statt und brachten ihnen mehr als einmal verständnisloses Kopfschütteln ihrer an HipHop und Rock gewöhnten Kommilitonen ein. Die leidige Suche nach dem Bandnamen war schnell erledigt, sie tauschten einfach bei ihrer Lieblingsbiermarke das Wort "Stout" gegen Rangers!
Seitdem machen sie vor keinem noch so skurrilen Veranstaltungsort halt und spielen in derben Honky-Tonk Clubs, Theatern, Museen, Kirchen, aber auf Rockfestivals genauso wie auf Bluegrass- und Oldtime-Events oder gar in der New Yorker Carnegie Hall als Begleitband von Film-Star Steve Martin. Am Spiel der Band erkennt man sehr schnell, dass sie die erste Generation Bluegrass-Musiker von Flatt & Scruggs bis Bill Monroe genauso wie die Golden-Country-Legenden der 40er/50er Jahre ausgiebig studiert haben. Mittlerweile schreiben sie fast alle Stücke ihres Programms selbst und haben mit ihrem besonders breiten Stil-Mix aus Bluegrass und Country mit einem guten Touch Rock und Pop großen Erfolg: Bluegrass-Award-Nominierungen 2008 für das Album und als neue Band sowie monatelang auf Spitzenplätzen der Bluegrass Charts von Billboard und anderen Fachzeitungen sind der Beweis.
Die Texte wurden mit freundlicher Genehmigung der Bluegrass Jamboree!-Website entnommen. |
Photo Credits:
(1) Bluegrass Jamboree Logo;
(2) Bluegrass Jamboree Session;
(3) The Toy Hearts;
(4) Beverly Smith & Carl Jones;
(5) Steep Canyon Rangers
(by Rainer Zellner).
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© The Mollis - Editors of FolkWorld; Published 03/2010
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